Entstehungszeit: | 1863-66, rev. 1866, 1869 und 1870 |
Uraufführung: | 17. November 1866 in Paris (Opéra-Comique) Ende November 1866 in Paris (Opéra-Comique, 2. Fassung) September 1869 in Baden-Baden (Theater der Stadt, 3. Fassung) 5. Juli 1870 in London (Drury Lane Theatre, 4. Fassung) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester (2 Flöten, 2. auch Piccolo, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Triangel, Tamburin, Becken, Große Trommel, Harfe, Streicher) sowie eine Harfe auf der Bühne |
Spieldauer: | ca. 200 Minuten |
Erstdruck: | Paris: Heugel |
CD: | [Details] |
Mignon (Bongiovanni, ADD, 1949) Ambroise Thomas (1811-1896) |
Art: | Opéra-Comique en trois actes et cinq Tableaux |
Libretto: | Michel Carré und Jules Barbier nach Johann Wolfgang von Goethes 'Wilhelm Meisters Lehrjahre' |
Sprache: | französisch |
Ort: | Deutschland und Italien |
Zeit: | um 1790 |
Mignon: | Zigeunermädchen |
Philine: | Schauspielerin |
Wilhelm: | Student auf Reisen |
Lothario: | fahrender Spielmann |
Laerte: | Berufskollege Philines |
Giarno: | Anführer der Zigeuner |
Frederic: | Verehrer Philines |
Antonio: | Diener (Sprechrolle) |
Weitere: | Zigeuner, Schauspieler, Herren und Damen, Bürger, Bauern und Bäuerinnen |
In einer deutschen Gaststätte sitzt man gemütlich beisammen. Das Bier schäumt in den Krügen und man prostet sich zu. Ein Gast betritt die Stube, es ist Lothario, der wandernde Spielmann, den alle kennen. Er ist immer noch auf der Suche nach seinem verschollenen Kind und hat darüber fast den Verstand verloren. Die Bürger sind freundlich zu dem Alten und fordern ihn auf, seinen traurigen Reim für eine Weile zu vergessen und sich zu ihnen zu setzen.
Eine Truppe Zigeuner ist auf der Durchreise und bringt ein wenig Exotik ins Dorf. Darüber freut sich Philine, die Primadonna einer Gruppe von Schauspielern, die schon früher angereist ist und sich im Gasthaus einlogiert hat. Die Töchter Böhmens haben schöne Augen und tanzen lebhafter als die Vögel und schneller als der Blitz, dass selbst die reizende Philine nicht mithalten kann, neckt Laertes seine selbstbewusste Berufskollegin. „Wer ist das arme Kind, ein Junge oder ein Mädchen, welches von dem Zigeuner Jarno so unfreundlich behandelt wird,“ fragt Philine. Mignon will nicht vortanzen, sie hat manchmal Allüren. Jarno will dem launischen Fratz mit dem Stock Vernunft beibringen, aber die Zuschauer protestieren. Lothario versucht Mignon vergeblich zu schützen. Er bekommt aber Verstärkung von einem forschen Herrn aus gutem Hause, der sofort seine Pistole zieht, und dem Anführer droht, ihn niederzustrecken, wenn er die Kleine nicht augenblicklich in Ruhe lässt. Der Angegriffene jammert, dass er keine Einnahmen haben wird, wenn die Widerspenstige ihrer Pflicht nicht nachkommt, aber Philine springt großherzig in die Bresche und wirft dem Klagenden einen Beutel mit abgezähltem Kleingeld zu.
Wer ist dieser Jüngling mit den dunklen Augen, etwa ein fahrender Ritter? Laertes möchte es zu gern erfahren, und Philine ist nicht minder neugierig. Mignon bedankt sich schüchtern bei Wilhelm Meister, so heißt ihr Beschützer, mit einem kleinen Feldblumenstrauß. Wilhelm und Laertes schließen Bekanntschaft und man erfährt, dass es dem Begleiter der aufreizenden Philine keinen Spaß macht, als arbeitsloser Schauspieler mit ihr umherzuziehen.
Wilhelm ist auch kein edler Ritter, sondern ein Student, der vor einem Jahr die Universität in Wien quittiert hat und nun mit seinen 20 Lenzen auf Wanderschaft ist, wie es der Brauch will. Das Mädchen seiner Träume hat er noch nicht gefunden.
