Ottorino Respighi (1879-1936):

Semirâma

deutsch Semiramis / englisch Semirama / französisch Semirama

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1908-10
Uraufführung: 20. November 1920 in Bologna (Teatro Communale)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 140 Minuten
Opus: P 94

Zur Oper

Art: Tragisches Gedicht in drei Akten
Libretto: Alessandro Cerè
Sprache: italienisch
Ort: Babylon (Mesopotamien)
Zeit: um 800 v. Chr.

Personen der Handlung

Semirama: Königin von Babylon (Dramatischer Sopran)
Susiana: Chaldäische Hofdame (Sopran)
Merodach: Babylonischer General (Tenor)
Falasar: Tetrarch von Assyrien (Bariton)
Ormus: Hoher Priester im Tempel des Baal (Bass)
Satibara: Prophet im Tempel des Baal (Bass)
Farno: König von Medien, Kriegsgefangener (stumme Rolle)
Geist des Nino: Vormaliger König von Babylon (stumme Rolle)
Nynia: Prinz von Babylon, als Kind entführt (identisch mit Merodach)

Handlung

1. Akt:

Sehnsüchtig erwarten Königin Semirama und ihre chaldäische Hofdame Susiana die Ankunft der Schiffe, die mit Kriegsbeute beladen den Hafen verlassen haben und bald in prunkvoller Parade am Königlichen Palast und an den Hängenden Gärten vorbeiziehen werden.

Das Interesse der beiden Frauen gilt aber weniger den kostbaren Schätzen, sondern dem jungen General Merodach, der aus dem Krieg heimgekehrt ist und nun in Audienz von der Herrscherin empfangen werden soll.

Die Königin bemerkt die freudig erregte Anspannung ihrer Hofdame und entlockt ihr das Geständnis, dass Merodach ihr einst am silbernen See von Sinear und den Flüssen von Elasar begegnet ist und die kindliche Prinzessin und der Mann aus der Wüste in Liebe zueinander fanden.

Semirama, sich ihrer sinnlichen Ausstrahlung voll bewusst, ist selbst in den strahlenden Feldherrn leidenschaftlich verliebt und kann ihren Ärger nicht unterdrücken. Sie stichelt unausgesetzt und verliert sogar die Beherrschung, als Merodach zur Audienz erscheint. Das kostbare Halsband der Ishtar reißt sie von sich und wirft es dem Heimkehrer als Belohnung für seine militärischen Erfolge vor die Füße. Susiana schlägt die Hände vors Gesicht und kann die Reaktion ihrer königlichen Freundin, in vertrauter Anrede zärtlich Smirama genannt, nicht verstehen.

Die Ruderschiffe, die Dienerinnen zählten bis zu dreißig Fahrzeuge, haben nicht nur Gold, Elfenbein und den Plunder wilder Kriegsbeute - wie die Königin sich gern ausdrückt - geladen, sondern hatten auch Gefangene an Bord.

Ihre erste Nacht haben die medischen Männer, Frauen und Kinder in den unterirdischen Verliesen verbracht. Immerzu den Namen der Monarchin anrufend, beklagen sie das schlimme Los der Gefangenschaft. Obwohl unschlüssig, aber von dem monotonen Spektakel restlos genervt, sollen die Bogenschützen kommen, ihre Henkersarbeit verrichten, um dem Spuk ein Ende zu machen.

Unter den gefangenen Medern befindet sich auch ihr Anführer, König Farno. Semiramis behandelt ihn spöttisch, aber fair und gibt ihm die Chance, sich zu rechtfertigen. Doch Farno, in fataler Situation - das Heer geschlagen, die Hauptstadt Ekbatana erobert - schweigt wie einst Rhadames vor seinen priesterlichen Richtern.

Die Herrscherin gibt den Hinrichtungsbefehl für König Farno. Doch Merodach tritt dazwischen und schiebt den Henker energisch zur Seite. Aus politischem Kalkül hält der Feldherr eine Exekution für unangemessen. Unmissverständlich rügt er in bildhafter Redewendung solchen Unverstand. Farno wird in sein Verließ zurückgebracht.

Zu Recht fühlt Semirama sich als Frau und Königin schwer gekränkt. Von zwiespältigen Gefühlen des Stolzes und der Zuneigung verunsichert, greift sie zu Sarkasmus und Ironie, um ihre Verletztheit kundzutun. In gehässiger Rede lässt sie ihre Eifersucht an ihrer Hofdame aus. Merodach und die grenzenlos verstörte Susiana wollen den Stimmungsumschwung nicht nachvollziehen.

