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- Der Zar lässt sich photographieren
Kurt Weill (1900-1950):
Der Zar lässt sich photographieren
Allgemeine Angaben zur Oper
Entstehungszeit: |
1927 |
Uraufführung: |
18. Februar 1928 am Leipziger Neuen Theater |
Besetzung: |
Solisten, Chor und Orchester |
Spieldauer: |
ca. 60 Minuten |
Opus: |
op. 21
|
Zur Oper
Art: |
Opera buffa in einem Akt |
Libretto: |
Georg Kaiser |
Sprache: |
deutsch |
Ort: |
Paris |
Zeit: |
19. Jahrhundert |
Personen der Handlung
Der Zar: |
(Bariton) |
Angèle: |
(Sopran) |
Der Gehilfe : |
(Tenor) |
Der Boy: |
(Alt) |
Die falsche Angèle: |
(Sopran) |
Der falsche Assistent: |
(Tenor) |
Der falsche Boy: |
(Alt) |
Der Anführer: |
(Tenor) |
Der Begleiter des Zaren: |
(Bass) |
Handlung
Das Atelier Angèle für Photographie ist weit über Paris hinaus berühmt. Madame beschäftigt einen Azubi und einen Gehilfen. Das Telefon klingelt, und der Garçon nimmt den Hörer ab. Er ist völlig fassungslos, gerät ins Stottern und bittet den Gehilfen, das Gespräch zu Ende zu führen. Zögernd schaltet dieser sich ein, um dann unverzüglich nach Madame zu rufen. Offenbar ist mit der Entgegennahme des Anrufes seine Kompetenz überschritten. Madame rügt das lautstarke und affektierte Verhalten der beiden, um dann den Hörer aufzunehmen. Das Hofmarschallamt behauptet, Madame habe eine bestimmte Bitte geäußert. - Niemals hat sie einen Brief geschrieben. - Störungen in der Leitung, die Verständigung ist schlecht. - Wie bitte?
DER ZAR LÄSST SICH PHOTOGRAPHIEREN!
Mit einer Flut von Briefen soll Madame den Zaren zur Aufnahme eingeladen haben. Nicht eine Zeile hat sie geschickt. Das muss ein Missverständnis sein. Der Gehilfe ist sprachlos. Er weiß auch von nichts.
Romain soll schauen, ob die Beleuchtung funktioniert und die Apparaturen bereitstehen. In zwölf Minuten wird Madame bereit sein. Der Neunmalkluge erklärt seiner Chefin, dass ein Zar sich immer „bitten lässt“, damit er gewähren kann, auch dann, wenn er selbst den Wunsch hat, weil er Herrscher von Gottes Gnaden ist.
Angèle ist glücklich. Der Zar kommt zu ihr ins Atelier, und sie wird ihn vor der Linse haben. Die Presse wird das Atelier stürmen. Sie wird berühmt sein. Ist der Sessel richtig platziert? In welchen Schal soll sie sich hüllen? Der Boy muss als Zar probesitzen, um festzustellen, ob die Lichtverhältnisse stimmen.
Es klingelt schon nach fünf Minuten – Dauerklingeln. Ist der Zar etwa schon da? – Tumult entsteht, laute Stimmen sind zu hören, Schritte nähern sich. Fünf Männer in langen Mänteln stürzen herein, eine Frau ist dabei und ein halbwüchsiger Junge, der sich wehrt.
Den vorgehaltenen Revolver halten sie Angèle und dem Gehilfen an die Schläfe. Keiner soll es wagen zu schreien. Die Zeit ist kostbar. Der Zar wird sie mit seinem Blut bezahlen.
Was wollen die Verschwörer? – Wenig! Nur die Erlaubnis, sie in der nächsten Viertelstunde vertreten zu dürfen. Die fremden Protagonisten tauschen Jacke, Schal und Kittel, um als Personal des Ateliers auftreten zu können. Ein letztes Make-up und das Atelier hat „neues Personal“. Der Fotoapparat wird umgebaut. Die Linse muss weg. Die echte Angèle bittet um Schonung ihrer Apparate.
Der Anführer soll bitte die Linse nicht verstellen. Sie erwarte den Zaren. Der Rebell erwartet ihn ebenfalls. Kann er überhaupt fotografieren? Auf seine Art schon - nur seine Vorkehrungen sind von besonderer Art, damit es ein voller Erfolg wird. Der falsche Gehilfe entnimmt einem Karton eine Waffe, um sie in die Fotoeinrichtung zu montieren und mit dem Auslöser in Verbindung zu bringen.
