Amilcare Ponchielli (1834-1886):

I Lituani

deutsch Die Litauer / englisch The Lithuanians

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1874, rev. 1875
Uraufführung: 7. März 1874 in Mailand (Teatro alla Scala)
6. März 1875 in Mailand (Teatro alla Scala)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 130 Minuten
Erstdruck: Mailand: Ricordi, 1874 ?
Verlag: Mailand: Ricordi, 1875 (Klavierauszug)
Opus: op. 7

Zur Oper

Art: Lyrisches Drama in drei Akten und einem Prolog
Libretto: Antono Ghislanzoni nach dem Epos „Konrad Wallenrod“ von Adam Bernhard Mickiewicz
Sprache: italienisch
Ort: in der Marienburg an der Ostseeküste und in Litauen
Zeit: 14. Jahrhundert

Personen der Handlung

Walter / Valteris / Corrado: Hochmeister des Deutschen Ritterordens (Tenor)
Aldona: seine Gattin (Sopran)
Arnoldo / Arnoldas: litauischer Fürst (Bariton)
Vitoldo / Vytautas: ein Litauer (Bass)
Albano / Albinas: ein Barde (Bass)
Weitere: Kreuzritter, Soldaten, Spielleute, Mönche und andere

Handlung

Prolog:

Im Heiligen Land haben die Kreuzritter gründlich abgeräumt, aber die Welt soll nicht glauben, dass es nun nichts mehr zu tun gäbe. Im Norden, wo die Balten und die Pruzzen wohnen, ist die Welt noch nicht zum Christentum bekehrt. Die Teutonen verrichten ganze Arbeit, dabei geht es hoch her. Die Tempelritter haben durch Übung gute Kondition erworben, stoßen aber auf heftigen Widerstand der einheimischen Bevölkerung.

Von den Wällen einer intakt verbliebenen Burg schaut Albano, ein alter Barde, in die Runde. Die Aussicht ist furchtbar. Aus der Ferne gleichen die Täler einem Meer aus Feuer. Von den Dörfern und Städten werden vom Rauch schwarzgefärbte Ruinen und entlaubte Bäume übrig bleiben. Qualm steigt zum Himmel auf. O Vaterland! O mein Litauen! Wer wird zu Deiner Verteidigung kommen? Die Hände der mutigen Söhne wurden abgeschlagen. Gott hat sein Volk verleugnet.

Von ihren Frauen und Dienerinnen gefolgt, kommt Aldona aus der Burg und fragt zitternd, was es Neues gäbe. Ist ihr Bruder Arnoldo noch nicht vom Schlachtfeld zurückgekommen? Mit seinem zukünftigen Schwager Walter ging er am frühen Morgen weg. Die Mutigen gehören immer zu den Letzten, die das Schlachtfeld verlassen. Also war dies ein schlimmer Tag, schlussfolgert Albano treuherzig.

Nie hat solche Furcht ihr Herz gepackt und Aldona fordert den Opernchor auf, das Abendgebet zum Himmel aufsteigen zu lassen. Dieser macht Vorschläge, welche sozialen Randgruppen der Schöpfer bevorzugen soll. Als erstes kommen die Alten an die Reihe, die depressiv und traurig sind. Dann sind die schluchzenden Mütter gefragt, die begehrlich auf den Kuss ihrer Söhne warten. Der gefallenen Helden soll gedacht und die nackten Waisen, die begehrlich und intensiv nach Atzung schreien, dürfen nicht vergessen werden. Albanos Anliegen an den Schöpfer ist es ist, dass die verstreuten Krieger wieder zu Gruppen zusammenfinden, um Rache für das geschundene Volk zu nehmen. Aus dunkler Schlucht soll ein Ruf aufsteigen, den die Eindringlinge wie das Brüllen von tausend Löwen wahrnehmen.

Arnoldo und Walter sind mit einer Hiobsbotschaft vom Schlachtfeld zurückgekehrt. Vergeblich haben ihre Männer sich ihrer Haut gewehrt, denn einer der Führungskräfte aus ihren Reihen hat vorzeitig den Kriegsschauplatz verlassen. Vitoldo war der Verräter! Schande über ihn!

