Ottorino Respighi (1879-1936):
Die versunkene Glocke / The Sunken Bell / La Cloche egloutine
Entstehungszeit: | 1924-27 |
Uraufführung: | 18. November 1927 in Hamburg (Stadttheater) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Bemerkung: | Ottorino Respighi hatte es schwer, nach den großen Erfolgen seiner sinfonischen Dichtungen auch mit seinen Opern Anklang zu finden. Belcanto und Verismo hatten sich in die Ohren der Opernbesucher eingeschmeichelt und auf etwas völlig anderes war man nicht vorbereitet. Die Oper „La Campana sommersa“ nach einer Vorlage des deutschen Dichters Gerhard Hauptmann, fällt in die Kategorie des Symbolismus und musste in Anlehnung an Claude Debussy sich seinen Weg erst suchen, um eine gewisse Beliebtheit zu erreichen. Claudio Guastalle ebnete mit seinen Libretti den Weg seines Freundes als Opernkomponist, so dass man nach Puccini und Mascagni nun Ottorino Respighi als den bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der Neuzeit ansehen kann, hinter dem Wolf-Ferrari ein wenig zurückblieb. Weniger spektakulär als „Semirâma“ oder „La Fiamma“ fordert das Werk ob seines spröden Gehalts vom Konsumenten ein großes Maß an Verständnis und Einfühlsamkeit. |
Opus: | P 152 |
Art: | Oper in 4 Akten |
Libretto: | Claudio Guastalla nach dem Drama von Gerhart Hauptmann |
Sprache: | italienisch |
Enrico / Heinrich: | ein Schmied (Tenor) |
Rautendelein: | eine Elfe (Sopran) |
Nickelmann: | ein Wassergeist |
Ondino / Waldschrat: | ein Faun (Bariton) |
La Strega / Waldgroßmütterlein: | Rautendeleins Erzieherin (Mezzosopran) |
Magda: | die Frau des Schmieds (Sopran) |
Weitere: | Elfen, Gnome, Zwergen, Geister, Volk |
Die „Silberweide“ ist ein idyllischer Ort, der von Wesen frequentiert wird, die nicht dem Menschengeschlecht angehören. Eine gutmütige Hexe besitzt dort - unter Felsen halb versteckt - ein malerisches Häuschen, in dem auch eine jugendliche Elfe Unterkunft gefunden hat. Die Holde ist kein Winzling, sondern sieht fast aus wie ein Menschenkind.
Gern sitzt sie auf dem Brunnenrad nahe des kleinen Gartens und kämmt sich das goldfarbene Haar. Sie könnte die Schwester der Loreley sein, ist es aber nicht. Rautendelein nennt sie sich. Im Moment hat sie ein kleines Problem, denn sie wird von einer Biene bedrängt. „He da, kleine goldenen Biene! Was willst du? Was suchst du? Warum summst du um mich herum, kleines Sonnenvöglein? Nun lass mich doch in Ruhe! Bin ich denn eine Blume? Oder ist mein Mund gar ein Blumenkelch? So flieg doch endlich fort! - Na endlich!“
Rautendelein kämmt sich noch ein bisschen und beugt sich dann über den Brunnenrand, um nach dem Nickelmann zu rufen, erhält aber keine Antwort. Nun, dann eben nicht! In Gedanken versunken summt sie vor sich hin. Wer ist sie überhaupt? Ist sie eine kleine aus einer Tannenrinde hervorgegangenen Fee? Oder gar eine aus einem kristallenen Bach entsprungene himmelblaue Nymphe? Eine weitere Möglichkeit wäre, dass sie einem Lüftchen entsprang, als es eine purpurfarbene Rose liebkoste. Ach, wie schön wäre es, wenn sie wenigstens ihre Mutter kennen würde und auch ein bisschen über ihr künftiges Schicksal wissen könnte.
