Franz Schmidt (1874-1939):

Fredigundis

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1916-21
Uraufführung: 1922 in Berlin
Erstdruck: London: Josef Weinberger, 1922
Bemerkung: Das bedeutsamste Vokalwerk von Franz Schmidt ist das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“. An Beliebtheit steht ihm die „Notre Dame“ nicht nach, denn durch sein Sinfonisches Intermezzo gelangte der Titel zu großer Beliebtheit. Im Schatten all seiner Werke steht „Fredigundis“. Weshalb die Oper in Vergessenheit geriet, ist nicht nachvollziehbar. Wenn auch die Historie ein bisschen anders verlaufen ist, so ist das Libretto doch ein großer dramatischer Wurf. Die packende altfränkische Totenbeschwörung im Finale des letzten Aktes kennt in der Opernliteratur kaum eine Alternative. Für jedes Stimmfach existieren dankbare Aufgaben, und Franz Schmidt verstand zu orchestrieren - ein Talent, von dem seine vier Sinfonien Zeugnis geben. Wenn es sich einst so verhielt, dass Gustav Mahler dem Komponisten nicht wohl gesonnen war, sollte dieser Umstand der Vergangenheit angehören. In heutiger Zeit neigt man dazu, Schätze zu heben und „Fredigundis“ sollte endlich rehabilitiert werden. Wagnerianer haben keine Beeinträchtigung ihrer Anschauung zu befürchten. Sigibert von Austrien mit seiner Gemahlin Brunichilde, die zusammen mit Guntram von Burgund gegen Fredigundis, der Gattin König Chilperichs erfolgreich intrigierte, bleiben im Libretto außen vor.

Zur Oper

Art: Oper in drei Aufzügen
Libretto: Bruno Warden und J. M. Wellerminsky nach dem Roman von Felix Dahn
Sprache: deutsch

Personen der Handlung

Chilperich: fränkischer König
Fredigundis: seine dritte Gemahlin
Drakolen: Herzog
Landerich: sein Sohn
Praetextatus: Bischof von Rouen, identisch mit Landerich
Galswintha: zweite Gemahlin Chilperichs
Rulla: Hausmeier
Weitere: Bewaffnete, Volk

Handlung

1. Akt:

1
Ein heißer Sommertag geht seinem Ende entgegen. Träge fließt die Seine vorbei. Im Hintergrund kann der Theaterbesucher die Silhouette der Stadt Rouen ausmachen. Auf dem Hügel am Flussufer steht eine mächtige Eiche. Ein Mädchen hält sich in ihrem Laubwerk versteckt. Seine Haare sind feuerrot, dass man fast meinen könnte, es sei ein Eichhörnchen, welches neckisch mit seinem buschigen Schwanz wedelt. Ein junger Mann sucht nach ihr. „Fredigundis“ ruft er, doch die Kleine ziert sich. Er soll nach ihr haschen, wenn er es vermag. Wo ist die rote Hexe? Soeben brannten ihre Locken noch vor seinen Augen und nun ist sie spurlos verschwunden, nirgendwo mehr zu sehen. Hat sie vergessen, dass er der Herr ist? Seine Mahnung nimmt sie weder ernst noch wichtig und wirft ihm eine handvoll Eicheln an den Kopf. Muss er ihr tatsächlich nachklettern? Die Katze soll abwarten. Er wird sie schon zu fassen bekommen. Wunderschön sind diese wilden roten Haare, wenn die Sonne darauf scheint. Mit der Hand in diese Flut einzutauchen und die Locken an seine Lippen zu führen, bedeutet für Landerich Seligkeit. Fredigundis ist sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst.

Ihre niedrige Abkunft kann Fredigundis mit ihrer Schönheit nicht in Einklang bringen. Sie leidet darunter, die Tochter einer Magd zu sein. Im Scherz gesprochen, aber ernst gemeint, rügt die Rothaarige ihren Bewunderer, der sie ständig anhimmelt. Ist er sich nicht bewusst, dass er die Locken einer Magd streichelt? Er soll nur aufpassen, dass der Vater von seinen Gelüsten nichts erfährt. Der Herzog würde furchtbar wüten. Glaubt der Sausewind etwa, dass Landerich tatsächlich um sie buhle? Sie springt vom Baum herab und landet direkt in seinen Armen. Nun kommt die passende Antwort. Meint er etwa, sie sähe nicht, wie er in Liebesdurst nach ihr schielt? Er verdreht die Augen, wie die anderen das auch machen. Sie weiß es genau, das Feuer ihrer Haare weckt bei den Männern das Feuer im Blut. Schau an, das Kind bildet sich tatsächlich ein, schön und begehrenswert zu sein!

Fredigundis holt nun zu einem Bekenntnis aus. Noch ist sie nicht begehrenswert! Die Dinge könnten sich ändern, sie hat es im Gespür. Sie ist Fredigundis, seines Vaters letzte Magd. Die Eltern hat sie nie gekannt. Unfrei ist sie geboren, arm und niedrig. Schutzlos ist sie jedem ausgeliefert. So sei ihr Los, so sei ihr Leben. Doch die Sterne haben ihr anvertraut, dass ihre Schicksalslinie in wirrem Zickzack nach oben verläuft. Um Mitternacht hat sie gestern im Strom gebadet. Auf jeder Welle schwankte zitternd ein Sternlein. Sie tauchte unter, und als sie sich aus den Wellen erhob, trug sie ein Sternendiadem auf ihrem nassen roten Haar. Die Erlen neigten sich ganz tief zu ihr und rauschten ihr süß ins Ohr: „Schöne, schöne, Fredigundis!“ „Schau an, die Närrin versteht sogar die Sprache der Bäume!“

Die neue christliche Lehre ist an dem Naturkind unbeeindruckt vorbei gegangen. Alles ist für sie mit Leben erfüllt und hat eine Seele. Der Baum, die Steine, die Kräuter, er selbst – alle sind lebendig! Zu allem Lebenden steht sie in engem Kontakt. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint den Menschen ihr Wesen dunkel, doch zum Licht strebt sie.