Und was nun? Es gibt einen Ausweg meint Walter. An anderer Stelle muss gegen die Kreuzritter weitergekämpft werden. Doch dazu ist es notwendig, den Schauplatz zu wechseln. Allzu viel hält Arnoldo von der Idee nicht. Fürsorglich fordert er einige Brüder auf, ihre Loyalität zu stärken und sich vor dem Altar zum Sterben fertig zu machen.

Aldona schaut zu Walter und hat ihn noch nie so beunruhigt gesehen. Welch schauriges Schicksal wird sie alle erwarten? Ein fataler Frost greift an ihr Herz. So jung und schön sie auch ist, und so sehr die ihn auch liebt, aber es hilft alles nichts - er wird Raum und Zeit zwischen sie setzen. Der Barde zerbricht seine Laute, denn Sklaven vermögen mit ihrem Gesang den Himmel nicht zu erreichen. Die rücksichtslosen Teutonen werden versuchen, das Land zu unterjochen, aber stolz werden die Gedemütigten in den Tod schreiten.

Walter setzt Albano von seinem Plan in Kenntnis. In seiner Stunde werden sie ziehen. Zwei Renner warten unten an der Brücke. Walter malt sich genüsslich aus, wie Aldona reagieren wird, wenn sie von der Absicht erfährt, dass er sich absetzt. Ein unendlich sorgenvoller Aufschrei wird sich ihrer Brust entringen und in diesen antiken Räumen widerhallen. Arme Aldona, was wird das geliebte Weib fühlen, wenn ihr Bruder und ihr Bräutigam sie verlassen werden. Wer wird ihr von dem schrecklichen Schicksal erzählen, wenn etwas passiert?

Albano stellt fest, dass der edle Anschlag, den er einst in sein junges Herz einflößte, in langer Zeit sorgsam gewachsen ist. In der Tat, Walter hat sich entschieden, ihn auszutragen und dann zu sterben. Gesegnet sei die Zeit, in welcher Albano ihm die Liebe zum fernen Heimatland austrieb und in seinem Herzen die feurige Hymne von der teutonischen Unterdrückung angerührt hat. Möge die fatale Hydra, welche die ganze Welt mit Elend und Sklaverei bedroht, elend verenden. Walter soll das horrible Monster ins Herz treffen. Albanos väterliche Liebe wird ihn führen. Jetzt wird er noch Aldona Lebewohl sagen. Der Teufel trennt sich vom Engel. Abgründe wird er behutsam abschätzen.

Walter kniet vor Aldona und bittet sie um Vergebung, weil er sie verlassen muss. Sie hilft ihm beim Aufstehen, damit er der Stimme ihres Herzens lauschen kann. Er bricht sein Liebesversprechen, aber sie weiß, dass ihre Gebete vergeblich sein würden, seinen Entschluss ins Wanken zu bringen. Mit Weinen und Schluchzen auf dieser Erde kann der Sturm nicht gestoppt werden. Der Gedanke ist genug für sie, dass sie von ihm geliebt wurde und sie verspricht ihm, heiter zu sterben.

Er wird sie immer lieben, aber nun warnt sie ihn, dass er nicht beginnen soll, zu lügen. Wenn ihm etwas an ihr läge, dann hätte er ihr erlaubt, seinen Fußstapfen zu folgen. Als Märtyrerin für ihr Vaterland wäre sie gern gestorben. Sein Schicksal hat sich in dunkler Nacht gedreht. Von Mördern und Verrätern wird er umgeben sein, aber bevor er den Balten die verlorene Freiheit zurückgeben kann, wird ein Strom menschlichen Blutes von seiner Hand zur Erde rinnen. Gott im Himmel! Kann er die Vision, die er in ihr wachgerufen hat, nicht annullieren? Im Hinblick auf die Auswirkung wäre es unklug, es zu tun.

Er verabscheut Rom, denn für Rom ist Krieg heilig und brüderlich. Einzig aus Ehre zu den Göttern zerstört diese Brut Leben und die Erde. Sieht Aldona in der Ferne das Feuer und wie Litauen brennt? Unter den Hieben der grauenvollen Besetzer, tropft unseren Brüdern das rote Blut von den Schultern. Aldona bedeckt das Gesicht mit ihren Händen. O meine Heimat, o meine Heimat! Solches Schicksal erwartet jeden von uns - so wird es sein. Es ist auch das Schicksal von unseren Kindern.