Vielleicht reagiert der Brunnenbewohner eher, wenn man etwas förmlicher zu ihm ist? Der ehrwürdige Nickelmann soll sich doch bitte zeigen, denn sie möchte mit ihm plaudern. Waldgroßmütterlein sucht gerade Tannenzapfen und sie langweile sich. Er soll ihr etwas erzählen! Rautendelein hört es im Brunnen glucksen - kleine silberne Bläschen steigen auf. Ein mit Schilf und Moos behangener Wassergeist, bis zum Bauchnabel sichtbar, taucht aus der Quelle auf.
Er trieft vor Nässe und schnauft wie ein Seehund. Eine Augenweide ist er wahrlich nicht. „Brekekekex!“ An das Tageslicht muss er sich erst gewöhnen. Es riecht nach Frühling. Freut er sich darüber nicht? Hat er geschlafen? Schläft er noch immer oder weshalb sieht er Rautendelein nicht? Das kleine Äffchen soll nicht so unverschämt sein. Ein bisschen ist der Aufgetauchte verärgert und äußert sich „Korax, korax - quak, quak!“ Wenn es den lieben Herrn Onkel nicht ärgert, wird sie für ihren Reigen einmal einen charmanten Gefährten finden, denn sie sei jung und schön. Nickelmann kommt nicht umhin, ihre Aussage zu bestätigen.
Noch jemand meldet sich zu Wort. Der Holodrio tritt aus dem Tannenwäldchen hervor. Er hat zwei kleine Hörner auf der Stirn, dazu trägt er ein Spitzbärtchen. Schenkel und Hufe könnten die eines Ziegenbocks sein. Wer da so aussieht wie ein Faun ist in Wahrheit ein kleiner Waldschrat. Er springt vergnügt umher und möchte sich an das hübsche Rautendelein heranmachen. Jetzt wird er auch noch unverschämt.
Er weiß, dass er nicht tanzen kann. Doch wenn die kleine Nymphe will, zeigt er ihr einen ganz anderen Tanz. Sie soll mit ihm in den Wald kommen, dort stünde eine ehrwürdige hohle Weide. Des Baches Geflüster hat sie noch nie gehört und den Schrei des Hahns auch nicht. Dort wird er ihr auf seiner wundervollen Flöte eine Weise spielen und sie dann zum Tanz bitten.
Rautendelein lacht ihn aus. Sie befreit sich aus seiner Umarmung und schilt ihn, dass der haarige Ziegenbock sich an die Zicklein heranmachen soll. Sie selbst ist grazil und rosafarben. Der Sinn steht ihr nach etwas Höherem. Sie entflieht und der Waldschrat versucht vergebens, sie wieder einzufangen. Der Nickelmann hat sich auf den Brunnenrand gesetzt und betrachtet seinen eigenen schuppigen Körper. „Bredekekex, Quak! Das Irrlicht soll das wilde Kind plagen.“
Der Walschrat kommt zum Brunnenrand zurück, reibt ein Streichholz an seinem Huf und zündet sich ein Pfeifchen an. Wie gern würde er sie zähmen! Nickelmann wechselt das Thema und fragt, wie es daheim im tiefen Wald so geht. Ach, der Wind pfeift und peitscht - hier auf der Lichtung bei Waldgroßmütterlein sei es angenehm.
Was gibt es an Neuigkeiten? Zu früher Stunde sei er bis zur Schlucht vorgedrungen. Die Menschen haben sich dort zu schaffen gemacht, die Erde umgegraben und die Steine zerschlagen, um Kirchen und Kapellen zu errichten. Nichts ärgert ihn mehr, als die Verfluchten dort wirken zu sehen. Wenn sie mit Bauen fertig sind, hängen sie in der Spitze des Turmes eine Glocke auf. Das schaurige Geläute tötet ihm den letzten Nerv. Nickelmann hört interessiert zu.
Auf den hohen Felsen wollen sie eine Kirche mit spitzbogigen Fenstern setzen. Ein Kreuz soll den Glockenturm schmücken. Hätte er nicht gehandelt, so würde man jetzt das wilde Geheul der Glocke hören. Aber daraus wird nichts, denn die Glocke liegt nun stumm auf dem Seegrund. Nickelmann lobt den Waldschrat, wie famos er das gemacht hat.
