Ignaz Jan Paderewski (1860-1941):
Entstehungszeit: | 1892-1901 |
Uraufführung: | 29. Mai 1901 in Dresden (in deutscher Sprache) 8. Juni 1901 in Lwiw / Lemberg (in polnischer Sprache) |
Besetzung: | Soli, Chor, Violine solo und Orchester |
Spieldauer: | ca. 110 Minuten |
Erstdruck: | Berlin: Bote & Bock, 1901 |
Bemerkung: | Die musikalische Welt kann sich Ignaz Paderewski eigentlich nur auf dem Klavierhocker vorstellen, bis er als polnischer Ministerpräsident in die Geschichte einging. Schon immer war es Ignaz' Traum, einmal eine Oper zu komponieren, die ihren Gehalt aus dem täglichen Leben bezog. Konkrete Formen nahm die Idee an, als er 1889 in Wien den Journalisten Alfred Nossig traf, der ihm die Bearbeitung des Librettos einer Novelle von Kraszewski zusagte. Das lebensnahe Thema behandelt den gesellschaftlichen Konflikt, der sich aus der unterschiedlichen Lebensauffassung zwischen Sesshaften und Umherziehenden ergibt. Zu allen Zeiten und in allen geographischen Regionen standen sich die Parteien in Feindschaft gegenüber. Lediglich auf der Musikbühne erfahren die Zigeuner eine herrliche Rehabilitation. „Komm Tzigan, komm Tzigan, spiel' mir was vor...“ Man denke nur an Carmen, Mignon, Azucena und den Zigeunerbaron. Die Mädchen sind rassig, heißblütig, wunderschön und zur Liebe immer bereit; in die Jahre gekommen, lesen aus den Karten oder aus der Hand. Ist es der Neid der Konservativen, welche die Freiheit gegen Sicherheit zu teuer verkauft haben und nun in ihrer Vorstellung einer Welt der Ungebundenheit nachtrauern, die eine Fiktion ist? In „Manru“ wird das Thema nicht oberflächlich abgehandelt, sondern die krasse Realität tritt in den Vordergrund und die unerbittliche Gesellschaft fordert ihre Opfer. Der Stoff war vortrefflich gewählt und die Arbeit kam zügig voran. Die Premiere ging zunächst in deutscher Sprache am 28. Mai 1901 in Dresden über die Bühne und hatte eine große Resonanz. Unter Aufsicht des Komponisten ins Polnische übersetzt, erfolgte die Premiere in der Muttersprache am 8. Juni des gleichen Jahres in Lwiw. Es folgten Aufführungen in Prag, Zürich, Nizza, Monte Carlo und Kiew. Danach ging die Reise über den großen Teich. Nach Philadelphia, Boston und Chicago erlebte die Met das musikalische Drama am 14. Januar 1902. Danach wurde es still um Manru und Ulana - bis nach der Jahrtausendwende die Schlesische Oper in Breslau sich des Werkes annahm und in einem hinreißenden Tondokument unter Protektion der UNESCO aus dem Abgrund hervor holte. |
CD: | [Details] |
Manru (DUX, DDD, 2001) Ignaz Paderewski (1860-1941) |
Art: | Lyrisches Drama in drei Akten |
Libretto: | Alfred Nossig nach einer Novelle von Józef Ignacy Kraszewski |
Sprache: | deutsch polnisch von Stanislaw Rossowski |
Ort: | ein Dorf in Polen |
Zeit: | 18. Jahrhundert |
Manru: | ein Zigeuner (Tenor) |
Ulana: | seine Frau (Sopran) |
Jadwiga: | Ulanas Mutter (Mezzosopran) |
Aza: | Manrus frühere Freundin (Mezzosopran) |
Urok: | Ulanas Beschützer (Bariton) |
Jagu: | Zigeuner mit Geige (Bass) |
Oroz: | Anführer der Zigeuner (Bass-Bariton) |
1
Heiß und innig liebt Ulana den Zigeuner Manru, hat dem heimatlichen Dorf den Rücken gekehrt und ist mit ihm durchgebrannt. Jadwiga fühlt alle Schmerzen einer verärgerten Mutter und vermisst nun die häusliche Gemeinschaft mit der Tochter. Die Dorfmädchen sind damit beschäftigt, die Dekoration für das bevorstehende Erntefest zu richten. Ihnen klagt sie ihr Leid und findet aufmerksame Ohren.