In einem friedlichen Heimatland oder als Märtyrer im Himmel wird man sich wiedersehen. Ein kurzes Liebesduett und der Vorhang senkt sich.

1. Akt:

Zehn Jahre später wird dem Opernpublikum der festlich geschmückte Kathedralenplatz in der Marienburg vorgeführt. Freudig heißt das Volk den Morgen des glücklichen Tages willkommen, an dem der neu erwählte Hochmeister ihnen vorgestellt werden soll. Missmutig nimmt Vitoldo zur Kenntnis, dass Corrado von Wallenrod ein Landesfremder ist. Die Frauen loben ihn empathisch als einen großherzigen Mann, dessen Ruhm sich bereits auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Doch Vitoldo erklärt seinen Edlen, dass von der Behauptung nichts stimmen würde. Ein Freigeist sei er, abhängig vom Wein, der seine Tage mit wilden Orgien verbringt. Das Volk stimmt den Verunglimpfungen nicht zu. An den spanischen Küsten war er der Schrecken der Mauren und unter den Muslimen galt er als rächende Gottheit. Zu Recht sei er befugt, zu den höchsten Ehren des Ordens aufzusteigen.

Eine Gruppe von Mädchen und Jungen, blumengeschmückt, führen ein Ballett auf. Ein Barde singt dazu ein Lied, dass Blumen blühen und Gärtner die Welt mit immer neuen Züchtungen erfreuen sollen. Bei Vitoldo ist von Wonne keine Spur zu erkennen, denn der neue Hochmeister beraubt ihn der Macht, die er für sich eingeplant hatte. Auch Albano ist mit sich selbst nicht im Klaren, denn sein Herz ist beschlagnahmt von einer dunklen Betroffenheit und er möchte jedes Gesicht erforschen, welches ihm verdächtig vorkommt.

Eine Trompete bläst und das Ballett positioniert sich auf den Stufen der Kathedrale. Zehn Heiden sollen traditionsgemäß zu Ehren des neuen Hochmeisters am frühen Morgen des folgenden Tages hingerichtet werden. Angeschoben von den Wachen stolzieren sie in Ketten langsam vorwärts. Herunter mit den Köpfen der schmutzigen Heidenvölker! Die Gefangenen beugen zum Klang der Orgel erschöpft das Knie. Aus dem Innern der Kathedrale ertönt ein Chor, der den Heiligen Geist auffordert, auf den höchsten Ritter herabzusteigen, seinen Glauben aufleben zu lassen und noch mehr Eifer in seinem Herzen zu entzünden. Das letzte Opfer erwartet die Gefangenen, aber die grauenvollen Teutonen sollen zu sehen bekommen, wie stolz mutige Helden zum Tode schreiten.

Vitoldo empört sich, denn das Volk ruft, dass er ein Verräter sei. Ein Herold, gefolgt von Soldaten, schreitet die Stufen der Kathedrale hinab und fordert den Pöbel auf, den Weg freizugeben: „Omaggio di Cristo ai cavalier!“ Eine Prozession setzt sich in Bewegung und die Mitglieder der geistlichen wie der weltlichen Macht bringen sich in Position. Der Erzbischof der Marienburg überreicht Corrado von Wallenrod feierlich die Insignien seiner Macht und die Embleme der Teutonen.

Als demütiger Soldat und unwürdiger Minister des Herrn buhle Corrado nicht um eitlen Ruhm. Der Himmel habe ihm andere Ziele übertragen. Wer könnte ihn jemals abhalten, diese zu erreichen? Als der Herr ihn aus dem Nebel zu dem erhabenen Thron aufsteigen ließ, beauftragte er ihn, mit dem Schwert den Glauben zu verbreiten und verlieh ihm ungeheure Machtfülle. Die Edlen bestätigen, dass das Schwert ihm nicht als unbrauchbares Spielzeug in die Hände gegeben wurde, sondern dass er damit den Heiden Krieg und Tod bringen sollte. „Tod den Litauern!“ bringen Vitoldo und die Umstehenden seinen Auftrag auf den Punkt.