Acht Rösser hatten sich mit größter Anstrengung ins Geschirr gelegt, um das Ungetüm von Glocke zu ziehen. Der Karren ächzte ebenso wie die Pferde. Dann ist er dazugekommen und hat in der Nähe der Ruine den Tieren die Arbeit ein wenig erleichtert. Mit faunischer Geschicklichkeit griff er flink ins Räderwerk und mit kräftiger Hand hat er die Speichen ein wenig verbogen. Da Rad zerbrach, der Karren geriet in Schieflage und unter lautem Gebimmel stürzte die Glocke herab. Er gab ihr noch einen Stoß - der Klangkörper hüpfte von Fels zu Fels laut brüllend in den See. Das Wasser öffnete sich, um den Stahlkoloss aufzunehmen. Dort unten soll die Glocke für immer bleiben und schlafen.
Auf der Silberwiese hört man aus der Ferne Hilferufe, die immer näher kommen. Für Nickelmann und den Waldschrat ist es das Signal, schleunigst aus ihrem Refugium zu verduften. Erschöpft, fiebrig und beklommen hat Heinrich das Häuschen des Waldgroßmütterchens erreicht und bittet um Einlass: „O buona gente, apritemi... Sono smarrito... Aiuto! - Öffnet mir, ihr braven Leute! Ich bin verloren. Helft mir!“ Heinrich ist ins Gras gefallen. In der Anweisung des Librettos steht, dass purpurne Abendwolken über die Berggipfel ziehen, die Sonne ist untergegangen und eine nächtliche Brise streiche über die Wiese. Die Tür öffnet Rautendelein, sieht den zu Boden gestürzten Mann und kniet neben ihm nieder. Er ist zu ermattet, um aufzustehen. Das liebe Kind soll ihm sagen, wo er sich befindet. In den Bergen hält er sich auf. Jetzt möchte er noch wissen, wie er hierher gekommen ist. Der liebe Unbekannte, soll nicht solche schweren Fragen an sie richten. Sie weiß es auch nicht. Für einen Moment verlässt sie den Ermatteten, verschwindet im Häuschen und kommt mit einer Schale Milch zurück. Ihm sei als ob er träume! Die Berge scheint er nicht zu kennen. Wahrscheinlich gehört er zu denen, die im Tal wohnen. Ist er vielleicht ein Jäger? Sie soll weiter sprechen! Das Getränk war erfrischend, aber ihre Worte sind es noch mehr. Auch im Fieberwahn geht das Geplapper weiter. Sie soll ihm klar machen, dass er tot ist und niemand ihn mehr aufwecken wird. Rautendelein widerspricht, denn sie sei der Ansicht, dass er lebt. Sie soll noch ein bisschen bleiben, denn sie sei so sanft. Nun behauptet er, sie schon einmal gesehen zu haben, was Rautendelein aber bestreitet.
Es stellt sich heraus, dass er der Meister ist, der die Glocke gegossen hat. Er spricht von ihrem Erzklang, der sich mit dem Gold des Tages vermählen sollte. Sein Meisterwerk sollte es werden, doch er hat es nicht bis zum Schluss geschafft. Nun liegt sie auf dem Grund des Sees und er weint blutige Tränen. Die Elfe weiß nicht, was Tränen sind und Heinrich schaut sie bestürzt an. Seine Stimmung nimmt lyrische Formen an und er bewundert die dunklen Tannen, die feierlich ihre Arme bewegen, bevor Nebel sie einhüllt. Heinrichs Stimme wird immer schwächer und bald schläft er ein.