Was flattert dort über die Wiese? Kundig in Ornithologie erklärt Landerich, dass es ein Rotkehlchen sei. Im Sonnenschein ist seine Farbe besonders wirkungsvoll. Fredigundis wirft einen Stein nach dem Rotkehlchen. „Das war es nun, jetzt wird es nicht mehr leuchten!“ Erschreckend schrillt ein grelles Lachen aus ihrem Mund. Landerich läuft, um das Rotkehlchen aufzuheben. Das Vöglein hat ihr nichts getan, wie kann sie nur so grausam sein? Hat er vergessen was er kürzlich zu ihr gesagt hat? Die Brust des Rotkehlchens leuchte noch roter als ihr Haar. Das will sie nicht! Nichts Schöneres soll es auf Erden geben als Fredigundis. Sollte jemand versuchen, in Opposition zu treten, wird es ihm schlecht ergehen!

2
In der Ferne erklingen Trompetenfanfaren. Fredigundis erklimmt den Hügel. Ein Schiff, jubelt sie, ein goldenes Schiff. Landerich ist ihr auf den Hügel gefolgt und stellt fest:

„Das Hochzeitsschiff der Merowinger!
Herr Chilperich des Reiches Haupt,
Freit heute, seinem Haus zum Ruhme,
Des Gotenlandes hellste Blume,
Galswintha, keusch und licht und klar,
Licht wie ihr silberblondes Haar.
Sieh' dort, sieh'! Der König selbst,
Umwallt von feuerfarb'nen Locken!
Und neben ihm Austrasiens Herr,
Held Sigbert, treu und unerschrocken!
Sieh' dort, Frau Brunichild,
Ihr herrlicher Gemahl,
Der Stolz der Frauen!
Vom Glanz der Jugend, sieh', verklärt,
Jung Merowech und Theudibert,
Entsprossen Chilperichs erster Ehe.“

Langsam zieht das Schiff vorüber. Am Bug vorn sieht man vier Fanfarenbläser. In der Mitte des Schiffes an höchster Stelle steht König Chilperich und an seiner Seite sitzt Galswintha, die Fürstin der Goten. Weitere Edle des Reiches mit ihren Frauen umringen das Königspaar. Am Heck des Schiffes sind ebenfalls vier Fanfarenbläser positioniert. Fredigundis ist in den Anblick des prachtvollen Schiffes tief versunken. Sie steht am Ufer und breitet ihre Arme weit aus. Ihr Blick kreuzt den des Königs, der sie lange ansieht. Mit ihren Augen folgt Fredigundis dem Schiff bis es ihrer Sicht entschwunden ist.

Der König hat Fredigundis angesehen und Landerich soll ihr wieder und wieder bestätigen, dass sie schön sei. Der Sausewind soll sich darauf nichts einbilden. Ein schönes Frankenkind, welches sich nicht des Königs Huld erfreut, gibt es nicht! Aber hinterher bereuen die Einfältigen, sich mit dem König eingelassen zu haben. Ihr selbst sagen die Sterne etwas anderes. Die roten Haare sollen flattern, damit der König wiederkommt und dem Bettelkind eine Zukunft in Glanz und Pracht anbietet. Dämonen werden aus des Berges dunklem Schacht emporsteigen und sie zu höchsten Höhen tragen. Landerich ärgert sich, dass es ihm unmöglich ist, ihr den heidnischen Aberglauben aus der Seele zu treiben.

3
Wie aus dem Nichts taucht plötzlich Landerichs Vater auf. Vor ihm hat Fredigundis höllischen Respekt und weicht scheu zurück. Drakolen ist außer sich vor Zorn. Achtet Landerich so des Vaters Willen? Hat er ihm nicht gelobt, sich der Magd nicht mehr zu nähern? Hat er vergessen, dass er der Sohn eines Herzogs ist? Nun ist ein drakolische Strafe fällig. Das Vaterhaus muss Landerich verlassen. Der Abt des Klosters von Rouen wird ihn wieder auf den rechten Weg bringen. Er wird Mittel und Wege kennen, um ihn von seiner Leidenschaft zu heilen. Der Gescholtene möchte etwas entgegnen, doch der Herzog brüllt ihn an, dass der Ungehorsame ihm aus den Augen gehen soll. Traurig blickt er sich nach Fredigundis um, die nun an der Reihe ist, die Grobheiten des Mächtigen zu ertragen. Ins Feuer sollte man die rote Natter werfen. Aus dem Dienst ist sie entlassen, sein Auge möchte sie nicht mehr erblicken. Niedertreten wird er die Schlange, wenn sie nicht unverzüglich abzischt.