2
Uroks körperliche Erscheinung ist wenig anziehend, denn seine Figur ist ein wenig missgestaltet. Er hat es deshalb zu ertragen, von den Dorfmädchen gefoppt zu werden. Es macht ihm nichts aus und sein dauernd vernehmbares „Ha, Ha, Ha!“ lässt vermuten, dass es ihm sogar gefällt, von den Schönen mit Albernheiten bedacht zu werden. Einen gewissen Respekt genießt er trotzdem, weil er sich auf Naturheilkunde versteht. Außerdem steht er in dem Ruf, sich in der Zauberkunst ein wenig auszukennen – eine Fähigkeit die ihm diabolische Qualitäten andichtet.
Der Außenseiter hat Verständnis für Ulana, die ihrem Herzen gefolgt ist und nun unter der Zurückweisung der Dorfgemeinschaft leidet. Urok versucht zu Gunsten Ulanas die Mutter von ihrer engstirnigen Haltung abzubringen, hat damit aber keinen Erfolg. Jadwiga verweigert ihrer Tochter inzwischen die emotionale Zuwendung, denn sie möchte sich mit dem Gedanken gar nicht erst anfreunden, einen Schwiegersohn zu bekommen, dem Sesshaftigkeit ein Gräuel ist.
3
Die Mädchen können das Sticheln nicht lassen und verdächtigen den zwergwüchsigen Urok, zu Ulana in Liebe entbrannt zu sein und alle anderen Verehrerinnen zu verschmähen. Er warte nur darauf, dass der Zigeuner abreise, um dann das Herz der Schönsten zu gewinnen. Urok dementiert heftig, so dass man annehmen könnte, die Mädchen hätten seinen Schwachpunkt getroffen.
4
Plötzlich ist Ulana wieder im Dorf, macht aber einen elenden und unglücklichen Eindruck. Boshaft und anhaltend wird sie attackiert. Kein Zigeuner sei ein brauchbarer Landwirt und früher oder später würde er seine Familie verlassen, um zu seinem Stamm zurückzukehren! Urok stellt sich schützend vor Ulana.
5
Ins Dorf zurückgekommen, hegt die sich verlassen Vorkommende die Hoffnung, ihre Mutter umstimmen zu können, den von ihr gewählten Mann zu akzeptieren. Obwohl sie sich unterwürfig gibt, will die Mutter ihr die Fehlentscheidung nicht vergeben. Urok rät der Verzweifelten, die Unnachgiebige nicht länger anzuflehen, sondern weist darauf hin, dass es in ihrer unmittelbaren Nähe noch jemanden geben könne, der sie liebt. Ulana ist zu sehr mit sich beschäftigt und schenkt seinen hintergründigen Worten keine Beachtung. Die Dorfmädchen grinsen höhnisch und sind der Ansicht, das Schicksal bestrafe Ulana für ihre Sünden.
6
Ulana hofft, die Mutter auf dem Erntefest fröhlich gestimmt und kooperativ zu finden. Sie erzählt ihr von dem untröstlichen kummervollem Leben in der Abgeschiedenheit des Gebirges und klagt über die Geringschätzung, welche die Dörfler ihrem Mann entgegenbringen. Sie appelliert an ihre Kindesliebe und bittet um die Erlaubnis, nach Hause zurückkehren zu dürfen. Jadwiga verspricht ihr zu vergeben, wenn sie sich von ihrem Mann für immer lossagen würde. Unentwegt weigert sich Ulana, solches zu tun. Jadwiga führt an, dass sie in ihrem Haushalt niemals einen Zigeuner dulden würde. Doch Ulana ist entschlossen, den Mann, der ihr Herz gewonnen hat, nicht aufzugeben. Die Mutter weist die Ungehorsame aus dem Haus.
7
Beiseite gestoßen, hält Ulana sich nun an Urok. Dieser versucht sie aufzuheitern und erklärt ihr, dass sie nichts verloren habe, denn er werde ihr zur Seite stehen, was auch immer geschieht. Ulana erbittet seine Hilfe, da man versuche, ihren Mann aus dem Dorf zu drängen. Gleichzeitig bittet sie, ihr einen Zaubertrank aus Liebstöckel zu mischen. Urok ist überrascht und lehnt zunächst ab. Schließlich erklärt er sich unter einer Bedingung bereit: wenn Ulana verspricht, dass die Mixtur nicht zum Zigeuner hinüberwechselt.
