Giovanni Pacini (1796-1867):

Carlo di Borgogna

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1835
Uraufführung: 21. Februar 1835 in Venedig (Teatro La Fenice)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Verlag: Frankfurt am Main: Edition Peters, s.a.

Zur Oper

Art: Melodramma romantico in drei Akten
Libretto: Gaetano Rossi
Sprache: italienisch
Ort: Dijon (1. Akt) und in der Schweiz (2. und 3. Akt)
Zeit: 15. Jahrhundert

Personen der Handlung

Carlo: Herzog von Burgund (Tenor)
Leonora di Jork: seine voraussichtliche Braut (Sopran)
Arnoldo: Graf von Ivrv (Bariton)
Estella: seine Tochter (Mezzosopran)
Amelia: eine entfernte Verwandte (Sopran)
Lord Athol: Botschafter Englands (Tenor)
Guglielmo d'Erlach: ein Schweizer Ritter (Bass)

Handlung

1. Akt:

1. Szene:

Carlo di Temario - wie Karl der Kühne auch genannt wird - hat in Lüttich einen Aufstand niedergeschlagen und wird nach der Heimkehr feierlich begrüßt. Seinem Land hat er großen Nutzen gebracht und wird nun verdienterweise mit Ehren überhäuft. Estella, die Tochter seines Mentors, ist mit ihren Freundinnen angerückt und deckt den Umschwärmten mit Rosenblättern fast zu. Es ist nicht zu übersehen, dass sie in ihren Souverän verliebt ist. Die Gefühle werden dazu noch von ihm erwidert, wie sein entspanntes Lächeln erkennen lässt.

Ein Wermutstropfen fällt in den Becher der Freude, als der englische Gesandte Lord Athol angerückt kommt und einen Brief überreicht. In diesem wird angekündigt, dass Prinzessin Leonora, die Schwester Edwards IV. von England, zu Besuch kommen wird. Carlos Miene verdüstert sich und Lord Athol schließt daraus, dass die Heirat der beiden nicht in seinem Sinn ist.

2. Szene:

Amelia, eine Verwandte von Estella, beglückwünscht diese, dass sie wohl bald die Herzogin von Burgund sein wird. Doch da erscheint Carlo und macht reinen Tisch. Nichts ist mit ihren falschen Vorstellungen: Am Sterbebett des Vaters hat er sich mit einem feierlichen Eid verpflichtet, Leonara zu ehelichen.

Arnoldo betritt wohlgemut das Gemach in der Absicht, zur bevorstehenden Verbindung von Carlo und Estella seinen väterlichen Segen zu geben. Doch stattdessen muss er zur Kenntnis nehmen, dass aus seinen Vorstellungen nichts wird. Dem Vater nützt es nichts, dass er den Herzog nun als Verführer hinstellt. Mit etwas mehr Weitblick hätte er den Verlauf der Ereignisse auch voraussehen können. Es kommt in den Herrscherhäusern kaum vor, dass der Souverän die Tochter seines Hauslehrers ehelicht, bestenfalls ist die Position einer Mätresse zu besetzen. Ohne Einsicht zu zeigen, schwört Estellas Vater, dass der Tag der Vergeltung kommen wird.

3. Szene:

Leonora sieht Burgund als ihre zukünftige Heimat an. Sie ist angereist, weil ihre Hochzeit bevorsteht. Viel Pomp ist nicht angesagt; trotzdem haben die Dorfbewohner die kleine Kirche festlich geschmückt.Die Braut ist verstört, weil der Bräutigam sich nicht pünktlich einstellt und der Willkommensgruß recht kühl ausfällt. Seine Rolle füllt Carlo ohne Begeisterung aus und reicht Leonora nur zögernd seinen Arm. Gerade wollen sie die Kirchentür passieren, als es zu einem Zwischenfall kommt.

Estella will den Geliebten nicht abtreten, erklärt, Carlo gehöre ihr, und verflucht die Braut. Der englische Botschafter sieht die schlechten Manieren und will den Störenfried festnehmen lassen. Er gerät damit in Opposition zu Carlo, der einen unbefugten Einbruch in seinen Machtbereich sieht und gerät in Zorn. Der Vater Estellas erscheint und tritt dem Botschafter mit gezückten Schwert entgegen, um seine ungezogene Tochter zu schützen - zieht aber den Kürzeren.

In wilder Verzweiflung verlässt Estella den Kampfplatz und Leonora droht mit der Rache Englands. Karl der Kühne ist der Situation nicht gewachsen und gibt durch einen Wink seine Zustimmung, dass der Vorhang geschlossen wird.

2. Akt:

4. Szene:

Carlo di Temario lockt den Opernbesucher in die Westschweiz an den Murtensee. Das Volk tanzt und singt, weil Krieg eine lustige Sache ist. Doch schon bald wird die Fröhlichkeit von Hornrufen unterbrochen. Guglielmo, der Eidgenosse, steigt mit seinen Leuten von den Bergen herab und ruft seine Männer zu den Waffen, um die Schweiz gegen die eindringenden Burgunder zu verteidigen. In schwarzer Rüstung tritt ein unbekannter Ritter auf, der auch mitmischen will. Guglielmo erkennt in ihm seinen alten Freund Arnoldo, der auf der Suche nach seiner Tochter ist. Der alte Haudegen, den alle für tot hielten, will sich den Eidgenossen anschließen, aber im Hintergrund bleiben. Die Begeisterung, das Land auf Leben und Tod zu verteidigen, ist allgemein groß.

