Entstehungszeit: | 1920-22 |
Uraufführung: | 4. Oktober 2003 in Metzingen (Stadthalle) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 250 Minuten |
Erstdruck: | Berlin: Ries & Erler, 2002 |
Opus: | op. 14 |
Art: | Oper in drei Akten |
Libretto: | Siegfried Wagner nach dem Roman von Adolf Friedrich von Schack (1815-94) |
Sprache: | deutsch |
Ort: | Reggio di Calabria (Süditalien) |
Zeit: | 1194 |
Albiria: | Gräfin von Alife (Mezzosopran) |
Osmund: | deren erster Sohn (Bariton) |
Rainulf: | deren zweiter Sohn (Tenor) |
Adelasia: | aus normannischem Adelsgeschlecht (Sopran) |
Gilbert: | ihr Bruder (Tenor) |
Sigilgaita: | eine Seherin |
Beata: | Tochter eines Freigelassenen (Sopran) |
Graziella: | eine Tänzerin (Sopran) |
Weitere: | ein Priester (Bariton), der Gesandte Kaiser Heinrichs VI. (Bariton), Sebastian, ein alter Diener (Bass) Marta, die Amme von Prinz Wilhelm (Sopran), Prinz Wilhelm, jugendlicher Sohn König Tankreds (stumme Rolle), Sibylle, Witwe König Tankreds (stumme Rolle) und weitere |
1. und 2. Szene:
Normannen und Staufer kämpfen um die Vorherrschaft in Süditalien. Zum Königreich „Beider Sizilien“ gehört nicht nur allein die Insel, sondern auch der der italienische Stiefel bis zur Mitte. Die einheimischen Dynastien haben wenig zu melden und müssen sich entweder auf die eine oder die andere Seite schlagen. Schiffe feindlich gesonnener Sarazenen sorgen für Unruhe im Mittelmeer. Zwei Brüder, Söhne der Gräfin von Alife, gehen in Opposition aufeinander zu und kämpfen um den höheren Rang.
Osmund, der Erstgeborene, erklärt seinen Soldaten und den Opernbesuchern die Situation und hält eine flammende Rede. Er steht auf der Seite der Normannen und versucht, seine Soldaten auf Tankred von Lecce einzuschwören. Mit dem Aufruf, für das Vaterland zu kämpfen, will er in See stechen, um die feindlichen Sarazenen zu verjagen. Der Wind steht günstig und als Feldherr erfleht er Sieg und Segen zugunsten König Tankreds. Konstanze, die Tochter des verstorbenen Königs Wilhelm, gebürtig aus dem normannischen Hause Hauteville, aber den Staufern ehelich verbunden, hätte das Nachsehen.
Schon allein um der Opposition Willen möchte Rainulf, ehrgeizig und intrigant, den Staufern den Weg zum Thron freihalten. Ohnehin wird Sizilien von fremdem Einfluss bestimmt, daher hält er Treue für dumm, selbst wenn die Antriebe von Natur aus edel sind. Gegen Tankred, den er nicht leiden kann, erhebt er den Vorwurf seiner unehelichen Geburt und weigert sich, ihm untertänig zu sein. Er will wissen, dass Sibylle von Lecce zwar König Rogers Geliebte gewesen sei, aber zur beabsichtigten Ehe sei es nicht gekommen, weil der Letztgenannte völlig unvorhergesehen das Zeitliche segnete. Sehr bedauerlich, entgegnet Rainulf, aber Tatbestand sei doch, dass Tankred nicht im Ehebett geboren worden sei. Osmund mahnt den Bruder an seinen Treueschwur und wirft dem Wankenden Mangel an Dankbarkeit vor. Dieser leugnet die Gültigkeit seines Eides mit einer fadenscheinigen Begründung. Zudem habe Robert de Guiscard lediglich aus Eigennutz gehandelt und nicht aus Liebe zu den Sizilianern! Somit folge er also den Staufern, argwöhnt Osmund, kann aber mit seinem Vorwurf keinen Meinungsumschwung bewirken. Nur die Narren setzen auf Tankred, sind des Unbelehrbaren letzte Worte.
3. Szene:
Der Älteste der Söhne der Gräfin von Alife hat ein Liebesverhältnis zu einer Freigelassenen. Das verstößt gegen die höfische Etikette. Osmund versucht die Geliebte zu beschwichtigen, denn der Verängstigten fehlt der Beschützer, wenn er in den Krieg zieht. Den Spott der Höflinge, die ihr das Glück neiden, fürchtet sie ebenso wie seine Untreue. Osmund, die Biene, saugt an jeder Blume - er würde von einer zur anderen fliegen, gaukelt die Fantasie ihr vor. Seine Redlichkeit will der zu Unrecht verurteilte der Argwöhnischen unter Beweis stellen und noch heute mit ihr vor den Traualtar treten. Rainulf legt den Finger in die offene Wunde. Eine schöne Verwandtschaft will man ihm unterschieben. Die Tochter eines Freigelassenen soll offenbar seine Schwägerin werden. Fürchtet Beata ihn? Nun, sie muss es ertragen, dass er sie nicht leiden kann. Beatas Ängste - in Siegfried Wagners schön gedrechselte Verse gekleidet - klingen so:
„Zur Gattin willst du mich erheben?
Weißt du auch, was du beginnst?
Keine Edle ist es, die du gewinnst.
Ärmlich, aus niedrigem Stand, Obdach ich hier fand!
Mein einziger Besitz, das ist ein treues reines Herz!“
Zwei funkelnde liebe, holde Augen bedeuten Osmund mehr als alle Schätze dieser Welt. Keine Zweifel sollen ihre Brust durchwühlen und nicht verzagen, denn dass er sie liebt, sollte sie eigentlich fühlen. Doch ohne den Segen der Mutter läuft gar nichts. Er schlägt vor, die Stufen zu ihrem Palast emporzusteigen. Doch wie der Engel im Garten Eden steht oben Adelasia und verwehrt den Zutritt: „Nicht jetzt! Denn Schlaf, gottlob, hat sie umsponnen! Ich rufe euch, wenn sie Kräfte wieder hat gewonnen!“
4. Szene:
Tief in seinem Herzen liegt ein mörderischer Hass auf seinen Bruder verborgen. Obwohl von der Mutter bevorzugt, kann er das Recht der Erstgeburt mit all seinen Vorzügen für sich nicht in Anspruch nehmen. Sein Ärger entlädt sich in Zynismus und Bosheit. „Schade, dass es keine Göttin der Dummheit gibt, denn sie wäre von allen verehrt und geliebt! An tausend Stellen stünden Tempel, Kapellen, in endlosen Reihen
würde man Statuen ihr weihen!“ Ohne es begründen zu können, sei der Dummen Allerdümmster sein Bruder Osmund, und der sitze am Steuer, gebiete dem Ruder. Das kann nicht so bleiben! Wohin soll das treiben? Es muss alles, alles anders werden!
Rainulf vergleicht sich mit Esau und der Bibelszene mit dem Linsengericht. Gegen eine leckere Mahlzeit verlor der Hungrige das Recht der Erstgeburt an Jakob. Wenn also Osmund eine Nichtadelige heiratet, kann ihm das Gleiche passieren, wenn die Mutter so verfügt. Sobald Adelasia einmal nicht in ihrer Nähe ist, wird er sie bereden. Er weiß es nicht, ob er selbst das schöne Normannenkind liebt. Von ihr ist ihm bekannt, dass sie Osmund zugeneigt ist, aber offenbar zu stolz, um sich Beata gegenüber als Rivalin zu gebärden. Ihre Liebe zum verhassten Bruder kann sich in Offenheit nicht entfalten. Hat er selbst bei Adelasia überhaupt eine Chance? Siegfried Wagner formuliert vorzüglich:
„Es zieht mich was hin zu ihr, mit geheimnisvoller Macht.
Der Liebe Fackel ist es nicht, die die Brust entfacht!
Ein anderes Gefühl! Ich kann es nicht nennen:
Ist es Scheu? Ist es Ahnen? Ist es ein Sehnen?
Ich ertrage es nicht, wenn sie mir ins Auge blickt?!
Wie Blitze durchzuckt es ihre Seele!
Es reizt mich, die Stolze zu zwingen.
In meine Macht zu bringen!
Sie zu demütigen, beugen ihren stolzen Sinn!
Ihre Tugend-Aureole schwände hin!
So hätte ich Sorge besiegt.“
5. Szene:
Rainulf hat sich vorgenommen, den Hauskaplan zu necken. Die Vorstellung eines klaren Ziels, was er mit seinen dummen Sprüchen erreichen will, hat er nicht. Will der übermütige Graf ihn etwa reizen? Es wird ihm kaum glücken. Nun, dann muss er ihn noch dreister zwicken. Der Mutter gehe es sehr schlecht, verkündet der Gefoppte, man befürchte ihr nahes Ende und da zieme es sich für den Sohn nicht, so munter zu sein.
