Manfred Trojahn (geb. 1949):

Enrico

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1989-91
Uraufführung: 10. April 1991 in Schwetzingen (Rokoko-Theater)
Dirigent: Dennis Russell Davies
Regie und Bühnenbild: Peter Mussbach
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 90 Minuten
Erstdruck: Kassel: Bärenreiter, 1991

Zur Oper

Art: Dramatische Komödie in neun Szenen
Libretto: Claus H. Henneberg nach dem Drama „Enrico IV.“ von Luigi Pirandello
Sprache: deutsch
Ort: eine Villa in Umbrien
Zeit: Anfang des 20. Jahrhunderts

Personen der Handlung

Enrico: ein italienischer Adliger (Bariton)
Marchesa Matilda Spina: die Markgräfin (Mezzospran)
Frida: ihre Tochter (Sopran)
Carlo di Nolli: Neffe von Enrico (Tenor)
Baron Tito Belcredi: Enricos Nebenbuhler (Bariton)
Dottore: ein Nervenarzt (Bariton)
Landolfo: genannt Lollo (Tenor)
Arialdo: genannt Franco (Bariton)
Giovanni: Enricos Kammerdiener (Bass)

Handlung

1. Akt:

Der Handlungsablauf streift das Leben des Salierkönigs Heinrich IV., bietet aber kein Historiengemälde, sondern einen Psychothriller, der zur heutigen Zeit in der Villa eines italienischen Adligen spielt. Der Komponist wählt für sein Stück die italienische Variante des Namens, gemeint ist aber der deutsche Kaiser, welcher in der Kaiserpfalz zu Goslar geboren wurde, mit dem Papst Streit bekam und den Bußgang nach Canossa antreten musste. Der komische Held und Besitzer der Villa bildet sich in seinem Wahn lediglich ein, diese Herrscherfigur zu sein, in der er vor zwanzig Jahren bei einem Maskenfest an der Seite der Markgräfin Matilda auftrat.

Dann geschah das Unglück, dass sein Pferd ihn abwarf, welches zuvor unbemerkt von seinem Nebenbuhler um die Gunst Matildas, dem Baron Belcredi, misshandelt worden war. Enrico schlug mit dem Kopf unglücklich auf das Pflaster und zog sich ein Schädeltrauma zu. Der Pechvogel fiel ins Koma, welches jahrelang anhielt und danach bildete er sich ein, der Herrscher selbst zu sein, den er zuletzt im Maskenspiel verkörpert hatte. Die Menschen seiner Umgebung bestätigten seinen Zustand, denn sie glaubten, ihm sein Los erträglicher machen zu können, indem sie ihm in mittelalterlichen Kostümen begegneten und als Kaiser behandelten. Den Prozess seiner Heilung hielt Enrico vor ihnen geheim, weil ihm die Rolle des Wahnsinnigen gefiel, nicht von ihr loskam und sie zu seinem Ergötzen und zur Belustigung seiner Umwelt weiterspielte.

Nun ist die Schwester des Irren kürzlich verstorben. Vorher hat sie alles daran gesetzt, ihren Sohn Carlo di Nolli zu motivieren, sich einzusetzen, den Onkel von seinem Wahn zu befreien. Der Jüngling erscheint zu Besuch mit seiner Verlobten Frida, die auch ihre Mutter, die Marchesa Matilda, mitgebracht hat. In deren Begleitung befindet sich der Baron Belcredi mit dem sie befreundet ist.

Bei diesem Besuch wollte sie ihn eigentlich nicht dabei haben, denn er hatte sich ja mit Enrico damals nicht verstanden. Der Anhängliche ließ sich allerdings nicht abwimmeln und ist ihr gefolgt. Heinrich vermutet in ihm seinen Feind und ist auch von diesem Argwohn nicht abzubringen.

Alle erscheinen in historisierender Kleidung und sind maskiert, um als lebende Figuren aus dem Leben Heinrichs IV. wahrgenommen zu werden. Matilda ist die Markgräfin der Toscana, die sie vor zwanzig Jahren auch auf dem Maskenball verkörperte. Enrico schaut Matilda tief in die Augen und sie ist überzeugt, dass er sie wiedererkannt hat. Er hat die Idee, dass vielleicht der Papst ihn aus seiner Rolle erlösen könnte. Die Konversation der angereisten Gesellschaft dreht sich um alte Zeiten und die jüngste Vergangenheit.