Opposition wird nicht geduldet. Doch dann schlägt der Großmeister mildere Töne an. Die Stimme, die vom Kreuz her tönt, sollte zu den Herzen der Menschen sprechen. Der Schrecken des Krieges soll aufhören und mit den immensen Blutopfern soll Schluss sein. Die Sklaven, die als Opferlamm anstünden, sollen von ihren Ketten befreit sein und ihren Weg gehen können. Entsprechend habe Gott ihn inspiriert.

Die Teutonen wundern sich, dass der Himmel so gesprochen und durch seinen Mund auch noch angefeuert haben soll. Wer würde sich sträuben, dem Himmel zu widersprechen. Ehre sei dem Auserwählten und seinen Überlegungen. „Il cielo ha parlato! Chi mai, chi resiste?“

Corrado geht voran und steigt die Stufen herab, gefolgt von den Würdenträgern der weltlichen und geistlichen Macht, von Äbten, Mönchen und teutonischen Ritter. Vitoldo ahnt in seiner stolzen Haltung und seinem blitzenden Auge ein düsteres Geheimnis. Er schlägt seinen Edlen vor, den Kopf zu beugen bis das Rätsel sich lüftet. Einstweilen sei Glorie und Ehre dem von Himmel Erwählten zuteil! Die Gefangenen preisen seine Milde, die sie zu ihren Familien zurückkehren lässt. Heilig sei der Name des mildtätigen Fremden!

Zwei Personen aus dem Prolog tauchen wieder auf. Aber ihr Status hat sich verändert und ihr Charakter auch. Arnoldo gehörte unerkannt zu den Gefangenen und ist nun frei. Seine Schwester hatte sich in den letzten zehn Jahren vergeblich auf die Suche gemacht, um ihren Mann zu finden. Aus Verzweiflung ist aus ihr eine Klosterfrau geworden. Ist es nicht irre, seine Ketten sind gebrochen. Doch was er erlebte, kommt ihm wie ein Traum vor. In dem frischgebackenen Hochmeister erkennt er seinen ehemaligen Weggefährten wieder. „Mein Gott, Walter! Wie hast du dich verändert!“

2. Akt:

In der Festhalle der Marienburg feiert Corrado seine Ernennung zum Hochmeister. Fürsten und Ritter aus deutschen Landen und der Separatist Vitoldo bilden den Kreis seiner engsten Vertrauten. Troubadoure und Jongleure sind für die Unterhaltung zuständig, hinzu kommen sarazenische Tänzerinnen, die mit kreisenden Bauchnabeln Schwung in die stupide Mannschaft bringen. Hübsche Pagen schenken aus großen Amphoren Wein ein. Albano wandert herum und verteilt die Plätze.

Corrado steht auf und hebt den Becher. „Lasst uns jubeln im Namen Gottes. Mögen die Becher die Herzen erheben.“ Alle stehen auf und wiederholen seine Worte. Corrado ist mit der Stimmung, die im Saal herrscht nicht zufrieden. Das ominöse Gemurmel erinnere ihn an die Zeremonie einer Beerdigung. Sie seien keine wohlerzogenen Mönche und er erinnert daran, dass sie jetzt Krieger sind. Das Bankett ruft zu uneingeschränkter Freude. „Lasst uns trinken!“ Die Gäste folgen seinem Beispiel.

Mit leiser Stimme hetzt Vitoldo die Nächststehenden auf und wettet, dass der Kopf des Erwählten mit düsteren Gedanken vollgestopft sei, denn seine Augen flackern düster.

Corrado bewegt sich weg vom Tisch und spaziert zu den Frauen und den Spaßvögeln. Die Männer sollen aufwachen aus ihrer Verschlafenheit und tanzen. Wunderschöne Töchter der maurischen Könige halten sich zur Verfügung. In dem Lärm verrückter Orgien vergisst das Herz seine Sorgen und eine Nacht der Narrheit eile den Ereignissen der kommenden Tage voraus. Die Gäste stimmen ihm zu. Sie wollen singen und tanzen und es soll reiner Wein in die Becher gegossen werden. Lasst uns verrückt sein, bis der neue Tag anbricht. Dunkelhaarige Andalusierinnen verbreiten Wonnegefühle und heben die Stimmung.

