Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow (1844-1908):
Die Zarenbraut / The Tsar's Bride / La Fiancée du tsar
Entstehungszeit: | 1898 |
Uraufführung: | 3. November 1899 in Moskau (Solodownikow-Theater) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Erstdruck: | Leipzig: M. P. Belaieff, 1899 |
Bemerkung: | Iwan IV., der Schreckliche, übte eine magische Faszination auf viele russische Komponisten aus. Es gibt eine ganze Reihe Bühnenwerke, die sich mit seiner Person auseinandersetzen. Entweder tritt er selbst auf oder er nimmt passiv am Handlungsgeschehen teil. In der Schauergeschichte der Oper, die Rimski-Korsakow unter dem Titel „Die Zarenbraut“ vertonte, spielt seine dritte Gemahlin Marfa Wassilewna Ssobakina, die zwei Wochen nach der Eheschließung vermutlich durch einen Giftanschlag aus dem Leben schied, die Hauptrolle. Am Bolschoi-Theater in Moskau ging die Erstaufführung am 2. Februar 1916 über die Bühne. In jüngster Vergangenheit haben alle bedeutenden russischen Primadonnen entweder die Ljuba oder die Marfa gesungen, allen voran die Damen Archipova, Obraztsowa, Wischnewskaja oder Sinjawskaja. |
Art: | Oper in vier Akten |
Libretto: | J. F. Tjumenew nach dem Drama von L. Mey |
Sprache: | russisch |
Ort: | Russland |
Zeit: | zur Zeit Iwan des Schrecklichen |
Grigorij Grigorjewitsch Grjäsnoy: | Opritschnik, verliebt in Marfa |
Grigorij Lukjanowitsch Maljuta Skuratow: | sein Kumpan seit alter Zeit |
Ljuba / Ljubascha: | Grjäsnoys eifersüchtige Konkubine |
Iwan Sergejewitsch Lykow: | ein Bojar, Grjäsnoys Rivale um die Gunst Marfas |
Jelissej Bomelius: | Leibwächter des Zaren, Giftmischer |
Wassilij Stepanowitsch Ssobakin: | Kaufmann aus Nowgorod |
Domna Iwanowna Ssaburowa: | seine Frau |
Marfa: | seine schöne Tochter, von Grigorij begehrt, Iwan Lykow versprochen, vom Zaren erwählt |
Dunja: | ihre Freundin |
Petrowna: | Wirtschafterin im Hause Ssobakins |
DAS GASTMAHL
Erste Szene
Marfa sollte in allen Ehren seine Frau werden. Nicht Abenteuerlust, sondern Liebe war der Beweggrund, das schöne Mädchen für immer an sich zu binden. Formell hat er um ihre Hand angehalten, doch nun gibt ihm der Kaufmann eine Absage. Iwan, des Lykows Sohn, der kürzlich aus der Fremde zurückgekehrt ist, wird die schöne Tochter zum Altar führen, der Vater dankt für die erwiesene Ehre und bittet um Verständnis.
Könnte Grigorij doch die Schöne aus seinem Herzen verbannen, wäre das Leben für ihn geruhsamer. Inzwischen ist der ehemalige Leibwächter in die Jahre gekommen und fragt sich, wohin der Übermut der Jugend entschwunden ist. Ein völlig anderer ist er geworden! Das einst so stolze Haupt geht jetzt gebeugt. Wenn in früheren Zeiten ein Mädchen nach seinem Herzen war, brach er die Tür zu ihrer Kammer auf, hob sie in den Schlitten und mit Hallo ging es in die weiße Winternacht. Oder er entführte die Stolze auf flinkem Ross, um sich an ihrer Mädchenschönheit zu erfreuen und sein heißes Blut an unentweihten Reizen zu kühlen. Gewalt ist jetzt nicht mehr am Platze, aber nie soll es geschehen, dass Lykow das Objekt seiner Liebe zum Eheweib bekommen wird. Wo bleibt Bomelius? Von Nutzen soll der Verschlagenen ihm sein!