Wie sieht es bei Laertes mit der Liebe aus? Nein, Philine wird zwar hofiert, aber man kennt sich doch zu gut, um ernste Absichten zu hegen. Töricht und eitel ist sie, wechselhafter als der Mond und trügerischer als das Glück. Lasst uns auf den zauberhaften Teufel trinken! Philine hat gelauscht, ist aber nicht verstimmt. Man kokettiert miteinander und Laertes versucht ihr den Wilhelm förmlich anzudrehen, indem er den Studenten auf Wanderschaft auffordert, ihr den lästigen Blumenstrauß, den er von dem Zigeunermädchen erhalten hat, abzutreten. Wilhelm fängt Feuer und stellt fest, dass es für ein letztes Lebewohl noch nicht die Zeit ist.
Amor hat mit seinem Pfeil auf die kleine Mignon gezielt. Wilhelm ist allein und sie taucht plötzlich auf, um sich nochmals feierlich zu bedanken. Eine geheimnisvolle und romantische Stimmung umgibt die Kleine und Wilhelm Meister fragt sie aus. Wie heißt sie? Wie alt ist sie? Wer sind ihre Eltern? Die Antworten sind spärlich. Jedenfalls ist der große Teufel tot. Er war der Kerl, der sie mit seinen Spießgesellen raubte, als sie abends allein am See spazieren ging. Der Bösewicht verkaufte sie an die Zigeuner, die mit ihr durch die Lande ziehen und in Ihr eine Einnahmequelle sehen, weil ihr Liebreiz die Menschen erfreut, wenn sie sich zum Klang der Gitarre zierlich bewegt. Woher kommt sie? Er wird sie in das Land ihrer Sehsucht zurückbringen. Goethes weltberühmte Antwort lautet: „Connais-tu le pays où fleurit l’orange? “
„Kennst Du das Land wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glühn. Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht.... Dahin, dahin möchte’ ich mit Dir, o mein Beschützer ziehn.“
Heißt dies bezaubernde Land nicht Italien? Jarno kommt hinzu, hat beobachtet, dass Herzensbande geknüpft wurden, will die Nervensäge loswerden und auf seine Rechte an Mignon verzichten, wenn er seine Auslagen erstattet bekommt. Wilhelm kauft sie frei, und Mignon schließt sich dem alten Lothario an, zu dem sie sich auf geheimnisvolle Weise hingezogen fühlt. Sie sehen den Schwalben nach, die ihre Schwingen öffnen und der Sonne entgegen gen Süden ziehen, wo das Land ihrer Sehnsucht liegt.
Mignon kann das aufreizende Lachen Philines absolut nicht ausstehen. Die Genannte erscheint plötzlich mit einem Verehrer, der – wie er selbst sagt – sein Pferd fast zu Tode geschunden habe, um die Angebetete wiederzusehen. Von Monsieur Meister, ein törichter Kerl mit angenehmen Manieren, behauptet Philine ganz einfach, dass er sie liebe, lediglich um den Ankömmling eifersüchtig zu machen. Der Reitersmann hat eine eilige Botschaft seines Onkels für sein Herzblatt dabei. Der Herr Baron wird seine Kutsche vorbeischicken wird, um die ganze Sippschaft noch vor Sonnenuntergang auf sein Schloss einzuladen. Sie sollen ein wenig Leben ins alte Gemäuer bringen. Der Prinz von Tieffenburg kommt nämlich auch, und dieser liebt die Zerstreuung. Zum Verdruss der beiden Rivalen lädt Philine Monsieur Meister förmlich ein, zur Feier mitzukommen. Damit bringt sie das Herz der kleinen Mignon völlig aus der Fassung. Die Verstörte bettelt so lange, bis sie als Page verkleidet auch mitkommen darf. Ihren Retter will sie niemals mehr verlassen! Sollte er sie jedoch zurückdrängen, wird sie an der Seite Lotharios, dessen Schicksal teilen und notfalls nachts ein Bett im Moos finden. Wilhelm merkt, dass er sich etwas eingebrockt hat, übernimmt aber Verantwortung und erlaubt der Bittenden, an seiner Seite bleiben zu dürfen. Ihren Dank wird die Kleine ihm jederzeit zeigen und lobt treue Gefolgschaft bis in den Tod.
Wer immer sie liebt, möge ihr folgen, proklamiert Philine. Adieu Hunger! Adieu Durst! Auf die Mahlzeit im Gasthaus wird an diesem Abend verzichtet. Wilhelm wird später auf das Schloss nachkommen, um sich dann wiederzusehen. O Traum, o törichte Hoffnung, o anmutige Eroberung. Der extrem romantisch veranlagte Jüngling hat sich so richtig verknallt. Wehmütig verabschiedet sich Mignon von den weiterziehenden Zigeunern und setzt voll auf die Zukunft. Ein Sturm zieht auf, und dem alten Harfner schwant Unheil.