Es gibt noch weitere Neuigkeiten. Der Mord im Kloster dürfte ihm wohlbekannt sein. Zusätzlich wurde die Schatzkammer ausgeraubt, zu der auch ein wunderwirkender Smaragd gehörte. Jener fromme Bruder, der sich mit den beiden Räubern anlegte, sei seinen schweren Wunden erlegen. Hat man vom Täter eine Spur? Der Kaplan soll ihm erzählen, wie der kostbare Stein ins Kloster kam. Es sei ein Geschenk der Kaiserin Helena gewesen, die mit Recht heilig gesprochen worden sei. Der Smaragd, auf besondere Weise geschnitzt, hatte die Gabe, Kranke von ihren Leiden zu heilen. Man hätte ihn besser hüten sollen! Nun, dem Verbrecher sei man bereits auf der Spur. Die Tatwaffe wurde gefunden, sie stamme aus dem Haus, welchem er angehöre - allerdings sei Osmunds Name auf dem Griff eingeritzt gewesen. Die Lösung ist einfach, schlussfolgert Rainulf - ein anderer hat den Dolch gestohlen, um den Verdacht von sich abzulenken und Osmund zu verdächtigen. Allerdings scheine es ihm rätselhaft, weshalb Osmund so plötzlich Schiffe rüstet, um zur Insel zu eilen - angeblich um Tankred zu helfen. Aber das Pfäfflein möge sich bitte nicht damit abmühen, mit ihm zu streiten, denn es sei pfiffig und klug, den wahren Täter ausfindig zu machen. Ein bisschen konfus über seinen standhaften Auftritt, beschließt Rainulf, den Priester bei guter Laune zu halten, denn man weiß nie, wie verschlagen die Brüder mit den frommen Gebeten sind.
6. Szene:
Vom Park her eilt Graziella auf Rainulf zu, obwohl ihr der Zutritt zum Grundstück verboten wurde. Sie ist nur gekommen, um ihn zu warnen und wird gleich wieder verschwinden. Kennt er Giacomo? Vor diesem soll er sich in acht nehmen, denn er prahle mit seiner Freundschaft. Er war betrunken und gestern in der Schenke klirrte er mit Münzen und sprach unzusammenhängendes Zeug. Rainulf tadelt Graziella, dass sie überhaupt in üblen Spelunken verkehrt. Aber sie muss für die Leute tanzen und singen, um damit ihr Brot zu verdienen. Sie hat eine kranke Mutter und einen faulen Vater, dazu vier Geschwister, die leben wollen. Er reicht ihr einen Beutel mit abgezähltem Kleingeld - bei vornehmen Leuten stecken solche Utensilien immer im Gürtel - sie solle jetzt verschwinden, denn die Mutter erscheint auf der Veranda. Er will sie wohl los werden? Ihr Herz trieb sie her, ihn zu warnen und so wird es ihr gelohnt. Sie wirft ihm den Geldbeutel vor die Füße. Scheinbar hat er es nötig, Graziella bei Laune zu halten und folgt ihr, um sie aus der Reichweite des mütterlichen Anwesens zu bugsieren: Sie soll doch endlich begreifen...
7. Szene:
Okkupanten und Einheimische begegnen sich offenbar nicht spinnefeind und akzeptieren sich gegenseitig auch auf der privaten und gesellschaftlichen Ebene, denn wie könnte es sonst sein, dass eine normannische Adelige die beste Freundin der Gräfin Albiria ist. Die Letztgenannte steht der Dynastie von Alife vor; obwohl todkrank, versucht sie ihre beiden Söhne Osmund und Rainulf unter ihre Dominanz zu zwingen, stößt dabei aber auf heftige Opposition. Von ihrem Diener Sebastian und einigen vornehmen Frauen wird sie auf die Terrasse geleitet. Man richtet ihr ein bequemes Ruhelager, damit sie die Abendstimmung genießen kann. Doch mit dem Frieden ist es bald vorbei, denn Osmund naht und trägt ein unmögliches Anliegen vor. Zustimmung soll aus ihren Händen strömen, und bevor er als Feldherr in den Kampf zieht, möge sie ihm und der geliebten Beata den mütterlichen Segen erteilen, damit die Minne blühen und die Verbindung ein legales Mäntelchen bekommen kann. Die niedrige Magd soll Gräfin von Alife werden? Ist er verrückt geworden? Die ebenfalls anwesende Beata wird ausgiebig beschimpft. Wie konnte sie es wagen, den Sohn schamlos zu betören. Auf das Kreuzchen, welches ihr als Anhänger um den Hals baumelt, soll sie schwören, dass sie von Osmund die Finger lassen wird. Wenn sie es noch einmal wagt, sich ihm zu nähern, kann sie sicher sein, aus dem Palast gewiesen zu werden.
War das der Dank, dass man sich gnädig ihrer angenommen hat? Völlig eingeschüchtert, will Beata den gewünschten Schwur leisten, doch Osmund schiebt ihre Hände in eine andere Richtung. Will die grausame Mutter die zarten Bande zerreißen und den Sohn ins Unglück stürzen? Aufregung kann die Alte nicht mehr vertragen und sinkt erschöpft in ihre Kissen. Osmund erklärt ihr, dass sich das Schwören erübrigt, denn einen erpressten Eid muss man nicht halten. Adelasia hegt Wohlwollen für Osmunds Anliegen. Sich ihres Einflusses auf die alte Gräfin bewusst, mischt sie sich schlichtend in die Auseinandersetzung ein. Die Edelmütige ersucht die beiden Liebenden, gegenwärtig das Feld zu räumen, um sie mit der Mutter allein zu lassen.
8. Szene:
Adelasia schlägt vor, dass die edle Gräfin mit ihrem Zorn die geruhsame Stimmung des Abends sich nicht nicht selbst verderben soll. Die Aufgemunterte glaubt allerdings, dass ihr Leben sich dem Ende zuneigt und sie bald in eine andere Welt hinüberwechseln wird. Ein Lebensabend kann lange währen, widerspricht die Freundin; ein Silberstreifen kann durchaus wieder Helle bewirken, damit Herz und Auge sich erneut laben können. Falsche Vorstellungen können Harmonie allerdings leicht entstellen. Beata wäre es wert, dass man ihr liebenswürdig begegne. Ihr Charakter sei gut und sauber, heiter und treu blicke sie in die Welt. Sie liebt ihren Osmund heiß und innig, hat ihm aber keineswegs umgarnt, sondern er hat sie umworben. Es sei keine gute Idee, die beiden Liebenden zu trennen. Albiria findet es sonderbar, dass Adelasia zugunsten Beatas spricht, denn die Gräfin glaubt zu wissen, dass sie Osmund ebenfalls liebt. Nun, weil das so ist, gönnt sie dem Liebsten das Glück, welches er sich vorstellt und leistet keine Hilfe, es zu zerstören.
Der alten Gräfin wäre es lieber, wenn sie Osmund ehelich verbunden an ihrer Seite sähe, dann könnte sie getröstet in die Gruft sinken. Stolz sein sollte der törichte Sohn, statt dessen gib er sich mit einer feilen Magd ab. Was hat Adelasia eigentlich gegen Rainulf einzuwenden? Warum weist sie diesen kalt von sich? Adelasia weicht aus und stellt fest, dass die Mutter den Jüngeren dem anderen Kind prinzipiell vorzieht. Möglicherweise sei ihr das nicht bewusst, aber es schmerze sie tief, wenn die Mutter den Ältesten hart behandele. Habe Osmund es an kindlicher Liebe jemals fehlen lassen? Tatsächlich hat Adelasia der Mutter nun das schlechte Gewissen wachgerufen, denn Stichhaltiges hat sie nicht zu entgegen. Es handele sich um ein Geheimnis, welches eine Mutter nur in Zwiesprache mit sich selbst ergründen könne. Ohne weiter zu forschen steuert Adelasia direkt auf ihr Ziel zu:
„Nun, so schließe wieder Frieden!
Zum Kampf ruft ihn sein heiliger Eid.
O denkt, er fänd' im Streit den Tod.
Ohne Versöhnung wär't ihr geschieden!
Reue würde das Weh nicht stillen!
In Eures Lebens Abendstunden
schmerzgetrübt durch seelische Wunden!
Nein, das Antlitz, das eben noch zürnte,
glänzt jetzt huldvoll mild verklärt.
Ich eile hin. Ich tu's ihnen kund,
der Mutter Segen schützt den Bund.“
9. Szene:
Rainulf faselt unerträglich. Was könnte seiner Liebe zur Mutter, der liebsten und besten aller Frauen, wohl gleichen? Mit Betrübnis sieht er im Mienenspiel, dass sie sich über böse Menschen geärgert hat. Zur Hölle mit ihnen! Frohgemut fühlt er ihre traute Nähe. Er ist ihr Trost und ihr Glück und der Himmel soll huldvoll auf ihn herniederschauen. Hierzu hat der Himmel jedoch keine Veranlassung, denn der intrigante Rainulf hat nichts anderes im Sinn, als sich in Vorteil zu setzen und das liebe Mutterherz zu bekümmern. Er bezieht sich auf den kürzlichen Überfall auf das fromme Kloster und kündet der Unvorbereiteten, dass man die Tatwaffe gefunden habe. Der Name Osmund sei darin eingeritzt gewesen, so dass es möglich sei, dass er, Rainulf, selbst auch noch fälschlich in Verdacht geraten könne.