Zweite Szene
Es kann sich durchaus als praktisch erweisen, auch solche Leute zum Gastmahl zu laden, die man am liebsten zum Teufel wünscht. Man gibt ihnen süßen Met zu trinken und kann sie aushorchen. Maljuta, ein alter Freund und gegenwärtiger Anführer der Opritschniki, ist ein guter Unterhalter, steht auf seiner Seite und ist immer willkommen. Im Laufe der Jahre haben sie gemeinsam manchen Becher geleert. Der Willkommensgruß an Bomelius, den Leibarzt des Zaren, ist aufrichtig gemeint, der an den Bojaren dagegen geheuchelt. In falscher Bescheidenheit bittet der Gastgeber die Anwesenden, das Aufgetischte mit Nachsicht zu bewerten. Die Gäste preisen seine Güte und schätzen seine Worte, der Rede Anmut sei süßer als Met und gesättigt seien sie bereits von seiner Güte. Des Gastgebers Tugend soll lauter gepriesen werden, als das schäumende Bier.
Maljuta richtet das Wort an Lykow. Was man im fernen Land so treibe, will er wissen, gewiss gibt es viel Wunderliches zu berichten. Die fernen Nachbarn sind nicht seltsam, sondern anders als die Russen. Die vornehmen Bürger gehen reich gekleidet und die Frauen werden im Haus nicht eingesperrt. Kostbar sei ihr Schmuck und gediegen der Hausrat. Bunte Glasscheiben schmücken die Fenster und an den Wänden hängen Gobelins. Die Handwerker sind geschickt und überall herrscht musterhafte Ordnung. Mit Lust und Fleiß ist man bei der Arbeit. Dem Zaren, der wie ein Vater Sorge trägt, ist zu danken, dass Gelegenheit geboten wird, etwas Gutes von den Deutschen zu lernen. Iwan Lykow erwähnt noch, dass es in Deutschland große Städte gibt und die Häuser aus Stein gebaut sind. Starke Fröste seien unbekannt. Im Süden seien die Berge hoch, die Lüneburger Heide dagegen liege flach am Boden. Herrlich sei der Lenz und reichliche Ernte beschere der Herbst.
Dritte Szene
Die erschöpfende Auskunft hat die Gäste angenehm unterhalten. Jetzt sollen die Sänger hereingelassen werden, um den Zar zu preisen. Die Dirnen sollen noch warten. Preis und Ehre sei dem Zaren, seine Rosse mögen nie straucheln und die bunten Gewänder nie bleichen. Es folgt das Lied vom Hopfen, aus dem der süße Met gebraut wird. Das Ballett nutzt die Gelegenheit, sich wirkungsvoll in Position zu bringen.
Wieso ist Ljubascha nicht zum Fest erschienen? Maljuta argwöhnt, dass Grigorij sie eingesperrt hat. Wozu? Das Täubchen flattert nicht davon! Die Wirtschafterin soll sie holen, denn Bomelius möchte gern die Bekanntschaft des Mädchens machen. Maljuta bezeichnet die Kleine als sein Patenkind, hat seine Eroberung aber an Grigorij abtreten müssen. Der alte Opritschnik hat Ljuba in seinem Haushalt die Position einer Konkubine zugewiesen. Maljuta klärt die Gäste über Ljubas Reize auf. Das feine Mägdelein singt wie ein Vögelein, hat Brauen wie gemalt, die Augen blitzen und die Zöpfe reichen bis zur Erde. Aus Kaschmir hat er sie unter Einsatz seiner Hellebarde einst entführt.
Vierte Szene
Maljuta befiehlt Ljubascha, ein Liedchen zu singen, das ernst und rührend direkt zu Herzen geht. Die Bojaren bittet er, aufmerksam zuzuhören. Lustlos erfüllt das „Patenkind“ seinen Wunsch. Der Text ist recht trivial: Das liebste Mütterlein soll sich beeilen, das geliebte Töchterchen zum Hochzeitsgang zu schmücken. Ihrem Herzensfreund hat sie für immer entsagt. Eigentlich möchte sie sterben. Ihre Flechten soll die Mutter lösen und sie in den Sarg legen. Eine Kerze möge sie anzünden und die Hände um das Kreuz falten. Wenn der Greis hereintritt, mag er eine stille bleiche Braut bewundern. Die Gäste bedanken sich für das schöne Lied. Der Hausherr hebt die Tafel auf und bietet den Gästen zum Abschied noch ein Schälchen Wein.