4
Verstoßen, fortgetrieben wurde Fredigundis wie ein herrenloser Hund. Sie ist verzweifelt und möchte nicht länger leben. Dunkle Gewitterwolken ziehen auf, es naht ein Sturm. Plötzlich ertönt der Klang von Jagdhörnern aus der Ferne des Waldes. Ist es Wotan, der wilde Jäger, der im Sturm naht. Er soll kommen und sie entführen. Des Jägers Braut wird sie gern sein, wenn er ihr Schutz bietet. Doch es ist nicht Wotan oder ein anderer unbekannter wilder Jäger, welcher naht. Es ist König Chilperich, der jetzt seinen großen Auftritt hat. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:

„Das nenn' ich wahrlich Jagdglück haben!
Hab mir kein schöneres Wild erhofft.
So schlank und fein, bei Wotans Raben!
So süße Beute winkt nicht oft!
Du starrst mich an mit großen Augen!
Rotliebchen, sag', gefall' ich dir?
Will meine Art dir nicht taugen?
Was sich weigert, das erzwing' ich mir!“

Es gibt ein kleines körperliches Scheingefecht, dann fällt Fredigundis dem König zunächst um den Hals, um schließlich langsam und gemessen sich an seinem Rumpf herunterzulassen, um zu seinen Füßen niederzusinken. Er soll ihr willkommen sein, in Demut ergeben, lässt sie ihn grüßen. Auf, trara, zum Liebesduett! Er hat sie gesucht, sein schönes Wild, und mitten in sein Herz gezielt. Sie wusste, dass er kommen würde. Nun ist er da, nicht nur zum Flirt. Rotliebchen ist von seiner Art, blasse Mädchen sind ihm zu zart. Es brennen die Sinne, man schreitet zur Minne, glühendes Verlangen hält beide umfangen. Heiß liebt das Herz den Chilperich, Rotliebchen freut sich königlich. Dort unten am Ufer liegt ein Boot. Innig hofft sie, dass sie das Glück nun finde, Rotliebchens Haare flattern im Winde, Landerich wäre am liebsten tot. Der Himmel verfinstert sich, schicksalsträchtig schlägt ein Blitz in die alte Eiche und beendet den ersten Akt.

2. Akt:

5
Fredigundis ist die Mätresse des Königs geworden und wird von ihm heiß geliebt. Ihre robuste Art und ihre roten Haare haben es ihm angetan. Zur bleichen Königin Galswintha ist sie ein lebhafter Kontrast. Ihr Selbstverständnis signalisiert ihr, dass die Nebenbuhlerin das Feld räumen muss. Mit einem Schleier verhüllt ist sie heimlich in die Gemächer der Königin eingedrungen. Sie hegt die Absicht, sie zu töten. Noch hat sie ihre Gewissensbisse nicht verdrängt und in einem Monolog sucht sie nach einer Rechtfertigung für die geplante Mordtat. Die Einbildung, wegen ihrer Schönheit und ihrer feuerroten Haare vor allen anderen Frauen privilegiert zu sein, ist die Triebfeder ihres Handelns. Chilperich liebe die bleiche Königin nicht, sondern nur sie! Doch durch des Priesters Spruch ist sie ihm angetraut und vor der Welt seine Frau.

Fredigundis hört die Stimme des Königs, wie er der Gemahlin eine gute Nachtruhe wünscht. Galswintha blickt zärtlich zu ihm auf und Chilperich begegnet ihr mit Ehrerbietung. Die Frauen geben der Königin das Geleit in ihr Bettgemach, während Fredigundis, verborgen hinter den Vorhängen, auf ihre Gelegenheit lauert.

6
Der König hat das Bedürfnis, seine Stimmung jemandem mitzuteilen. Herzog Drakolen ist zur Stelle.

„Für Feste taugt das Blümelein nicht;
Ein Kloster würde es besser zieren,
Als eines Merowingers Thron!
Was nun? –
Die Nacht ist schön,
Der Mond scheint hell ...
Mich gelüstet es nicht
Nach Bett und Schlaf!
Ein wilder Ritt dem Tag entgegen
Bringt dem erhitzten Blute Segen!“

Der Herzog hat ein Anliegen. Was will er? Er soll munter sprechen!

„Erlaube mir ein kühnes Wort!
Mein Herz kann's länger nicht mehr wahren:
Mich dauert, Herr, die Königin;
Sie ist ein Kind an Geist und Jahren!
Sie liebt dich, liebt dich wahr und tief;
Du siehst es nicht!
Sie welkt dahin vor Leid und Gram.
O wende zu ihr deine Huld!
O glaube einem alten Mann!
Erlös' dein schuldumstricktes Herz
Aus Fredigundis Zauberbann.“

Chilperich reagiert ungehalten und will wissen, wer ihm den Namen zutrug, und was er sich erlaube, in sein Geheimnis einzudringen.

7
Die Frauen haben den Himmel gebeten, den Schlaf der Königin zu segnen. Sie verlassen das Schlafgemach und verneigen sich vor ihrem König. Der Herzog hat Mut und nimmt den Gesprächsfaden wieder auf. Nicht nur er allein, sondern der gesamte Hof weiß um das Netz, welches die rote Hexe um des Königs Herz gesponnen hat, Chilperich soll das sündige Band zerreißen, weil es dem Land Unglück bringt. Der Feind steht an den Grenzen des Reiches und wird vermutlich siegreich sein, denn der König habe die Huld des Himmels durch seine frevlerische Liebe verwirkt.

Von des Himmels Huld muss Drakolen ihm nichts erzählen. Der König spendet Gold, er baut Kirchen ohne Zahl und lässt regelmäßig Messen lesen. Somit hat er den Himmel mit sämtlichen Heiligen auf seiner Seite. Der Herzog möge ruhig schlafen. Fromm und gut ist immer, was der König tut!