Endlich sind die beiden Liebenden allein! In einem der schönsten Liebesduette, welche die Opernliteratur kennt, erinnern sich die jungen Leute ihrer ersten Begegnung. Es war in Elesar bei den Sphinxen und den schneeweißen Marmorsteinen des Tempels, das Parfum wundervoller Blumen umringte ihre Gedanken, als sie sich vor dem Altar der Gottheit in einer engen Allianz der Liebe auf ewig banden. "Funkelnd und strahlend bist du, eine Stimme dringt zu mir herauf aus nebliger Tiefe glückseliger Tage", jubiliert Susiana.

Merodachs Herz wird gestreichelt von der unermesslichen Schönheit der chaldäischen Prinzessin; ihre seidenen Wangen sind erwärmt von geheimen Flammen, "Wie eine Perle aus den Tiefen des Meeres, wie eine weiße Feder über den Gipfeln von Rezef" bist du, schwärmt Merodach.

Susiana weint! Die Vorahnung kommenden Unheils überschattet das Glück der Stunde. Die Königin will den Liebsten umgarnen und entflammen! Doch Merodach wird die Schlange erwürgen!

Es kommt alles ganz anders. Das Schicksal schlägt furchtbar zu!

2. Akt:

In der großen Tempelhalle des Baal zelebriert der Hohepriester das Morgengebet. Bittgesang und Laudatio der Gläubigen vermischen sich mit den Gesängen einer herannahenden fremden Handelskarawane.

Ormus hatte Satibara (den Wahrsager des Tempels) gebeten, aus der Betrachtung goldener Pfeile, die er aus einem mit vergoldeter Kette verschlossenem Heiligtum hervorholt, die Zukunft vorauszusagen. Satibara sperrt sich, die Gottheit verweigert sich auch nach dem zweiten Pfeil und Ormus bleibt ohne Auskunft. Die beiden alten Herren sind sich nicht gewogen!

Unerwartet erhält Ormus den Besuch des Tetrarchen von Assyrien, der unangemeldet als Bittsteller aufkreuzt und für das unaufgeforderte Übertreten der Tempelschwelle gerügt wird.

Falasar schmeichelt der Weisheit des Alten, gibt vor, nicht leben und nicht sterben zu können und möchte Auskunft; es geht um seine Leidenschaft zu Semirama. Bei dem erkalteten Leichnam König Ninos hatte die Königin ihm Zusagen auf den Thron von Babylon gemacht. Bis jetzt sei aus der Sache nichts geworden und Falasar möchte einen Blick in die Zukunft tun.

Ormus sagt ihm den Königsmord auf den Kopf zu und stellt das Orakel. Ein krallenbewehrter Adler entführt das Lamm und verschwindet damit in den Wolken des Himmels.

Falasar kann mit der Auskunft nichts anfangen und erklärt den Anspruch auf den babylonischen Thron nicht aufgeben zu wollen; und auch nicht das Recht, neben der zechenden Königin zu liegen. Aber zuerst solle die Angebetete Vorleistung erbringen und ihn auf den Thron von Babylon platzieren.

Diese Unverschämtheit hat Semirama mitbekommen. Plötzlich tritt sie hinter der Statue des Baal hervor, wo sie gelauscht hat. Ebenso gelassen wie herablassend antwortet sie, dass er genau so albern handele, wie eine ausgehungerte Locuste, die Blätter nur von dem Baum fresse, den sie sich auserkoren habe. Der Bogenschütze möge doch auf seinen Körper zielen, aber bitte nicht auf seine Seele, entgegnet Falasar.

Auch Semirama wird von Hohenpriester zur Rede gestellt. Aus unterirdischer Grabstätte des Nino erhebe sich ein Schatten; ein versklavtes Volk klage an. Das Brüllen des göttlichen Zorns schließe den Tempel in Flammen ein und die frevelnde Stimme des Hasses zerreiße den Altar, so ist des Sehers Vorahnung.

Semirama sieht keine rebellierende Menge in ihren Hängenden Gärten, die Gottheit fürchte sie nicht, ebenso wenig den alten Hexer, und das Grab sei ihr gleichgültig.

Zwischen den beiden königlichen Streithähnen, beide bestens geübt in Schmeichelei, Bosheit und Tücke, kommt es nun zum Schlagabtausch.

Die Chimäre mit dem magischen Blick möchte gern wissen, weshalb im verzweifelten Herzen des Tetrarchen solch ein fürchterlicher Zorn tobt. Sie will nicht länger allein auf dem kalten Thron sitzen, nun ihr Versprechen halten und dem Mann den Platz an ihrer Seite anbieten, den das Schicksal für sie bestimmt hat. Falasar küsst ihre Knie.