Seine Mutmaßung bringe seine Vorstellungen von seiner Zukunft völlig durcheinander, aber er habe eine Vision gehabt, dass ein Adler sich auf den Pflug setzte, als er gerade einem Bauern bei der Arbeit half. Prompt rief das Volk: „Das ist ein Wunderzeichen. Die Königskrone wird man ihm reichen!“ Ein anderes Mal flog ein kecker Hahn auf seine Schulter. Man solle ihn nicht verscheuchen, rief eine weise Alte, denn das könnte Wichtiges zu bedeuten haben. Vielleicht ist es ein Hinweis auf seine Thronfolge. Ganz so weltabgewandt, wie Rainulf es gern hätte, ist Albiria jedoch noch nicht. Er soll aufpassen, dass er der Glut nicht zu Nahe komme, denn dann hätte er das Missgeschick des Ikarus zu teilen. Der Grafensohn fasst zusammen, was allerdings andere auch denken:
„Es drängt die Macht zu Kraft und Ruhm!
Schlimm steht es um der Normannen Herrschertum!
Tankred fällt, dazu verhilft uns der Staufe!
Und dann kann ja auch Herr Heinrich stürzen!
Was brauchen wir Fremde hier?
Ein Volk, dessen Wappen Raben zieren!
Ein heimischer Fürst soll das Land regieren!“
Wie er es mit seinem Treueeid halte, will Albiria wissen? Rainulfs Antwort ist raffiniert:
„Ich hab ja die heidnische Hand gereckt.
Du ließt mich ja taufen nach Irländer Art:
den ganzen Balg ins Becken gesteckt;
nur dem rechten Arm blieb die Taufe erspart.
Berührt hat ihn nicht das Wasser kühl,
drum kann er handeln, wie er will.“
Albiria legt sieht keinen Zusammenhang mit den Geschehnissen im Kloster.
Rainulf bringt nun die hohe Politik ins Spiel. Da Osmund offenbar zu Tankred hält, bringt er allen das sichere Verderben, denn König Heinrich nahe mit seinem Heer über die Alpen. Der Weg der Rettung liegt in der Notwendigkeit, dass der Fehlgeleitete vorher ausgeschaltet wird. Die Mutter halte die Fäden in der Hand, indem sie unter Einsatz ihrer hochadeligen Autorität vor Zeugen den Osmund des grausamen Überfalls auf das Kloster bezichtige. Oder will sie, dass man ihn, ihren Liebling, der Tat für schuldig befände? Was ist aber, wenn Osmund auch unschuldig ist, bohrt die Misstrauische weiter. Der Dolch spricht als furchtbarer Beweis gegen ihn. Soll die Sonne so ins Meer sinken? Die Mutter soll nichts fürchten. Sein Leben wird geschont, denn man wird dem Schändlichen einen Fluchtweg freilassen. Trotz allem ist die Schmach furchtbar! Ist Rainulf sich auch ganz sicher, dass Osmund der Täter war? Der Befragte tut empört und blockiert das Misstrauen ab. Kennt sie ihn so schlecht?
Albiria will mit sich zu Rate gehen und bittet den Sohn, sie allein zu lassen. Ein heftiger Kampf durchtobt ihre Brust. Sie spürt, dass das Schicksal ihr vor ihrem nahen Tod noch die Entscheidung abverlangt, welcher ihrer Söhne in Ehren bestehen soll. Rainulf ist ein Kind der Liebe. So wie Tankred ist er unehelich geboren - nur die Welt weiß nicht, von wem sie ihn empfing. Heißes Begehren zwang sie zur Untreue und Bangen begleitete ihr Leben wie eine böse Fee. Was sie im Dunkeln entschwunden wähnte, taucht vor ihrem Gewissen wieder auf. Viele Sorgen hat Rainulf der Mutter gebracht und zum Schluss kommt ihre schwerste Prüfung. Rainulf muss Sieger werden, denn das Haus Hauteville hat verspielt und der Staufer Stern leuchtet auf. Osmund geht den falschen Weg und Rainulf steht für den Sieg. Der Adler auf dem Pflug wird ihm den Weg weisen!
10. Szene:
Bevor Albiria ihren Geist aushaucht, sorgt sie für anhaltende Bestürzung - der böse Samen, den ihr Sprössling gelegt hat, geht auf. Von Rainulf herbeigerufen eilen alle herbei, um zugegen zu sein, wenn die alte Gräfin ihren letzten Seufzer tut. Schnelle Hilfe verpasst ihren Zweck.
„Lebe wohl!
Ich fühle, es naht das Ende!
Es wäre nicht traurig
denn mich trösten heilige Sakramente,
wenn nicht diese Brust ein Schmerz bedrückte,
den nur ein Bekenntnis bannt:
Unser Haus, das der Himmel
mit Ruhm und Ehre beglückte,
unser Haus sank in Schmach und Schande!
Das Verbrechen im Kloster, wisst ihr, wer es beging?
Osmund, mein Sohn!“
Die Anstrengung der falschen Schuldzuweisung aus diffusen rationellen Überlegungen war zu groß. Die Überbeanspruchte sinkt tot zurück. Osmund, der mit Beata abseits am Eingang stand, hat die letzten Worte seiner Mutter vernommen, beginnt mit einer zünftigen Grabrede, um sich trefflich zu verteidigen:
„Tod! Erhabenes Schweigen! Geheimnisvolles Übergehen!
Vor dem gewaltigen Tor ehrfurchtsvoll wir stehen;
Sein Schloss zu berühren, wer wollte sich trauen
Wer wollte es wagen, hineinzuschauen
in jenes Land, dessen Glanz uns erblinden ließe.
Zu Ende ist der Erde Qual, Not und Leid.
Es winkt froh der Befreiten
des Paradieses lichter Glanz.“
Den Tod des Vaters hat Osmund so erlebt, dass ein stiller Friede sich auf seinem Gesicht ausbreitete, als ob er den Flügelschlag eines Engels vernehmen würde. Doch bei dem Tod der Mutter bietet sich ihm ein ganz anderes Bild. Die kalten Züge sind hart und verzerrt. Rhetorisch richtet er die Frage an den Tod, wer seinen Frieden verletzt habe, weil er als Feind und nicht friedlich naht. Ist es etwa Gottes Wille, dass Engel die sterbliche Hülle meiden, weil Satan dazwischen getreten ist?
Heute entwindet sich ihm, sonst für ihn ein vertrautes Wort, das Wort „Mutter“ mit Grauen. Bei ihrer Seligkeit und im Namen der Wahrheit und des Guten soll sie noch einmal aufwachen und das Gesagte richtigstellen, damit sie nicht mit einer Lüge auf den Lippen stirbt und der ewigen Seligkeit verlustig gehe. Die Züge der Toten entstelle eine furchtbar grässliche Lüge, weil Dämonen sie umschwirrten und der Wahrheit Bild vernebelten. Osmund klagt, dass die Lüge nicht ihn, sondern sie vernichte. Ihm hilft sein reines Gewissen, doch um zu büßen habe die Mutter keine Chance, denn sie sei verdammt und verloren. Sein Auge wende sich scheu von der Bahre, denn was er sieht sei eine hässliche Fratze. Das ist keine Mutter mehr, sondern eine Mähre. Das Gespenst soll verschwinden. Er will sie wecken, damit der Sohn sie hört. Um ihres Heiles willen soll sie aufwachen, denn ihn vernichtend, hat sie sich selbst zerstört. Als tot kann er nicht bezeichnen, was sie entstellt. Verdammt in Ewigkeit soll sie sein und ziellos herumirren, wenn kein Mitleidiger sie befreit.
An virtuoser Rhetorik steht ihm Rainulf nicht nach. Schurkisch nutzt er die Hysterie von Osmunds Anklage gegen die tote Mutter aus und appelliert an Entrüstung und Emotion seiner Zuhörer. Grauenvoll sei ein Sohn, der seiner Mutter fluche. Denjenigen, den man allgemeine für edel und heiter hielt, zeigt heute sein wahres Gesicht. Vor strengem Gericht habe er Angst, denn er suche, die Schuld von sich abzuwenden und scheute sich nicht, eine Tote zu schmähen. Rainulf schwingt sich auf, im Namen aller zu sprechen.
„Entsetzt wenden wir uns von ihm,
der frech sich erdreistet,
an der Leiche zu stehen, die sein Opfer ist!
Ja sein Opfer! Die Schmach hat sie getötet!
O tragt die Leiche in die Halle!
Den Fluch zu scheuchen, betet, betet.
Die Teure liebtet ihr ja alle!“
Osmund lässt sich tatsächlich ins Boxhorn jagen und gibt sein Schwert ab. „Solch hehre Waffe flieht den Schlechten“ bedeutet man ihm. Auf Geheiß Rainulfs wird er von seinen Leuten gefesselt und abgeführt.
„O Schmerz, o Schmach!“ der eigene Bruder muss das rufen!
Der Leichnam der Gräfin wird aus der Halle getragen. Der Priester sieht keinen Grund, an den Worten der Mutter zu zweifeln. Beata sinkt weinend an die Brust des Geliebten. Adelasia sieht Osmund fest in die Augen und erkennt keine Schuld an ihm.