8
Bevor nun Fredigundis die Königin mit dem Dolch ins Jenseits befördert, hat sie noch ein paar erklärende Worte an das Publikum zu richten. Kostbare Weisheit hat ihr Ohr soeben vernommen. Es gibt also ein Mittel, um den Himmel zu versöhnen, wenn er grollt, und das ist Gold. Frisch ans Werk, Fredigundis, die Stunde drängt. Ist die Tat erst vollbracht, hat sie Gold genug, um den Himmel zu beschwichtigen. Allen wird es schlecht ergehen, die ihr im Wege stehen. Dem Herzog Drakolen geht es zuerst an den Kragen. Frisch gewagt ist halb gewonnen, noch ehe die Sonne endgültig untergeht, wird sie den König für sich allein haben. Sie verschwindet im Schlafgemach von Galswintha, um ihre Bluttat auszuführen.

9
Bis zu diesem Augenblick ist das verehrte Publikum bereit, den beiden Librettisten zu folgen. Im Gegensatz zur historischen Wirklichkeit erlaubten diese sich, die Dramaturgie zu verändern und die Akzente anders zu setzen, um einen plausiblen Ablauf der Handlung in ihrem Stück zu gewährleisten. Der Historiker Gregor von Tours stützt sich auf Zeugenaussagen und erzählt die Mordtat an der jungen Königin folgendermaßen: Fredigundis mag die Beseitigung Galswinthas vielleicht angeregt haben, aber für die Ausführung der Tat ist allein Chilperich verantwortlich. Fredigundis wäre zu dieser Schandtat auch bereit gewesen, aber sie war es diesmal ausnahmsweise nicht.

10
Später Besuch hat sich noch angekündigt. Es ist der Bischof von Rouen. Man höre und staune, Landerich ist - nachdem der Vater ihn ins Kloster verbannt hat - die kirchliche Karriereleiter emporgeklommen und - zum Bischof geweiht - Beichtvater der Königin geworden. Sobald es Morgen ist und die Glocken läuten, wird er sie zur Messe geleiten.

„Wir sind zur Stelle:
Lass mich jetzt allein!
Geh zur Kapelle,
Dort harre mein.“

sagt er zu seinem Ministranten.

11
Der Librettist überzieht seine dichterische Freiheit gewaltig. Landerich und Praetextatus sind in der geschichtlichen Überlieferung nicht miteinander identisch, sondern zwei individuell verschiedene Personen. Der Erstgenannte ist Bischof und der andere führt den Status eines Hausmeiers, der aber erst zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem der Vorhang gefallen ist, als Galan der Königin auftritt. Seinetwegen wird Chilperich sterben müssen und nicht umgekehrt. Doch halten wir uns an das, was die Versdichter entworfen haben.

12
Damit das Drama in der gewählten Form seine Fortsetzung findet, ertönt ein furchtbarer Schrei aus dem Gemach der Königin. Das Publikum ahnt es: Fredigundis hat mit dem Dolch zugestoßen. Praetextatus reißt die Vorhänge auseinander und in Panik geraten sucht die Schuldige das Weite. Doch was sieht der Mann der Kirche mit eigenen Augen? Die junge Königin liegt am Boden und in einem Sturzbach entweicht der Lebenssaft dem Körper und färbt den Bettvorleger blutrot. Kann es denn wahr sein? Rotliebchen, eine Mörderin? Er erinnert sich an die Szene mit dem unschuldigen Rotkehlchen, welches damals auch ohne Ursache sein Leben lassen musste. Doch weit kommt die in Panik Flüchtende nicht. Herzog Drakolen ist auf den schrillen Todesschrei herbeigeeilt und versucht, die Flüchtende festzuhalten. Doch diese hat den Dolch noch in der Hand, sie stößt noch einmal zu. Nicht faul, reißt der Getroffene ihr eine feuerrote Haarlocke aus dem Scheitel und stürzt dann schwer getroffen zu Boden. Die rote Hexe hat ihr Teufelswerk vollbracht. Um seine Augen wird es Nacht! Fluch der Mörderin - die Wachen sollen sie ergreifen. Weshalb ist der König nicht im Haus? Bei Todesstrafe hat Chilperich allen verboten, ihm nachzureiten. Drakolen wird auf einer Bahre weggetragen, damit der Arzt nachsehen kann, ob er noch zu retten ist. Praetextatus' Gefühle befinden sich im Zwiespalt. Geht es an, die ehemalige Geliebte zu verraten? Er entschließt sich, Schweigen zu bewahren, doch seine Seele schmerzt. Er bittet die Wachen, auf den alten Vater nicht zu hören, denn er spreche im Delirium. Die Leiche der jungen Königin liegt immer noch am Boden, Blut quillt aus Mund und Nase. Man wartet auf den König, damit er Weisung erteilt, die Tote von ihrem Platz zu bewegen. Der Bischof betet und die Frauen weinen.

„Wehe, unsere süße Herrin!
Ist es denn wahr?
Unsere Königin ist tot!“

SZENENWECHSEL

13
„Heil dem König! Dem hohen Paare Heil! Heil Chilperich! Heil Fredigundis!“ Auf der Stufenterasse der Königsburg soll nun Fredigundis an der Seite Chilperichs zur Königin gekrönt werden. Der Segen der Kirche ist wichtiger Bestandteil des Zeremoniells.

“Rosen, rote Rosen,
Streuet ihrem Pfad.
Rote Rosen,
Duftende Blüten,
Kündet, dass sie naht!
Rosen, feucht vom Tau,
Grüßt die jungvermählte Frau!
Rosen, rote Rosen!”

