Entstehungszeit: | 1914-18 |
Uraufführung: | 1. Juni 1923 an der Pariser Opéra |
Opus: | op. 18 |
Art: | Opéra-ballet in zwei Akten |
Libretto: | Louis Laloy nach indischer Dichtung und Tradition |
Sprache: | französisch |
Ort: | Indien |
Zeit: | etwa 14. Jahrhundert |
Ratan-Sen: | König von Tchitor |
Padmâvatî: | seine Gemahlin |
Nakamiti: | beider Tochter |
Badal: | beider Sohn |
Alaouddin: | Mogulkaiser von Delhi |
Brahmane: | sein Vertrauter |
Gora: | Palastvorsteher |
Über den Besuch aus Dehli ist man nicht erfreut. Die Abordnung des Mogul-Kaisers hat bereits das dritte Tor der Festung Tchitor erreicht und die aufgeschreckte Menge ist sich nicht schlüssig, ob die Fremden in wohlwollender Absicht nahen. Aber zurzeit seien es Freunde, so erklärt der Sprecher des königlichen Palastes.
Gora richtet beschwichtigende Worte an die Menge. Krieger, Kunsthandwerker, Kaufleute und auch die Brahmanen sollen zuhören, was er erklärt: Ohne Krieger und ohne Drohung ist der vormalige Feind in Tchitor angekommen. Die Herrscher haben einen Eid geschworen: Der Bruder besucht den Bruder! Unser König ist der Beschützer unserer Wohnstätte und würde jede Feindseligkeit rachsüchtig verfolgen. Wir müssen uns den Besuchern mit ausgestreckten Armen und fröhlichen Herzens nähern, so wie eine Gattin sich verhält, wenn ihr Gemahl heimkommt. Aber die Mogulherrscher haben unser Volk verflucht und verhöhnen unsere Götter. Ihren Sohn haben sie getötet, erregt sich eine Frau. Nun wird das Volk angehalten, sich erfreut zu zeigen. Welcher Meinungsumschwung! Der Herold verkündet, dass der Sultan bereits das vierte Tor erreicht hat. Macht Platz für Prinz Badal, der den Sultan begrüßen wird. Er steigt vom Pferd, sein Gesicht ist ernst.
Gora will wissen, was Badal den Ankömmlingen sagen wird: Er wird unverbindlich bleiben und schmeichelhafte Worte an sie richten, solange er die Absichten der fremden Besucher nicht erkennt und die Grenzen des Plans nicht ausmachen kann. Seine Erkundungen haben ergeben, dass wider Erwarten und gegen die Absprache der Sultan in militärischer Begleitung ist. Er konnte sehen, wie die Wappenschilde in der Sonne glänzten. Oh Verrat! Kriegselefanten sind durch den Fluss geschwommen. Das Gewässer war völlig schwarz.
Man hört die Trommeln dröhnen. Der Sultan hat das fünfte Tor erreicht. Ist der Teppich schon ausgerollt? Blumen für Ganescha. Rosen des Glücks, Lilien des Friedens und der Jasmin der Weisheit sollen die Göttin erfreuen. Möge alles gut ausgehen!
Die beiden Herrscher tauschen sich aus: Souverän eines aufstrebenden Volkes! Möge sein Herz immer erfrischt sein von dem Frühling eines erkennbaren Friedens, wünscht Alaouddin. - Glanzvolle Siege sollen das Gesicht des Herrschers von Dehli für immer illuminieren, reagiert der Gastgeber. - Das strahlende Weiß seiner Stadt zu schauen lockte ihn von weit her; entfernter als der Mond am Horizont ist der Ort, von dem er aufbrach. – Ratan-Sen denkt, dass er den Lärm der Schlacht aus seinen Worten heraushört. – Wenn seine Worte seine Gedanken übersetzen könnten, sie wären süßer als der Gesang einer Nachtigall.
Der Herrscher von Tchitor hat eine gute Idee. Er holt einen heiligen Becher hervor, der von den Göttern mit dem Zweck gesegnet wurde, dass Vorteil und Glück ihn begleiten sollen. Das Blut der beiden soll er vereinigen. Während des Rituals soll keiner zuschauen, schlägt Gora vor. Alaouddin hat einen Brahmanen an seiner Seite, es ist sein Berater. Dieser wird seine Gebete denen des Königs von Tchitor hinzufügen.