Albano gesellt sich Corrado zu und provoziert ihn, er solle sich seiner Sorgen erinnern. Ist er nicht geblendet vom Glanz seiner neuen Macht? Albano soll verschwinden, denn er füge seinem Herzen Schmerz zu. Er solle ihm wenigstens eine Stunde des Vergnügens und der Ruhe gönnen. Einige behaupten, die Schönheit der griechischen Frauen gehe über alles und loben den samten Schimmer ihres schwarzen Haares. Albano gibt keine Ruhe. Möge die Stimme der Liebe in seinem Herzen freundlich widerklingen und das Schicksal seines Vaterlandes ihm nicht gleichgültig sein. Von allen Seiten wird dem neuen Hochmeister geschmeichelt. Dieser fühlt sich ganz als Gebieter und wendet sich den Frauen zu.

Aber seine ungestümen Gedanken bewegen sich in eine andere Richtung. Der süßlichen Gesänge ist er müde und er möchte zur Abwechslung etwas Heroisches, gar einen rauen Kriegsgesang hören. Die Schlachten des siegreichen Ordens bieten genügend Material. Ist unter den Barden niemand, der in seinem Lied eine Stimmung wiedergeben kann, die dunkel und wütend wie der Atem des Meers ist und leidenschaftlich klingt wie die Ausbrüche eines trunkenen Sünders. Corradis Gesicht ist grimmig und sein Auge blitzt vor Ärger!

Lasst uns ihm lauschen, schlägt Vitoldo vor. Oftmals verrät Wein die Absichten des Herzens!

Zwei Barden treten vor. Da ihre Kopfbedeckung auch das Gesicht halb verdeckt, werden Arnoldo und Aldona als Fremde wahrgenommen. Nur Albano weiß, um wen es sich handelt und macht sich Sorge. Möge der Himmel sie führen! Corrado fordert den Barden mit der Laute auf, zu beginnen. Alle warten voller Spannung, was der Fremde vortragen wird.

„Sui Lituani fiumi io vidi il sol,
e mia patria io canto.
La dolce patria un di fiorente e lieta...
Oggi albergo di tenebra e di pianto -“

Ich sah die Sonne auf dem litauischen Fluss
und ich singe von meinem Heimatland, der süßen Heimat,
einst reich und friedvoll
und nun Herberge von Düsternis und Kummer.
Meine Stimme ist das Echo immenser Sorge,
welche von der Erde aufsteigt zu Gott.
Es ist der bange Atem, die rastlose Woge,
die das menschliche Schicksal schüttelt und antreibt.
Ich bin der furchtbare Engel,
der zwischen den Wolken erscheint,
um den blutigen Nebel
neu zu beleben für den Tod.“

Corrado unterbricht und kritisiert, dass diese Töne sein Herz beunruhigen und der Chor schlägt vor, den mysteriösen Sänger fortzuschicken. Doch Arnoldo fährt unbeirrt fort:

Litauen ist tot, aber ein Krieger
steigt auf vom Schlachtfeld.
Er stößt einen gewaltigen Schrei der Rache aus,
denn Sturm tobt in seinem Herzen. Der Blitz zuckte aus seinem Auge.

Wo ist er? Verschwunden! Welchen Weg hat der Abtrünnige genommen?
Das Herz einer Frau ist erfüllt von Tränen.
Sie hielt sich bereit und litt zehn Jahre lang.
Mögen die Trompeten endlich blasen, um die Freiheit zu avisieren.
und ein Volk wird machtvoll auferstehen aus dem Grab.

Corrado ist verwirrt! - Was ist, wenn der Fremde sein Geheimnis kennt?

Unmut macht sich breit und ein Sturm bricht los. Der Barde soll dem betrunkenen Volk seine Geschichten erzählen! Corrado zieht wütend sein Schwert und geht auf den mutigen Barden zu. „Er soll sterben“ rufen alle. Doch in diesem Moment rutscht seinem Begleiter die Maskierung zur Seite und alle erkennen Aldona. Sie trennt den Angreifer von seinem Widersacher und ruft aus, dass es ihr Bruder sei. Corrado weicht zurück und wird plötzlich ganz sanft.

