Entstehungszeit: | 1878/79 |
Uraufführung: | 1. Februar 1879 im Carl-Theater zu Wien |
Besetzung: | Solisten, Chor und Orchester |
Verlag: | Hamburg: Ahn und Simrock Bühnen- und Musikverlag GmbH |
CD: | [Details] |
Boccaccio (Az) Franz von Suppe (1819-1895) |
Art: | Buffo-Oper in drei Akten |
Libretto: | F. Zell und Richard Genée nach das „Decameron“ des Florentiner Dichters Giovanni Boccaccio (1313-1375) |
Sprache: | deutsch |
Ort: | Florenz |
Zeit: | 1331 |
Giovanni Boccaccio: | Verfasser von Geschichten unseriöser Art |
Fiametta: | eine der schönsten Frauen von Florenz, verliebt in Boccaccio |
Pietro: | Prinz von Palermo, abenteuerlustig |
Scalza: | Barbier, erbost |
Beatrice: | sein Weib, untreu |
Lotteringhi: | Fassbinder, erbost |
Isabella: | sein Weib, untreu |
Lambertuccio: | Gewürzkrämer, erbost |
Peronella: | sein Weib, untreu |
Leonetto: | Student, locker |
Weitere: | Volk von Florenz |
Das Volk von Florenz befindet sich im Freudentaumel, denn man feiert heute den Tag des Schutzheiligen Giovanni Battista. Vor der Kirche „Santa Maria Novella“ hat sich viel Volk eingefunden, denn die Bettler versprechen sich reichhaltige Ausbeute, weil die Spendenfreudigkeit an heiligen Tagen etwas höher liegt als gewöhnlich. Auch der stattbekannte Poet Giovanni Boccaccio denkt an üppige Einnahmen aus dem Verkauf seiner frivolen Erzählungen. Er hat das Schriftgut – neueste Novellen aus den besten Quellen - auf einen kleinen Bollerwagen gepackt, und ein Werbespruchband verrät, wer der tüchtige Geschäftsmann ist. Welche Geschichten sind heute gefragt? „Der Müller und der Abt“ oder „Die Freundin des Kardinals“? Immer wieder kommt der Klerus ins Gerede, der doch den Schäfchen in Sachen Moral ein Vorbild sein sollte!
Der Freund des Poeten, ein Student, hilft dem Verfasser, die Broschüren loszuschlagen. Ist es nicht ein bisschen indiskret, wenn Leonetto den Leuten erzählt, dass ihn Frau Beatrice erwartet? Holdes Weibchen, ach wie schlau! ihr Gemahl ist noch auf Reisen und es langweilt sich die Frau. Drum gibt sie ihm den Schlüssel, und er kennt den Weg genau. Kein Wunder, dass Boccaccio immer genügend Stoff für seine frivolen Reporte hat, wenn die Frauen untreu sind und die Männer den Mund nicht halten können.
Völlig anderer Ansicht sind drei ehrbare Handwerker. Scalza, ein Barbier, meint, dass seine Frau Beatrice der Inbegriff der Treue sei und für die bösartigen Novellen Boccaccios niemals Stoff abgeben würde. Lotteringhi, ein Fassbinder, behauptet von seiner Frau das Gleiche.
Plötzlich ertönen Hilferufe aus dem Haus des Barbiers. Das war doch Beatrice, was mag nur geschehen sein? Ihr zu helfen möchte Scalza eilen, doch es zittert sein Gebein. „Liebes Weib, wie bist du blass! Was geschah, so sag doch was?“ Boccaccio eilt seinem Kumpel Leonetto, der in der Falle sitzt, wortreich zur Hilfe und tut so, als ob er ihn erstechen wolle. Ein wildes Getümmel entsteht. Doch Scalza wird misstrauisch: Man stößt und sticht gar wild herum und es fällt noch immer keiner um. Der Hausfriedensbruch kann nicht restlos aufgeklärt werden, und man beruhigt sich.
SZENENWECHSEL
Pietro, seines Zeichens Prinz von Palermo weilt in der Stadt, um den Herzog zu besuchen. Letzterer soll eine wunderschöne Tochter sein eigen nennen, die allerdings aufgrund ihrer illegalen Abstammung nicht im Palast wohnen darf. Fiametta lebt im Haushalt des Gewürzkrämers Lambertuccio und seiner Frau Peronella. Das Mädchen weiß nicht, wer ihre Eltern sind, doch die Alimente wurden von unbekannter Hand immer regelmäßig bezahlt, und jetzt kümmert man sich sogar um eine angemessene Verheiratung. Vorgesehen ist der Prinz von Palermo.
Von Boccaccio und seiner Novellenkunst hat Pietro schon gehört und von den leichtlebigen Frauen von Florenz auch. Der stadtbekannte Poet scheint ihm der Richtige zu sein, um an seiner Seite Liebesabenteuer in Fülle zu erleben. Dabei gerät er zunächst an Isabella, die Frau des Fassbinders und stößt sofort auf Zuneigung.
