Jean-Joseph Mouret (1682-1738):
Die Liebschaften der Ragonde oder Der Polterabend auf dem Dorf / The Loves of Ragonde
Entstehungszeit: | 1714 |
Uraufführung: | Dezember 1714 im Château de Sceaux |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 60 Minuten |
Erstdruck: | Amsterdam: Michel Charles le Cene, 1742 ? |
Verlag: | Beziers: Société de Musicologie, 1990 |
Bemerkung: | Das Werk wurde im Dezember 1714 zum ersten Mal unter dem Titel „Le mariage de Ragonde et de Colin ou La Veillée de Village“ aufgeführt. Eine zweite, revidierte Fassung kam am 30. Januar 1742 in der „Académie royale de musique“ in Paris zur Aufführung - ein paar Jahre nach dem Tod des Komponisten. Diese zweite Fassung ist die heute gültige, denn die Originalpartitur ist verschollen. |
Art: | Comédie en musique en trois actes |
Libretto: | Philippe Néricault Destouches (1680-1754) |
Sprache: | französisch |
Ort: | Frankreich, in ländlicher Umgebung |
Zeit: | 17. Jahrhundert |
Ragonde: | eine liebeshungrige Matrone (Baritenor - Rôle en travestie) |
Colin: | Liebling Ragondes, aber verliebt in Colette (Haute-contre) |
Colette: | Tochter Ragondes (Sopran) |
Lucas: | mit Colette fest verbunden (Bass) |
Mathurine: | der Dorfschullehrer (Sopran) |
Thibault, Colas und Blaise: | junge Leute |
Weitere: | Landbevölkerung, Kobolde und Dämonen |
LA SOIRÉE DE VILLAGE
„Auf, auf meine Kinder, hurtig ans Werk“. Ragonde, eine rundliche, schon ein bisschen betagte Bäuerin, führt im Dorf das große Wort und treibt die anderen zur Arbeit an. Damit diese besser von der Hand geht, sollen die Burschen des Dorfes - als Solisten sind Thibault, Colin und Lucas gefragt - fröhliche Lieder singen. In einer Komödie für Musik darf bei den Franzosen des 18. Jahrhunderts die „komische Alte“ nicht fehlen. Damit sie recht deftig wirkt, wird sie „en travestie“ von einem Vertreter des männlichen Geschlechts dargestellt. Viel bekannter als Madame Ragonde ist natürlich Madame Simone aus dem Ballett von der schlecht bewachten Tochter.
Nun, ihre Tochter muss nicht bewacht werden, diese hält zu ihrem Lucas, der sich der Zustimmung der zukünftigen Schwiegermutter sicher sein darf. Diese hat trotz ihrer körperlichen Rundungen und ihres fortgeschrittenen Alters ein Auge auf den jungen Hirten Colin geworfen und gesteht ihm kurz und bündig ihre Liebe. Er soll sich nicht so verwundert anstellen, sondern sehen, wie sie strahlt. Doch Colin erklärt, in ihre Tochter Colette verliebt zu sein, ohne Rücksicht darauf, dass die Angebetete bereits anderweitig in festen Händen ist.
Auch Ragonde ist - wie der Titel der Komödie vermuten lässt - keine Sammelnatur. Sie hat nur ein Objekt im Auge, doch der Widerborstige pfeift auf den Schlafplatz, den Ragonde ihm bereitet hat. Für ihn seien die Gefühle der Alten eine Bagatelle. Diese stellt sich bei ihrer Werbung aber auch ziemlich ungeschickt an und zieht gar nicht in Betracht, dass sie auch abgewiesen werden könnte. Man höre, wie sie vorgeht: „Oui, mon poupon, c'est toi seul que je veux - Ja, mein Kleiner, Dich allein will ich haben!“ Welch reizende Verbindung: „Ragonde und Colin ein Paar!“ spotten ein paar Dorfbewohner.
Colin reagiert so spontan, wie er denkt. Er begehre nicht sie, sondern ihre Tochter, erklärt er barsch. Mit ihr will sie ihn aber nicht vermählt sehen. Ragonde wird heftig und droht mit Gewalt, falls sie die beiden einmal zusammen erwischen sollte. Es kann aber auch sein, dass sie sich selbst umbringen wird. Das sei ihm egal, wenn er danach Colette heiraten darf. Ragonde fühlt sich schlecht behandelt und kündigt an, dass er ihren Zorn noch zu spüren bekommen werde.