14
Innerlich tief zerrissen befürchtet Praetextatus handlungsunfähig zu sein, den kirchlichen Teil der Zeremonie vorzunehmen. Ein ungeheurer Frevel ist geschehen. Seit dem gewaltsamen Tod Galswinthas sind erst wenige Stunden verstrichen. Entsetzen lähmt noch aller Herzen. Schon zwingt der Herrscher die Bevölkerung, der Nachfolgerin den Treueid zu leisten. Er heiratet Fredigundis und setzt ihr der Merowinger Krone auf das schuldbeladene Haupt. Ahnt er nicht die furchtbare Tat, die sie vollbracht hat? Der Himmel hat es gesehen und der Allmächtige möge ihm raten, wie er sich verhalten soll.

15
Die Trompetenfanfaren erklingen und Chilperich hält eine Ansprache an die Markgrafen und Edlen des Reiches. Kraft seines königlichen Rechts kürt er Fredigundis zur künftigen Herrscherin. Es ist sein Wille und sein Beschluss, dass sich ihr jeder beugen muss. Ihr Wort hat die gleiche Gültigkeit als seien sie aus des Königs Mund gekommen. Nun soll der Bischof vortreten und Königin Fredigundis die Krone aufs Haupt setzen. Doch der Bischof hat nicht hingehört, weil die himmlische Erleuchtung noch nicht eingetroffen ist - er betet noch. Die Edlen und ihre Frauen bemerken sein Schwanken. Chilperich wird unmissverständlich! Er erhebt sich und in Wiederholung ergeht die deutliche Aufforderung an den Herrn Bischof, seines Amtes zu walten. Praetextatus entschließt sich nachzugeben. Des Königs Wille soll allen heilig sein! Er nimmt die Krone, die ihm der Marschall auf rotem Samtkissen hinhält, und tritt vor die Königin, welche vor ihm auf dem Betschemel kniet. Gequält lösen sich die Worte aus seinem Munde: „O Königin, nach Gottes und des Königs Willen setzt ich dir auf dein geweihtes Haupt der Merowinger heilige Krone...“

16
„Halt, halt ein! Du krönst eine Mörderin!“ Alle glaubten ihn tot, doch plötzlich stürzt der Vater von rechts ins Bühnenbild. Die Wiederbelebungsmaßnahmen hatten gefruchtet und er ist nun wieder voll bei Stimme. „Gott, mein Vater!“ Vor Schreck lässt Landerich die Krone los, die polternd zu Boden fällt. Triumphierend hebt der Alte die rote Locke hoch, die er dem Scheitel Fredigundis' beim Handgemenge gewaltsam entnommen hatte. „O Gott, die Locke!“ Fredigundis ist aufgesprungen und an die Seite Landerichs geflüchtet. Schnell flüstert sie ihm zu, dass sie ihn liebe. Er soll die Krone aufheben und weitermachen, wo er aufgehört hat. Doch Chilperich schaltet sich ein und wendet sich an den Herzog. Furchtbare Klage erhebe er gegen Fredigundis. Doch er soll seine Behauptung beweisen - oder er werde sterben. Wenn der König ihm Redefreiheit gewährt, sollen alle ihn hören. Jenes Weib habe Königin Galswintha mit eigenen Händen umgebracht. Während sie beim frohen Mahle saßen, habe sie sich in den Palast geschlichen und die Tat ausgeführt. Zur Krone trieb es die Bettelmagd! Von Hass und Gier gepackt, fand sie den Weg zu ihr.

17
Landerich beschwört den Vater zu schweigen, weil er sich um Kopf und Kragen rede. Er entwendet ihm die rote Locke und wirft sie in das Rauchfässchen seines Ministranten. Hell leuchtet das Haar auf und verbrennt. Der Alte will nach gewohnter Art und ohne Rücksicht auf sein hohes Amt den Sohn verprügeln, doch auf des Königs Wink greifen die Wachen ein und zerren ihn fort. Nun macht Fredigundis von ihrer Eigenschaft als Herrscherin sofort Gebrauch. Mit seinem Hass hat der Alte sie ihr ganzes Leben verfolgt. Tödlich hat er sie beleidigt, nun ist er ihr verfallen. Fredigundis gibt Befehl, ihren Todfeind zu blenden.

18
Mit diesem Willkürakt sind die Markgrafen nicht einverstanden und verlangen, dass der Vorlaute nicht ungehört zu verdammen sei. Doch Chilperich ist zu keiner Konzession bereit. Er bedarf der Leute nicht, die einen Verräter schützen und löst die festliche Veranstaltung auf. Die Thronfeierlichkeiten sind beendet, düster sitzt der Merowinger-König auf seinem Thron. Fredigundis zögert, den Thonstufen näherzutreten, dann fragt sie vorsichtig an, ob der Liebste ihr vertraue. „Herrlichste Frau, ich brauche den Priester nicht! Komm!“ Er steigt die Stufen hinunter und hebt die Krone auf. Der Liebsten setzt er sie auf das rote Gelock. Mit ihr geht er zur Balustrade, die den Burghof einfriedet, und beide zeigen sich erhobenen Hauptes dem Volke. Was tut der Pöbelchor? Was er immer tut - er jubelt! „Heil dem König! Dem hohen Paare Heil! Heil Chilperich! Heil Fredigundis!“

3. Akt:

19
Gott habe sie schwer gestraft, klagt Fredigundis. Ihr Kind ist krank und die Ärzte fürchten um sein Leben. Endlich ist es eingeschlummert. Viele Nächte lag sie auf den Knien und suchte Gott. Türme von Gold hat sie vor den Altären der Kirche aufgehäuft, aber der Himmel habe sein Angesicht von ihr abgewandt. Er will sie nicht erhören. Chilperich steht neben ihr und versucht, seine arme süße Fredigundis zu beruhigen. Gegen das Blut der Merowinger komme die Unbill nicht an. An seinem Mut soll die Verzweifelte sich aufrichten. Den Himmel möge die schöne traute Fredigundis lassen, wo er ist und sich an seine Brust schmiegen. Von vergangenen Tagen und an ihre erste Begegnung wollen sie träumen. Chilperich küsst sie. Sie erinnert sich an das Schiff, welches stromabwärts glitt. Er sah sie an und für sie war es eine ihr fremde Seligkeit. Stumm stand sie, als ob ein Strahl aus Gottes Auge sie getroffen habe. Dann hat der Sturm sie zu ihm gebracht und alles Leid führte er mit sich. Nicht der Sturm, nein, die Liebe ganz allein, habe sie geleitet. In ihrem Schein wird ihnen neues Hoffen erblühen.