Aber weshalb so eilig? Man lasse ihn doch die Schönheit dieses Ortes erst einmal genießen. - Was will er sehen? Die Blumen in seinen Gartenanlagen oder die Wasserspiele? Oder vielleicht die Räume seines Palastes, in denen er der Ruhe pflegt? Die Wälder in der Umgebung des Palastes spenden unendlichen Schatten. - Die Schönheit der Steine und die Strukturen der Bauwerke haben es ihm besonders angetan. - Würde die Information über Geschwindigkeit und die Stärke seiner Krieger seine Erwartungen vervollständigen? – Der Gesprächspartner übertrifft sich selbst! Nun folgt der
TANZ DER KRIEGER
Welcher Feind würde nicht erzittern, wenn man sieht, wie die Krieger springen, als ob sie wilde Tiger seien. Doch ein Freund ist bei ihm zu Besuch, und dieser wünscht sich ein etwas freundlicheres Spektakel. - Andere Tänze werden seinen Wünschen gerecht werden. Der
TANZ DER SKLAVENMÄDCHEN
formiert sich. Hierzu soll Ratan-Sen sich in Gedanken vorstellen, dass pinkfarbene Blätter sich im Winde drehen. Aber er sieht nur Sklavinnen eines fremden Landes. – Den Frauen der eigenen Rasse ist es verboten, sich zu präsentieren. – Gewiss, weil er denkt, er sei ein Ungläubiger, aber dieser Brahmane kann das Gegenteil bezeugen. – Sein Herr Alaouddin, der Herrscher der Moguln, hat sich seiner Führung anvertraut und verehrt unsere Götter. – Er hat nichts gewusst von solche einer Tapferkeit, kombiniert mit solcher Weitsicht. Es folgt der
TANZ DER PALASTFRAUEN.
Alaouddins Herz füllt sich mit Freude. Ihre Körper ähneln goldenen Lianen, die Augen unter den Schatten ihrer Brauen glühen wie Lampen und ihre wohlgeformten Füße rutschen wie Schlangen. Der Tanz geht zu Ende und die Palastdamen entfernen sich in einer Prozession. Die Namen der Schönen kann Alaouddin erraten: Der Jasmin-Strauch stand bei der einen Pate, die nächste ähnelt einer glitzernden Perle eine weitere hat die Eigenschaften der ruhigen Wasserlilie. Die Beschreibung himmlischer Schönheit trifft allerdings nur auf Padma zu. Wo ist sie? Er hat sie nicht gesehen. – Was meint er? Ratan-Sen ist sichtlich verlegen.
Gold kann man tief in einer Truhe verstecken; das Funkeln eines Diamanten kann unterirdische Gewölbe nicht durchbohren, aber es gibt manche Schätze, die immerwährend Licht ausstrahlen, ohne dass die Dunkelheit sie daran hindert. – Padmâvatî, die singhalesische Prinzessin, ist sein liebevolles Weib.
Ist ihre Schönheit es nicht wert vorgestellt zu werden? Hat sein Diener ihn etwa angeschwindelt? - Das Gesicht des Brahmanen bekommt einen leidenschaftlichen Ausdruck, als ob er sich in Trance befände. Er erklärt, dass Padmâvatî die lebende Inkarnation des himmlischen Lotos sei. Sie strömt ein Parfüm aus, dass man denken könnte, ein unsichtbarer Schwarm von Honigbienen schwirre um sie herum. Ihr Körper ist fließendes Licht. Ihr Liebreiz hat die Sanftmut einer Seebriese, in der die Erde badet. Ihre Augen sind schön wie die Sterne des unendlichen Himmels. Wie ein Schwan auf dem unbeweglichen Wasser des Sees gleitet sie dahin. Blumen werden geboren, sobald sie lächelt. Padmâvatî belebte den Traum, als der Schöpfer der Welt erwachte.
Auf ein Zeichen von Ratan-Sen erscheint Padmâvatî auf einem Balkon. Nakmti, ihre Tochter, verlässt eine Gruppe von Mädchen und schaltet sich in den Lobpreis ein. Über die dunkle Erde dominieren Frühlingsträume und Padmâvatî steigt zum Himmel auf, um die Nacht zu verbannen. Die Blumen öffnen ihre Kelche, ihretwegen verstärken die Vögel ihren Gesang. Shiva ist ihr wohlgesonnen, Lakshmi bewahrt ihre Schönheit. Mögen die Götter sie, die Tochter der Singhalesen, beschützen.
Alaouddin möchte, dass Padmâvati den Schleier vom Gesicht nimmt. Ratan-Sen gibt ihr ein Zeichen, und die Bewunderte räumt das Textil beiseite. Alaouddin ist dermaßen aufgewühlt, dass er denkt, er muss vor Wonne sterben.
Was ist nun mit der Allianz der Blutsbrüderschaft? Solche Dinge kann man vergessen, wenn das Herz in Aufruhr ist. Ratan-Sen fragt, ob sein Bruder sonst noch irgendwelche Wünsche habe, die er ihm erfüllen könne. - Im Moment fühlt er nur Glück und Dankbarkeit und muss das Geschaute erst einmal verarbeiten. Morgen wird er als Herr seiner selbst mit Gefolge zurückkommen und Geschenke mitbringen, die seiner königlichen Majestät würdig sind.