Boccaccio selbst ist unsterblich in Fiametta verliebt und nähert sich ihr in Verkleidung. Aus Gründen der Frömmigkeit ist diese nicht zugänglich. Sie befindet sich mit ihrer Ziehmutter auf dem Weg zur Kirche. „Die Glocken läuten hell und rein und laden alle Frommen ein. Mit andachtsvollem keuschen Sinn geht man zur heiligen Messe hin und denket nur an Gott allein.“ Er dürfte nicht Boccaccio heißen, wenn er verbal nicht ebenso vortrefflich schmeicheln könnte wie er schreiben kann. Es gelingt ihm tatsächlich, Flämmchen, die den stadtbekannten Fabulierer nicht erkennt, für sich zu erwärmen.
Anlässlich eines Besuches bei Isabella hat der Prinz sich ungeschickt angestellt und die Aufmerksam der drei Ehemänner auf sich gerichtet. Diese denken, sie hätten den rührigen Boccaccio auf frischer Tat ertappt und verabreichen dem Erwischten eine Tracht Prügel. Der Irrtum wird aufgeklärt, und es bleibt den Voreiligen nichts anderes übrig als sich zu entschuldigen.
Wie kann man sich nur an dem Urheber allen Übels rächen? Vielleicht sollte man seine Bücher verbrennen. Hei, wie die Flammen knistern! Ein Bettler wurde gezwungen, das Feuer zu entfachen. Was sie verdammen, weiht er den Flammen. Was ihnen missfällt vernichtet er für die Welt.
Gezwungenermaßen war der Brandleger Boccaccio selbst, der es vorzog, seine Bücher zu vernichten, als aus gesundheitlichen Erwägungen seine Identität zu verraten.
Beim Liebchen, beim Liebchen, da ist man gern zu zwein, beim Weine, beim Weine, das sitzt sich's gut zu drein. Doch mutterseelenallein, das soll der Mensch nicht sein.
Die beiden Häuser Lambertuccios und Lotteringhis stehen dicht an dicht. Ihre Vorgärten sind ein magnetischer Anziehungspunkt für unsere drei Freunde Boccaccio, Leonetto und Alessandro, wie der Herzog sich nennt, wenn er mit den beiden auf Abenteuer geht. Die Fassbinderin, die schöne Frau Lotteringhis, ist die Sehnsucht der beiden Letztgenannten, während die Ziehtochter Peronellas von Boccaccio umschwärmt wird.
Leonetto wird von den beiden anderen ausgenutzt. Er soll sich an die Mutter heranmachen, um sie zu beschäftigen, damit Fiametta ohne Aufsicht ist. Wenn der Student weiterhin des Dichters Freund bleiben will, muss er in den sauren Apfel beißen. Va bene, er beißt! Zum Fensterlein wird er gern blicken, aber hinein möchte er lieber einen anderen schicken.
Und nun die Serenade: ihr Schuh zu sein, welch Hochentzücken. Sollte sie schrein, wird er sie drücken. Jeder singt seine Variante, um die Angebetete aufmerksam zu machen. Dann werden Briefchen ins Haus geschmuggelt.
Welche Dame bekommt nicht gern ein Briefchen. Wie pocht das Herz so ungestüm. Das Briefchen hier, es kommt von ihm. Was auf dem Blatt für sie mag stehn? Bald ist er hier, sagt das Papier. In Verkleidung wird er kommen. Das Herz klopft freudig und ist doch ganz beklommen. Die Stunde ist nah, sicher ist er bald da. Am Aufgeregtesten ist Peronella, denn sie hat keine Ahnung, wer der heimliche Anbeter ist.
Der Prinz von Palermo ist gerade dabei, mit Isabella eine Novelle zu erleben, als ihr Mann an die Tür klopft. Kommt der Trunkenbold schon wieder aus dem Wirtshaus? Der Besucher wird sich als Kunde ausgeben, der ein Fass kaufen möchte. Aber die ungetreue Ehefrau hat ohnehin das Sagen und versteht es, ihren Mann an der Nase herumzuführen. Er kriecht in das Fass, auf dem die beiden sich vergnügen. Der Prinz freut sich, endlich die erste Verwicklung!
Peronella hängt in der Warteschleife. Wo mag er nur bleiben? In ihrem Alter ist jede Minute kostbar. Endlich kommt er. Wie schön er ist, und die Liebe führt ihn her! Keine Minute soll ungenutzt verstreichen. Doch plötzlich taucht der Ehemann auf und fragt, ob der Bursche noch nicht gekommen sei, der bei der Ernte helfen soll. Natürlich, soeben ist er eingetroffen! Der glückliche Leonetto fühlt sich seinen Pflichtübungen enthoben, gibt sich als Erntehelfer aus und wird Oliven vom Baum schütteln.