20
Von draußen lässt die Stimme Drakolens sich vernehmen:

„Ach! - Einst umgab ihn Glanz und Pracht.
Jetzt ist um ihn ewige Nacht!
Tot, Tot ist seiner Augen Licht.
Gott im Himmel gibt es nicht!“

Diese Stimme macht Fredigundis noch wahnsinnig. Es zerreißt ihr das Herz! Chilperich ruft dem Alten aus dem Fenster zu, dass er verschwinden soll, andernfalls werde er die Hunde auf ihn hetzen.

21
Ihr Hausmeier Rulla meldet den Besuch des Bischofs. Die Königin ließ nach ihm rufen. Was ist ihr Wunsch? Ihr Kind sei schwer erkrankt und die Königin bittet ihn, es zu retten. Praetextatus verneigt sich tief und bedauert, dass seine Macht hierzu nicht ausreiche, weil er kein Arzt sei. Die Königin schaut Landerich flehend an. Er könne es retten durch sein Gebet, ihn liebe der Himmel, ihn liebe Gott. Der einstige Geliebte soll sie in ihrer Not nicht verlassen und die Hände für ihr Kind falten. Ihn wird Gott erhören. Praetextatus erteilt ihr einen Verweis. Sie habe nicht das Recht, das Wort „Gott“ in den Mund zu nehmen. Er soll sich hüten, sich ihren Wünschen zu widersetzen. Sie sei seine Königin! Fredigundis setzt sich zur Wehr. Praetextatus eifert, dass sie sündig sei, sündig wie kein Weib, das je die Erde trug. Blut klebe an ihren Händen und die ewige Seligkeit habe sie verwirkt. Hat Landerich vergessen, was sie einst verband? Die Eiche hat gerauscht und sie hat ihn in ein jugendlich lichtes Land entführt. Der sonnenbeglänzte Strom ist an ihnen vorbeigezogen. Ihre Erinnerung nimmt sie gefangen. Die arme kleine Fredigundis habe er jetzt vor sich. Doch Praetextatus fühlt sich wie Johannes der Täufer, nun gilt es, sich die bösartige Salome vom Leibe zu halten. „Zurück von mir, ich kenne dich nicht“, sind seine messerscharfen Worte. Nun fällt Fredigundis auf die Knie. In seiner Eigenschaft als Priester Gottes möge er ihr Kind vor dem Tod erretten und zu Gott beten. Ihr Herz sei ein Brunnen – bis zum Rand gefüllt von Leid und Trauer.

22
Nach kurzem Nachdenken lässt Praetextatus sich auf einen Handel ein, der über seine geistliche Kompetenz weit hinausgeht. Er stellt der Königin die Bedingung, dass sie allem Glanz entsagen soll, den sie durch Blutschuld gestohlen habe. Die Krone soll sie sich vom Haupt nehmen und ihre Schuld bekennen. Wenn sie für ihre Sünden büßt, ist Gott gütig und wird ihr verzeihen. Fredigundis entrüstet sich. Alles was sie liebt soll sie aufgeben? Verlassen den Glanz, die Macht, den Ruhm und den Gemahl? Ist der Priester sich eigentlich im Klaren, was er von ihr verlangt? Gott fordert es, ist seine lakonische Antwort, denn ein Priester kennt Gottes Willen ganz genau. Welche Garantien kann er geben, dass ihr Kind tatsächlich gerettet wird. Praetextatus gelobt, dass der Herr voll Erbarmen ist.

Fredigundis denkt nicht an einen Verzicht und unterstellt dem Priester insgeheim Verschlagenheit, eine Kunst, in der sie Meisterin ist. Er soll seinen Einfluss geltend machen, aber belohnen wird sie ihn auf ihre Weise. Schlau ist der Priester, aber nicht so schlau wie Fredigundis. Ein Tränklein wird sie ihm bereiten, welches ihm auf schnellsten Wege zur ewigen Seligkeit verhelfen wird. Fredigundis entfernt sich und gibt sich den Anschein, als ob sie nach ihrem Kind schauen will. Sie füllt einen Kelch mit Wein und gibt den Inhalt eines Fläschchens hinzu. Dann stellt sie das Gefäß mit dem vergifteten Inhalt auf den Tisch.

23
In diesem Moment betritt Chilperich das Gemach. „Ei, ei, der Herr Bischof! Ein seltener Gast. So kommt also die Kirche zum König! Was bringt er, Krieg oder Frieden?“ Selbstverständlich bringt ein Mann der Kirche den Frieden, weil es seine Aufgabe ist, für den Erhalt des Friedens zu beten. So ist es recht. Freudig nimmt der König seine Hand. Was sie entzweit, das sei verbannt; das beste sei es für das Land, wenn Krone und Mitra sich nicht feindlich messen. Fredigundis, wo bleibt das Essen? Die Dame des Hauses stellt den Giftbecher vor Praetextatus. „Willkommen Gast. Wohl bekomm' es dir.“ Chilperich ist beleidigt. Ihm gönnt sie keinen Trunk? „Den goldenen Becher füll' ich dir sogleich“ Fredigundis eilt fort, um das Getränk zu holen und wirft einen zärtlichen Blick auf den Gemahl.