Rautendelein ist ratlos und ruft nach der Großmutter. Diese antwortet, dass das Kind ins Haus kommen soll, um ihr beim Feuer anzünden zu helfen. Rautendelein schaut immer noch starren Blicks auf den jungen Mann. Er wird doch nicht tot sein? Erneut ruft die Elfe nach der Großmutter. Das Kind soll sich beeilen und ihr zur Hand gehen. Das Zicklein muss gemolken und gefüttert werden. Großmutter erscheint in der Tür mit einem kleinen Napf, um die Mieze zu füttern. Sie wirft einen gleichgültigen Blick auf den Verletzten, von dem Rautendelein glaubt, dass er sterben wird. Da kann man nichts machen, meint Großmütterchen, alle Menschen sind sterblich und das sei auch gut so. Sie soll ihn in Frieden lassen.
Man hört Stimmen aus dem Wald. Offenbar wird nach Meister Heinrich gesucht. Der Waldschrat erscheint auf dem Felsen über dem Häuschen und stößt Warnrufe aus. Rautendelein pflückt einen blühenden Zweig, so wie sie es von der Großmutter gelernt hat und zieht mit der Spitze einen magischen Kreis um den Schlafenden, damit er unsichtbar wird und es jedem verwehrt ist, die Linie zu überschreiten. „Ah però che niúno qui entri - né uomo, né donna, né adolescente né vecchio. Ah! Ah! Ah! - (weder Mann noch Frau weder jung noch alt.)“
Die Menschen, die näher kommen, sind aus dem Dorf und haben mehr Angst als Vaterlandsliebe. Man munkelt, das Häuschen gehöre einer Hexe. Es fürchten sich der Pfarrer, der Schulmeister und der Barbier. Versehentlich geraten sie mit ihren Füßen in den magischen Kreis, in dem Heinrich liegt und weichen schreiend zurück, weil die Zauberkraft Wirkung zeigt. Rautendelein erscheint mit einem spöttischen Lachen auf den Lippen und amüsiert sich. Bestimmt ist sie ein Mädchen aus der Hölle!
Der Pfarrer fasst sich ein Herz, reckt mutig das Kreuz hoch empor und klopft an die Haustür. Großmütterchen will wissen, wer Einlass begehrt. Die Alte soll im Namen Gottes, den sie nicht fürchtet, die Tür aufmachen: ein Christ habe mit ihr zu reden. Ob Heide oder Christ - das sei ihr egal. Sie soll nicht denken, dass er sich vor ihrem Bösen Blick fürchte und ihr teuflisches Spiel beenden. Ihretwegen können sie den Verletzten ruhig mitnehmen, sie habe mit dem Unbekannten nichts im Sinn! Die unheilvolle Gotteslästerin möge schweigen und in ihre Hölle zurückkehren. Der Barbier ängstigt sich und mahnt den Pfarrer, er solle das Teufelsweib nicht unnötig reizen, weil das zu keinem positiven Resultat führen könne. Doch Großmütterchen bleibt gelassen und behauptet, die langen Predigten des Pfarrers ausreichend zu kennen.
Die Männer tragen Heinrich fort und man ist froh, wieder unter sich zu sein. Ein paar Elfen kommen herbei und tanzen zu heiterem Gesang einen Reigen. Die Leichtgewichte tragen Sorge, dass ihr luftiges Silberkleidchen an den Ästen der Bäume Schaden nehmen könnte. Ein Mondstrahl spielt auf der Lichtung, aber Rautendelein wird von dunklen Gedanken heimgesucht. Ihr Herz ist schwer, dann sie hat sich in Heinrich verliebt und will ihm in die Welt der Menschen folgen. Nickelmann will wissen, wohin sie geht, doch das gehe nur sie selbst etwas an, bekundet Rautendelein.