2. Akt:

In ihrer Begleitung findet sich auch ein Nervenarzt, der den Patienten begutachten möchte, um sich zu überlegen, welche Therapie anschlagen könnte.

Enrico ist bemüht, sich der Zuneigung seiner Umgebung zu sichern. Er setzt sich mit seinem virtuosen Spiel ständig in Widerspruch, indem er mal so tut, dass er die Kostümierung zunächst bestätigt und hinterher die Farce aufdeckt und belacht. Einigen Mitgliedern seiner Dienerschaft hat er sogar offenbart, dass er schon seit Jahren geheilt ist, er aber weiterhin seinen Spaß haben möchte.

Das Opernpublikum ist der Ansicht, dass selbst, wenn Enricos Einschätzung richtig ist, ein gewisser Dachschaden doch zurückgeblieben ist. Ist es nicht so, dass er mit seiner Rolle nicht nur die anderen hinters Licht führen will, sondern auch sich selbst verschaukelt?

Der Arzt will seinen Patienten durch eine Schocktherapie heilen und hat sich dazu ein Spielchen ausgedacht. Frida hat sich eine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter bewahrt und sieht heute so aus wie die Marchesa vor zwanzig Jahren. Es wird ein lebensgroßes Gemälde von ihr angefertigt, die sie in dem gleichen Kleid zeigt, wie Matilda es vor zwanzig Jahren getragen hat.

Das Spiel sieht vor, dass Frida bei gedämpften Licht aus ihrem Versteck hervorspringen soll, so dass Enrico denkt, dass das Bild lebendig geworden ist und er Matilda liebend umfängt. Mit der Prozedur soll Enrico klar gemacht werden, dass seit damals viel Zeit vergangen ist.

Doch der Gefoppte lässt sich auf den Gedankengang nicht ein und simuliert weiter, dass seine Matilda aus dem Bilderrahmen zu ihm herabgestiegen sei und ihn begehrt wie damals in Canossa. Es ist ein Traum, der lebendig geworden ist. Dort oben warst du ein Bild - man hat Dich zu einem lebendigen Menschen gemacht. „Du bist mein. Ich habe ein Recht auf dich.“

3. Akt:

Der Patient sperrt sich, auf sein einstudiertes Rollenspiel zu verzichten, weil er es zum Überleben braucht, andernfalls müsste er sein Selbstwertgefühl aufgeben. Diese Wende hat der Doktor nicht einkalkuliert.

Belcredi wird es als Zuschauer das Theater um Enrico zu dumm und erklärt, dass alles Getue nur eine Posse sei. Für ihn ist das Spiel zu Ende. Er fordert von Enrico das Eingeständnis: „Du bist nicht wahnsinnig!“ Enrico reagiert beleidigt, spürt seine Niederlage und fühlt sich an die Wand gedrückt. Ohne seine Rolle ist er ein Nichts und er setzt zur Gegenwehr an. Einem der umstehenden Räte entreißt er den Degen und stößt ihn seinem Rivalen in sie Brust.

Belcredi ist seiner Stichwunde erlegen und der Aufschrei Matildas ist furchtbar. Was wird nun aus Enrico? Wenn er sich als geheilt betrachtet, greift nun die Justiz nach ihm. Andernfalls müsste er, um nicht als strafmündig du gelten, die Rolle des Bekloppten bis an sein Lebensende weiterspielen.

Seine Definition am Schluss der Oper lautet: „Ich bin geheilt, meine Herrschaften, doch ich habe es vorgezogen, verrückt zu bleiben und bei klarstem Bewusstsein meinen Wahnsinn auszuleben, und alle, die sich vor mir sehen ließen, zu zwingen, die berühmte Maskerade fortzusetzen. Aus der Posse schuft ich die Wirklichkeit des Wahnsinns.“


Letzte Änderung am 21.11.2015
Beitrag von Engelbert Hellen