Bedauerlicherweise meint die Königin aber nicht ihn, sondern Merodach und macht kein Hehl aus ihrer grenzenlosen Leidenschaft. Falasar kennt die Welt nicht mehr.

Er erinnert an die Leiche im Keller. Grausames Verbrechen aus nebliger Vergangenheit verbinde sie, gleich Schlangen in der sengenden Sonne. Er wird deutlich: Erinnerst du dich? Die Nacht der Inbrunst... Gift gab ich König Nino. Deinen entführten Sohn habe ich zu den Feinden geschickt ...

Verachtungsvoll reagiert die Königin auf den Erpressungsversuch und beschimpft den Tetrarchen als Hund, der es wage sie zu reizen.

Geschmeidige Tempeltänzerinnen stimmen die ständig beleidigten Götter milde und begrüßen mit ihrem Reigen den herannahenden Tag. Den Streitenden wird Gelegenheit geboten, die erhitzen Gemüter zu beruhigen und Semirama lenkt auch tatsächlich ein.

Verängstigt sei sie, und unendlich einsam, eine schwache Frau, die sich bedankt für die Liebe, die sie einst von ihm, Falasar, bekommen habe. Dem Verblüfften unterbreitet sie einen umfangreichen Katalog: Alles kann er von ihr haben: Frauen, Macht, glänzende Schwerter, reiche Provinzen, den Königlichen Palast. Allerdings im Angebot nicht enthalten: sie selbst, denn sie liebe einen anderen.

Falasar fühlt sich in seiner Ehre gekränkt. Er beabsichtigt die Königin mit Gewalt zu nehmen, um die unter seiner Führung zur Ekstase zu bringen, so sagt er.

Im Grunde muss der Enttäuschte sich gar nicht mehr anstrengen; die Königin schwebt bereits in orgiastischen Regionen der Zerstörung und des Weltunterganges. Völlig entrückt möchte sie ein Inferno veranstalten. Ihre Vision: Jungfrauen werden an den Haaren durch den Schlamm gezogen; die Dämme werden bersten und die Wasserfluten zerstören jede Straße. Triumphieren wird ihre immerwährende Leidenschaft zu Merodach, die den Kuss der Sonne verdient.

Dem Tetrarchen soll der Kopf abgeschlagen werden!

3. Akt:

Susiana ist zu Tode betrübt. Semiramis ist es gelungen, den General auf ihre Seite zu ziehen. Böse Vorahnung hat sich erfüllt! Die Ibisse fliegen gleich einer dunklen Wolke in türkisfarbener Dämmerung. Betrübnis erfüllt ihre Brust, so Susianas bittere Klage.

Auf der großen Terrasse der Hängenden Gärten geht das Bacchanal zu Ehren der ehelichen Verbindung von Semirama und Merodach seinem Höhepunkt entgegen. Plötzlich erscheint der Hohepriester auf der obersten Stufe der großen Treppe und geißelt die Verkommenheit der Welt. Alle fallen nieder; nur Semirama steht aufrecht und stellt sich ihrer Verantwortung. Zu dritt steigen sie hinab ins Mausoleum, um an Ninos Grab das Orakel zu befragen.

Falasar macht sich an Susiana heran und umschmeichelt sie. Heuchlerisch verurteil er Merodachs Verrat an ihrer Liebe, so wie er von Semirama verstoßen wurde, und simuliert Anteilnahme an ihrem Leid. Er möchte die Chaldäerin, die nur widerwillig zuhört, für ein Komplott gewinnen, ist aber mit seinen Ausführungen noch nicht zu Ende, als ein furchtbarer Schrei aus dem unterirdischen Grabmal ertönt.

Semirama steht unter Schock und ist außer sich. Unter der Last ihrer Schuld und der Mystik des Ortes hatte sie im unterirdischen Gewölbe eine furchtbare Vision. Nino war der Gruft entstiegen, hob seinen Arm und verfluchte sie. Seine kalte nasse Hand griff nach ihrer Kehle gleich den Krallen eines Raubvogels, er öffnete seinen übelriechenden Mund und schwarzes Blut ergoss sich in Strömen über ihren ungeschützten Kopf. Merodach versucht ihr zu erklären, dass sie Traum und Wirklichkeit miteinander verwechsele und nimmt sie in seine starken Arme.