Von seinen Empfindungen gefangen genommen, befiehlt er, dass alle ihre Schwerter niederlegen sollen. Corrado starrt auf Aldona und ist bezaubert. Die Gäste können sich die plötzliche Blässe in seinem Gesicht nicht erklären. Beide schauen sich im Banne der Wiedersehensfreude verzückt in die Augen. Vergessen sind bei Aldona Tränen, Furcht und Bedauern. Sie hat ihren Liebsten wiedergesehen, der Himmel hat sich geöffnet, und jetzt kann sie beruhigt sterben. Seine Augen erklären ihr seine Liebe, weil der Mund es nicht kann. Albano mahnt Corrado, dass er die Kontrolle über sich nicht verlieren soll, sonst ist er verloren. Die Liebe zu seinem Land wird ihn schützen - die andere Liebe soll ruhig bleiben! Hundert Augen schauen auf ihn.

Noch einer schnappt über. Es ist Vitoldo, der sein Herz auch an Aldona verloren hat. An den litauischen Ufern hat er sie in der Blüte ihrer Jugend gesehen und tiefes Entzücken erleuchtete sein Herz. Aldona, ja sie ist es, die Tochter des Königs von Kowno!

Jongleure und Troubadoure sind ungehalten über die Störung des Banketts. Ist ein böser Geist über den fremden Barden hergefallen? Sturm ist aufgestiegen zum Klang der düsteren Harfe. Ärger und Zorn haben den Platz der Freude eingenommen!

Der Hochmeister muss die Form waren und dem ungestümen Wind entgegentreten. Er lässt Arnoldo und Aldona vorläufig in Gewahrsam nehmen, um die vor möglichen Übergriffen der Gäste zu schützen. Beide Gefangenen sind niedergedrückt und denken ans Sterben.

Die Fäden der Handlung verwirren sich erneut. Vitoldo stellt fest, dass eine Fülle an Information ausgekrochen ist. Er denkt daran, die Schuldigen ihrer Strafe zuzuführen, sobald Klarheit herrscht. Die Nacht wird erst einmal durchgefeiert!

3. Akt:

Die Ruinen einer Kapelle bieten den Auftakt zum dritten Akt. Im Vordergrund steht ein Sockel mit einem gewaltigen Kreuz unter dem Frauen und Kinder beten. Von Hunger und Kälte bedroht, kämpft das Volk vergeblich gegen Gottes Zorn und kommt sich verlassen vor.

Aldona kommt aus der Kapelle und findet, dass die Sonne düster und dunkel scheint. Frischer Schnee hat die Erde in ein weißes Kleid gehüllt. Ein Schrei hat sie aus dem Schlaf gerissen. Vermutlich war es ein Geist, da sonst niemand zu sehen ist und Aldona befiehlt ihm, in sein Grab zurückzukehren. Die Unglückliche hält Rückschau auf ihr momentanes Leben und fragt sich, was sie sich noch zu erhoffen habe. Sie hat gelitten und gewartet, aber der geliebte Walter ist nicht gekommen.

Doch dann erscheint Albano und avisiert den Vermissten. Aldona fühlt sich in den Himmel entführt. Er bittet sie, ihre Arme für ihn zu öffnen. Er wurde von seinem Posten als Hochmeister abgelöst und jetzt kann sie auf dieser Welt nichts mehr trennen. Ist der fürchterliche Krieg etwa zu Ende? Das Schicksal ihrer Heimat habe sich erfüllt. Der Morgen des lang erflehten Tages ist angebrochen. Dann kann Aldona glücklich sterben. Sie haben beide viel gelitten, sollten nicht ans Sterben denken und sich freuen. Er liebt sie und ihre Liebe hat hoffentlich nicht nachgelassen. Gesegnet sei die Ekstase der Vergangenheit, aber manchmal ergreift die Kälte des Todes ihr Herz. Er schlägt vor, dass sie aus dem Herbst des Lebens in den Frühling ihrer Jugend zurückkehren sollten. Das Tal kommt ihm in Erinnerung, welches sie in der Zeit ihrer ersten Liebe verband, die Krümmung des Flusses mit der Wiese - ein Ort der Glückseligkeit, welche die Spuren der Vergangenheit nicht ausgelöscht hat. Aldona rügt ihn, dass er ihr ein Paradies beschreibt, welches ihr Herz nie mehr wiedersehen will. Der Tod habe bereits nach ihr gegriffen und er soll sich anschauen, wie ihre Stirn vom Alter gefurcht ist. Kein Lächeln wird dort mehr auftauchen! Dem Kummer will sie leben, falls die liebenden Gedanken ausbleiben.

