Jacques Offenbach (1819-1880):
Die schöne Helena / The Fair Helen
Entstehungszeit: | 1864 |
Uraufführung: | 17. Dezember 1864 in Paris (Théâtre des Variétés) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 125 Minuten |
Bemerkung: | „Die schöne Helena“ ist eine Satire auf Personen und Zustände der Zeit Jacques Offenbachs. Die Buffo-Oper kann auch als Parodie auf die Werke Meyerbeers und Rossinis verstanden werden. Obwohl die Bezüge verloren gegangen sind, bereitet der witzige Text des Librettos auch heute noch Vergnügen. Die Tore der Grand Opéra öffneten sich Offenbach nicht, aber in seinem kleinen Theater wurde sie siebenhundertmal hintereinander gespielt. Maria Jeritza und Jarmila Novotna waren berühmte Vertreterinnen der schönen Helena. In jüngerer Zeit sind es Jessye Norman und Vesselina Kasarova, die der Rolle Profil verleihen. |
Art: | Opéra bouffe in drei Akten |
Libretto: | Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach der griechischen Antike |
Sprache: | französisch |
Ort: | Sparta und Nauplia |
Zeit: | vor dem Trojanischen Krieg |
Hélène / Helena: | Königin von Sparta (Sopran) |
Paris: | Sohn König Priams (Tenor) |
Ménélas / Menelaos: | König von Sparta (Tenor) |
Agamemnon: | König der Könige (Bariton) |
Calchas / Kalchas: | Großaugur des Jupiter (Bass) |
Oreste / Orest: | Sohn Agamemnons (Mezzosopran oder Tenor) |
Achille / Achilles: | Griechischer Heros (Tenor) |
Ajax I: | König von Salamis (Tenor) |
Ajax II: | König von Locrien (Tenor) |
Bacchis: | Helenas Dienerin (Sopran) |
Weitere: | Volk, Priester, Adelige |
Das architektonisch schönste Bauwerk von Sparta ist der Jupiter-Tempel. Zum Fest des Adonis ist er mit Blumengirlanden bunt geschmückt. Freudig eilt das Volk herbei, um vor dem großen Standbild zu beten und den goldenen Bart des unumschränkter Herrschers auf dem Olymp zu loben. Kalchas, der Hohepriester, ist mit den Opfergaben unzufrieden. Statt Ochsen und Schafe heranzutreiben, bringen die Menschen neuerdings Blumen. Davon kann die Priesterschaft nicht leben.
Um die Liebe ist es schlecht bestellt in Sparta. Die Männer sind träge geworden! Königin Helena fleht zu Venus, dass sie rührig werden soll und wird in ihrem Anliegen von Klageweibern unterstützt. Die brennende Glut hat sich aus den Seelen verflüchtigt. Die Zeiten sind öde und leer; die Langeweile bestimmt den Alltag. Schon geht die Geburtenrate zurück. Die schöne Venus soll sich etwas ausdenken und das Söhnchen aktivieren, damit es goldene Liebespfeile aussendet.
Das Verhältnis zwischen Helena und Kalchas beruht auf Respekt. Auf den Stufen des Tempels zupft die Königin den Großaugur am Gewand, um sich die Geschichte, die sich auf dem Berg Ida zugetragen haben soll, noch einmal erzählen zu lassen. Also, Paris, der Sohn König Priams, hatte als Schiedsrichter in einer Schönheitskonkurrenz unter drei göttlichen Kandidatinnen zu befinden, welcher der goldene Siegesapfel überreicht werden soll und sich für Aphrodite entschieden. Die Liebesgöttin zeigt sich für die Auszeichnung erkenntlich und verspricht dem Hirten als Gegenleistung Nutzungsrechte an der schönsten Frau des Altertums. Helenas Selbstverständnis geht davon aus, dass nur sie gemeint sein kann, was Kalchas ihr bestätigt. Aber wo bleibt Paris? Denkt er etwa, sie sei ein Flittchen? Viele glauben, die Tochter eines Vogels – der Theaterbesucher möge sich bitte an die Affäre zwischen Leda und dem Schwan erinnern – sei naturgemäß flatterhaft. Königin Helena hat Depressionen.