11. Szene:
Im Finale des ersten Aktes hat Adelasia ihren großen Auftritt mit einer Bravourarie von zehn Minuten: Verhielte es sich so, dass Osmund tatsächlich ein Verschulden anzulasten sei, wäre er ein schamloser Heuchler und die Wahrheit auf ewig in der Versenkung verschwunden. Sein Klagelaut kam jedoch aus tiefstem Herzen. Selbst der größte Verbrecher würde es nicht vollbringen, die Seele der Mutter zum ewigen Herumirren zu verdammen. Den Klang wahren Schmerzes erkennt nur das Ohr der Liebe. So treffend könnte Heuchelei nicht nachgeahmt werden, wie Osmund seine Unschuld beteuerte. Ja, sie fühlt es, der Edle hat nicht gelogen. Sie kennt ihn und sie liebt ihn. Der Himmel steht auf seiner Seite, wenn sein Herz rein ist. Weshalb dieser gegenwärtig seine Gunst von ihm abgewandt hat, wird sich möglicherweise noch ergeben. Um den harten Entschluss zu begreifen, ist es erforderlich, in Demut die weitere Entwicklung abzuwarten.
„Doch die Mutter!
Die leibliche Mutter zeiht den Sohn
der grässlichen Schuld!
Wer bewusst mit einer Lüge schied,
beraubt sich selbst der himmlischen Huld.
Graust es sie nicht vor dem letzten Gericht?
Wie tritt sie hin vor Gottes Thron?
Gellt ins Ohr das Wort ihr nicht?
Verdammt ist deiner Untat Lohn?
So wäre Osmund schuldig?
Ich glaub es nicht! Ich kann es nicht fassen!
Ein Nebel hat sich um uns gelegt,
die Wahrheit umschleiernd in fahlem Erblassen!
Weiche du feuchter Flor!
Sonne dringe hervor!“
Falls Gott ein Medium braucht, um seinen Willen auszuführen, bietet Adelasia der Vorsehung ihre Dienste an. Sie fühlt die notwendige Schubkraft, sich auch für schwierige Aufgaben bereit zu halten, wenn durch ihre Mithilfe die Wahrheit ans Tageslicht kommen wird. Im Geiste sieht Adelasia den Pfad vor sich, den sie betreten soll. Der Abgrund zur Seite ist gefährlich und dornenreich; er führt durch grelles Licht und dunkle Nacht. Ihre Vorahnungen gaukeln Adelasia fatale Situationen vor: Schwindel erfasst sie und Koboldstimmen wollen sie betören. Sie vernimmt warnendes Flüstern:
„Närrin nicht weiter hier,
Du verirrst dich im Dornengewirr!
Du zerreißt Dein Kleid o Schand',
Deiner Keuschheit, deiner Ehre Gewand.
Du, sonst so stolz und tugendlich
und blutig ritzt du die Glieder.
Bald stürzt du jämmerlich nieder.
Ist Reinheit dir wert, so fliehe.
Fliehe zurück, du bist verloren.“
Und wenn dem so ist - an ihr liegt ihr nichts. Das Schicksal habe sie erkoren, damit sie das Lügengespinst entwirrt. Weiter dringt sie in die Tiefe des Dickichts mit blutendem Fuße und zerkratzter Hand. Zerrissen ist ihrer Ehre Gewand, bevor sie zur Höhle gelangt, wo die Lüge kauert. Sie fasst sie am Schlangenhaar und zerrt sie ans Sonnenlicht. Der Lichtscheuen zeigt sie das strahlende Leuchten, damit sie am Glanz sich selbst vernichte. Die Absicht lässt sich aber nur verwirklichen, wenn des Himmels Gnade sie mit Kraft, Mut und Trost ausstattet. Der Schutzengel heilige Schar fordert Adelasia an, damit sie auf Schritt und Tritt segnend umschwebt wird. Der Glaube soll ihr gestärkt werden und eiserner Trotz ihren Mut beflügeln. Das kühne Werk sei gewagt, denn das Herz flammt in heiliger Glut.
12. Szene:
Rainulf übt sich, wie man hofhält. Von einer glänzenden Gesellschaft umgeben, empfängt er den Gesandten Heinrich des Sechsten. Dieser entledigt sich seiner Mission, indem er mit einleitenden Worten auf den Himmel verweist, der dem Land, welches soviel gelitten habe, nun hellen Glanz beschere. Der Graf soll höchster Huld teilhaftig werden, weil er rühmlich für Recht gestritten hat. Als Zeichen aus des Kaisers gnädiger Hand empfängt Rainulf ein Dokument, welches ihn zum Herzog von Salerno ernennt. Die Edelleute huldigen dem ehrenvoll Bedachten, dem der Kaiser der Staufer soviel Gnade erweist. Doch umsonst gibt es gar nichts, die bittere Pille in Form einer unangenehmen Aufgabe wird nachgeschoben. Die Gäste haben sich entfernt und unter vier Augen rückt der Gesandte mit seinem Auftrag heraus und erklärt zunächst die politische Situation, damit das Opernpublikum seinen Ausführungen sachkundig folgen kann:
„Günstig steht es um Konstanzes und Heinrichs Sache.
König Tankreds plötzlicher Tod kam gelegen!
Sein Söhnchen Wilhelm soll den Thron besteigen.
Witwe Sibylle möchte das Erbe verwalten!
Der Prinz, so hört ich, weilt in Reggios Mauern.
Ihn und seine Mutter sollt ihr fesseln!“
Im Prinzip hat Rainulf keine Skrupel, doch leicht lässt sich die Sache nicht durchführen - noch hält der Pöbel fest an Tankreds Stamm. Auf Einwände lässt sich der Staufer nicht ein und schmeichelt, dass es Rainulfs Klugheit schon gelingen werde, das gewünschte Resultat zu erzielen. Dieser sieht seinen Traum von Adler und Hahn bestätigt, denn er hat auf dem Weg zur Macht eine weitere Stufe erklommen.
13. Szene:
Mit dem kindlichen Prinzen an der Hand tritt Adelasias Bruder Gilbert forsch auf, wähnt den Kleinen im Palast der verstorbenen Gräfin in guten Händen und hat naturgemäß keine Ahnung, wie die augenblickliche Situation zu bewerten ist und was sich im Hintergrund abspielte. Wilde Erregung hat das Volk erfasst, denn es hat sich das Gerücht verbreitet, dass auf Heinrichs Befehl der kleine Prinz geblendet werden soll. Gilbert glaubt, Rainulf zur Rede stellen zu müssen, und handelt sich sogleich massive Opposition ein. Es sei ein Gerücht, welches die tobenden Volksmassen verbreiten und der Ankömmling solle nicht alles glauben, was er hört. Das Volk sieht den Kleinen als ihren König an und bekundet lautstark seine Vorstellungen. „Heil König Wilhelm!“ Rainulf sei verpflichtet, seine Jugend zu schützen ihm ebenfalls Treue zu schwören, aber bitte nicht mit dem rechten Arm. Wäre es Gilbert lieber, wenn er mit dem linken Fuß schwört? Offenbar ist dem Anmaßenden nicht klar, dass er dem Herzog von Salerno gegenüberstehe und es am schuldigen Respekt fehlen lasse. Er sei nur Herzog von der Staufer Gnaden, vor ihnen beuge Gilbert sich nicht. Ob er Würden aus Bastardhänden höher einschätze, pariert Rainulf in geübter Weise. Nur über den komplizierten Umweg über Konstanze maße der Staufer sich Erbrechte an. Beide streiten sich nun, ob Bastarde und Frauen überhaupt erbberechtigt seien. Wenn es Graf Gilbert Freude mache, auf ein sinkendes Schiff zu setzen, dann soll er sich ergötzen und sich als Narr verlachen lassen. Ihm, Rainulf, gelte nur eins: Das Recht und dieses Volkes Heil. Das Volk begutachtet Rainulfs Ansicht. „Was er sagt ist eigentlich wahr. Es hört sich klug und rechtlich an und der Kaiser ist sein Freund. Besser so, als wäre er unser Feind.“ Rainulf schaut höhnisch auf den Mob herab und bezeichnet es als feiles, feiges Volk. Er hat es sogleich umgestimmt, denn Sieger bleibt, wer das Maul am vollsten nimmt!“
Adelasia ist unauffällig hinzugekommen. Marta fragt, wo Graf Osmund sich aufhalte, denn seine Aufgabe sei es, den Knaben zu schützen. Der Amme erklärt Adelasia zum Schein, dass dieser die Strafe bekommen habe, die er verdiene. Nur der Tod könne solch schweres Verbrechen sühnen. Rainulf empört sich: Wer habe ihr gesagt, dass Osmund tot sei? Kerker oder Verbannung sei Strafe genug. „Ein Gesetz gilt für alle. Ob Graf, ob Knecht. Was sagte Rainulf soeben, er stritte für Recht?“
Nun ist Marta ratlos. Der Feind lauert überall, der edle Herzog möge das Kind in diesen Mauern bergen. Ausnahmsweise ist Rainulf einmal ehrlich und mitfühlend. „Ich darf nicht, doch zur Flucht lasse ich euch Zeit!“. Das Opernpublikum ist erstaunt, denn Heuchelei, das Gegenteil zu tun, von dem was er verkündet, wäre praktischer gewesen, doch Rainulf zeigt Mitleid.