Nun, so tragisch wird es wohl nicht werden! Mathurine, der Dorfschullehrer, mahnt Frieden zu halten und schlägt vor, sich gegenseitig der Reihe nach ein paar Geschichten zu erzählen. Colin will damit beginnen. Doch die garstige Alte schneidet ihm das Wort ab und will selbst den Anfang machen, weil ihre Geschichte vergnüglich sei. „Ein junger Schäfer von zwanzig Lenzen, liebte eine schöne Schäferin...“ Colin fällt rabiat ein: „die nur noch vier Zähne hatte, die sie kaum noch gebrauchte!“ Ragonde fährt fort: „Den jungen Schäfer ließ ihre Glut gleichgültig. Folglich verzauberte sie ihn in einen Kater, der rasend wurde, und sich von der Dachrinne in die Tiefe stürzte!“ Colin hat einen besseren Schluss. Der junge Schäfer verachtete die Megäre. Da sie nicht von ihm ablassen wollte, ertränkte er sie im Fluss.
Genug jetzt! Sie hat verstanden, er soll sie kennen lernen. Lucas hat bereits einen Plan, wie man die zukünftige Schwiegermutter rächen kann und sich selbst einen Rivalen aus dem Weg räumt. Colette soll ihn dabei unterstützen, den Unverfrorenen an einen bestimmten Platz zu locken.
Mathurine versucht in seiner Eigenschaft als Pädagoge, die Wogen zu glätten. Das Wunder der Liebe soll lenken und locken, meint er. Die Liebe sei das Vergnügen der armen Leute. Ihren Wünschen soll sie genügen. Man besingt die Liebe und verwendet Gefühl und Wortschatz, wie es im galanten Zeitalter üblich war.
LES LUTINS
Lucas erläutert den Stand der Dinge, schiebt alles auf den blinden kleinen Schuft der Liebe. Amor stecke im Dorf alle Herzen in Brand und attackiere die Landbevölkerung Tag und Nacht. Der Ungezogene will zwar, dass man ihn in jedem Alter liebt, doch Ragonde sollte sich etwas züchtiger zeigen. Von Colin verlangt sie Liebe, obwohl er sie meidet. Thibault findet es gut, dass wenigsten Lucas sich mit Colette einig ist. Er hat sie betört und sie ihn bezaubert. Doch Colin bemüht sich vergeblich, ihre Liebe zu gewinnen. Warum vermählt Lucas sich nicht mit seinem Mädchen, wenn Ragonde es so wünscht?
Das ist einfach erklärt! Ragonde will nicht, dass er mit Colette glücklich ist, solange Colin ihrem eigenen Begehren nicht nachkommt. Ganz schön raffiniert! Man müsste also Colin mit viel Geschick dazu bringen, Ragonde appetitlich zu finden. Colette, das Biest, hat ihm vorgetäuscht, sich seiner Glut hinzugeben und ihn an den Ort bestellt, den Thibault vorgeschlagen hat. Sobald es Nacht ist, wird er kommen. Nun deckt Lucas unter seinen Kumpanen die kleine Teufelei auf, die man mit Colin im Sinn hat. Ein paar andere junge Männer, die in den Plan eingeweiht sind, haben sich wie er als Kobolde und Dämonen verkleidet und wollen Colin Angst machen. Der Eingeschüchterte, so hofft es Ragonde, wird sich ihr danach wohlwollend zuwenden. Keine Mühe haben die Schalkhaften gescheut, um dem Freier einen Streich zu spielen. Achtung, der verliebte Jüngling ist bereits im Anmarsch!
Seinen Gedanken lässt er freien Lauf: Nie war die Nacht so finster. Doch die Dunkelheit komme seinen Wünschen entgegen. Colette wird kommen. Wie glücklich wird er sein! Sein Glück ist so groß, dass er es kaum glauben könne. Es soll sich beeilen, sein Sehnen zu erfüllen. Die Nacht schütze sie vor eifersüchtigen Blicken.
Plötzlich hört Colin näher rückenden Lärm. Da er sich diesen nicht erklären kann, vermutet er, dass man sich gegen ihn verschworen hat. Alle guten Geister haben ihn verlassen und die bösen kommen immer näher. Er spricht sich selbst Mut zu und will standhaft sein. Vielleicht gaukelt ihm die Furcht den Spuk nur vor oder man will ihm einen Streich spielen. Die Bedrohung wächst.
TANZ DER KOBOLDE
Wahrscheinlich wird hier Hexensabbat gefeiert. Die Herren Geister sollen ihm Gnade gewähren.
„Nous courons par tout le monde
Pour tourmenter les humains
Et l'on n'échappe de nos mains
Que par les ordres de Ragonde.
Wir durchstreifen die ganze Welt,
um die Menschenkinder zu quälen.