Von draußen dringen Stimmen in die Kapelle. Sie tönen von Scham, Bannfluch und höchster Justiz: „Sciagura, anatema, Giustizia suprema!“ Schauder greift nach seinem Herzen! Was schief gelaufen sei, will Aldona wissen. Was wandert sein Blick unruhig umher? „Ich bin verloren und verraten! Kann sie die Stimme von seinen furchtbaren Mördern nicht hören?“ Aber Corrado schwört, er wolle vor diesen Teufeln nicht kapitulieren. Von Aldona verabschiedet er sich. Will er sie etwa schon verlassen? Er geht zur Marienburg, die sich nun in den Händen der Litauer befindet. Arnoldo ist heute Nacht auch dort. Er sei der Kopf ihrer Truppe. Corrado begleitet Aldona zum Betraum und fordert sie auf, sich an diesem dunklen Platz zu verstecken, um für ihn zu beten. Unter Tränen wird sie seiner Weisung Folge leisten. Corrado versucht, sich aus ihrer Umklammerung zu befreien. Entweder morgen - oder nie wieder wird er zurückkommen. Schöne Aussichten für Aldona!

Was ist Schlimmes passiert? Es ist herausgekommen, dass Corrado nicht den Orden begünstigte, sondern die Litauer. Alle wissen, dass emotionale Bande ihn mit Aldona verbinden und diese Tatsache ist ihm nun zum Verhängnis geworden. Er selbst ist Litauer mit deutschen Wurzeln, geriet aber schon in jungen Jahren unter den erzieherischen Einfluss der Ordensritter. Er konnte politisch aufsteigen, weil er Köpfchen hatte und seine Herkunft verleugnete. Unter dem Einfluss von Albano, getrieben von dem Gefühl der Gerechtigkeit kam die Gesinnungsänderung und Walter wechselte insgeheim die Fronten. Nun hat er die Hölle auf dem Hals, die nach ihm greift.

Die Schlacht ging für die deutschen Soldaten komplett verloren, weil sie den Hochmeister nicht mehr hinter sich sahen. Manche rannten einfach weg, denn dem Enthusiasmus der zahlenmäßig überlegenen Gegner waren sie nicht gewachsen. Von ihren Kameraden gestützt, irren die Verwundeten durch das Tal, behindert vom fallenden Schnee. Frauen wandern umher, loben den schicksalhaften Tag und suchen nach ihren männlichen Angehörigen. Der Wald hallt wieder von den Schreien der Verletzten. Die herumliegenden Kadaver dienen wilden Tieren zum Fraß. Wer kann sich an ein schlimmeres Desaster erinnern? In wilden Haufen verlassen die Teutonen das unwegsame Gelände und flüchten in die Stadt. Möge Corrado, der abscheuliche Litauer, der den Tod über die deutschen Ritter brachte, verderben.

„Sciagura, anatema, Giustizia suprema!“ Gemeint ist Walter, dem der Untergang geschworen wird. Einige Mitglieder des Ordens ziehen ihre Schwerter und umringen das Kreuz. „Rache, Rache!“ Mit ihrer Waffe wollen sie das Herz des üblen Verräters aufspießen! Bei der Absichtserklärung bleibt es, denn sie ziehen weiter, gefolgt von Aldona. Ihre Bitte, ihren Verlobten zu schonen und sie an seiner Stelle zu opfern. wird zu leise vorgetragen und geht unter.

SZENENWECHSEL

Walter kommt in der Marienburg an und Albano will wissen, ob Aldona auch bei ihm ist. Er soll den geliebten Namen nicht aussprechen, denn er verlor sie für immer. Ist sie tot? Großer Gott, was muss er hören? Sie selbst lebt, aber die Ordensbrüder haben der Übeltäterin nicht vergeben und über ihn haben sie den erbarmungslosen Bannfluch ausgesprochen. Nun sind die glühenden Geister hinter ihm her und folgen ihm wie ein Schatten. Sie bewachten Tore der Burg wird niemand öffnen können, meint Albano.