14. Szene:
Gilbert begegnet seiner Schwester mit Kälte. Die Begrüßung ist frostig, denn er hat in Erfahrung bringen müssen, dass Adelasia die Geliebte Rainulfs geworden ist. Der Schein gibt ihm Recht, doch will er sie nicht zunächst erst einmal anhören? Wenn ihr Wort nicht durch Lüge entstellt ist, darf sie reden. Sie sei sich bewusst, wie gefährlich ihr Spiel ist, doch wenn sie verliert, sei auch ihr Leben verloren. Die Stimme in ihrem Inneren will nicht verstummen. Diese sagt ihr, dass Osmund unschuldig ist. Es ist die Stimme der Liebe, ist Gilberts Ansicht, denn Liebe kennt keine Vernunft. Im Gegenteil, denn wo die Fackel der Vernunft nie hindringt, da leuchtet die Liebe. Ein anderer müsse der Täter sein und sie sei dabei, ein Truggewand in Fetzen zu zerreißen. Beweise hat sie nicht, aber ein einziger Blick verriet ihr alles. Es gilt nicht, selbst überzeugt zu sein, sondern sie muss andere zu ihrer Ansicht bekehren. Tollkühn gibt sie ihre Ehre preis, aber um Rainulf zu überführen, bedarf es handfester Mittel.
Adelasia behauptet, in Sigilgaita eine starke Verbündete zu haben. Die edle Seherin habe ihr verraten, dass Rainulf sie begehre, sich aber nicht traue, offen seine Wünsche zu äußern. Sie solle die Angebetete durch ihre Kunst zuvor in einen Zauberschlaf versetzen. Dann könne sie bequem herausfinden und ihm erzählen, was Adelasia über ihn denke, damit er sich nicht der Gefahr einer Blamage aussetze. Sigilgaita war jedoch nicht geneigt, sein Begehren zu erfüllen und habe es vorgezogen, sich ihr zuzuwenden. Die beiden Frauen haben nun ausgetüftelt, dass er sich der gleichen Probe unterziehen soll, wenn sie im Gegenzug ihre Bereitschaft erklärt. Unter Hypnose stehend, wird er sein Geheimnis verraten. „So locken wir listig den Listigen ins Netz.“ (Mit dieser sprachlichen Verrenkung macht Siegfried Wagner ausnahmsweise eine kleine Anleihe beim Herrn Vater).
Gilbert möchte sein Gemüt beruhigen und die Schwester soll ihm klar sagen, ob sie Rainulfs Geliebte ist. Nun, seinen Küssen kann sie nicht wehren, sie müsste sich sonst verraten. Doch sie habe sich ausbedungen, dass er die Probe der drei Tobiasnächte zu bestehen habe, denn sie müsse sich versichern, dass seine Liebe echt und nicht körperliches Begehren allein die Ursache seiner Werbung sei. Hat sie etwa gelobt, seine Gattin zu werden, will Gilbert wissen. Beileibe, nein! Möchte er etwa der Schwager eines Räubers werden? Was mit ihrer Ehre sei? Man wird sie verachten! Gott schaut in die Herzen. Was Kröten und Kreuzottern von ihr denken, gelte ihr wenig. Wenn ihr Irrtum sie auf eine falsche Fährte gelockt hat, wird der Tod die Schmach enden. Die dritte Tobiasnacht ist um und theoretisch wäre sie nun heute Nacht seiner Gier verfallen. Alle Heiligen sollen ihr helfen, sie vor Schmach zu bewahren. Schon naht Sigilgaita, um ihr mit Ränken auszuhelfen.
15. bis 17. Szene:
Adelasia greift Sigilgaita heftig bei der Hand, zieht sie auf ein Sofa und wehklagt. Die Hoffnung weicht, die Kräfte schwinden. Es ist zum Verzweifeln. Drei Nächte liegt sie schon auf der Lauer, ohne dass Rainulf sich im Schlaf geäußert hat. Man kann sich nur wundern, wie gut ein Verbrecher schlafen kann. Offenbar ist jede gute Regung in ihm erstickt, weil ihn nicht einmal nachts das Gewissen drückt. Wenn Sigilgaitas Kunst nichts nützt, ist ihre Ehre zum Teufel. Fliehen nutzt wenig, denn die Schande klebt bereits an ihrem guten Namen. Doch ein geheimes Hoffen lässt sie nicht aufgeben. Auf anderem Weg gibt das Schicksal ihr vielleicht ein Zeichen. Sigilgaita rät, Geduld zu haben. Zusammen werden sie es schaffen, den Bösewicht zu überführen. Hat Adelasia auch für einen Zeugen gesorgt? Nun, der Priester wurde unauffällig im Nebenraum platziert und Rainulf ist im Anmarsch. Die Seherin möchte mit diesem zunächst allein sprechen und Adelasia entfernt sich in Eile.
Rainulf lobt Sigilgaitas Klugheit und sie soll weitermachen wie bisher.
„Versetze sie in Schlaf und lasse sie reden dann,
was im Innersten sie fühlt und sinnt.
Sicherheit der Liebende gewinnt,
ob wirklich sie mich lieben kann!“
Sigilgaita gibt weitere Instruktionen. Es bedürfe der Schlauheit, um die Misstrauische bereitwillig zu machen. Zum Schein will sie zuerst ihn hypnotisch behandeln: Er soll so tun, als träume er von ihrer Liebe, sie inszeniert ein bisschen Gaukelwerk, damit die Situation auch echt wirkt. Danach kommt Adelasia an die Reihe, weil sie nun nicht mehr ausweichen kann, ohne gesellschaftliche Normen zu verletzen. Nur so könne sie dazu gebracht werden, ihr intimes Geheimnis auszuplaudern.
Dazu ist allerdings Dunkelheit erforderlich. Rainulf läutet dem Diener und befiehlt ihm, den Vorhang zuzuziehen. Der Aufgeforderte befindet sich in mürrischer Laune: „Dunkel am helllichten Tag! Was es da wieder geben mag.“ Zurechtgewiesen, erklärt er, dass ihn etwas bedrückt. Er soll von sich geben, was er auf dem Herzen habe. Mit einem Sack auf dem Buckel, gefüllt mit Schätzen, habe sich Giacomo per Schiff heimlich davon gestohlen. Die Leute behaupten, dass der Flüchtende den Klostermord begangen habe, und gegen Graf Osmund ein falscher Verdacht gehegt würde.
„Die Gräfin Mutter, Gott gönne ihr des Himmels Licht!
Aber gerecht, nein, das war sie nicht!
Immer an ihm hatte sie zu mäkeln,
tät ordentlich das Leben ihm verekeln.“
Rainulf fragt den Alten, ob er der Ansicht sei, dass seine Mutter gelogen habe. Im Prinzip nein, aber sie sei von falschen Freunden eingefangen worden, und weil sie den Osmund nicht leiden kann, hat sie so getan, als ob sie an seine Schuld glauben würde. Jetzt will Rainulf wissen, wer die Flüsterer sind, aber nur, wenn die Frage auch erlaubt sei, spottet er. Der Alte hat eine gute Beobachtungsgabe: „Es schleichen so manche hier herum, auf dunklen Pfaden, wirklich krumm. Mir war's, als hätt' ich eben einen kriechen geseh'n.“ Adelasia schwebt in tausend Nöten und wispert Sigilgaita zu, dass er bestimmt den Priester meint. Hoffentlich verrät er nichts. Rainulf sieht nun die Möglichkeit, die Schuld auf Giacomo zu schieben: „Wenn der Verdächtigte geflohen ist, hat sich jede Spur verloren! Er ist der erste Spitzbub nicht, den das Land geboren!“
Adelasia fragt den Alten, ob er über den Hergang der Tat nicht mehr erforschen konnte. Nun gebärdet sich dieser unerträglich aufmüpfig und fragt Rainulf, „was die da“ die Sache kümmert. Noch bleibt Rainulf ruhig, fordert aber mehr Ehrerbietung. Doch Sebastian meint, dass Adelasia ihrer eigenen Ehre erst einmal selbst Ehre erweisen soll. „Fort zum Schloss hinaus!“ „Willig verlasse ich dieses Lotterhaus“ Adelasia wehrt dem Erzürnten, den Alten für seine Unbedachtsamkeit zu züchtigen. „Weine nicht, holde Adelasia“ tröstet Rainulf, umfasst die Schluchzende und küsst sie.
18. Szene:
Sigilgaita ruft ihre Mädchen, sechs an der Zahl, herbei, damit sie ihr bei der bevorstehenden Prozedur assistieren. Rainulf verspricht sich von ihrem Auftritt Kurzweil und Zeitvertreib. Obwohl rühmlich und weit bekannt, hält er sie für unachtsam und erkundigt sich, ob sie auch alle Vorbereitungen sorgfältig getroffen und den nötigen Kram beisammen habe:
„Was nötig zur Zauberei, hast du alles auch dabei?
Die Rose von Jericho in laues Wasser getaucht,
prophetischen Geist in die Seherin haucht!
Verschlucktest du wohl (ein beliebter Scherz)
ein rohes zuckendes Maulwurfherz?
Die sieben Ibis-Federn enthüllen Alles wahr und klar!