Fünfte Szene
Bomelius soll bleiben, weil er mit ihm noch etwas besprechen möchte. Ljubascha ist misstrauisch und lauscht an der Tür und will wissen, was Grigorij von dem Deutschen will. Ein Zaubermittelchen erbittet er von ihm, damit sein Liebeswerben bei einer schönen Jungfrau von Erfolg gekrönt sein wird. Braut er ein Tränklein? Nein, ein Pülverchen wird es sein, welches unbeobachtet in den Wein zu schütten ist! Er muss es selbst verabreichen, sonst wird sie ihn nicht lieben. Doch Grigorij glaubt nicht, dass das traute Schwälblein den Flug in des Falken Nest riskieren wird. Bomelius empfiehlt ganz einfach auf die Wissenschaft zu vertrauen. Falls es funktioniert, wird der wohlmeinende Freund reichen Lohn bekommen. Ljuba hat es schon lange kommen sehen, dass ihr Glück in Trümmer gehen wird. Bang und beklommen pocht das Herz. Sie fühlt, dass der Herr sie nicht mehr liebt.
Sechste Szene
Ljuba sucht die Aussprache. Er soll ihr sagen, weshalb er böse auf sie ist. Was hat sie ihm getan, dass er ihr zürnt? Kein einziges Wörtchen redet er mit ihr. Sie macht ihm eine Eifersuchtsszene und spielt die Gekränkte. Lassen wir die Enttäuschte selbst zu Wort kommen: „Eins ist sicher, nichts mehr fühlst du für dein Mädchen. Dich bekümmert nimmer, ob es schläft oder wacht. Heiß von deinen Küssen glühen mir noch die Wangen, aber kalt und lieblos wendest du dich ab, kennst zu meiner Kammer nicht den Zugang mehr. Ist es wirklich so lange her, dass mein Schatz mich liebte, glühend küsste, zärtlich mit mir koste und mich nimmermehr allein ließ einen Tag? Nun erwarte ich ihn vergeblich in der Nacht und weine, klage bis zum Morgengrauen.“
Ihre Reden und ihre Tränen sind ihm lästig. Ist es etwa seine Schuld, dass er Marfa sah und ihre Schönheit ihn in Fesseln schlug? Herz und Sinn hat sie ihm verwirrt. Ihm fällt nichts ein, was er Ljuba zum Trost sagen könnte. Die Liebe gleicht der Sehne an dem Bogen. Wenn sie reißt, lässt sie sich nicht mehr verknüpfen. Tote Leidenschaft flammt nicht mehr auf.
Weiß der Geliebte nicht, dass nur sie allein die Voraussetzung bietet, ihn aus tiefstem Herzen zu lieben? Ihre Mädchenehre hat sie ihm geopfert, dazu Vaterhaus, Eltern, Sippe und Geschlecht. Ohne Tränen hat sie alles hingegeben für ihn allein. Und jetzt will er sie verlassen! Er soll sich erbarmen und ihre Seele retten.
Grigorij würdigt sie keines Blickes mehr und verlässt das Haus. Ljuba kann sich vorstellen, wohin er gehen, wen er mit den Augen verschlingen wird. Ein Zauberkraut hat er bei dem Deutschen bestellt und ihm Schätze versprochen. Es besteht kein Zweifel, behexen soll sie ihn. Doch die Hexe wird Ljuba schon noch finden und sie zwingen, den Zauberbann zu lösen.
DAS ZAUBERKRAUT
Erste Szene
Der Opernchor ist auf die Opritschniki nicht gut zu sprechen. Selbst nennen sie sich des Zaren Leibtrabanten. Raubtiere sind es in Wirklichkeit! Wem soll es diesmal gelten? Dem Unglücklichen kostet es den Kopf! In der Regel wird zunächst mit dem Fürsten besprochen, welche Aufgabe ansteht. Hoch zu Ross in Windeseile brechen sie auf. Sobald es dunkel wird, überfallen sie wie eine Schar von Falken den Wohnsitz ihres Opfers. Schonung oder Gnade wird weder erwartet noch geboten. Der Verräter muss vor die Klinge, die schon längst gewetzt ist. Auf zum heißen Kampf!
Diesen Deutschen am Zarenhof kann die öffentliche Meinung überhaupt nicht leiden. Ein Zauberer ist er, ein Freund des Bösen. Ist er überhaupt getauft? Der Himmel möge ihnen gnädig sein! Die Medizin, die ihr von ihm holt, solltet ihr lieber wegwerfen. Das Volk soll gut Obacht geben, dass es sich in den Schlingen des Bösen nicht verfängt. Am besten zu dem Deutschen erst gar nicht hingehen. So geht man der Gefahr, behext zu werden, von vornherein aus dem Weg. Falls es unvermeidlich ist, sollte man in jedem Fall ein Kreuz dabei haben.