„Scham, Bannfluch und höchste Justiz für den üblen Verräter!“ Diese fatalen Worte dringen von außen herein. Sie sind umringt, es gibt keinen Weg nach draußen, aber lebend bekommen sie ihn nicht, ereifert sich Walter, nun nicht mehr Corrado genannt. Ein Fläschchen vergifteten Likör hat er dabei und eine Karaffe mit Wein steht auf einem Tischchen bereit. „O mein Walter“ bemerkt Albano wehleidig, als er beobachtet, wie Walter die eine Flüssigkeit in die andere kippt. Salbungsvolle Worte begleiten die Ausführung der verhängnisvollen Tat.

Möge das Schicksal sich erfüllen in diesem höchsten Moment. Es sei die Antwort auf den Bannfluch der Hölle. Sein Heimatland sei nun frei und er fühle sich gerächt. Es sei zwar betrüblich und es erfülle ihn mit immenser Sorge, an dem erhabenen Tag ihres Sieges sterben zu müssen, aber er kalkuliert, dass ihm von seinem Schöpfer die Krone des Martyriums zugesprochen wird. Walter nimmt einen tüchtigen Schluck und Albano bekommt auch Lust, sein Leben auszulöschen. Doch Walter weigert sich, ihm das Vergnügen zu gönnen und wirft das Gefäß auf den Boden, dass es zerspringt.

Durch wen soll Aldona von seinem Ableben erfahren, wenn nicht durch ihn. Albano ist unglücklich, weil er, der ihm die Liebe zur Freiheit eingeimpft hat, zum Leben verdammt ist nun das Nachsehen hat. Walter ist sich sicher, dass die Tore des Paradieses offenstehen werden, sobald Tränen seine Seele geläutert haben.

Vitoldo und die sich für zuständig haltenden Richter, erscheinen an der Türschwelle und nennen ihn laut beim Namen. Was wollen sie von ihm? Sie seien die Phantome des Todes und wollen sein Blut. Er solle um Vergebung seiner Sünden bitten, sein Haupt beugen und sich auf den Tod vorbereiten. Wieso? Er habe nur einen einzigen Fehler und das seien die albernen Insignien des Ordens, die er auf seiner Brust trägt. Walter wirft sie auf den Boden, zieht sein Schwert und befiehlt, dass sie zurücktreten sollen. In diesem Moment ertönen von draußen die Rufe der Litauer, die sich anfeuern, dass sie ihre Waffen erheben sollen. Walter erklärt den Unterdrückern des litauischen Volkes, dass die Löwen die Ketten zerbrochen haben und ihre Wut sich nun gegen sie richten wird. Vitoldo will sich mit dem Schwert auf ihn stürzen, doch in diesem Moment kommt Arnoldo zur Tür herein und wirft sich dazwischen. „Morte ai Germani!“ Himmel, Vitoldo und die Richter sind verloren.

Überraschend erscheint Aldona auf der Bildfläche und hat auch einen Spruch vorbereitet. „Ah, basti il sangue“ und stellt zu ihrer Zufriedenheit fest, dass Walter lebt. Aber nicht mehr lange, denn es nahen die ersten Todesschauer, die ihn durchschütteln. Was ist los mit Walter? Mit vereinten Kräften tragen sie ihn zum Fenster, denn frische Luft kann Wunder bewirken. Doch das schöne Paradies, welches ihn erwartet hätte, kann ihn nicht mehr beglücken.

Willis kommen und bringen Walter eine Krone aus Blumen und Lorbeerblättern. Bei den Damen handelt es sich um unsterbliche Jungfrauen, deren Aufgabe es in Litauen ist, verdiente Helden auf liebevolle Art zu umfangen und ihn auf dem Weg in ein ewiges Leben zu begleiten. Sie singen:

„Delle immortali vergini,
vieni all'amplesso, o martire sublime;
vieni alla luce, al gaudio!
Amor di patria ogni fallir redime!“

Der Chor antwortet, dass alle, die für das Vaterland sterben, zur ewigen Herrlichkeit gelangen. Die Litauer knien in Eintracht um den Körper Walters.


Letzte Änderung am 22.3.2013
Beitrag von Engelbert Hellen