Heinrich ist mit Magda verheiratet und hat zwei kleine Söhne, fünf und neun Jahre alt. Wirtschaftlich geht es der Familie gut und ihr kleines Häuschen ist stilvoll eingerichtet. Die Kinder sollen doch auf die vielen Primeln achten, die in einer Ecke des Gartens blühen, mahnt die Mutter. Frau Magda hat zwei kleine Sträuße gebunden, die dem Vater zu überreichen sind, sobald die Glocke in der Turmspitze hängt und läutet. Jetzt sollen die Kinder ihre Milch trinken und das Brot essen, damit sie festlich gekleidet den weiten Weg zur Kirche antreten können. Wenn die Glocke das erste Mal läutet, sollen die Kinder andächtig zuhören. Im Hof stimmt ein Kinderchor die Volksweise an: „Tschiep, tschiep! Alle Vögel sind schon da!“
Energisch verschaffen der Pfarrer und seine beiden Begleiter sich Zugang zur Wohnung und kippen den verwundeten Heinrich von der Trage aus Ästen auf das Ehebett. Fassungslos lässt Magda sich erklären, was passiert ist. Gott wird ihm beistehen, lebensgefährlich sind die Verletzungen jedoch nicht. Mehr Dorfbewohner drängen von draußen nach, doch Magda wirft die Gaffer sofort aus dem Haus. Der Barbier erklärt, dass man auf Glockengeläute vergeblich warten wird. Der Transport habe nicht funktioniert und die Glocke sei ins Wasser gefallen. Heinrich habe versucht, sie mit Muskelkraft aufzuhalten und nun könne man Gott danken, dass er überhaupt noch lebt.
Heinrich bittet um einen Schluck Wasser. Man lässt die Familie nun allein, nachdem Magda auf weitere Hilfe verzichtet hat. Heinrich denkt ans Sterben, doch seine Frau erklärt, dass sie ohne ihn nicht leben kann. Er soll seine Angst überwinden und an die Kinder denken. Heinrich wird reumütig und bittet für alles Böse, was er ihr jemals angetan hat, um Verzeihung. Es hat nicht sollen sein, dass die Glocke, die er geschaffenen hat, in der Höhe läutet und an den Bergwänden widerhallt. Es bedarf eines reinen Herzens, welches eine Glocke zum Siegesschrei bewegt und ein solches hat der Allmächtige offenbar bei ihm nicht vorgefunden. Magda sucht seine depressive Stimmung zu verdrängen, als der Pfarrer noch einmal eintritt und ein Mädchen mitführt, welches Ahnung von Kräuterheilkunde hat.
Es ist Rautendelein, die sich sogleich ans Werk macht und eine mitgebrachte Brühe auf der offenen Flamme des Herdes zum Erhitzen bringt. Rautendelein unterhält sich mit dem Funken, der sich in der feinen Asche versteckt hält, damit er die Brühe, in die sie noch etwas Mai-Rosmarin einstreut, zum Brodeln bringe. Die gute Brühe soll die endgültige Heilung verursachen. Heinrich schlägt die Augen auf und fragt das Mädchen, wie es heißt und was es in seinem Haus suche. Den Namen Rautendelein hat Heinrich noch nie gehört, aber das Gesicht glaubt er zu kennen.
Sie erzählt ihm die Kurzform ihrer Lebensgeschichte, dass Waldgroßmütterlein sie im Moos gefunden und aufgezogen habe. Ihre erste Milch bekam sie von einem Reh. Der Charakter sei differenziert, mal fauche sie wie eine Wildkatze und dann tanze sie froh durch die Lüfte und lache. Ihre Gefährten seien Faune, Nymphen und Wassergeister. Sie könne beißen und kratzen, wenn sie wütend wird, aber ihm wird sie kein Leid zufügen. Wenn er zu ihr in die Berge kommt, wird sie ihm Topase und Smaragde zeigen. Er gefalle ihr ausgesprochen gut und sie wolle sich ihm ergeben und alle Wünsche erfüllen. Ihre Küsse werden ihm Ausblicke auf ungeahnte Gefilde eröffnen.