Der Brahmane kommt zurück und wird an der untersten Stufe der Palasttreppe von einem Krieger angehalten, der ihn wiedererkennt. Andere werden aufmerksam. War das nicht der Nichtswürdige, der einst mit Schande aus dem Tempel und aus der Stadt gejagt wurde? Die Wache hatte ihn in unmittelbarer unter einem Fenster des Palastes der königlichen Gemahlin festgenommen. Der Angesprochene enteilt, ohne eine Antwort zu geben.
Prinz Badal wird die Sache gemeldet. Dieser reitet mit Ratan-Sen hinterher und kann den Flüchtigen noch am äußeren Tor der Festung stellen. Was will er in ihrer Stadt? Nun wird der Brahmane gesprächig. Er habe eine Botschaft, und er wäre gewiss nicht zurückgeblieben, wenn er hierzu von seinem Herrn den Befehl nicht bekommen hätte. Die Sache sei geheim! Der Prinz zieht den Dolch, entweder er soll reden oder sterben. Der Brahmane betont, dass er zum Gefolge des Sultans gehöre, der aber inzwischen die Stadt verlassen habe. Nun hat der Herrscher von Dehli Folgendes zu sagen: Um seine Freundschaft mit dem Herrscher von Tchitor zu bekräftigen, bittet sein Herr um ein einzigartiges Kleinod. Das lebende Juwel ist das Bild der himmlischen Lotusblume. Wenn man ihm das Geschenk verweigert, wird er kommen und es sich holen. Seine Armee ist nicht weit entfernt und umschwirrt das Gebiet wie das tobende Meer. Ratan-Sen befiehlt, dass man seine Rüstung bereitlegen soll. Die Hörner sollen zur Schlacht rufen. Seinem Herrn soll er berichten, dass man ihn dem Galgen überantwortet hätte, wäre er kein Gottgeweihter.
Bringt der Brahmane den Krieg? Dieser gerät schon wieder in Ekstase und fleht zu Shiva, dem Zerstörer, den Tod über seine Feinde zu bringen. Seine Vision stellt sich vor, dass die Krieger seines Herrschers die Menschen von Tchitor massakrieren. Die Kinder werden vor Angst wimmern und die Frauen winden sich in Schmerzen. Von der Stadt, welche im Gold der Abendsonne schimmert, werden nur rauchende Ruinen bleiben. Die Königin-Witwe, die wie eine Lotosblume ausschaut, wird den Scheiterhaufen besteigen. Von ihrer Schönheit wird nur Asche übrigbleiben. - Der Brahmane hat die Königin beleidigt. Nieder mit ihm. Von der Menge wird der Aufrührer zu Tode getrampelt.
Es ist zu spät. In Padmâvatî erwacht das schlechte Gewissen. Sie konnte es nicht verhindern, sich unverschleiert vor der Menge zeigen zu müssen. Die Götter hören nicht mehr auf ihr Flehen und verzeihen das Vergehen nicht. Der Platz ist verwüstet und sieht aus wie ein Ufer, über welches plötzlich eine verheerende Woge geschwappt ist. Männer fühlten die harte Kante des Schwertes, und die Frauen wehklagen in ihren Wohnungen. Die Mörder sind gekommen, wie ein wütender Sturm sind sie hereingebrochen.
Ihr Leben wird sie für ihren Gebieter geben, denn sein Wunsch war ihr Befehl. Die Götter sollen sie nicht von ihm trennen. Lieber wünscht sie sich den Tod. Zu leben oder zu sterben neben ihrem Gebieter ist für sie die gleiche Glückseligkeit.
Das Innere des Shiva-Tempels ist ein Ort der Dunkelheit und des Grauens. Von Fackeln spärlich beleuchtet, ragt die massive Statue der Gottheit furchterregend aus dem Dunkel. Schutzsuchend hat Padmâvatî sich im Tempel eingefunden und lauscht den Gesängen der Priester, die aus den Tiefen der unterirdischen Gewölbe nach oben dringen. Sie versteckt sich hinter einem Pfeiler und harrt der Bramahnen, die in einer Prozession nach oben kommen. Das Wehgeschrei des Schlachtgetümmels dringt bis in die Tiefen des Tempels. Sie hat gesehen, wie das Kriegsglück sich zu Gunsten des Gegners gewendet hat. Zu Füßen der Statue haben die Priester einen Scheiterhaufen errichtet und flehen, dass Shiva das Feuer entzünden möge. Sie umkreisen den Opferstein und huldigen dem Furchtbaren, welche die Lebenden jagt und dem Tode zuführt. Der Oberpriester hat auch die Töchter Shivas konsultiert, die schwarzen wie die weißen. Alle verlangen nach einem Opfer. Wenn Padmâvatî das Opfer sein soll, ist sie zum Sterben bereit. Einen Dolch hat sie dabei.