Zur allgemeinen Verwunderung tauchen nun überraschend Leute auf, die das Opernpublikum schon aus Dijon kennt. Es sind der englische Botschafter Athol, der aus dem Wald hervortritt, gefolgt von Leonora, die in ihrer kriegerischen Kleidung wie eine Amazone wirkt. Ein kleines Gefolge von Höflingen vervollständigt den Aufzug. In Unkenntnis der Gegend haben sie sich verlaufen und sind außerdem dem schlechten Wetter ausgeliefert. Sie suchen nach Carlo und seinen Kriegern. Offenbar gleicht ihr Einsatz der Funktion von Kundschaftern.

Die Welt ist klein und Arnoldo trifft auf Leonora, doch sie erkennen sich nicht. Bald wird beiden klar, dass sie verschiedenen Lagern angehören, denn Arnoldo bezeichnet Carlo als Verräter, dem Ehre und Unschuld nichts bedeuten und Leonora schildert ihn im Gegenteil als unerschrockenen Kämpfer. Man besinnt sich auf die Gesetze der Gastfreundschaft, hält Ruhe und geht sich nicht ans Leder.

5. Szene:

Carlo kann Estella - obwohl Leonora versprochen - nicht vergessen und hat sich auf die Suche nach ihr gemacht. Um dem einbrechenden Unwetter zu entgehen, findet er Unterschlupf in einer Burg, die am Wegesrand liegt. Da seine Gedanken sich unentwegt mit Estella beschäftigen, kann es nicht ausbleiben, dass ihr die Burg auch gehört.
Sie läuft unentwegt tief verschleiert herum, weil sie nicht erkannt werden möchte. Aber Carlo weiß trotzdem, wen er vor sich hat; am Tonfall ihrer krakeeligen Stimme hat er sie erkannt. Er schwört ihr, dass er sie noch immer liebt, aber sie legt die Karten nicht auf den Tisch, denn zuerst möchte sie sich rächen. Sie denkt sich einen Schabernack der besonderen Art aus, dessen Logik nicht aufgeht. Bestürzt reicht Carlo ihr sein Schwert, damit sie ihn töten kann, falls ihr danach gelüstet. Zwar steht sein Tod ihm bevor, orakelt Estella, aber nicht durch ihre Hand, denn sein Blut gehört den Schatten, die er gemordet hat. Dann entschwindet sie durch eine Geheimtür und damit ist der Aktschluss wider Erwarten erreicht.

3. Akt:

6. Szene:

In der Nähe einer Klosterruine, bei der gerade ein Scharmützel zwischen Eidgenossen und Burgundern stattgefunden hat, taucht Leonora in Männerkleidung auf. Da sie auf Kriegshandlungen erpicht ist, wird sie von den Gefolgsleuten Guglielmos entwaffnet.

Wie ein rettender Engel taucht zufällig aus der angrenzenden Kapelle die verschleierte Estella auf. Leonora wird ihr ausgehändigt, weil die Krieger nicht recht wissen, was sie mit ihr anfangen sollen. Sie lüftet ihren Schleier, damit Leonora sie erkennen kann, denn sie sucht Streit mit ihr. Die beiden Damen - soweit man sie noch als solche bezeichnen kann - werfen sich gegenseitig vor, ihr Glück zerstört zu haben. Letztendlich erweist sich Estella als großzügig und lässt Leonora unter Geleitschutz zu Carlos Lager führen.

7. Szene:

Zwischen zerklüfteten, hohen Bergen gehen die Kampfhandlungen am Murtensee weiter. Die Schweizer errichten einen Hinterhalt für Carlo und sein Heer in der Erwartung, dass die Burgunder unvorsichtig sein und durch die Schlucht laufen werden. Zu beiden Seiten haben sie an den Rändern Felsbrocken aufgetürmt, die sie auf die Freiheitskämpfer herabwerfen wollen, wenn die Gegebenheit sich nach ihren Wünschen gestaltet. Aus der Ferne kündigt ein Marsch die näherrückenden Burgunder an. Tatsächlich folgt Carlo seinen Männern in die Schlucht.

Estella sieht die Gefahr, die Carlo droht, und versucht - eingedenk ihrer Liebe - Guglielmos Männern Einhalt zu gebieten und drängt sie zum Rückzug. Aber Arnoldo lässt sich nicht aufhalten und beginnt Steinbrocken auf die durchziehenden Männer zu werfen. Leonora hat sich Carlo wieder angeschlossen.

Die Schlucht überspannt eine Brücke, die Carlo betritt. Doch Arnoldo stellt sich ihm in den Weg und - es klingt unglaublich - das Missgeschick nimmt seinen Lauf. Karl der Kühne hat seinen schlechten Tag und stürzt in den Abgrund. Das Wiedersehen zwischen Vater und Tochter währt nur kurz, dann bricht auch sie tot zusammen.


Letzte Änderung am 17.5.2015
Beitrag von Engelbert Hellen