Rautendelein kümmert es nicht, dass Heinrich Familie hat, macht die Probe aufs Exempel und drückt ihm einen heißem Schmatz auf die Augen. „Augensterne öffnet euch“ lautet ihr magischer Befehl und um Heinrich ist es geschehen. Er fühlt, wie frische Kräfte durch seine Adern fließen und er ist sogleich abreisefertig. Magda stößt einen spitzen Schrei aus, als sie ihr Lebensglück in Begleitung der Nymphe durch die Haustür entschwinden sieht.
Meister Heinrich ist ein Mensch, der nicht glücklich ist, wenn er keiner handwerklichen Tätigkeit nachgehen kann. Eine große Aufgabe hat er sich vorgenommen. Er will eine prächtige Kathedrale bauen, in der eine bessere Menschheit Platz finden und den Allerhöchsten preisen soll.
Ein phantasievoll eingerichteter Freizeitpark - bestehend aus Sägemühle, Schmiede, Glaserei und anderen Refugien - erfüllt hierzu die handwerklichen Voraussetzungen. Doch allein schafft Heinrich sein Pensum nicht. In Nibelheim hat er Leiharbeiter angeworben, die sich seinen despotischen Wünschen fügen müssen. Wer sich nicht tummelt, wird schon sehen, was er davon hat, denn bei Trägheit oder Widerspruch sind die Sanktionen heftig.
Akustisch hört sich das etwa so an: „Los, schmiede das Eisen, bis dir der Arm bricht, du nichtswürdiger Faulpelz und lass das Flennen sein. Streng dich an, oder ich versenge dir den Bart im Feuer!“ Die Arbeitskräfte wissen aus Erfahrung, dass es keine leeren Drohungen sind, die sie beflügeln sollen.
Durch den Tadel des Meisters aufgemuntert wird der Blasebalg getreten und der gewaltige Hammer geschwungen. Der Waldschrat muss Bauholz stapeln und Nickelmann - Brekelekex - Gold waschen. Trotz maximalem Einsatz findet Heinrich immer noch Zeit, seinem Rautendelein schönen Schmuck zu fertigen, der unter intensivem Kosen wonnevoll entgegengenommen wird. Körperlicher Elan und spirituelle Kraft kommen schließlich von ihr und die Dankbarkeit sollte nicht auf der Strecke bleiben. Übermütig beschimpft sie den Waldschrat, dass er nicht gut dufte und ein Schwarm Fliegen ihn begleiten soll, falls er sich endlich entschließt, zu verschwinden.
Jetzt wird es spannend. Der Herr Pfarrer hat Heinrichs Unterschlupf ausgekundschaftet und macht einen Überraschungsbesuch. Er trifft auf Rautendelein, welche sich abweisend verhält. Das Menschenwesen soll sich hüten, sich mit ihr anzulegen! Der Gottesmann beschuldigt das Lichtwesen, Heinrich in die Berge gebracht zu haben. Mit ihrer Hexerei und ihren Zaubertränken habe sie ihn verführt. Auch wenn sie eine Diebin sei, ihm habe sie nichts gestohlen, verteidigt sich die Nymphe schlagfertig. Ihm nicht, aber der Gattin hat sie den Mann weggenommen, die Familie sei ohne Ernährer und die Minderjährigen verloren einen Vater. Doch Rautendelein bekommt Verstärkung, Heinrich naht! Hört der unwillkommene Besucher die Schritte des Gottes Balder, gegen den er wie ein Bettler wirke? Rautendelein stürzt dem Geliebten entgegen und wirft sich schutzsuchend in seinen linken Arm, während der rechte den Vorschlaghammer umklammert hält. „Hoho, der Meister sei gegrüßt! Hat ihn die göttliche Liebe mit ihrem Atem gestreift?“ „Das ist richtig! Er erkennt das Wunder und betet es an!“ Der Hausherr befiehlt, dass man das Fenster öffne, damit Licht und Gott hereinkomme. Sein Schätzchen soll dem Pfarrer Wein anbieten. Der Pfarrer lehnt Alkoholgenuss ab. Der Meister sieht seine Chance und erläutert dem Pfarrer seine großartige Idee von einem gewaltigen Gotteshaus mit einem Glockenspiel aus edelstem Metall. Vor starker Kraft in Gang gesetzt hört er schon jetzt die unbeschreiblichen Harmonien, wenn er die Augen schließt und mit der Hand die Ohrmuschel abdeckt.