Nur durch den Befehl von Ragonde
kann man unseren Händen entkommen.“
Ragonde habe eine gewaltige Macht über sie. Bis an den Rand der Hölle sei ihre Stimme zu hören. Dämonen und Hexenmeister sind ihr treu ergeben und tun jede Nacht, was sie entschieden hat. Gedacht hat Colin sich schon immer, dass Ragonde eine Hexe ist. Man sieht es ihr schließlich an! Jetzt tritt sie auch noch in Person auf. Nun, will der Verräter sterben oder lieber ihr heißes Sehnen teilen? Nie werden ihre Kobolde von ihm lassen, wenn er sich ihr nicht endlich zuwendet. Colin wäre kein Filou, wenn er mit dieser Situation nicht fertig würde. Ach, die süße Ragonde soll die grausamen Schrecken vertreiben. Danach wird er ganz ihr gehören und ihrem Zauber erliegen. Sie zu lieben soll in Zukunft sein ganzes Glück sein. Aber - Ragonde macht es zur Bedingung - er muss sie heiraten! Colin unterwirft sich ihren Geboten und will sie lieber hundertmal heiraten als sich ihren Zorn zuzuziehen.
Nun fordert die Magierin die Dämonen auf, in der Hölle zu verschwinden. Sie verabschiedet sich von den Kobolden und befiehlt ihnen, in ihre Welt zurückzukehren.
LA NOCE OU LE CHARIVARI
Zur Hochzeit sind alle Dorfbewohner eingeladen. Thibault formuliert es präzise: Es handelt sich um die Doppelhochzeit von Colette und Lucas sowie der von Ragonde und Colin. Alle sollen schauen, wie glücklich Lucas mit seiner Colette ist. Noch größerer Wonnen darf sich Colin erfreuen, denn Ragonde, das Ziel seiner Wünsche, wird ihn erhören und seinem Verlangen nachgeben.
Lucas hält einen kleinen Vortrag: Er sei jetzt Colettes Gemahl und nach den Gesetzen des Dorfes müsse Colette ihm gehorchen. Aber er wolle sie gut behandeln und vorrangig in ihr lebenslänglich seine Geliebte sehen. An diesen herrlichen Zustand, verspricht Colette, wird sie festhalten und keinen Anlass zur Eifersucht geben. Wenn sie jedoch bemerkt, dass er ihr untreu wird, wendet sie ihre Liebe von ihm ab und wird nur noch Gemahlin sein. Alle besingen die Liebe von Lucas und Colette.
Ragonde ist gekränkt, weil von ihr und ihrem jungen Gemahl die Rede überhaupt nicht ist. Der Chor sieht das Versäumnis ein und erwähnt auch das vollkommene Glück, welches Ragonde und Colin genießen. Welches Glück denn gemeint sei, will Colin wissen? Die Tränen purzeln dem sich geprellt vorgekommenen Colin die Wangen herunter, und das in solch einem freudigen Augenblick! Er würde nicht weinen, wenn er an der Stelle von Lucas wäre und Lucas an seiner.
In Ragonde steigt der Zorn hoch. Was soll das heißen? Selbst nach der Vermählung verachtet er sie. Was soll er sonst tun? Er soll Colette vergessen, denn sie ist jung und kindisch. Vielleicht würde sie ihn sogar betrügen. Mit ihr, Ragonde, wird er glücklich werden, denn sie sei eine treue Seele und mache sich nichts aus anderen jungen Burschen. Er solle sich schämen, sie so zu behandeln, nachdem er ihr sein Wort gegeben habe. Wenn sie erst der wilde Zorn ergreift, wird sie in die Hände klatschen und ihre Dämonen und Kobolde herbeirufen. Diese sollen sich an dem Gemahl rächen, der sie schmäht. „Pardon, Pardon, ma chère épouse!. - Seine Liebe zu Colette erlischt zu ihren Füßen“ versichert der Verängstigte. Thibault beeilt sich, den Chor aufzufordern, die Wonnen Colins und das Glück Ragondes zu besingen.
Anschließend ertönt Colettes Solo und sie beschreibt, wie die Liebe den Schäfern leuchtet. Besonders im Frühling kommt die sie auf die Felder und dafür soll man Gott danken. In der Tat sei die Liebe öfter in ihren Wäldern, als auf Cithère, wo die Göttin Venus ihre Sommerferien verbringt. Ragonde wollte einer traurigen Witwenschaft und der Langeweile entfliehen, dann kam Colin und hat sie erwählt. Mathurine ist ein gescheiter Mann, schließlich hat er studiert! Jedes Alter sei für die Liebe empfänglich und auch für die Torheit, die damit nun einmal verbunden ist „Charivari, charivari!“
Ragonde fürchtet nicht, dass man sie tadelt. Der schöne Colin regiert nun ihr Herz. Wenn er untreu wird, kann er etwas erleben, „Charivari, charivari!“ Ein alter Gemahl erfreut kaum, ein junger möchte lieber woanders ein - auch wieder wahr, wenn Mathurine es so formuliert. Colin bestätigt, dass Ragonde über sein Herz herrschen wird. Kobolde will er in seinem Haus nicht sehen. So ist es recht, lieber Colin! „Charivari, charivari“.
Letzte Änderung am 20.8.2010
Beitrag von Engelbert Hellen