Aber auch von angenehmen Dingen ist die Rede. Des Zaren Hochzeit steht an. Weiß jemand, wann die Brautschau anfängt? Viele Mädchen sind angereist. Nicht einzuschätzen ist ihre Zahl, schwer wird da die Wahl. Doch der Zar hat den scharfen Blick des Falken. Gewiss wird er die richtige herausfinden.
Zweite Szene
Man sitzt auf der Gartenbank im Hause des Kaufmanns Ssobakin. Dunja tut so, als ob die Liebe ihr nichts anhaben könnte, doch Marfa versichert ihrer Freundin, dass die Liebe eines Tages auch bei ihr zuschlagen werde. Sie schwärmt von ihrem Verlobten, den sie zärtlich Wanja nennt. Als sie noch in Nowgorod wohnten, lag das Anwesen seiner Eltern neben dem Haus ihres Vaters. Sie besaßen einen großen schattigen Garten, in dem die beiden Kinder den lieben langen Tag spielten. Sie pflückten viele bunte Blümelein und wanden sie zu Kränzelein. Sie atmeten frei aus voller Brust, und den neuen Tag zu erleben, war eine Lust. Die Verwandten ulkten, dass man schon jetzt erkennen könne, dass aus den Kindern eines Tages ein Paar würde. Doch dann starb der alte Lykow und der Onkel, Wojewode in Narwas, kümmerte sich um Iwan und nahm ihn in seinen Haushalt. Lange Zeit sahen sich die Heranwachsenden nicht mehr, hörten nicht einmal voneinander. Schließlich kam die Nachricht, dass der Zar ihn als Kundschafter in fremde Länder geschickt habe. Weh war ihr zumute und geweint hat sie! Doch dann, als sie im Frühling nach Moskau zogen, hat der liebe Gott den Wanja hergeführt. Hat er sich verändert, will Dunja noch wissen?
Dritte Szene
Marfa hatte eine Begegnung der außergewöhnlichen Art. Der Zar ist an ihr vorbei geritten, hat angehalten und sie angestarrt. Ach wie wird ihr, im Herzen stockt das Blut. Dunja fand seinen Blick finster. Alle seine Sünden fallen dem ein, der diesen Blick auffängt. Auf der Seele Marfas lastet er wie ein Stein. Allerdings hatte sie in dem Reiter den Zaren nicht erkannt. Doch angenehme Dinge lassen den Zwischenfall schnell vergessen. Lykow, der seinen Besuch angekündigt hatte, steht vor dem Pförtlein. „Gruß dir, Marfa Wassilijewna!“ Hatte der Bräutigam etwa die Braut vergessen? Den ganzen Tag hat sie gestern auf ihn gewartet. Der Vorwurf ist eher scherzhaft gemeint. In einem Quartett fließen nun die Stimmen ineinander und drücken aus, was jeder Einzelne der Anwesenden empfindet.
Marfa beginnt etwa folgendermaßen: Mein Iwan, mein Herzensfreund, du mein Leben und meine Welt! Wie sie ihn liebt und wie sie mit ihm kosen will. Kämmen will sie seiner Locken Pracht. In seine strahlenden Augen will sie sehen, um Glück darin zu lesen. Dunja kommentiert: Sah man je ein schöneres Paar? Wie ein Frühlingstag, Morgenrot inbegriffen, wirkt das holde Liebespaar auf sie. Von ganzer Seele wünscht sie ihm ein günstiges Geschick. Glück und Segen sollen reichlich fließen. Iwan Lykow kann den Hochzeitstag nicht erwarten. Käme doch geschwind der ersehnte Tag herbei. Einen Freudentanz wird er aufführen. Selig schlägt sein Herz in der Brust. Es kann sich nicht länger gedulden. Ssobakin hat mehr Geduld: Warte nur, mein herziges Töchterlein. Bald wird er dir für immer gehören. Zuerst werden die Ringe gewechselt und dann wird ein Nest gebaut. In ihm werden sie leben in Eintracht, Liebe und Frieden und ihre Jungen aufziehen. Aber wieso bittet Marfa den Gast nicht ins Haus? Das Essen ist fertig und der Wein wurde bereits in die Schälchen gegossen.