Schwerverletzt hat Ratan-Sen den Tempel erreicht. Der letzte Wall wurde vom Feind erstürmt. Die Gebete Padmâvatîs waren vergebens. Ein Waffenstillstand wurde verweigert. Der Sultan von Dehli hat angeordnet, dass man an der ganzen Stadt Rache nehmen wird, weil man ihm seinen sehnlichsten Wunsch verweigert hat.
Nun ist der Moment gekommen, wo beide die Erde verlassen werden. Sie schaut ihn liebevoll an. Wie schön ist es, seine Stimme zu hören. Die Stadt wird untergehen. Es ist nicht seine Schuld. Er hat sein Bestes gegeben. Shiva hat den Untergang beschlossen. Padmâvatî rät, er solle in die Schlacht zurückkehren, um einen glorreichen Tod zu suchen. Er fürchtet das Ende nicht. Sie schwört, dass sie den Scheiterhaufen besteigen wird, sobald er die Erde verlassen haben wird.
Nein, Sie soll leben und den Lebenden zur Hilfe eilen. An die Frauen soll sie denken, die nicht mehr von ihren Männern beschützt werden und an die Mädchen, deren Hochzeitsgesänge der Verzweiflung gewichen sind. – Keinen Schutz kann sie ihnen bieten. Seine Seele soll im Jenseits nicht brennen, deshalb wird sie ihm in den Tod folgen, sei es durch das Eisen oder durch das Feuer. Ratan-Sen ist seinen Verletzungen erlegen und stirbt.
Padmâvatî ermahnt ihre Dienerinnen, nicht zu weinen. Es ist nichts, was sie in dieser Welt noch hält. In ihrer letzten Stunde wird sie ohne Furcht in Kalis erloschene Augen blicken. Paarweise kommen die Frauen und reichen ihr den ehelichen Kamm, ihre Halskette und ihren Schleier; jedes Wertstück hat eine symbolische Bedeutung. Die Sonne ist in ihrem Herzen ist untergegangen. Alleingelassen in der Nacht wird sie den entfernten Stimmen der Sterne lauschen. Ihre Seele verlässt sie.
PANTOMIME
Gemäß uraltem Brauch wird der tote Körper Ratam-Sens auf einen Scheiterhaufen gelegt. Das Verbrennen des Leichnams wird durch technische Tricks simuliert. Nachdem der weiße Rauch sich verzogen hat, erscheinen vier Tänzer - gekleidet wie Fledermäuse - die sich symbolisch des toten Herrschers bemächtigen wollen. Die Priester bedecken den Leichnam mit Tüchern und tragen ihn zur Seite. Die Frauen wenden ihr Gesicht ab. In einer aufwendigen
TRAUERZEREMONIE
- tänzerisch von Kali und Durga bestritten - wird der Tote mit Blumengirlanden geschmückt. Padmâvati wird für ihren letzten Gang, den sie freiwillig antritt, ebenfalls hergerichtet. Unter dem Gesang der Priester wird die Königin-Witwe feierlich in die unterirdischen Gewölbe geführt, wo man zur Verbrennung alles vorbereitet hat. Inzwischen hat Alaouddin den Tempel gestürmt, um sein „Juwel“ in Empfang zu nehmen. Rote Glut aus der Krypta spiegelt sich an den Wänden und Pfeilern des Heiligtums und signalisiert dem Eindringling, dass er zu spät gekommen ist.
Die Bezeichnung 'Ballettoper' trifft nur insoweit zu, als die textmäßig ein wenig kurz geratene Oper durch umfangreiche Instrumentaleinlagen zeitlich gestreckt wird. Es verhält sich nicht so, dass Sänger hinter der Bühne die Balletttänzer vokal vertreten. Gelegenheit zum Tanz wird im ersten Akt dreimal geboten. Die Trauerzeremonie, pantomimisch dargestellt, nimmt im zweiten Akt großen Raum ein.
Die französischen Komponisten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten eine Vorliebe für die kulturelle Tradition Indiens. Ihr widmeten sich neben Roussel auch Bizet in den „Perlenfischern“, Delibes in „Lakmé“ und Massenet im „König von Lahore“. Musikalisch verbleibt Roussel in der Tradition des Abendlandes, bedient sich der Klangpalette des Impressionismus und verzichtet darauf, exotische Instrumente zu imitieren.
Letzte Änderung am 26.3.2006
Beitrag von Engelbert Hellen