Tzing la la, Tzing la la, Orest weilt in Sparta und befindet sich in Gesellschaft fragwürdiger Damen. Kalchas ist nicht gut auf ihn zu sprechen, richtet die aufgetragenen Grüße an Tante Helena aber aus. Theoretisch dürfte Orest zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren sein, aber Jacques Offenbach nimmt das nicht so genau. Wenn Orest wüsste, welches Schicksal vor ihm liegt, würde ihm das Trällern schon vergehen.
Der Großaugur möchte endlich mit der Opferhandlung beginnen, als ein Schafhirt ihm den Weg versperrt. Der Ungeduldige möchte wissen, ob Venus dem Ehrwürdigen ein wichtiges Briefchen zukommen ließ. Am Himmel lässt sich ein schwarzer Punkt ausmachen, der immer größer wird. Es ist die Brieftaube, die regelmäßig die Post bringt. An der Briefmarke erkennen beide, dass die Post aus Cythera stammt, wo die Venus ihr Feriendomizil eingerichtet hat.
Die Weisung kommt von der Göttin, die einst dem Schaum der Meeresbrandung entstiegen ist und bezieht sich auf den trojanischen Prinzen Paris. Dieser hatte einst Entscheidungsfähigkeit und vorzüglichen Geschmack bewiesen. Dafür soll er nun entlohnt werden. Unverzüglich ist ihm die Tochter der Leda vorzustellen. Der Begünstigte ist etwa 20 Jahre alt, trägt blonde Haare und hat einen Hut auf dem Kopf, damit man ihn nicht sogleich erkennt.
Der Großaugur fühlt sich geehrt, mit einer wichtigen Aufgabe betraut zu werden und Paris erzählt ihm und dem Publikum die Bewandtnis vom goldenen Apfel – eine Geschichte, die inzwischen jeder kennt - noch einmal.
Die Frauen haben die große Halle verlassen und schreiten paarweise an den beiden vorbei, Helena als letzte. Die Königin hat das Gespür, dass das Schicksal nach ihr greift und will von Kalchas wissen, wer der hübsche junge Mann ist, der neben ihm steht. Die beiden kommen ins Gespräch, und der Hirte erzählt der Königin, dass er seine Herde auf dem Berg zurückgelassen hat, um sie zu sehen. Das Lob auf sein gutes Aussehen veranlasst ihn, auch auf seine Intelligenz hinzuweisen. Er soll den Kopf ein wenig heben, aber den Mund zulassen. Ein Prachtstück! Die Königin ist jetzt in Eile, sie verpasst sonst den Anschluss an ihr Gefolge, aber sie wird ihn wiedersehen. Paris ist begeistert von der Wahl, welche die Göttin für ihn getroffen hat.
Zum Adonisfest ist hoher Besuch zahlreich erschienen. Zu nennen ist der lockenbärtige Agamemnon, der große Ajax, der kleine Ajax und der hitzige Achilles mit seiner Achillesferse. Alles Monarchen heroischen Gepräges; der Chor stellt sie dem Publikum vor.
Der Tag ist aber nicht nur der Geschicklichkeit gewidmet – einen Wagen lenken kann schließlich jeder und den Diskus werfen auch. Nein, der Weisheit soll die Ehre gegeben werden. Agamemnon ist besorgt: Es fehlt an intelligenten Menschen. Griechenland verblödet! Der Chor kann es nur bestätigen. Um nun Leute mit Geist zu entdecken, wurde dieser Wettbewerb veranstaltet. Könige, Hobby-Dichter, selbst Schafhirten sind zugelassen.
Helenas Brust entringt sich ein Seufzer. Wo mag er nur sein? Mit Rätselraten beginnt der Wettstreit. Agamemnon, alternierend mit seinem Bruder Menelaos, liest sie vor und entscheidet, ob die Antworten richtig oder falsch sind. Paris macht mit und gewinnt – sogar gegen den hitzigen Achilles, der sich auf seine Intelligenz ebenfalls einiges einbildet. Doch der Letztgenannte redet auch viel Schwachsinn, so dass Agamemnon genötigt ist, ihm den Mund zu verbieten. Nachdem Königin Helena dem siegreichen Schafhirten den goldenen Lorbeerkranz aufs Haupt gedrückt und ihm tief in die Augen geblickt hat, gibt Paris sich als trojanischer Prinz zu erkennen. O Himmel, der Mann mit dem Apfel! Helena ist entzückt, und die Könige sind zufrieden, dass wahre Intelligenz sich in den höheren Schichten und nicht beim Pöbel vorfindet. Gloria dem edlen Paris. Von Menelaos wird der Sieger in den Palast eingeladen. Gespeist wird um sieben! Königin Helena wiederholt: Um sieben setzen wir uns zu Tisch!
