Christoph Columbus / Christopherus Columbus
Entstehungszeit: | 1928, rev. 1969/70 |
Uraufführung: | 5. Mai 1930 in Berlin (Staatsoper) |
Besetzung: | Soli, Chor (SATB) und Orchester |
Spieldauer: | ca. 120 Minuten |
Erstdruck: | Wien: Universal Edition, 1930 |
Bemerkung: | Die in Brasilien entstandene Oper „Christophe Colomb“ bildet den Höhepunkt des Schaffens in der Zusammenarbeit des Komponisten mit dem Dichter Paul Claudel. Die Realisierung seiner Hauptoper ist deshalb so selten, weil die teils irrealen Vorstellungen und Traumwelten des Dichters optisch schwer ins Bild zu setzen sind. Das Massenaufgebot an Darstellern, zusätzlich Ballettvorführung, und einem riesigen Chor erfordert Koordinationsvermögen und eine monumentale Bühne. Manche Darsteller singen mehrere Rollen des Stücks, die mit der zeitlichen Anwesenheit auf der Bühne abgestimmt sein wollen. Die Musik Milhauds ist jazz- und schlagzeugbetont. Sie sie geht dem Besucher, der die Liebe zur gemäßigten Moderne mitbringt, leicht ins Ohr. Milhaud gehört zur „Gruppe der Sechs“ und damit zu den führenden französischen Komponisten der Avantgarde. |
Opus: | op. 102 |
Art: | Oper in zwei Teilen und siebenundzwanzig Bildern |
Libretto: | Paul Claudel |
Sprache: | französisch deutsch von R. S. Hoffmann |
Ort: | in Spanien und auf hoher See |
Zeit: | zu Ende des 15. Jahrhunderts |
Christopherus Columbus: | (Bariton) |
Erzähler: | (Sprechrolle) |
Christopherus Columbus II: | (Bariton) |
Isabella: | Königin von Spanien (Sopran) |
Weitere: | der Schatten des Columbus (Bass), der König von Spanien (Bass), die Frau des Columbus (Sopran), die Mutter des Columbus (Mezzosopran), die Herzogin von Medina Sidonia (Sopran), der Sultan Mirandolin, der Majordomus (Tenor), der Zeremonienmeister (Tenor), der Koch (Tenor), der Bote (Bariton), der Kommandant (Bass), ein Offizier (Bariton), der Abgesandte der Matrosen (Tenor), der Ankläger (Tenor), der Verteidiger (Bariton), der Henker (Bariton), eine Stimme vom Mast (Tenor), die drei Gittaristen, die drei Gläubiger, die drei Weisen, der Besitzer der Herberge, der Bursche der Herberge, vier Dämonen, drei Gottheiten (darunter Quetzalcoatl und Huitzlilopochtli) und weitere |
Aufgepasst! Die Person des Entdeckers von Amerika erscheint in der Oper in doppelter Ausführung. Zum einen ist er der Dialogpartner und Zeitgenosse des Narretators, der die Begebenheiten aus seinem Leben ausschmückt und dem Publikum vorstellt, aber andererseits auch der Handlungsträger, der die historischen Ereignisse, von denen die Rede ist, erlebt und mitgestaltet hat. Der Chor verfolgt äußerst lebhaft die Schilderungen des Erzählers und erwartet, dass Ungereimtheiten aufgeklärt, Situationen erweitert und für begangene Fehler Rechenschaft abgelegt wird. Was am Schluss der Handlung passiert, kommt zuerst! Gezeigt wird die schmuddelige Herberge in Valladolid, in der Columbus am Ende seines Lebens gestrandet ist - mittellos, krank und dem Tode nahe.
Die große Liebe seines Lebens ist die Königin von Spanien. Von ihren Hofdamen umgeben, sehen wir in einer Vision Isabella als kleines Mädchen in jenem Augenblick in den königlichen Anlagen, als Sultan Mirandolin ihr gerade eine kostbar beringte Taube überreicht. Kaum ist der Sultan wieder fort, streift die spanische Prinzessin die kostbare Plombe ab, legt sie in ihr Schmuckkästchen und entlässt das sichtlich erfreute Täubchen in die Freiheit.