Alles gut und schön, aber für welche Konfession soll das Gotteshaus gedacht sein und wer finanziert das Projekt? Von niemandem wird Heinrich Geld annehmen! Wer belohnt die Belohnung? Wer erfreut die Freude? Heinrich reagiert mit theologischen Schwulst und spricht von einem Strom der Güte, welche die Herzen erfüllen wird und böse Gedanken sich in Tränen der Liebe auflösen werden. Der Heiland, von der Kraft der Sonne befreit, wird inmitten blühender Mandelbäume herabsteigen und das Werk des Erbauers bewundern. Ekstatisch fällt Rautendelein vor Heinrich auf die Knie und küsst ergriffen seine Hand. Der Pfarrer vernimmt Heinrichs Worte mit Entsetzen und bewertet sie erwartungsgemäß als Ketzerei, bleibt aber locker. Der Theologe verspricht, Heinrich in seinem Unglück zu helfen, denn hinter seinem Trachten stehe die Sünde, und wenn der Pfarrer sich nicht rechtzeitig einmische, sei er verloren. Ein Fluch wird auf sein Haupt und das Gotteshaus fallen und konsequenterweise wird die wahre Kirche ihn jagen.
Genau umgekehrt verhält es sich, behauptet Heinrich. Er lag im Sterben und Tugend allein ließ ihn wieder aufleben. So denkt er! Für seine Seele wäre es besser gewesen, wenn er damals gestorben wäre. Beharrt der Pfarrer auf seinem Standpunkt? Er soll jetzt auf der Stelle die Sünderin - der Pastor meint Rautendelein - wegjagen. Gott soll den Kirchenmann erleuchten. Die versunkene Glocke wird eines Tages vom Seegrund auferstehen und in seiner Kirche läuten - jawohl! Dem Pfarrer reicht es. Er entschwindet, weil ihm ob solchen Frevels die Phrasen ausgehen.
Rautendelein möge sich bitte nähern und ihre Hand auf seine Stirn legen. Ihre Haarpracht will er fühlen und die Frische des Waldes soll zurückkommen. Vertraut das liebste Wesen ihm? Rautendelein sieht in den wasserblauen Augen und den goldenen Brauen Heinrichs den Lichtgott Balder und küsst seine wuchtige Stirn. Im Gegenkompliment bekennt er, dass seine Körperkräfte und seine Erleuchtung von ihr befeuert werden.
Das Unheil ist nicht fern und nähert sich aus der Tiefe des Sees. Magda hat Selbstmord begangen und sich aus Verzweiflung mit den Kindern in den See gestürzt. Sie liegt neben der Glocke und bewegt ständig den Klöppel, um das Glück der Liebenden zu stören. Die wehklagende Stimme aus der Tiefe vernimmt Rautendelein ebenfalls über den Herbstwind am Tage und dem Schrei des Falken in der Nacht. Sie schließt die Tür des Schlafzimmers und hofft, dass das Gespenst sich entfernen werde. Doch Magda lässt sich nicht beschwichtigen. Im kurzen Hemdchen schickt sie die beiden Kinder los. Barfuß trägt jeder Bub als Geschenk für Papa einen Kelch. In einem befinde sich Bitterkeit und in dem anderen Mamas gesammelte Tränen. Wo ist Mama jetzt? Sie liegt in einem Grab von Seerosen unten im Wasser! Magda bimmelt und bimmelt, bis Heinrichs Nerven versagen und er sein Rautendelein zum Teufel jagt. „Heinrich, komm zu dir!“ sind ihre letzten Worte, bevor er sich durch die Flucht entzieht.