8
Die Mädchen kommen zurück und argumentieren erneut, dass jeder Zigeuner sich früher oder später von seiner Sesshaftigkeit freimachen und die Familie im Stich lassen werde. Das Erntefest beginnt und die Atmosphäre wechselt. Wohlwollend versucht man, Ulana in die allgemeine Fröhlichkeit einzubinden. In ihrer traditionellen Kleidung, die sie angelegt hat, wirkt sie auf die jungen Burschen anziehend. Es gelingt den Festgästen sogar, ihr ein Lächeln abzunötigen.
9-10
Plötzlich erscheint Manru und versucht, nach Ulana zu greifen und von den lustigen Bauern wegzudrängen. Diese lassen sich den Gewaltakt nicht gefallen und stoßen mit dem Ortsfremden heftig zusammen. Vielleicht gelingt es Jadwiga, ihn zu überreden, ihre Tochter freizugeben. Die Mutter kneift die Lippen aufeinander und kündet, Ulana und Manru seien wie Aussätzige zu behandeln.
11
In seiner Berghütte denkt Manru über sein Schicksal nach. Er hat Mitleid mit der Frau und mit sich selbst und verflucht den Tag, an dem er die Zigeuner verließ, um das Leben eines Farmers zu führen. Ulana trällert ein Lied, um ihr Baby in den Schlaf zu wiegen. Ihre Stimme irritiert Manru erst recht, weil er realisiert, dass seine Treue zu ihr ihn versklavt hat. Er versucht seinen Missmut durch Arbeit zu unterdrücken. Ulana mahnt ihn, seinen Tatendrang doch ein wenig zu bremsen. Manru macht ihr den Vorwurf, auf sein gewohntes umherstreifendes Zigeunerleben verzichtet zu haben, dafür aber keine Gegenleistung aufrechnen kann. Von den bornierten Dörflern wird er gehasst und missachtet - sie weigern sich, ihn in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Ulanas Verzweiflung wächst, als sie realisiert, dass ihr Mann sie nicht mehr liebt.
12
Urok betritt die Hütte. Manru verheimlicht ihm seinen Verdruss mit dem Dorfvolk nicht. Er soll entweder weggehen oder sich umbringen! Ulana ist entrüstet ob solcher Worte, aber Urok sagt ein großes Unglück voraus, welches über sie und ihren Mann seine Flügel ausbreite. Plötzlich dringt aus einiger Entfernung der Klang einer Violine zu ihnen in die Hütte. Die Männer sind entzückt von dieser anrührenden Weise. Auf Ulana wirkt sie wie die Ankündigung einer kommenden Bedrohung. Manru verlässt die Hütte und geht dem Klang der Violine nach.
13
Ulana will ihm folgen, doch Urok hält sie zurück. Er denkt, dass Manru noch einmal heimkehren wird, seine Sachen zu packen, um dann endgültig zu verschwinden. Es wird die letzte Gelegenheit sein, ihm den Liebestrank zu offerieren, den er entgegen ursprünglicher Absicht für die Verzweifelte zubereitet hat. Doch er sagt ihr auch, dass es wenig Sinn macht, jemanden zurückzuhalten, den es mit Gewalt fortdrängt. Nichtsdestoweniger nimmt sie den Zaubertrank entgegen.
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Der Mann, welcher so schön fiedeln kann, ist Jagu, ein früherer Stammesgenosse Manrus. Dieser setzt seine ganze Überredungskunst ein, den sich verlassen vorkommenden Manru zu überreden, zurückzukehren zum schönen Zigeunermädchen Aza, welches er verlassen hat. Aza warte immer noch auf ihn, ungeachtet der Aufmerksamkeit, die der Stammesführer Oroz ihr zollt. Manru ist eifersüchtig und will sich sofort auf den Weg machen, doch Ulanas Protest hält ihn zurück.