Die richtige Angèle begreift: In ihrem Atelier wollen sie den Zaren ermorden. Sie hat richtig geraten! Auswahl und Vorbereitungen wurden sorgfältig getroffen. Auch die Briefe an das Hofmarschallamt haben die Verschwörer geschrieben. An Eigenlob wurde nicht gespart. Wie schändlich! – Im Schuss aus dem Photographenkasten wird das Wild verröcheln. Angèlas Geschäft wird ruiniert sein. Es muss leider geschehen. Das Opfer muss gebracht werden - für alle, die nach Freiheit lechzen. Mit dem Schuss, der hier fällt, werden für alle die Tore zur Freiheit geöffnet.
Angèle fleht unablässig um Erbarmen, dass man ihre Apparate schonen soll. Die Verschwörer sind jedoch von ihrer Idee durchdrungen. Der Tyrann muss ins Herz getroffen werden.
Die Fenster sollen verhangen werden, denn die Kugel wird auch im Dunkeln ihren Weg finden.
Angèle und ihren beiden Mitarbeitern werden mit einem Taschentuch der Mund verbunden und außer Reichweite gebracht.
Es klingelt erneut, und zwei Kriminalbeamte erscheinen. Den falschen Azubi, der entwischen wollte, schleppen sie, am Kragen gefasst, ins Atelier zurück. Auf Anordnung des Polizeipräfekten haben sie für die Sicherheit des Zaren zu bürgen. Eine Durchsuchung des Ateliers und der Personen ist unvermeidlich. Die Anwesenden wollen sich dem Zwang bitte bereitwillig fügen. Einer der Beamten kontrolliert den Raum, der Sprecher vollzieht die Leibesvisitation. Ein abseits stehender Männerchor im Frack singt davon, dass unter dem schwarzen Tuch der Schuss lauert, der „das Signal zur Befreiung“ gibt. Für die Kriminalbeamten offenbar nicht wichtig, denn sie nehmen die Information nicht zur Kenntnis.
Unauffällig gekleidet betritt der Zar in Begleitung einer weiteren Person, die mit ihrem Zwirbelbart respekteinflößend aussieht, den Raum. Die Beamten postieren sich an der Tür. Es entspinnt sich ein Dialog zwischen der falschen Angèle, die den Besucher offenbar in Galauniform erwartet hat, und dem Zaren. Dieser möchte aber als Mensch fotografiert und als Mensch behandelt werden, wie alle anderen auch, die über die Straße laufen. Der Zar schaut zum Fenster hinaus und genießt den Anblick über Paris. Majestät kommentiert die Fotos und Aktdarstellungen, die zu Werbezwecken im Atelier an den Wänden hängen. Sogar ein kleiner Hund erregt die Fantasie des Herrschers aller Reußen und bringt ihn zu der Äußerung, dass er Tiere besonders liebe. Mit dem Fotografieren hat der hohe Herr es gar nicht eilig, er will plaudern. Offenbar findet er Gefallen an der falschen Angèle, er will mit ihr während des Fotografierens allein sein. Der unscheinbare Männerchor warnt – wenn auch leise – in ständiger Wachsamkeit.
Der Zar möchte ein Bild von sich, wie er wirklich ist. Er will mit einer Zigarette fotografiert werden! Die Lehne des Stuhls ist zu hart. Das Zigarettenetui hat er in der Brusttasche. Die falsche Angèle gibt Weisung, dass das Modell den Kragen breit aufschlägt. Wie lange muss der Lebhafte still sitzen? Genügt das Licht? Es sei ein Blitz in der Kamera, erklärt die Fotografin.
Der Dialog wird zweideutig. Der Zar fragt, ob er auch nicht zusammenschrecken wird. – Das wird sich finden. Die Geübte wird treffen, wie ein Schütze seine Scheibe. Sie zählt jetzt bis drei und dann drückt sie auf den Ball, den sie in der Hand hält. Der Zar kann nicht still sitzen. Er hat eine neue Idee: Jetzt möchte er die Fotografin fotografieren. Diese ist von dem Rollentausch überhaupt nicht angetan. Warum will er sie fotografieren? Es ist nur eine Laune. seinen Launen gehorcht er immer, weil er sonst immer befehlen muss. Angèle findet die Idee kindisch. Ob die Kunst des Fotografierens so schwer sei? Er sei sehr gelehrig und will den externen Auslöser in die Hand nehmen. Er soll den Draht auf gar keinen Fall berühren. Er will erst drücken, wenn sie im Sessel sitzt.
Ihr wird allein bei dem Gedanken ganz schwindelig, dass der Zar sie fotografieren will. Sie soll den Zarentitel endlich vergessen, so wie er sich das auch vorgenommen hat. Unweigerlich wird er bei dem Entschluss beharren, Madame zu fotografieren. Sie soll sich in den Sessel setzen. – Aber sie ist müde und abgespannt und überhaupt nicht vorbereitet. Er findet sie wunderschön in der Verwirrung. Gut, aber zuerst soll der Zar Modell sitzen. Nein, zuerst ist die Dame an der Reihe, die Etikette verlangt es. Wenn sie nicht gehorcht, drückt er den Ball und dann bleibt die Platte einfach leer.