Und gar das Lorbeerblatt im Mund:
dann gibst du, Pythia, Alles kund.“
Rainulf habe von ihrer Kunst völlig falsche Vorstellungen, denn was er aufzählt, benötigt sie nicht. Sie erwähnt ein Buch, welches der Prophet Daniel geschrieben haben soll. Aus diesem zieht sie jene Essenz, die ihr verrät, ob sein Wunsch, König zu werden, sich erfüllen wird. Davon hat sie ihm bisher nichts gesagt, aber er ist begierig, davon zu erfahren und beginnt kurzerhand in dem Buch zu blättern. Natürlich sind seine Bemühungen vollkommen zwecklos, weil er die Schrift nicht kennt. Sigilgaita erklärt, dass sie ihn nur über den Weg der Traumdeutung informieren kann. Doch gleichzeitig warnt sie, dass es ihn möglicherweise nicht glücklich macht, wenn er vorzeitig von Dingen Kenntnis erhält, die ihm besser verborgen bleiben sollten. Rainulf besteht jedoch darauf, das fremde Land betreten zu wollen. Während Sigilgaita ihn nun in Hypnose versetzt, tanzen die Mädchen um ihn herum, um ihn in Stimmung zu versetzen. Unter den Kopf hat man ihm ein Kissen gelegt, damit alle deutlich hören können, was Rainulf im Traum Aufschlussreiches von sich gibt. Der Priester ist aus seinem Versteck hervorgetreten, um später aus befugtem Mund zu bezeugen, was er vernommen hat.
Sigilgaita ruft zwei Dämonen der Hölle an, deren Namen niemandem geläufig sind. Diese fleht sie an, ihren Geist zu erleuchten, damit ihr in seliger Verzückung und heiliger Entrückung Hellsichtigkeit zuteil werde. Die Schlangen, die ihre Höhlen hüten, sollen die Dämonen mit Honigkuchen füttern, damit die Biester gefügig werden, jene Dinge auszuplaudern, die Rainulf wissen möchte. Der Bangende empfange aus der heiligen Schlange prophetischem Munde mutig die ersehnte Kunde. Doch offenbar haben die Schlangen zu wenig Naschwerk bekommen, denn sie erzählen dem Hypnotisierten gar nichts, sondern schicken dem Wissbegierigen eine Vertretung.
„Mutter, Du!
Wer hat dich geweckt?
Wer den Sarg dir aufgedeckt?
Verwehrt sei dir des Grabes Ruh'?
Und ich wäre schuld, dass du jammernd darbst,
weil du mit einer Lüge starbst?
Du drohst? Zornig dein Auge blickt!
Nun ist's zu spät, dass dich Reue drückt!
Warum hast du Osmund nicht zuvor gefragt?
Du wolltest ihn nicht seh'n, als du ihn verklagt!
Warum nicht? Du glaubtest es selber nicht!
Und übergabst ihn trotzdem dem Gericht!
Ja, ich hab ihn falsch verdächtigt!
Im Wege stand er meinem Willen!
Die Weissagung muss sich erfüllen!
Mich schützt das heilige Wunderzeichen;
Der Smaragd, der meine Brust beschützt,
gegen Gift und Verrat heilsam er nützt!
Drum freu' dich deines Sohnes Glück
und geh' beruhigt in dein Grab zurück!“
Hat Rainulf geträumt? Er sah die Mutter. Wenn er nur wüsste, ob er laut gesprochen und sich verraten hat! Auf Sigilgaita ist er wütend. Ob das alles war, was er von ihrer Kunst genießen durfte, will er wissen. Wenig genug! Versprochen wurde ihm, etwas über Daniels Weissagung über seine Aussichten als König zu herrschen in Erfahrung zu bringen.
Adelasia fragt scheinheilig, ob die Kunde, die er vernommen habe, ihn enttäuscht habe. Zweideutiges Zeug habe er vernommen. Weshalb fragt sie? War es nicht so, dass alle mitgehört haben? Nein, nur er allein sei im Land der Träume gewesen. Rainulf ist sich nicht im Klaren, ob sie lügt und nimmt sich vor, sich zunächst zu beherrschen. Den Vorhang sieht er wieder offen. Hat er kein weiteres Schauspiel zu erhoffen? Zweimal hintereinander zaubern geht nicht, denn das kostet zu viel Konzentration. Rainulf möchte sich durchsetzen, doch Sigilgaita weigert sich. „Wäre er Herr über Dunkel und Licht, zwingen kann er sie nicht!“ Die Seherin geht mit ihren Mädchen ab und verärgert bleibt Rainulf zurück. Das tückische Spiel soll der Hexe schlecht bekommen. Er wollte erforschen, nun ist er der Erforschte! An Adelasias verschleiertem Blick hat er es bemerkt. Verstummen muss auch dieser Mund, bevor er gegen ihn spricht.
19. Szene:
Adelasia beobachtet den Sonnenuntergang und erwartet den Mondaufgang. Ihre Empfindungen - von der Abendstimmung begünstigt - sind lyrischer Natur, aber sie ahnt nicht, dass der Giftbecher bereits auf sie wartet.
„In rötlich gold'ner Glut
sinkt Phöbus' Wagen dort sanft in die Flut!
Zugleich von Osten mild
zeigt sich Lunas Bild
Silbern und golden gemischt,
Sicht uns nicht erlischt!
Und im Meer ein glitzernd Gefunkel!
Dreifaches Leuchten vertreibt das Dunkel!
So scheucht der Himmel, uns gütig gesinnt,
die Finsternis, dass sie nicht Macht über uns gewinnt!
Helle Nacht ist Feind der Dämonen,
des Mondes Glanz
lädt gute Feen zum Tanz!
Nur eines fehlt mir hier im Wunderland,
dem Kind in der nordischen Heimat traut bekannt:
der holden Vöglein Singen
soll hier mir nicht erklingen!
Nicht tönt's aus diesen Zweigen!
Ein starres totes Schweigen!
Dies grausame Volk versteht nicht der Tierlein Tönen
von Gier geleitet ertönt es, singendes Sehnen!
Der Glocken Klang, der Hirten Sang,
kann das schmerzlich Entbehrte ersetzen?“
Adelasia erklärt, dass Rainulf seine Belohnung nun redlich verdient habe. Könnte man der Beengtheit eines Raumes nicht ausweichen und zum Strand gehen, um in der freien Natur der Lust zu pflegen? Der Misstrauische ist sich nicht schlüssig, ob Adelasia höhnt oder es tatsächlich ehrlich meint. Jedoch, wenn sie redliche Absichten hat, aber aus dem Pokal, in den er Gift träufelte, getrunken hat, ist das Mädchen zur Liebe nicht mehr tauglich. Der Bruchteil einer Sekunde genügt, um ihr den verhängnisvollen Pokal aus der Hand zu schleudern. Sein aufklärendes Geständnis muss Adelasia erst einmal in aller Ruhe verarbeiten. Sie geht voraus und er soll zum Strand unauffällig nachkommen.
20. Szene:
Rainulf wird aufgehalten! Albiria erscheint ihm erneut, lässt ihr Wehklagen ertönen und fleht um Erlösung. Wenn Sie keine Ruhe finden kann, soll er auch keine finden! Zunächst glaubt der Verstörte, dass das Rauschen der Zypressen ihn genarrt habe, doch draußen herrscht Windstille. Ist etwa ein Kobold in der Nähe, der ihn ärgern will? Nein, es ist tatsächlich die Mutter, die sich von der Hölle verhöhnt fühlt. Falls eine Sünde sie bedrücke, kann er dafür nichts. Wenn Osmunds Schicksal ihr zu schaffen macht, soll sie allein dafür büßen, aber ihn in Frieden lassen. Selbst wenn er sich in die fernste Kammer flüchtet, wird ihm ihre Klage immer gegenwärtig sein. Auch das Verstopfen der Ohren nützt ihm nichts, selbst eiserne Tore können ihn nicht schützen, weil sie diese durchbrechen wird. Schöne Aussichten!
Rainulf merkt, dass er mit Drohen nicht weit kommt und verlegt sich aufs Bitten. „Mutter du Gute! Du liebtest mich über alles! Meine Wünsche zu erfüllen, war dir höchstes Gebot. So erfülle auch noch die letzte Bitte! Quäle mich nicht! Schweige, ich flehe dich an!“ Sie verlangt von ihm, dass er seine Schuld bekennen soll, damit sie erlöst ist. Die furchtbare Stimme soll schweigen und nicht glauben, dass sie sein Hirn verwirren kann. Flennen bringe sie nicht weiter. Die Mutter soll gefälligst büßen und verschwinden. Die kaltherzig Abgefertigte flucht ihm in höchster Verzweiflung. Rainulf hat das Gefühl, dass wilde Erinnyen ihn noch zum Wahnsinn treiben. Erlösung kommt von draußen. Graziellas liebliche Stimme ruft aus dem Garten nach ihm und lässt den Spuk verblassen.
21. Szene:
Graziella kommt nicht allein, sondern etliche Nachtschwärmer begleiten sie. Heil dem Herzog von Salerno! Heil und Glück! Freude und Frieden soll den Stolzen entzücken. Ihn umtanzen, umschwärmen und umjubeln wollen sie ihn. Zum Schloss sind sie gekommen, um ihm Segen zu wünschen. Rainulf fühlt sich beim Klang der fröhlichen Menschen spontan erleichtert.
„Befreiung! Willkommener Klang!