Vierte Szene
Ljuba hat die Spur gefunden. Hier also wohnt das Täubchen! Die gerühmte Schönheit will sie aus der Nähe betrachten und riskiert heimlich einen Blick durchs Fenster in die gute Stube. Ja, gar nicht übel. Die Haut ist weiß, die Bäckchen rot und erst die Augen – wie sie rollen. Das ist also Marfa. Man hatte ihr die Person ganz anders geschildert. Grigorij wird ihrer bald überdrüssig sein. Versehentlich hatte die Lauscherin Dunja ins Visier genommen. Nun gewahrt sie Marfa. Die mit den dunklen Augen und den dicken schwarzen Zöpfen ist es, die ihr das Glück gestohlen hat. Sie ist wirklich schön und eine ernste Gefahr, der man begegnen muss. Ihr wird Grigorij treu sein. Schonungslos muss sie sich die Rivalin vornehmen. Brennend heiß ist ihr Kopf. Wo steckt dieser Heide, den sie vor ihren Karren spannen will?
Der Bühnenbildner hat es eingerichtet, dass Bomelius in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt. Er ist überrascht, als Ljubascha an den Fensterrahmen klopft. Er soll geschwind heraus kommen. Draußen ist es feucht und kalt, sie soll doch zu ihm hinein kommen. Auf keinen Fall wird sie sein Haus betreten. Was will sie von ihm? Gern steht er einem hübschen Mädchen zur Verfügung. Man habe ihr gesagt, er sei ein Hexenmeister. Kann seine Kunst ein Gift bereiten, welches so beschaffen ist, dass es den Leib des Opfers nicht vernichtet, sondern nur seiner Schönheit verheerenden Schaden zufügt? Die Wirkung soll nicht plötzlich, sondern in Etappen eintreten. Hat er sie verstanden? Natürlich hat er sie verstanden. Sie war doch deutlich genug. Trotzdem erläutert Ljuba die Einzelheiten. Das Gift soll die Augen trüben und die gesunde Farbe aus dem Gesicht vertreiben. Die Haare sollen alle ausfallen und der ganze Leib soll welk werden und bis auf die Knochen abmagern. Nun, es gibt ein solches Gift und er kann es ihr auch geben. Aber das Pulver ist kostbar. Wenn die Hofgesellschaft erfährt, dass er es ihr gegeben hat, werden die Opritschniki ihm den Kopf abschlagen. Selbst auf der Folterbank, verspricht Ljuba, wird sie Verschwiegenheit wahren. Eilt es, braucht sie es dringend? Er soll sich den schönen Ring mit dem Edelstein anschauen. Sie hat auch Halsgeschmeide, die Perlen spielen bunt in allen Farben. Wenn ihm an kostbaren Schmuck gelegen ist, gibt sie ihm beides. Käuflich ist das Pulver nicht! Dann soll er eine andere Gabe fordern. Ihm genüge schon ein einziger Kuss. Ist der Fremdling von Sinnen? Wenn er nicht bereit ist, holt sie sich das Mittelchen woanders. Sollte er sie auch nur anrühren, wird sie gleich losschreien. Aber nicht doch! Dem Bojaren Grjäsnoy wird er morgen alles erzählen. Der Satan hat ihm diesen Einfall eingegeben. Gut, wenn ihm ihr Angebot zu klein ist, kann sie auch mehr zahlen. Notfalls wird sie betteln gehen. Nun rückt der Alte mit der Sprache heraus: „Sei mein, Ljubascha, ich liebe dich!“ Sie soll nichts fürchten.
Im Hause Ssobakins geht es inzwischen lebhaft zu. Der alte Ssobakin schwadroniert, dass die Russen schlechte Reiter und schlechte Schützen seien, aber beim Trinken, Singen und Tanzen nähme es mit ihnen so leicht keiner auf. Fein gesagt hat er das! Ein köstlicher Spaß! Die Russen brauchen keinen Pflug, sondern eine Balalaika. Nun muss auch Marfa lachen. Diesen Lachen wird sie ihr teuer bezahlen, grollt Ljuba. Sie herrscht Bomelius an, er solle losgehen und das Gift mischen. Er wird bekommen, was er sich wünscht. Sie wird sich Mühe geben, ihn zu lieben.
Fünfte Szene
Ljuba ist nun allein. Grigorij ist schuld, dass es soweit mit ihr gekommen ist. Der Herr wird ihn richten für die Schande, die er ihr antut. In der Tat, Marfa ist schöner als sie, ihre Zöpfe sind viel länger. Hängt alles nur von Äußerlichkeiten ab? Sie liebt ihn nicht so sehr wie er sie liebt, denn auch mit anderen lacht und scherzt sie.