Philine hat die Gabe, alle Menschen sofort für sich einzunehmen. Die Baronin hat im Schloss ihr Ankleidezimmer zur Verfügung gestellt, zu dem der Baron im Besitz des Schlüssels ist, so glaubt es der eifersüchtige Laertes. Für den Abend hat er zur Unterhaltung der Gäste ein Theaterstück vorgesehen. Es ist der „Sommernachtstraum“ von einem gewissen Herrn Shakespeare und Philine wird in der Aufführung die Titania darstellen.
Wilhelm, mit Mignon an der Hand, hat den Weg zum Schloss gefunden. Philine ist verblüfft, schlägt aber sogleich vor, dass Mignon zur Gestaltung des Abends auch einen Beitrag leisten kann. Sie soll den Eiertanz aufführen, so wie sie es bei den Zigeunern gelernt hat. Zwischen den beiden Damen knistert es. Philine bittet, über solch liebliche Zuneigung, wie Mignon sie ihrem Beschützer entgegenbringt, lachen zu dürfen. Oh weh, sie amüsiert sich auf grausame Weise. Wilhelm findet ihr Lachen anmutig. Anstatt dass sein junger Page ihn bedient, verhält es sich offenbar umgekehrt, behauptet Philine. Sobald Wilhelm die Verführerin im Feenkostüm sieht, wird seine süße Aufmerksamkeit nur noch ihr gehören. Ach, wie er das Funkeln ihrer Augen liebt und erst das spöttische lustige Lachen. Philine rechnet mit etwa zwanzig Verehrern, jung und alt, jeder seufzt wegen ihrer schönen Augen. Für Mignon wird die Situation unerträglich. Ihr Retter nimmt ihre tiefen Gefühle überhaupt nicht ernst. Blendend aussehen muss man und schön angezogen sein, wie Philine. „Ah Philine, schöne Zauberin, Dein zarter Blick und Deine unwiderstehliche Anmut fesseln jedes Herz an Dich“, hört sie ihren Liebling schmachten. Der Prinz, zu dessen Ehren das Fest stattfindet, hat der Verehrtesten ein funkelndes Armband geschenkt, und Philine hält es Wilhelm unter die Nase. Wilhelm möchte klare Antwort haben, aber sie hakt sich bei ihm ein und zieht ihn mit sich fort. Der Herr Baron wartet bereits auf seine Gäste. Die arme Mignon hat man völlig vergessen. Sie bleibt allein im Ankleidezimmer zurück.
Was tut ein kleines Mädchen im Boudoir einer putzsüchtigen Dame? Die Versuchung kommt über sie! Wo ist das Rouge, welches diese so schön macht? Wo hängen die Kleider, die ihre Figur so vorteilhaft zur Geltung bringen? Armes kleines Zigeunermädchen, mit der Beherrschung ist es vorbei. Wie würden, der lieblichen Mignon mit den anmutigen Tanzschrittchen die schönen Sachen und der schöne Schmuck stehen? Auf geht es zur Anprobe und dann vor den Spiegel! Schon bald ist der Trübsinn verflogen.
Friedrich hat sich Zutritt zum Ankleidezimmer verschafft und erwartet die Stunde, sie wiederzusehen. Durch Fenster ist er hereingekommen und hat die Dekoration umgeworfen. Wilhelm kommt ebenfalls, allerdings durch die Tür. Die beiden Hähne beschnuppern sich und wollen miteinander kämpfen. Mignon stürzt aus der Garderobe und drängt die beiden auseinander. Was fällt Mignon ein, sich in Philines Klamotten herauszuputzen. Unmöglich findet Wilhelm diesen seltsamen Scherz. Ernsthaft böse ist er mit ihr und schlägt die Trennung vor. Mignon denkt, dass er sie in Philines Wäsche hässlich findet und empfindet Betroffenheit. Dem Erretter findet das Mädchen zu anstrengend, will es nicht länger behalten und wird nachdrücklich. Er verschafft sich Geltung und singt die berühmte Arie „Adieu Mignon, Courage,“ um sie wieder los zu werden. Überhaupt, ein junger Mann mit einem jungen Pagen auf Reisen! Was sollen die Leute denken? Eines Tages wird er sie wiedersehen. Geld will sie nicht von ihm annehmen. Ein letzter Handkuss und das war es. Gott, die Engel und die Madonna werden Mitleid mit ihr haben und sie schützen.