Von Sehnsucht und Schmerz, von Poesie und Vergänglichkeit ist die Rede in dem Liebesduett zwischen Semirama und Merodach. Der nicht endenwollende Kuss wird von Susiana gestört. Wie eine Furie fährt sie dazwischen und lüftet das Geheimnis, welches Falasar ihr verraten hat. Merodach ist identisch mit Nynia, dem als Kind entführten Prinzen von Babylon und Sohn des Königspaares Nino und Semirama. Die Angegriffene kann die Realität nicht ertragen. Unter der unerträglichen Last der verdrängten Wahrheit flüchtet sie sich unbemerkt in die unterirdischen Gewölbe.

Susiana will Merodach für sich zurückgewinnen, ruft den Kummer in ihm wach, den das Verbrechen Falasars ihm bereitet hat. Im Mausoleum wolle der Assyrer dem Nebenbuhler auflauern, um auch ihn zu töten, so wie er König Nino gemeuchelt habe.

Merodach greift zur Waffe und steigt ins dunkle Grabmal hinab, um dem Gegner zuvorzukommen. Das Schicksal erfüllt sich. Die tödliche Waffe trifft die Mutter.

Blutüberströmt bricht die Königin auf der obersten Stufe des Mausoleums zusammen. Der Abschied der sterbenden Mutter von ihrem Kind ist ergreifend. Stoisch kommentiert der Chor wie in der antiken Tragödie das Geschehen: Semirama kehrt zurück als Mutter zu ihrem Kind.

Beschreibung

Mit Opernkomponisten von Weltgeltung ist das Italien des 19. Jahrhunderts reichhaltig vertreten. Es mag daran liegen, dass Ottorino Respighi, als Hauptvertreter des Impressionismus in Italien, der großartige Sinfonische Dichtungen und Instrumentalkonzerte schuf, dem aufkommenden neuen Stil des Verismo eines Pietro Mascagni (1863-1945) nicht folgen wollte, und deshalb seine Opern von seiner Zeit nicht in dem Maße gewürdigt wurden, wie sie es verdienen.

Tatsächlich ist Semirama eine Kostümoper, die höchste gesangliche Ansprüche stellt. Zwei Primadonnen von dramatischem Kaliber und höchster Gesangskultur, ein strahlender Heldentenor und ein tief-schwarzer Bariton sind erforderlich, um dieser Oper mit den Ausmaßen einer Turandot in vollem Umfange gerecht zu werden. Der Bühnenarchitekt und Ausstatter muss sich voll entfalten können.

Von einem 16 Jahre älteren Frühwerk einmal abgesehen, ist die Semirama der erste große Wurf für die Opernbühne, denen noch Belfagor, Die versunkene Glocke, Die Flamme und Die Ägyptische Maria folgen sollten. Als Respighi seine Semirama komponierte, hielt er sich in Berlin auf, war zeitweise Schüler von Nikolai Rimsky-Korsakoff (1844-1908).

In Berlin dominierten um die Jahrhundertwende die Werke von Richard Strauss. Wen wundert es, dass die Salome der Semirama weitaus näher steht, als die Semiramis von Gioacchino Rossini (1792-1868).

Salome hatte zehn Jahre zuvor ihre Uraufführung in Italien und mag den relativ unbekannten Librettisten Alessando Cerè fasziniert und inspiriert haben. Es gibt einen Tetrarchen, den Mann aus der Wüste, den Angebotskatalog an Schätzen, und auch einen abgeschlagenen Kopf, der die Liebeslust anheizen soll. Doch was soll's, dem Stil von Gabriel d’Annuzzio und Oscar Wilde folgend schuf der Dichter mit einem Libretto von bizarrer Symbolik und leuchtender Poesie ein Meisterwerk der Dichtkunst, welches ergreift und am Schluss zu Tränen rührt. Respighi griff zu!

Der bevorzugte Einsatz von Holzbläsern und Zupfinstrumenten erinnert an die Komposition Pelléas und Mélisande von Claude Debussy (1862-1918). Die Tonsprache passt sich dem dichterischen Wort an, ordnet sich aber nicht unter und entwickelt ihre eigenen Figuren. Auf Orientalismen, der Folklore entlehnt, wie in den Bacchanalen der Oper Samson und Dalia des Komponisten Camille Saint-Saëns (1835-1921) wird gänzlich verzichtet.

Von dem Komponisten der Oper Mord in der Kathedrale, Ildebrando Pizzetti (1880-1968), der für die Mailänder Zeitung Il secolo schrieb, wurde in Verbindung mit einem Laudatio für den Komponisten, die Uraufführung der Semirama über die Maßen gelobt.


Letzte Änderung am 25.10.2008
Beitrag von Engelbert Hellen