Sie hört noch, wie Lykow sich von Ssobakin verabschiedet. Er soll gut nach Hause kommen. Wenn er sich morgen wieder einfindet, soll er den Opritschnik Grjäsnoy auch mitbringen. Ljuba hat es mitbekommen, morgen wird Grigorij hier sein. Wo bleibt nur Bomelius? Ist die Mixtur bald fertig? Wehe, er betrügt sie! Er bestreitet, sie täuschen zu wollen, doch wie steht es mit ihr? Sie wird ihr Wort halten. Mit einer Drohgebärde wendet sie sich gegen das Haus, in dem Marfa wohnt. Die holde Schöne wird sich nicht zu beklagen haben. Gekauft hat sie ihre Schönheit um den Preis der Schande. „Nimm, schleppe mich in deine Höhle, du Heide!“ donnert sie Bomelius an.
Sechste Szene
Der Chor singt ein Loblied auf den Mut der Opritschniki, wofür man sie zu allen Zeiten rühmen wird.
DER BRAUTWERBER
Erste Szene
Mit dem zukünftigen Schwiegersohn lässt sich angenehm plaudern. Ssobakin ist mit sich und der Welt zufrieden. An Kindersegen ist er reich. Ein halbes Dutzend Söhne nennt er sein eigen. Vor Zeiten saßen alle noch an einem Tisch. Durch Heirat wurde die Anzahl kleiner. Wann wird Lykow sein Mädchen bekommen? Er wünscht sich, dass die Hochzeit schon bald sein wird. Im Moment ist das leider unmöglich. In diesen Tagen schaut der Zar sich alle Mädchen an, die man zu ihm gebracht hat. Auch seine Marfa wurde angeschrieben, Dunja ebenfalls. Herbeizitiert wurden etwa zweitausend, doch in die Endrunde gelangt nur etwa ein Dutzend. Grjäsnoy fühlt sich nicht wohl in seiner Haut und erhebt sich vom Tisch. Ssobakin versucht, ihn zu trösten, er soll sich nicht grämen und erst einmal abwarten. Auch Lykow kommen Zweifel, ob Marfa jemals die Seine wird. Drohendes Unheil ahnt sein Herz. Wieso sollte Ssobakin sein Wort nicht halten? Es folgt ein Terzett, in dem die drei Männer sich ihrer Stimmung hingeben. Verschmachten muss Lykow ohne sie. Was soll er beginnen? Wie soll er sich als treuer Untertan verhalten? Grjäsnoy hofft, dass Marfa der Gefahr entrinnt, schließlich stehen zwölf Kandidatinnen auf dem Prüfstand. Lykow soll nicht verzagen, wenn die Mädchenschau beendet ist, wird sofort geheiratet. Grjäsnoy vertraut auf sein Mittelchen. Sobald Marfa es geschluckt hat, wird sie schon den Rechten wählen. Zum Schein schlägt er sich als offiziellen Brautwerber für Lykow vor, damit er Marfa nicht aus den Augen verliert. Ssobakin fühlt sich geehrt. Er schickt Petrowna los, eine Kanne süßes Bier zu holen.
Zweite Szene
Grjäsnoy treibt die Heuchelei auf die Spitze. Er rät Lykow, Gottes heiligen Willen zu respektieren. Mit dem Zaren als Rivalen ist nicht zu spaßen. In seine Braut war er einst selbst verliebt und wurde abgewiesen. Jetzt nimmt er vorlieb, für ihn den Brautwerber zu mimen. Viele Mädchen gibt es auf dieser Welt, mit denen man sich vergnügen kann. Ihm jedenfalls macht es nun Freude, ihn mit Marfa glücklich zu sehen.
Dritte Szene
Endlich lernt der Besucher nun auch die Dame des Hauses, Domna Ssaburowa, kennen. Sie war Augenzeugin bei der Mädchenschau. Kann Wassilij Stepanowitsch erraten, welche große Freude Gott ihr beschieden hat? Gesprochen hat der Zar mit ihrem Kinde! Der Vater möchte Einzelheiten erfahren und Domna Ssaburowa holt aus zum großen Monolog. Also, die Mädchen standen alle in einer Reihe, eine so schön wie die andere, herausgeputzt waren alle. In Gegenwart der Bojaren schritt der Zar die Reihe ab.