Langsam ist Angèle mit den Nerven am Ende, sie springt auf. Der Zar soll seine Hand auf ihr Herz legen und spüren, wie es in ihrem Inneren übermächtig tobt. Jetzt bekommt auch der Zar Herzklopfen. Angèle legt ihre Hand auch auf sein Herz, aber sie fühlt nur die Zigarettendose. Er wirft das Utensil auf den Boden. Jetzt will der Zar auch noch küssen. – Nein, zuerst das Bild! Hinterher! Was für ein Bild? Schließlich bringt sie ihn doch so weit, dass er sich in den Sessel setzt. Den Auslöser nimmt Angèle in die Hand, zieht sich das schwarze Tuch über den Kopf und beginnt zu zählen.
Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Das Komplott sei entdeckt und das Haus umzingelt, sagt der Begleiter. Keiner darf das Haus verlassen. Der Zar ist solches Theater gewohnt. Mal ist es der Dolch – mal kracht eine Bombe. Man soll endlich auf dem Gebiet des Attentates etwas Neues erfinden. Der Zar fühlt sich richtig angeödet und wäre für Abwechslung dankbar. Wenigstens hier im Atelier fühlt er sich sicher. Aber warum ist Madame kreidebleich im Gesicht?
Der Zar kann nicht stillsitzen, springt ständig auf und umfasst ihre Hände. Wie schön sie ist! Wie zwei schwarze Monde schwimmen ihre Augen in dem roten Blut, welches ihre Wangen färbt. Wie zauberhaft sie in ihrem Aufruhr auf ihn wirkt. Nein, er will nicht zuerst fotografiert werden, auch wenn er es versprochen hat. Nichts hat Bestand, wenn diese Lippen lachen. Zuerst ihr Bild zum ewigen Gedenken! Aber sie kann nicht ruhig bleiben, wenn sie liebt. Sie möchte ein Bild von ihm haben, und er soll doch endlich stillhalten. Sie kann sich doch genau so gut in jedem Laden ein Bild von ihm kaufen, im Sitzen, im Stehen, in Zivil und in Uniform. Mit und ohne Krone.
Also, jetzt gibt es einen Kuss und dann wird aber fotografiert! Wenn hier einer fotografiert, ist es der Zar. Die falsche Angèle umschlingt den Zaren und drückt ihn auf den Sessel. Beide singen im Duett: Ich will das Bild,.. ich will das Bild... Der Zar kann über alles gebieten, nur nicht über sein Leben, denn er ist ein Prinzip.
Warum schließt Angèle die Tür? Sie will nicht, dass sie überrascht wird, wenn beide sich lieben. Na, endlich. Sie werden selig sein, denn nur die Liebe zählt! Durch eine andere Tür will Angèle den Raum verlassen. Der Zar soll sie nicht sehen, während sie sich entkleidet – so sagt sie. In Wirklichkeit will sie flüchten. Der Anführer, der endlich ein Resultat sehen will, möchte wissen, ob der Zar tot sei. Unter den vielen Kissen, die er durch den Türspalt sieht, ist nichts zu erkennen. „Pech gehabt, Attentat leider misslungen!“ - Blitzschnell umkleiden, die Geiseln freisetzen und schleunigst fliehen! Die Polizei rüttelt bereits an der Haustür. Es ist höchste Zeit, den Tatort zu verlassen.
Die echte Angèle reißt sich die Binde von den Augen. Ihr liegt daran, dass die Polizei Vorfall und Tumult nicht bemerkt. Das Hämmern gegen die Tür wird immer heftiger. Damit der Knall nicht gehört wird, löst sie während des Radaus schnell den Schuss aus. Der feurige Strahl geht ins Leere. Der Zar windet sich aus den Kissen und schnuppert Pulverdampf. Es sei nur ein bisschen Magnesium. Sie hat lediglich die Belichtung überprüft, erklärt Angèle.
Der Zar sieht nun die richtige Angèle und zweifelt auch selbst an seiner eigenen Identität, bekommt sie aber von seinen Offizieren bestätigt. Wie doch das Tageslicht einen Menschen verändern kann, wenn die Fenstervorhänge aufgezogen werden. Blitzschnell wird die Apparatur wieder in den alten Zustand versetzt. Jetzt kann das Bild gemacht werden. Angèle ist bereit. Der Zar ist es auch und setzt sich in den Sessel. Die Offiziere salutieren während der Aufnahme: eins... zwei... drei!
Der Männerchor im Frack teilt dem Publikum mit: DER ZAR LÄSST SICH PHOTOGRAPHIEREN.
Letzte Änderung am 26.5.2006
Beitrag von Engelbert Hellen