Eigentlich wäre die Oper mit der Trennung der Liebenden zu Ende, aber die beiden können nicht auseinander kommen. Heinrich hat sein vielversprechendes Bauprojekt im Stich gelassen und in der unbeaufsichtigten Schmiede ist ein Brand ausgebrochen. Drei Elfen erzählen sich, dass rotglühender Wind vom Berg herunterbläst. Dicker Rauch steigt zu den Tannen hinauf und sammelt sich in der Schlucht. Die Flammen lodern, denn Balders Scheiterhaufen brennt.
Der Nickelmann hat wichtige Nachrichten für den Waldschrat. Was er vorausgesehen hat, ist eingetreten. Nun sei die Zeit gekommen, den wankenden Schmetterling einzufangen. Wenn er nicht weiß, wo er ist, soll er sich auf die Suche begeben. Er hat schon überall gesucht, entgegnet der Gefoppte. Durch Nacht und Nebel ist er gerannt. Selbst dort, wo die Gämsen springen, ist er gewesen. Das Murmeltier, den Falken und die Schlange, alle hat er befragt; selbst vor der rauchenden Schmiede ist er gestanden.
Nickelmann weiß noch viel mehr. Unglaubliches hat er im tiefen Wasser gesehen. Die Hand einer Toten suchte tastend unter den Seerosen nach der Glocke, berührte sie und - ob er es glaubt oder nicht - das Erz fing an schrecklich zu dröhnen. Dann sah er das bleiche Antlitz einer Märtyrerin, deren Haarpracht sie wie ein Heiligenschein umgab.
Das Bemerkenswerteste, was er gesehen habe, sei allerdings eine Elfe gewesen, die zu ihm in den Brunnen herabgestiegen sei, um in dem eiskalten Gewässer Trost zu suchen. Bestimmt habe sie sich in ihn vernarrt und nicht in seinen Dialogpartner, denn die Kleine schätze weder Hörner noch Bocksmäuler. Nickelmann hofft, dass der Waldschrat versteht, was er meint.
Der Verspottete bricht in ein bösartiges Gelächter aus, beugt sich über den Brunnenrand und wünscht Rautendelein, dass, so wahr wie die Sterne funkeln, sie einem Menschenkind Wiegenlieder singen wird.
Heinrich erscheint blass und in zerrissenen Kleidern auf dem Felsvorsprung über der Hütte Waldgroßmütterleins und ruft mit sehnsüchtiger Stimme nach Rautendelein. Er soll nur rufen - keine Sorge: sie wird schon kommen. Von der Alten will er wissen, was dort oben brennt. Woher soll sie das wissen? Einst lebte dort ein Mensch, der eine Kirche oder ein Schloss bauen wollte. Der Unachtsame ging fort und jetzt wütet dort ein Feuer und verursachte einen Waldbrand. Er soll gar nicht versuchen, diesen zu löschen, denn ohne Gefieder kommt ein Menschenkind nicht weit und seine Flügel seien zerbrochen. Heinrich weint aus Selbstmitleid, weil sein Werk ein Raub der Flammen geworden ist. Er soll sich ausruhen - dunkel sei sein Weg.
Aus der Tiefe des Brunnens hat Rautendelein die Stimme des Geliebten vernommen. Sie klagt über Herzschmerzen und kleidet diese in bittere Vorwürfe. Heinrich fällt ins Delirium, hält sich für den verstoßenen Sohn der Sonne und streckt seine Hand zum Himmelskörper aus. Waldgroßmütterchen erklärt ihm, dass seine letzte Stunde nun gekommen sei. Zum Abschied aus dieser Welt darf er sich etwas wünschen. Das wäre ein kurzes Wiedersehen mit Rautendelein! Die Begegnung - konfus und herzzerreißend - gestaltet sich zum letzten Lebewohl.
„In alto! Cantan le campane nel Sole! Il Sole! Ma la notte è lunga. - Ganz hoch oben läuten die Sonnenglocken. Die Sonne! - Aber lange dauert die Nacht.“
Letzte Änderung am 19.6.2011
Beitrag von Engelbert Hellen