Paris und Kalchas beraten sich, wie man den störenden Menelaos entfernen könnte, damit er mit Helena allein sein kann. Der Großaugur simuliert ein Orakel. Der Gong im Tempel ertönt. Der Körper des Mediums – es ist Kalchas selbst – beginnt zu vibrieren, weil die Gottheit durch seinen Mund dem Volk etwas zu verkünden hat: Menelaos soll sofort nach Kreta abreisen. Das Volk und Helena drängen, und der König fügt sich schließlich, fragt aber, welche Aufgabe in Kreta auf ihn wartet. Er weiß es nicht, Helena weiß es nicht, Kalchas weiß es nicht. Niemand weiß es!
Der Operettenchor ist der Ansicht, dass die Königin sich am heutigen Festtag zu Ehren der vier Könige offenherzig kleiden sollte. Die Tunika, welche ihre Dienerin ihr bringt, weist sie jedoch zurück. In Abwesenheit des Herrn Gemahls wird sie Grazie und Schönheit verstecken. Bacchis stimmt zu, denn Griechenland weiß ohnehin, dass ihre Herrin die schönste Frau der Welt ist. Deshalb muss man die wohlgerundeten Formen nicht ständig herumzeigen.
Prinz Paris hat seine Visite angekündigt, und Helena lässt sich von Bacchis überreden, ihn zu empfangen. Vorher hält sie Zweisprache mit der Göttin Venus und fordert sie auf, ihre blöden Experimente nicht mit ihr und ihrer Familie zu veranstalten. Sie möchte die Ehre des Gatten bewahren, aber die Olympionike setze alles daran, ihre Tugend zu Fall zu bringen.
Eine Abbildung ihrer Mutter Leda an der Wand zeigt, wie sie mit einem Schwan herumschmust. Helena ist es peinlich, einen Schwan zum Vater zu haben, und macht ihrer Mutter heftige Vorwürfe. Es entschuldigt überhaupt nicht, dass der Olympier sich einen Trick ausgedacht hatte. Jedenfalls konnte Leda davon nichts wissen und hat sich mit dem Federvieh eingelassen. Die Empörte weiß noch nicht, dass ihre Mutter 3000 Jahre später splitterfasernackt mit ihrem Vater Louvre hängen wird.
Paris erscheint und gibt sich seltsamerweise missmutig. Ihm sind Zweifel gekommen, ob Helena auch tatsächlich die schönste Frau der Welt ist. Wer sollte es sonst sein? Etwa die stickwütige Penelope, dieser Hausdrache, oder gar ihre Schwester Klytemnaistra mit der Knollennase? Der Trojaner wechselt die Taktik, beruft sich auf die Zusage der Liebesgöttin und zieht drei grundsätzliche Möglichkeiten in Erwägung, sich einer Frau zu nähern. Da wäre zunächst die Liebe. Ist Helena nun geneigt? Sie ist es nicht! Als nächstes käme die Gewalt an die Reihe. Helena bezweifelt ein positives Resultat. Dann wäre da noch die List! Paris macht eine höfliche Verbeugung und verschwindet. Aus der Ferne hört man Musik. Die vier Könige kommen mit dem Gänsespiel. Das ist ein Brettspiel auf dem wechselweise Figuren vorgerückt werden, nachdem gewürfelt wurde. Hierzu hat Jacques Offenbach den Gänsemarsch komponiert.
Kalchas betrügt, und der kleine Ajax behauptet, dass er mit gezinkten Würfeln spielen würde. Kalchas soll seinen Gewinn wieder herausrücken. Man droht ihm Prügel an und einigt sich schließlich auf die Hälfte. Helena ist der Abend verdorben, will nicht zum Essen erscheinen und lässt sich durch ihre Dienerin beim Souper vertreten. Zukünftig wird in ihrem Haus nicht mehr gespielt, und sie lässt das Gänsespiel hinaustragen. Angetrunken entfernt sich die Gesellschaft.