Friedrich hat Philine herbeigerufen, um ihr die Kleine in ihrer ausgeborgten Garderobe zu präsentieren. Wilhelm entschuldigt sich „für eines Kindes Scherz“ und Philine gibt sich großzügig. Wenn der süßen Kleinen das Kleid gefällt, darf sie es behalten! „Die Kleine“ ist ungezogen und beginnt, die Spitzen von dem Kleid abzureißen; Philine verwehrt es ihr. Laertes, als Theseus verkleidet, mahnt die Schauspielerin, ihren Auftritt nicht zu versäumen. Friedrich hasst Wilhelm. Mit welcher Wonne würde er ihn töten, und Mignon kann Philine auf den Tod nicht ausstehen.
Mignon hat sich in den Schossgarten geflüchtet, trifft dort Lothario, der den Versuch unternimmt, Mignon in ihrem Liebesschmerz zu trösten, weil er ihre Gefühle nachvollziehen kann. Diese wünscht sich, dass himmlische Mächte den Palast zu Staub zerschlagen werden oder Ströme von Feuer ihn verschlingen.
Die göttliche Philine hat mit Ihrer Darstellung wieder einmal wahre Triumphe gefeiert, und Verehrer scharen sich in Fülle um sie. Für den Abend war sie Königin der Feen. „Je suis Titania la blonde“ freut sie sich. Lebendiger als ein Vogel, schneller als ein Blitz durchquert sie lachend die Welt. Eine fröhliche Bande von Geistern folgt ihrem fliegenden Triumphwagen. Durch ein Meer von Blumen geht es vorbei an Wiesen und Wäldern; selbst vor schaumgekrönten Wellen macht die Kutsche nicht halt. So ist das Leben von Titania, der Tochter der Lüfte. Gloria, Titania!
Feuer, Feuer, das Theater steht in Flammen! War etwa Mignon die Brandstifterin? Nein, der geistig verwirrte Lothario sieht sich schuldig. Wilhelm Meister rettet Mignon vor den einstürzenden Mauern.
Um sich von den Turbulenzen der vergangenen Tage ein wenig zu erholen, haben sich die drei Gefährten, die der Zufall zusammengebracht hat, eine Schiffsreise nach Italien gegönnt. Seine Schritte führen Lothario zu einem geheimnisumwitterten Palast. Der Diener Antonio weiß zu berichten, dass in dem Gebäude, seit es seinen Herrn verlor, keine Lichter mehr angezündet wurden, um den alljährlichen Karneval Venedigs würdig zu begehen. Schreckliche Dinge sind geschehen. Das Kind des Hauses wurde vor fünfzehn Jahren von Zigeunern geraubt und, o weh, die Mutter folgte ihr bald in den Tod. Wahnsinnig vor Schmerz verließ der Vater die Heimat, und das Dach ging in fremde Hände über.
Das Haus wird besichtigt und bei Lothario vollzieht sich eine merkwürdige Wandlung. Auch Mignon kommen dunkle Erinnerungen, als ob sie den geheimnisvollen Palast und die Gärten schon einmal gesehen hätte.
Nun steht das Haus zum Kauf bereit und Wilhelm zückt seine Brieftasche, um das erforderliche Kleingeld für den Kauf hinzublättern.
Mignon hat ein bisschen geschlafen und ein gelindes Lächeln umspielt ihre Lippen. Ihr Herz hat aufgehört zu leiden und die gesunde Luft erweckt sie zu neuem Leben. Wilhelm hat sich nun endgültig für sie entschieden. Sein Herz soll in ihre Seele überfließen. Immer wieder muss Wilhelm es ihr sagen. In ihrem weißen Kleid erscheint sie ihm wie ein Engel des Himmels.
Plötzlich Koloraturen aus der Ferne: „Ich bin Titania die Schöne... Lachend durchquere ich die Welt“. Ist die Verflossene ihnen tatsächlich nachgereist? „Lebendiger als ein Vogel, schneller als der Blitz“. Nein, Mignon hat Wahnvorstellungen, weil sie ihr Glück noch nicht so richtig fassen kann. Sie ruft nach Lothario.
Dieser hat sich im Haus ein wenig umgesehen und eine knarrende Tür geöffnet. Dort findet er alte Kleider, die er sofort anlegt. Majestätisch schaut er darin aus. Er selbst ist der Graf Cipriano, und alles was man hier sieht, hat schon immer ihm gehört. Sein Gedächtnis kehrt zurück und seine Augen füllen sich mit Tränen. Mignon ist seine leibliche Tochter und heißt in Wirklichkeit Sperata. Dem nun folgenden Freudentaumel sind keine Grenzen gesetzt.
Letzte Änderung am 18.8.2012
Beitrag von Engelbert Hellen