Rulla tritt ein, die Königin soll schnell kommen, dem Kind gehe es nicht wohl. Der Himmel soll sich erbarmen. Aufgeregt will Chilperich seinem Weib folgen, doch Praetextatus hält ihn am Ärmel zurück. Der König habe nichts zu fürchten, der Bischof habe für sein Kind gebetet und wenn Fredigundis Gott gehorche, wird sein Gebet Erhörung finden. Welchen Unsinn redet der Bischof? Wie soll er die Bemerkung verstehen, die Königin würde Gott gehorchen? Nun, in der nächsten Stunde wird die Königin ihn verlassen! „Ist der Pfaffe toll geworden?“ Sündig sei sein Thron durch sie. Er soll sich von ihr befreien und die Liebe zu ihr aus seinem Herzen reißen. Sie beabsichtigt den Bußweg zu beschreiten und er solle sie frei geben. Bei dem Leben ihres Kindes habe Fredigundis geschworen, seinem Rat zu folgen. Chilperich wird zornig. Der Bischof soll kein Tor sein und nicht wieder Streit mit ihm anfangen. So wie er nun den Becher ausleert und kein Tropfen übrigbleibt, wird der Bischof ihm keinen Tropfen von Fredigundis Liebe rauben. Um seine Schäfchen soll er sich kümmern, hier sei seine Macht zu Ende, hier herrsche er! Praetextatus verneigt sich und will sich verabschieden. In diesem Moment kommt Fredigundis zurück, der Vater soll sich freuen, das Fieber sei im Schwinden. Zum Abschied mahnt Praetextatus die Königin, dass sie nicht vergessen soll, was sie ihm geschworen habe. „Nein, Bischof, nein! Gott sei mit ihm in Ewigkeit“ quittiert die Königin höhnisch.

24
Chilperich verlangt Aufklärung, welche Bewandtnis es mit Schwur und Buße habe. Für sein Gebet habe der Gottesmann einen närrischen Preis verlangt, sie solle dem Königtum und seiner Liebe entsagen. Aber sie habe für den Unverschämten lieb gesorgt - sobald wird er nicht wiederkommen! Unerhörte Anmaßung, sein Schätzchen sollte ihn verlassen, Rotlieb gehört ihm ganz allein, ganz allein! Ihm wird plötzlich so eigen wie noch nie. Traumhaft wunderbar durchrauscht es ihn. Ihr Haar duftet so süß wie Frühlingsblüten. Was ist nur mit ihm? Hat er zuviel vom Wein getrunken? „Von welchem Wein?“ Sie soll ihm noch einen Becher davon geben. Der Wein sei allzu süffig. Der König sieht rote Wolken auf sich zukommen. Wie große rote Vögel gleiten sie vorbei. Galswintha erscheint als weiße Taube und heißt ihn willkommen. Fredigundis stellt fest, dass der König seinen Becher nicht angerührt hat und begreift, was passiert ist. In diesem unpassenden Augenblick kommt der taktlose Rulla hereingestürmt und platzt mit der Information heraus, das Kind sei gestorben. Der König lässt sich auf das Ruhebett fallen und stirbt auch. Hinter der Bühne ertönt Drakolens Grabgesang:

„Rotblond ist die Königin!
Sie war eine Bettlerin,
Jetzt lebt sie in Glanz und Licht,
für ihn gibt es diesen Luxus nicht!“

LETZTE SZENE

25
In der Krypta der Merowinger in der Kathedrale von Rouen hat man Chilperich zur letzten Ruhe gebettet. Der Sarkophag ist geöffnet, die Marmorplatte wird durch eine Eisenstange gestützt, damit sie nicht herunterfällt. Fredigundis hat diese Maßnahme angeordnet, denn sie will sich von ihrem lieben Gemahl erst trennen, wenn die natürlichen Umstände es zwingend erfordern. Auch der Bevölkerung soll die Gelegenheit erhalten bleiben, von dem geliebten Herrscher ausgiebig Abschied zu nehmen.

Drakolen tastet sich die Stufen zur Krypta hinunter. Zum letzten Mal kommt er zu seinem König, um ihm als sein treuester Diener einen letzten Gruß zu bieten und ehe er als blinder Bettler von dannen ziehen wird. Er sieht ihn als Opfer der roten Hexe, die ihm die Sinne verwirrt hat. Es schmerzt ihn, dass der König an seiner Ergebenheit zweifeln musste. Nun ist er geblendet und geächtet! Auch sein Sohn, den er verflucht, ist ein Opfer ihrer Höllenkünste. Der Alte hört Schritte und versteckt sich. Niemand soll ihn hier finden.

26
Zu später Stunde hat Fredigundis sich aufgemacht, um dem Gemahl nahe zu sein. Dem Glauben der Urväter ist sie treu geblieben und hat ihre Zauberkünste nicht verlernt. Allgemein ist man der Ansicht, dass es aus dem Totenreich kein Auferstehen gibt, doch Fredigundis kann das nicht bestätigen. Sie kennt die Zaubersprüche, die Tote wieder zum Leben erweckt.