Helena verlangt von Kalchas, er solle ihr für die Nacht einen schönen Traum schicken. Kalchas schickt ihr Paris. Was soll Paris mit einem Traum anfangen? Keine Sorge, lieber Paris, Helena wird hellwach sein! Venus ist auf seiner Seite und Menelaos in Kreta – denkt Kalchas.
Als Schafhirt verkleidet ist Paris in Helenas Schlafgemach eingedrungen. Helena öffnet die Augen und gewahrt den „Traum“, den Kalchas ihr geschickt hat. Mit Liebe hat sie allerdings nicht viel im Sinn. Sie will von ihm bestätigt haben, dass sie noch schöner sei als Venus. So etwas würde sie ihn Realität niemals fragen - behauptet sie - sondern nur im Traum. Paris fällt es im Traum nicht ein, seine Gönnerin, die Besitzerin des goldenen Apfels, auf den zweiten Platz zu verweisen und bestätigt Helena lediglich, dass sie schöne Schultern habe, die hinter einer Flut blonder Haare verborgen lägen. Im Übrigen soll sie nicht labern, sondern ein bisschen mehr Hingabe zeigen.
Dazu kommt es nicht mehr, denn Menelaos hatte keine Lust, die Reise anzutreten. Helena möchte sich gern mit ihm über die schöne Insel unterhalten, aber der König gewahrt den fremden Hirten im Schlafgemach seiner Frau und tut seinen emotionalen Empfindungen keinen Zwang an. Helena erregt sich, er soll doch mit Lamentieren aufhören, nebenan in der Bacchus-Galerie speisen die vier großen Könige. Paris meint auch, wenn er Lärm macht, werden sie kommen und schauen, was los ist – neugierig wie sie sind. Die Ehre ist natürlich besudelt, aber weshalb hat er seinen Besuch nicht vorher angekündigt. Jetzt wissen alle, dass die Königin Appetit auf Schafhirten hat. Paris bekommt sofort Hausverbot und kann es nicht fassen, dass man ihm die Tür weist. Helena beruhigt ihn und flüstert ihm zu, dass ihre Liebe ihm folgen wird. Im Moment sei es tatsächlich besser, zu verschwinden. Paris versteht die Welt nicht mehr! Bisher hat noch nie jemand zu ihm gesagt, dass er abhauen soll.
Helena ist es gelungen, ihren Gatten zu überzeugen, dass es Paris nicht gelungen sei, sie in Besitz zu nehmen. Seine Wünsche haben sich nicht mit ihren Vorstellungen gedeckt und gerade noch rechtzeitig sei der Gatte heimgekehrt, um das Schlimmste zu verhindern. Es ist ein Geständnis auf welches Menelaos nun acht Tage warten musste.
Venus ist jedoch erzürnt, weil man ihren Günstling Paris unfreundlich behandelt hat und sinnt auf Rache. Der Großaugur weist den Herrscher darauf hin, dass der gekränkte Gatte hinter der Position des Königs zurückzustehen habe. Mangelnde Diplomatie kann nun zur Folge haben, dass die Göttin das ganze Volk büßen lässt. Venus, die auch Helena grollt, habe nun befohlen, dass die Königin von Sparta unter der Aufsicht eines Auguren nach Cythera reisen soll, um sich vom Schauplatz unliebsamer Vorkommnisse für ein Weilchen zu entfernen, ihr zu huldigen und ein Sühneopfer dazubringen.
Der Augur ist natürlich der verkleidete Paris, der mit dem verschlagenen Kalchas im Bunde steht. In der Hafenstadt Nauplia sticht die Barke mit den Liebenden in See. Der Trojaner kann nicht darauf verzichten, die Maske fallen zu lassen, um sich zu präsentieren. Von der Barke aus winkt er dem Volk zu und erklärt, dass Helena jetzt von ihm entführt wird. Für immer gehöre sie ihm, denn ihm wurde sie versprochen, und er sei Paris, der Prinz aus Troja. Eine Schande für das griechische Festland und seine Inselgruppen! Nachdem der Vorhang sich gesenkt hat, beschließen die vier großen Könige deshalb den Trojanischen Krieg.
Letzte Änderung am 17.8.2009
Beitrag von Engelbert Hellen