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Ulana möchte wissen, welches Thema Manru und Jagu besprochen haben. Es ginge darum, dass der alte Zigeuner bei den Dörflern umhergehe, um zu betteln. Doch Ulana glaubt ihm kein Wort und Urok auch nicht. Seine Frau versucht zu ergründen, weshalb ihm das Wanderleben so viel bedeute, doch Manru kann diesen Instinkt auch nicht näher analysieren. Sind sie und das Kind ihm so wenig wert? Wenn das Band zwischen ihnen entzwei geht, würde er in seinem Herzen den Frieden auch nicht finden. Schließlich willigt sie ein, dass er sie verlassen wird, trotz der Tatsache, dass er damit ihr Leben ruiniert.
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Nachdem das Paar allein ist, kredenzt Ulana dem Mann ihrer Liebe den Trank mit der magischen Wirkung. Das Gemisch hat tatsächlich den Effekt, dass sie temporär seine Liebe zurückgewinnt. Er macht ihr ein feuriges Bekenntnis seiner Gefühle. Nach anfänglichen Zweifeln ist sie überrascht, dass die beabsichtigte Wirkung tatsächlich eintritt. Ihr Herz füllt sich mit Freude. Manru versichert ihr die Beständigkeit seiner Liebe und will mit ihr ein neues Leben beginnen. Euphorisch wünscht sich Ulana nun, für immer mit Manru zusammen zu sein.
INTRODUKTON
17
Manru wandert durch den Wald. Von fern hört er geheimnisvolle Stimmen. Er hat keinen Anhaltspunkt, was das für Stimmen sein könnten und was in ihm vorgeht. Ist es das magische Gift in dem Getränk, welches Ulana ihm verabreicht hat, oder narrt ihn der Teufel? Er fühlt sich erschöpft, legt sich ins Moos und schläft ein.
18
Zigeuner erscheinen und finden den schlafenden Mann. Aza erkennt in ihm den ehemaligen Liebsten. Sie weckt ihn und fragt ihn, ob er sich dem Stamm wieder anschließen möchte. Oroz, der Stammesführer, steht dem Vorschlag Azas abweisend gegenüber. Er stellt klar, dass es für jemanden, der einmal mit den bäuerlichen Dörflern kollaboriert habe, im Stamm keinen Platz mehr gebe. Die meisten Stammesgenossen sind der gleichen Meinung, doch Aza versucht, Oroz erneut umzustimmen. Sie übt Druck aus und sagt, dass sie den Stamm genau so verlassen würde, wenn er sich nicht nachgiebig zeige. Aza erkundigt sich bei Manru, ob er sie vermisst habe und erhält zur Antwort, dass er nicht glücklich geworden sei. Es überrascht sie gar nicht, weil sie weiß, dass die Liebe unter den frei lebenden Zigeunern immer sehr kurzlebig ist. Sie würde es gern sehen, wenn er zur Gruppe zurückkäme. Oroz fühlt sich durch ihre Einstellung provoziert und dreht nun ihr seinen ganzen Ärger zu.
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Doch Jagu stellt sich ebenfalls auf Manrus Seite. Oroz bleibt unbeugsam und behauptet, dass ein Mensch, der ihn einmal verraten habe, das Gleiche immer wieder täte. Seine Starrköpfigkeit erzielt den gegenteiligen Effekt. Die Zigeuner haben genug von Oroz' Herrschaft als Anführer und auf Azas Vorschlag soll Manru die Führung nun übernehmen. Der Erkorene ist sich nicht schlüssig, denn zwei Seelen kämpfen in seiner Brust. Doch der Klang von Jagus Violine lenkt seine Emotionen in die passende Richtung. Sichtlich bewegt beschließt Manru, sich wieder mit den Zigeunern zu vereinigen. Er kehrt zurück zu seinem Stamm und wird seine Liebe zu Aza vertiefen. Zu den temperamentvollen Klängen eines Marsches ziehen die Zigeuner ab.
20
Zeit vergeht. Ulana harrt der Rückkehr ihres Mannes vergeblich. Der treue Urok leistet ihr Gesellschaft. Die beiden schließen die Möglichkeit aus, dass Manru den Weg zu Frau und Kind zurückfinden wird. Die gramerfüllte Ulana wirft sich ins Wasser und ertrinkt. Urok nimmt sich vor, ihren Tod zu rächen, und lenkt durch magische Kraft Manrus Schritte in den Abgrund.
Letzte Änderung am 19.7.2008
Beitrag von Engelbert Hellen