Befreiung aus der Gespenster Zwang!
Graziellas Stimme, lieblich hold!
Die ich verlassen, ob sie mir grollt?
Herauf, herauf, herauf! Euch brauch ich heute!
Ins düst're Haus bringt Licht und Freude!
Dem Bacchus lasst ein Fest uns bringen,
zu ihm in jubeldem Chor uns schwingen!
He, Diener, träges Gesindel! Schnell!
Pokale, Falerner, in Fülle zur Stell'!
Im Begeisterten Rausch die Gottheit zu schauen!
So bändigt ein Grieche nächt'ges Grauen!“
Da ist er! Heil! Graziella sollte dem untreuen Mann eigentlich zürnen. Doch sie behauptet von sich: Sie kann nur lieben. Alle fühlen sich wie Griechen und stimmen eine Hymne an. Griechenland, du verlorenes Paradies! Adelasia wartet am Strand vergeblich.
22. Szene:
Verwitterte Stufen führen in das Innere einer geräumigen Höhle. Ein altarähnlicher Opferstein auf einer Plattform, der von den Mädchen Sigilgaitas tanzend umkreist wird, bildet den Blickfang für den Zuschauer. Das Feuer auf dem Stein wird angefacht, damit die Priesterin mit der Zeremonie der Feueranbetung beginnen kann. Der Hintergrund gibt den Blick frei auf das offene Meer. Draußen ist helllichter Tag.
Sigilgaita lässt sich akustisch vernehmen und beschreibt die Attribute des Feuers, seinen Kontrast zum Wasser, und es wichtig sei aufzupassen, dass es nie erlischt. Prometheus soll auf keinen Fall denken müssen, dass man seine Gabe nicht schätzt. Die Prozedur ist nicht sonderlich spannend und deshalb freut sich das Publikum auch, als im Hintergrund ein Boot anlegt. Doch es ist lediglich Rainulf, der aussteigt und unaufgefordert näher tritt. Eine flammende Anklage hat er vorbereitet und kündet der Tempelherrin, dass ihr heidnisches Treiben bekannt sei und sie jetzt ihren Mut zusammenfassen soll. Den Mund nimmt der Eindringling voll, denn Feuersglut soll die Betrügerin erleiden und ihre Seele zur Hölle geschickt werden, damit sie nicht länger Unheil stiften kann. Betrogen habe sie ihn und nicht gehalten, was sie versprach. Aus „Daniels Geschichten“ wollte sie ihm über seine zukünftige Karriere als König von Sizilien den Weg weisen, statt dessen bekam er das Stöhnen und Klagen der Mutter zu hören. Seine Enttäuschung sei groß. Nun verfolge ihn ihr Jammergewimmer auf Schritt und Tritt und sein Seelenfrieden sei zunichte. Wenn der Hexe ihr Leben lieb ist, soll sie den Geist bannen, weil dieser ihm Qual und Pein verursacht.
Sigilgaita ist wenig beeindruckt und antwortet ebenfalls großspurig. Der Feuertod käme für sie niemals in Betracht, denn der Feuergott sei schließlich ihr Bräutigam.
„Im Feuer vereinigt,
durch Feuer gereinigt,
aus dem ich einstens kam,
zu Friede und Glück
kehr ich zurück
ins selige Urheimatland,
aus dem mich ein Drang hergesandt,
der Menschen Wahl und Leiden
hellsichtig zu deuten!“
Wenn er sie konsultieren will, solle der Ungebetene sich in Zukunft bitte an die Sprechstunden halten, klingeln und ihren heiligen Tempel durch die Höhlentür betreten. Der Ankerplatz sei privater Natur und für Unbefugte gesperrt.
„Was hat die Mutter zu klagen?“ Es sei so undeutlich, dass er den Sinn nicht versteht. Was könnte es sein, was sie sagen will? Rainulf weicht aus und artikuliert, dass das Leben keines Menschen schuldfrei sei. Kann seine Kirche ihm kein Mittel geben, damit das Klagen der Mutter verstummt? Er habe alles versucht, aber umsonst. Und nun kommt er zu ihr? Rainulf schmeichelt: „Du bist mächtig! Ich glaub an deine Kräfte! Du kennst aller Pflanzen geheime Säfte. Hoffnung spendend dein Auge leuchtet. Drum lasse deinen Geist mir Antwort künden! Kann ein Böser Erlösung finden?“
„Ganz schlecht sei keiner“, tröstet ihn die Angesprochene. Doch Rainulf plagt das schlechte Gewissen, denn wer es vermag, seine Mutter zur Lüge zu zwingen, um die Schuld von sich zu laden, wer einen schuldlosen Bruder, um Macht zu gewinnen, der Schmach und dem Tod zuführt, wer an der Leiche der Mutter Herz Entrüstung heucheln kann, wer aus Gier Ehre und Wahrheit abgetan: solch einer ist schlecht! Kennt Rainulf jemanden, der dieser Person gleicht? „Es gibt sie, sie ist der Erlösung wert.“ Sigilgaita hat eine kluge Antwort und bedeutet ihm, dass er viel wandern und sich wandeln müsse. Geduldig leiden, und sich überwinden, muss er lernen, dann würde die Hoffnung ihn tröstend grüßen. Keinem bleibt der Sieg verwehrt, der Schlechteste wird auch einmal erhört! Denn ein Funke des Guten glimme selbst in ihm: die Liebe zur Mutter. An ewige Verdammnis glaube sie also nicht? Dem Schlechtesten selbst leuchtet der Hoffnung Licht? Wie viel eher findet die Mutter dann den Frieden! Vielleicht ist er ihr schon beschieden und was er höre, sei eine Tonstörung seiner Seele. Rainulf erwidert, was die Ursache sei, das kümmere ihn nicht. Ihre Schuld solle die Mutter allein büßen und ihn in Ruhe lassen. Ihr Stöhnen will er sich nicht nicht mehr länger anhören. Rainulf fordert Sigilgaita auf, den Geist, den sie aufgescheucht hat, zurückzudrängen. Das gehe nicht, denn das könne nur er allein. Sie soll ihm sagen, wie er das machen soll, das Zauberkraut möge sie ihm nennen! Er solle sein Gewissen fragen und Mitleid haben. Mitgefühl habe er nur mit sich selbst, widerspricht die Hellsichtige. Traut sie ihm Mitleid etwa nicht zu? Soeben habe sie gesagt, dass auch im Schlechtesten der Funke zum Guten glimme, nämlich die Liebe zur Mutter. Obwohl das Gespräch eigentlich als beendet erklärt worden ist, gibt Rainulf keine Ruhe.
Die Gescheite soll ihm nur noch sagen, was in Daniels Geschichten steht, denn gemäß ihrer Aussage stehe eines jeden Herrschers Geschick in dem Buch. Die Antwort bringe ihm keinen Gewinn. Sie zeigt ihm eine leere Seite. Versteht er den Sinn? Sigilgaita lässt Rainulf stehen, winkt ihre Mädchen herbei und setzt die Feueranbetung fort. „Feuer, du hehre Himmelsgabe, Feuer, du heilige Glut...“
Plötzlich tauchen am Horizont Schiffe auf. Sie Galeeren segeln auf Reggio zu. Herzog Rainulf soll sich aufmachen und seine Stadt schützen! „Hopp, Hopp!“
ZWISCHENSPIEL
23. Szene:
Auf dem Platz vor der Benediktinerkirche gestikuliert der Pöbel wild durcheinander. Die Katastrophen bündeln sich und der Herzog ist nicht zur Stelle. Hunger und Seuchen breiten sich in der Stadt aus. Der Scirocco weht heißen Sand aus der Sahara herüber und gibt den Schiffen der angreifenden Sarazenen Rückenwind. Die Galeeren kommen in Windeseile näher. Wann kommt Hilfe? Rainulfs Bundesgenosse, Pisas Flotte, lässt auf sich warten. Wehe, wenn der Herzog gelogen hat!
Sebastian sieht schwarz und macht die Menge noch verrückter als sie ohnehin schon ist: Der Himmel sendet üble Zeichen! Blitze künden Gottes Groll! Alle sind verloren! Ein religiöser Umzug mit Priestern, Mönchen und Laien ergießt sich über den Platz. Fahnen mit Bildern der Heiligen Jungfrau und der heiligen Agathe, der Schutzpatronin des Landes, unterstützen die religiöse Inbrunst. Man kniet nieder und betet zum heiligen Michael, dass er sein kühnes Schwert zücken und die Feinde vertreiben möge. Rainulf ist zuversichtlich und versucht zu besänftigen, aber das Wetter kann er natürlich auch nicht beeinflussen:
„Nicht ungehört bleibt euer Fleh'n!
Bald wir Euch Heil ersteh'n
Ich glaub' an meinen Stern
Pisas Hilfe ist nicht fern!“
Adelasia denkt, dass Worte nicht helfen können. Der Himmel schenke der Stadt deshalb kein Gehör, weil sich ein Verbrecher in ihr versteckt halte. Dieser trage auf der Brust verborgen einen Smaragd, den er dem Kloster geraubt habe. Die Schuld sei gesühnt, meint die Menge, denn Osmund fand den Tod. Die eigenen Mutter habe ihn verklagt. Er wurde schuldlos verurteilt, setzt Adelasia dagegen, denn die vom Tode Gezeichnete wurde getäuscht.