Sein Blick war der eines Falken, so hell, dass die Räume sich lichteten. Dreimal schritt er die Reihe ab. Die Koltowskoj hat er gemahnt, dass die sie aufpassen soll, dass das Gewicht ihrer Armbänder die Hand nicht verstauche und Dunja hat er sogar gefragt, wie alt sie eigentlich sei. Der Zar lächelte pausenlos und für alle hatte er ein freundliches Wort. Vor Freude ganz rot geworden ist ihr Kind und hat gestrahlt wie eine Mohnblume, die Äuglein haben geleuchtet wie ein klares Sternchen.
Ist der Spuk jetzt vorbei? Domna Ssaburowa weiß es nicht. Jetzt muss man abwarten, für welches Täubchen der Zar sich entschieden hat. Die Eltern der Erwählten bekommen schriftlichen Bescheid aus dem Terem-Palast, in dem Iwan IV. residiert.
Lykow denkt, der schwarze Wettersturm, der ihn in der Nacht einhüllte, habe sich bereits verzogen. Hell scheint die Sonne nun über der Welt. Von Neuem wurde Marfa ihm geschenkt, neu erblüht ihnen ein seliges Los. Lieben wird er sein Täubchen und gut pflegen. Nie wird er es betrüben und alles Böse von ihm abwenden. Grjäsnoy hat ihm gleich gesagt, dass er sich nicht unnütz quälen soll. Ein Räuschlein wird er sich vor der Hochzeit holen. Sobald die Braut ins Zimmer tritt, wird er sein Sprüchlein anbringen.
Wie günstig, dass genügend Met vorhanden ist.
Lykow fordert den Gast auf, sich einzuschenken. Zu dunkel ist es im Raum, ans Fenster will er treten, um die Schälchen zu füllen, damit nichts verschüttet wird. Das erste ist für den Bräutigam und das zweite für die Braut. Unbemerkt von den Anwesenden hat Grjäsnoy das Pulver in das zweite Schälchen geschüttet. Abergläubisch denkt der Erwartungsvolle, es sei Aphrodisiaka, welches die Wünsche der Braut auf ihn ausrichte, ahnt aber nicht, dass die eifersüchtige Ljuba Bomelius' Mittel heimlich gegen die Todesdroge ausgetauscht hat.
Vierte Szene
Nachdem des Zaren lästige Mädchenschau vorbei ist, darf auf die Hochzeit angestoßen werden. Zum Sextett finden sich zusammen: Braut und Bräutigam, die Eltern der Braut, der Brautwerber und die Freundin. Wie es Brauch ist, wird der Becher in einem Schluck bis zur Neige geleert. Der gemischte Chor erinnert sich: Wie ein Falke war sein kühnes Blut, als Iwan, Sohn des Sergius, über den weiten Hof geritten kam und dem weißen Schwan mit dem goldgelben Schnabel seine Aufwartung machte. Zur schönen Marfa Wassiljewna, der Tochter des Hauses, hat er sich auf die Treppe gesetzt.
Fünfte Szene
Das Gartentor knarrt, Bojaren bringen des Zaren Botschaft. Petrowna achtet auf Etikette und empfiehlt den Ankömmlingen entgegenzugehen, sie sind schon im Flur. Da hat sich wohl jemand in der Hausnummer geirrt. Doch Maljuta irrt selten: Der allerhöchste Herr, der Zar und Großfürst von Russland hat Wassilij gewürdigt und lässt ihm folgendes ausrichten: Durch Fürsprache der Eltern und sein Gebet hat Gott es gutgeheißen, dass der Zar ein Ehebündnis schließen wird. Zur Gemahlin nimmt er sich Marfa, die Tochter des Wassilij.
DIE BRAUT
Einleitung und erste Szene
Das Gift hat gewirkt. Die Zarenbraut liegt sterbenskrank danieder. Ratlos steht die Familie an ihrem Bett und kann sich den Zustand ihres Kindes nicht erklären. Sie ist doch noch so jung. Für welche Sünden hat Gott Ssobakin bestraft? Selbst im Traum hatte der angesehene Bojar einen solchen Sturz, wie das Schicksal ihm bereitet, nicht vorstellen können. Er zermartert sich das Hirn, wie dem armen Kind Linderung verschafft werden könnte. Waren es böse Menschen, die ihrem Kind Schlimmes antaten?
Zweite Szene
Der Zar lässt durch Grjäsnoy eine mündliche Botschaft an Ssobakin überbringen. Der Verbrecher habe seine Tat gestanden. Seinen fremdländischen Leibarzt wird der Zar vorbeischicken, der versprochen habe, die Krankheit heilen zu können. Wer der Bösewicht gewesen sei, will Ssobakin wissen. Doch der Opritschnik lässt sich auf keinen Disput ein. Er dürfe nur berichten, was der Zar ihm aufgetragen habe.