Boccaccio ist entzückt. Eine Heilige naht, und er möchte ihr die Hände küssen. Peronella klärt auf, dass es sich um keine Heilige, sondern um ihre Ziehtochter handelt. Der herbeikommende Lambertuccio soll verschwinden und auf einen Zauberbaum steigen, auf dem er untreue Liebespaare beobachten kann. Boccaccio klettert voran und will im Gipfel beobachtet haben, dass der Barbier seine eigene Pflegetochter auf unziemliche Art geküsst habe. Der Gescholtene klettert endlich selbst hinauf. Von seinem Hochsitz kann Lambertuccio wohlgefällig beobachten wie die Ehemänner und das Operettenpublikum verschaukelt werden. Ha, wie sie schnäbeln und girren süß, wie das Pärchen im Paradies. Ein Hexenspiel ist das fürwahr. Jetzt küsst man seine Alte gar. Gemeint ist Leonetto, der sich mit seinem Schicksal angefreundet hat.
Fiametta ist hellwach geworden. Nun hat sie ein Alibi und versteht es, ihre Liebe zu Giovanni auf den Zauberbaum abzuschieben. In ihr keimen sanfte Triebe, sie ignoriert nicht länger mehr die Liebe. Es hagelt Küsse und Liebesgeständnisse.
Nicht lange bleibt das lustige Beisammensein der Liebenden ungestört. Scalza hat herausgefunden, dass Boccaccio und seine Gesinnungsgenossen sich verkleidet im Haus aufhalten. Die Studenten in der Schenke schwatzten die Geschichte aus, selber hat er's dort vernommen und lief gleich zum Tor hinaus. Zu foppen wagte sie der Wicht. Ihm nach! Die Strafe schenken sie ihm nicht. Umzingelt ist das ganze Haus und aus der Sache kommt Boccaccio so leicht nicht heraus.
Verprügelt wird allerdings wieder der Falsche. Es ist der Mann, der für Fiametta regelmäßig in einem versiegelten Umschlag das Kostgeld bringt. Er ist hier nicht von ungefähr, ihn führt ein hoher Auftrag her. Die Sänfte ist für sie bereit. Fiametta sagt Lebewohl, es drängt die Zeit. Lambertuccio weiß, von wem der Bote abgesandt und denkt auf keinem Fall an Widerstand.
Plötzlich soll Fiametta scheiden. Die Heimat verlassen und alles, was ihr lieb und teuer ist, im Stich lassen. Die Eltern, die Freunde, sie alle. Den Teuren, dem ihr Herz gehört, ein Wiedersehen mit ihm ist ihr verwehrt. Ja, fort noch heut in dunkler Nacht. Wer hätte das gedacht? Im allgemeinen Tumult können die drei Liebhaber entkommen. Boccaccio kann seinem Flämmchen noch zuflüstern, dass die Liebe wacht und er ihr nah sein wird.
Die Eheleute Lambertuccio und Peronella sind mit ihrer Ziehtochter im herzoglichen Palast angekommen. Es stellt sich heraus, dass der Geldbote stets der verkleidete Herzog selbst war. Nun hat Lambertuccio ein schlechtes Gewissen, weil er ihn als Filou beschimpft und ihm einen Dukaten vor die Füße geworfen hat. “Um des Fürsten Zorn zu meiden, schickt er ihm sein Weib hinein. Muss schon einer Strafe leiden, sollte sie es lieber sein. Und müsst er am End' erleben, dass sie's nicht zurück ihm geben. Wie Gott will, er hält still!“ Bezüglich Fiametta ist man sich schnell einig. Der Prinz ist nicht mehr heiratslustig und zieht es vor, an der Seite Giovannis weitere Abenteuer zu erleben, als ihm die Geliebte wegzunehmen. Doch da hat Fiametta auch noch ein Wörtchen mitzureden. Bevor sie eine glanzvolle Position als Prinzessin aufgibt, muss Boccaccio Treue schwören. Er darf keine abscheulichen Novellen mehr schreiben und muss sie als seine einzige Muse akzeptieren. Er huldigt ihr auf der Stelle: “Florenz hat schöne Frauen, doch die schönste bist du“.
Der historische Giovanni Boccaccio (1313-1375) erzählt in seinem Novellenband DECAMERONE zehn Damen und Herren an zehn Tagen jeden Tag zehn amouröse Geschichten, um von der schrecklichen Pest abzulenken, die in Florenz wütet. Franz von Suppé findet diese Literatur so unterhaltsam, dass er einige Erzählungen von untreuen Ehefrauen und betrogenen Ehemännern aufgreift, um daraus eine Operette zu schmieden. Der Dichter Boccaccio erzählt aber nicht nur, sondern steht als Verliebter selbst im Mittelpunkt des Geschehens. Sein Wahlspruch war: Liebesgeschichten, die nur erdichtet sind, taugen nichts. Man muss die Abenteuer selbst erlebt oder erlauscht haben. Seinem Charisma hat er es zu verdanken, dass die schöne Florentinerin Fiametta nur ihn liebt und sie seinetwegen sogar den Prinzen von Palermo ausschlägt. Sie singt „Hab ich nur deine Liebe, die Treue brauch ich nicht“.
Die Melodien, die Suppé komponiert hat, gipfeln in den spritzigen Chor- und Ensemble-Szenen, Bonbons sind eher in der Minderzahl. „Florenz hat schöne Frauen, doch die schönste bist du“ klang sehr glaubwürdig, als die Arie noch von Hermann Prey geschmettert wurde.
Letzte Änderung am 29.11.2006
Beitrag von Engelbert Hellen