Der Chor der Priesterinnen Sigilgaitas kommentiert: Wenn außer Osmund noch ein anderer als schuldig in Betracht kommt, wird dieser nicht zögern, das Volk zu retten. Sein Verbrechen soll verziehen sein und die Kirche wird Milde walten lassen, wenn er frei bekennt. Man soll diese Botschaft in der Stadt proklamieren. Adelasias Spiel ist gewagt. Sie behauptet, der Schuldige befände sich ganz in der Nähe. Sie hält einen Zauberspiegel in der Hand. Im Prinzip könne jeder das Risiko eingehen, hineinzuschauen, wenn er ein reines Gewissen habe. Doch wenn er ein Verbrechen begangen habe, müsse der Schuldige an seinem grellen Schein erblinden.
Mit gewohnter Virtuosität versucht Rainulf Adelasias Angriff im Keim zu ersticken und höhnt:
„Adelasia als Zauberin!
Ging wohl zu Sigilgaita hin?
Sieh dich vor, dass dir nicht das gleiche Los droht!!
Ich meine den süßen Feuertod!
Fort mit dem kindisch heidnischen Zeug.
Zu ernst ist die Not, zu bang die Zeit,
dass man mit Zauberei sie vergeude!
Mich dünkt, du hättest wenig Grund,
als hehre Richterin hier aufzutreten!
Du, von der jede Reine sich wendet,
die schamlos ihre Reize spendet,
die ehrlos in mein Haus gedrungen,
nicht ruhend, bis sie Lieb' erzwungen!
Da Osmund nichts von ihr wollt wissen,
suchte sie Trost in Rainulfs Küssen!
Vielleicht hat sie die Mutter belogen,
aus Rache, dass Osmund ihr nicht gewogen!,
So blick doch selbst in das Zauberspiegelein,
ob dir noch bleibt der Augen Schein?“
Adelasia folgt dem Vorschlag und schaut in den Spielgel, ohne dass ihre Sehkraft Schaden nimmt. Die Umstehenden drängen hinzu und bestehen den Test ebenfalls. Zur Antwort auf Rainulfs infamen Angriff betont Adelasia, dass sie nicht weichen werde, so lange die Wahrheit nicht ans Licht gebracht sei. Hat der Herzog nun bitte die Freundlichkeit, auch in den Spiegel zu schauen? Rainulf kommt die Sache nicht geheuer vor, entreißt seiner Gegnerin den Spiegel und schleudert ihn zu Boden, damit er zerbricht.
Rainulf wendet sich an die Menge, dass man die Gauklerin packen soll. Der Priester soll nicht müßig herumstehen. Gerade er sei es doch, der so gern gegen Zauberei wettere. Es mache ihm doch Spaß, das Holz zum Brand herbeizuschleppen, um Unschuldige braten zu lassen. Die Schuldigen lässt er laufen, weil diese sich mit Gold freikaufen können.
Der Priester wird wütend und erläutert dem Herzog die politische Lage. Kaiser Heinrich sei mit Rom verbündet, deshalb solle er sich in Acht nehmen. Rainulf kann es sich vorstellen, dass der Bannfluch bald geflogen kommt, doch für seinen persönlichen Schutz garantiere der Kaiser von Byzanz.
Der feindliche Ansturm gegen die Stadttore hat begonnen. Die Bevölkerung ist auf Tod und Schmach gefasst. Die Frauen flehen den Herzog an, dass er die Situation retten und sie schützen soll. Nun setzt Adelasia zum Endspurt an. Weiß das Volk eigentlich, vor wem es kniet? Rainulf sei der Schuldige. Sie habe dafür Zeugen. Rainulf stellt ihre Aktion als trefflichen Witz hin und greift auch den Geistlichen an: Er agiert sehr virtuos, diffamiert das „Pfäfflein“, weist sich selbst als Befreier von Staufern und Normannen aus und fordert vom Volk Dankbarkeit ein. „Blendwerk sind deine Worte, du glatter Aal“ Nicht ganz so virtuos wie ihr Gegner zischt Adelasia. Sie fordert Rainulf konkret auf, dem Kloster den entwendeten Stein zurückzugeben, damit das Volk ihn preisen kann.
An blendender Rhetorik Rainulf unterlegen, bekommt die Anklägerin jedoch plötzlich unerwartete Unterstützung. Sebastian hat von seinem Ausguck beobachtet, dass ein Kriegsschiff mit der Flagge der Grafen von Alife in den Hafen einläuft. Unter den Sarazenen sei Verwirrung entstanden, sie suchen ihr Heil in der Flucht und driften ab. Das Volk drängt den Patrioten, von seiner Warte aus mehr zu berichten.
Rainulf wendet die Information sogleich zu seinem Vorteil: Hatte er nicht gesagt, dass Rettung eintreffen werde? Eine gute Sache schützt der Himmel immer. Doch die ihn umstehenden Feiglinge hatten schon verzagt und einem verleumderischen Paar Ohr und Gefolgschaft geliehen. Deren Ränke hat der Allerhöchste vernichtet. Entlarvt stehen sie nun da - durch IHN gerichtet.“
Adelasia zweifelt an sich selbst. Wenn der Himmel tatsächlich auf der Seite ihres Widersachers steht, ist sie es, die unnützen Aufwand getrieben hat. Entehrt und vom Schicksal betrogen hadert sie mit sich selbst. Hatte der Priester es ihr nicht gesagt? Nun wird auch er noch in die Sache hineingezogen, empört sich dieser.
24. Szene:
Es ist Graf Gilbert, den die jubelnde Menge begrüßen kann, doch ihn begleitet ein Ritter, der sein Visier noch geschlossen hält. Rainulf sieht, wie Adelasia scheu zur Seite weicht und hat für sie und den Priester sogleich einen Spruch zur Hand: „Gerichtet seid ihr. Verachtung sei Eure Strafe!“
Das Volk brüllt: „Heil sei unseren Rettern!“ Doch Gilbert weist den Applaus bescheiden zurück und zeigt auf seinen Begleiter, dem alle Ehre gebühre. Gottes Huld sei ihm beschieden! Rainulf möchte verständlicherweise gern wissen, wen er vor sich habe. Das Opernpublikum ahnt es bereits!
„Du verhüllst uns dein Antlitz?
Sind wir in den Schranken?
Lass uns seh'n,
damit wir wissen, wem wir danken!“
Der Ritter öffnet das Visier. Es ist Osmund. Rainulf prallt entsetzt zurück und glaubt, ein Gespenst sei der Hölle entstiegen. Ohne lange zu überlegen, zieht er seinen Dolch, um sich auf den Bruder zu stürzen. Doch meldet sich in diesem Augenblick die Stimme der erregten Mutter: „Rainulf, lass das!“ Es sei jetzt der Zeitpunkt gekommen zu bekennen, damit sie erlöst und er gerettet sei. Mit seiner Beherrschung ist Rainulf am Ende; Einsicht hält Einzug, ein Monolog ist angesagt. Es bleibt auch noch Zeit, den kostbaren Smaragd dem Priester zurückzugeben, damit der Himmel keinen Anlass mehr hat zu zürnen. Natürlich ist der Stein jetzt entweiht, nachdem der Missetäter ihn auf der Brust getragen hat. Der Priester soll ihn aufs Neue weihen, es wird eine seiner leichtesten Übungen sein. Zum guten Schluss zieht Rainulf eine Ampulle hervor und leert den Cocktail in einem Zuge. Da er anschließend tot umfällt, schlussfolgert das Publikum, dass Gift im Fläschchen war und ursprünglich für Adelasia gedacht war. Vollkommen unsympathisch war der Bösewicht nicht. Als Herrscher hätte er eher getaugt als Osmund. Intelligent und charmant hätte er das nötige diplomatische Geschick gehabt, im Verbund mit Osmund als Heerführer sein Vaterland aus der Fremdherrschaft von Staufern und Normannen zu befreien.
Beata sinkt ihrem totgelaubten Osmund mit einem Aufschrei an die Brust. Die Menge quittiert, dass sich die Liebenden nach langer Trennung wiederfanden Das Nachsehen hat Adelasia, die für ihre Liebe alles geopfert hat, aber trotzdem nicht ganz leer ausgeht. Dem kühnen edlen Herzen lacht ewig Osmunds und Beatas Dank. Nachdem der Priester die jubelnde Menge aufgefordert hat, ihm in den Dom zu folgen, sinkt Adelasia von schmerzlichem Glück erfasst in stillem Gebet nieder.
25. Szene:
Der schicksalhaften Tragödie von Rainulf und Adelasia wird noch ein tragisches Finale nachgeschoben. Von den Staufern wird aus politischem Kalkül dem letzten Nachkommen von Robert de Guiscard das Augenlicht genommen. Dem Schutz des erst dreizehnjährigen Wilhelms möchte Adelasia ihr weiteres Leben widmen. Bei einem Hirten in den Bergen werden sie Zuflucht finden. Die normannische Adelige legt schützend ihren Arm auf seine Schulter und verlässt mit ihm den Schauplatz des bitteren Geschehens. Wilhelm trägt eine Augenbinde.
Letzte Änderung am 24.2.2013
Beitrag von Engelbert Hellen