Aber er würde seine rechte Hand abschlagen lassen, wenn Marfa am Leben bleiben würde. Marfa hat nebenan im Bett alles mitbekommen. Sie schleppt sich herbei. Sie bezweifelt, dass sie behext worden sei, und es gelingt ihr, aus Grjäsnoy weitere Einzelheiten herauszubekommen. Iwan Lykow habe sich schuldig bekannt, die Zarewna mit einem Teufelskraut ins Verderben gestürzt zu haben. Der Zar befahl, ihn sofort hinrichten zu lassen. Durch seine Hand wurde der Übeltäter bestraft, sein Dolch traf ihn direkt ins Herz. Marfa schreit auf und bricht zusammen.
Der Opernchor glaubt dem Report kein Wort. Iwan Lykow kann niemals der Täter gewesen sein. Ssobakin hält ihn einer solchen Absicht für unfähig. Vergiftet wurde die Zarewna. Andere haben das Verbrechen begangen. Ein Geständnis unter der Folter, um der Pein zu entgehen, sei kein Schuldbeweis. Welcher Mensch mag es gewesen sein? Ein weißes Blümelein liegt abgemäht, ein Vöglein, dem man die Flügel durchschoss. Das Antlitz ist totenbleich, die Augen sind geschlossen. Kein Atem, stumm der blasse Mund! Vergiftet wurde die Märtyrerin, Zarewna!
Fieberwahn erfasst das Mädchen. Es fragt, wo es sich befinde und wo ihr Wanja sei. Alle trauern, doch Maljuta höhnt, dass aus dem Hochzeitsfest wohl nichts wird. Grjäsnoy weiß auch nicht mehr so recht, was er erzählt. Er schiebt die Schuld auf Bomelius, dass er ihn getäuscht habe und dafür Rache verdiene.
Als er die leidende Marfa sieht, bricht das Geständnis aus ihm heraus. Er und nicht Lykow sei es gewesen, der die Braut des Zaren vergiftet habe. Maljura warnt ihn: Wenn er so weitermache, rede er sich um Kopf und Kragen. Marfa versucht, ihn zu trösten, es sei ein Traum, den er erzähle, aber Träumen soll man niemals glauben. Grjäsnoy beweist Charakter und rückt nun mit den Einzelheiten heraus, die der Opernbesucher schon aus der Vorgeschichte kennt. Um den Verstand habe sie ihn gebracht. Doch er wurde selbst betrogen. Ein Zauberkraut, um Liebesgunst zu gewinnen, hatte er von Bomelius erbeten, weil er Marfa liebte mit aller Leidenschaft - so wie der Sturmwind seine Freiheit liebt. Wie kann er es wagen, vor der Zarewna in diesem Ton zu reden! Gewaltsam wird er hinausgeführt.
Das ist gut so, denn bei der nun folgenden Wahnsinnsarie muss er nicht unbedingt dabei sein. Sie träumt, wie sie zusammen mit Iwan Sergejewitsch in den Garten geht. Der Tag ist schön und frisch duftet das Laub. Der Apfelbaum prangt in voller Blüte und sie wollen in seinem Schatten ruhen. Sie blättert die Seiten um und er liest aus dem Buch vor. Es ist die Geschichte von Lucia di Lammermoor...!
Dritte Szene
Die Primadonna, welche die Ljuba verkörpert, ist nicht zufrieden, dass sie sang- und klanglos aus dem Handlungsgeschehen verschwinden soll. Aus einer Ecke stürzt sie plötzlich hervor. „An mich hast du wohl nicht mehr gedacht, mein Freundchen“ wendet sie sich an Grjäsnoy. Nun gibt sie ihre Darstellung des Hintergrundgeschehens und verschafft sich mit Grjäsnoys Messer in der Brust einen bombastischen Abgang. Belauscht hat sie sein Gespräch mit dem Deutschen. Sie ist dann zu ihm gegangen und sich auch ein Zauberpülverchen erbeten. Er habe mit schwerem Gold bezahlen müssen, sie habe es viel preiswerter erhalten. Nun ist sie zufrieden, dass ihre Mixtur an die richtige Adresse gelangt sei. Vertauscht hat sie das Pülverchen, und ihrer Nebenbuhlerin hat er es verabreicht.
Letzte Änderung am 30.12.2016
Beitrag von Engelbert Hellen