„Chilperich!
Fredigundis ruft,
Dich zu erwecken aus Todes Schlaf!
Ich sehne mich nach deines Mundes Glut,
Nach deiner Stimme, deinem warmen Blut,
Nach deiner Hände sanftem Kosen.
Einsam bin ich, ganz allein,
Umringt von Feinden!
Chilperich!
Dein kühner Geist, dein tapferes Schwert
Wird über meine Feinde triumphieren!
Ich wecke Dich! Ich will! Ich muss!“

27
Drakolen, der ewige Störenfried, macht sich bemerkbar und höhnt, der Tod habe kein Erbarmen und werde den König nicht herausgeben. Tot wie seine Augen sei König Chilperich. Sehen kann er die rotblonde Königin nicht mehr, doch ihr angstzerfurchtes Herzchen hört er flattern, verfolgt wird es von tausend blutigen Schatten. Der Entsetzliche soll verschwinden, er störe die Zeremonie. Verflucht soll sie sein in Ewigkeit! Es ist die Macht der Gefühle, die den Alten auf Trab hält. Doch Fredigundis ruft nun die Geister der Tiefe und der Höhe und erkundigt sich bei ihnen, ob man sie hören kann. Nun wird es ungemütlich und der Alte zieht es vor, zunächst einmal zu verschwinden. Damit der Opernbesucher sich in der Totenbeschwörung selbst ein wenig üben kann, sei der Wortlaut festgehalten. Man spreche den Text mit erhobenen Händen:

„Geist, der du unsichtbar überall bist,
Blut das unsichtbar überall fließt,
Blut und Geist, eingeschweißt, kehret nach Haus.
Stimme, die untönend überall tönt,
Fühlen, das fühllos im Ewigen brennt,
Stimme und Fühlen, kehrt in die Hüllen,
Kehret nach Haus, kehret nach Haus.“

28
Fredigundis hat eine Sturmlaterne dabei, die sie nun entzündet. Eine Urne mit Opfergaben ist unumgänglich, denn in der Hölle ist es nicht anders als auf Erden – Dienstleistung will entlohnt sein. Die alten Götter sollen sich die Opfergaben anschauen und ihre Zufriedenheit bekunden. Gold, Edelsteine und duftende Kräuter vom heiligen Hain, sowie Myrrhe und Moschus von jungen Moschusochsen hat sie dabei. Die mächtige Zauberin stellt die Urne am Fuße des Sarkophags nieder. Den Inhalt entzündet sie und verschiedenartig gefärbte Flammen schlagen empor. Man kann davon ausgehen, dass das Opfer angenommen wurde. Mit feierlichen Tanzschritten umkreist die Verzückte den Sarkophag. Da nichts passiert und die Unterwelt sich nicht räuspert, wird Fredigundis nun energisch:

„Erwache Chilperich! Rotliebchen ruft! O ihr Götter, gebt mir wieder meinen König, nehmt mein Opfer gnädig an.“ Sie hat geopfert und möchte nun endlich ein Zeichen bekommen. Die Tanzschritte werden schneller und die Bewegungen heftiger. Warum meldet der König sich nicht? Ist er nicht reisefertig? „Mein König, bist du noch nicht wach? Mein Tanzen versäumtest du nie! Rotliebchen ruft, Rotliebchen tanzt! Geliebter komm, o komm zu mir!“ Ihren leidenschaftlichen Tanz bricht sie plötzlich ab. Treiben die Götter etwa ihren Spott mit ihr? Wollen die Boshaften sie nicht zur Kenntnis nehmen und verschmähen ihr Opfer? O nein, sie sollen ihr inbrünstiges Flehen erhören und ihr ein Zeichen ihrer Huld geben. Ihr Tanz wird immer rasanter und die innere Anspannung immer größer: „Chilperich, mein Gemahl! O höre - Rotliebchen ruft! O komm zu mir! Geliebter komm! Zu mir! Zu mir! Mit ausgebreiteten Armen stürzt sie auf den Sarg zu, als wolle sie den Leichnam umarmen. Die Marmorplatte des Sarkophags fällt mit Getöse zu und klemmt der Wahnsinnigen die Haare ein. Das Licht geht aus und es wird schon allein deshalb dunkel, damit es dem Regisseur erspart bleibt, den Ablauf des Unfalls im Detail zu inszenieren. Fredigundis schreit „Aha, das Zeichen!“

29
Was treibt die Teufelin da? Drakolen hat den Krach gehört und findet dafür seine eigene Deutung. Die Höllenpforte tat sich auf, verschlang den rothaarigen Satan und fiel dann donnernd wieder zu! Der Alte tastet sich nach oben und erzählt den Leuten, dass die Königin unter spektakulären Umständen aus dem Leben geschieden sei. Lob und Preis sei dem Herrn, das Scheusal ist nicht mehr. Ganz tot ist Fredigundis allerdings noch nicht. Ihre schwache Stimme lässt sich vernehmen. Das Zeichen hat sie begriffen. Nimmermehr kommt der Geliebte zurück. Nur auf ihre roten Haare wollte er nicht verzichten. Er nahm sie zu sich in den Sarg. Ach, könnte sie doch zu ihm!

30
Die Oper ist immer noch nicht zu Ende. Der blinde Drakolen verkündet in allen Straßen, was er in den unterirdischen Gewölben der Kathedrale erlebt hat. Dem Bischof kommt es zu Ohren und Praetextatus entschließt sich, mit seinem Gefolge der Krypta einen Besuch abzustatten. Alle sehen die eingeklemmte Königin. Man befreit sie aus ihrer unbequemen Lage. Das Grauen bleichte ihr das Haar. Nun hat die rote Teufelin die Gestalt eines Engels. Wird sie den Himmel täuschen können? Die Bußfertige steht unter Schockeinwirkung, stammelt noch ein paar Sätze und gibt den Geist auf.


Letzte Änderung am 17.7.2008
Beitrag von Engelbert Hellen