Doch gehen wir zwischendurch auch chronologisch vor, weil es das Verständnis der Gesamtsituation erleichtert. Columbus ist gebürtiger Genuese. In seiner Jugend studiert er die Reiseberichte seines Landsmanns Marco Polo und träumt davon, es ihm einmal gleichzutun. Eine innere Stimme fordert ihn auf, den Blick auf das Meer zu lenken.
Der Narretator erwähnt die Inselgruppe der Azoren, die als kleiner Vorgeschmack seine Sehnsucht nach Abenteuer ein wenig stillen. Zunächst einmal werden in Genua Geschäfte gemacht und dann geheiratet. Aus Familienleben macht Columbus sich nichts, denn ihn plagt das Fernweh - er hätte gar nicht heiraten sollen.
Eine Audienz beim spanischen König zeigt nicht den erwarteten Erfolg, bringt ihm seinem Ziel aber näher. Wirtschaftswissenschaftler und Klerus raten Ferdinand ab, den genuesischen Windhund mit Schiffen und Barmitteln auszustatten. Hat man davon jemals gehört, dass man den Weg nach Osten findet, wenn man sich nach Westen einschifft? Der Hof verweigert dem König die Zustimmung, die Staatskasse für die fragwürdige Reisegelüste eines Ausländers in Anspruch nehmen zu dürfen.
Doch Königin Isabella hört von dem Plan und findet ihn gut. Das kleine Täubchen war von ihrer Herzensgüte so sehr angetan, dass es von der geschenkten Freiheit keinen Gebrauch machte, zu ihr zurückkehrte und ihre Zutraulichkeit auch auf Christoph ausdehnt.
Christoph sammelt Reiseführer und Reiseinformationen, um hinterher zu wissen, wonach er gezielt forschen muss. Ein schiffbrüchiger Matrose haucht am Stand sein Leben aus, bevor er neugierige Fragen nach fremden Ländern erschöpfend beantworten kann. Zu allem Überfluss bedrängen ihn auch noch Gläubiger, die er aber hinhalten kann. Der König interessiere sich für seine Reisepläne, die der Schatzsuche dienen soll, behauptet der Filou fälschlicherweise.
Es ist aber nicht der Monarch, welcher nun die Mittel bewilligt, sondern die Königin gibt grünes Licht. In den Werften von Cadix wird munter gearbeitet. Über drei Schiffe soll der mutige Seefahrer für sein waghalsiges Unternehmen verfügen dürfen. Während die Königin ihre Schatulle plündert, wirbt der Kapitän Matrosen an. Schon bald verlassen die Segler „La Pinta,“ „La Nina“ und „Santa Maria“ den Hafen von Cadix in westliche Richtung.
Mächtige Stürme erschweren die Seereise, denn die alten Indiogötter Huitzlilopochtli und Quetzalcoatl erscheinen in Person und Maske auf Deck und entfesseln Sturmgewalten von Windstärke 9, um das Ende ihrer Herrschaft zu verhindern. Die Mannschaft meutert, doch dann kommt die „Santa Maria“ plötzlich den gleichen Besuch wie einst die Arche Noah. Es ist Isabellas Täubchen mit einem grünen Kleeblatt im Schnabel. „Land in Sicht“ tönt es von ganz oben aus dem Mastkorb.
Der Erzähler berichtet, das Columbus nach der Rückkehr aus der Karibik im Triumph in seinem Heimatland empfangen wird. Doch die Gunst des Königs schmilzt so rasch wie Schnee in der Sonne. Ferdinand von Aragon und seine Berater betrachten den Heimkehrer mit Argwohn. Sie fordern vom „Rat der drei Weisen“ ein Gutachten. Dieses schließt negativ mit der Schlussbemerkung: „Macht ein Diener mehr von sich reden als sein Herr, wird es Zeit, ihn zu beseitigen.“
Also wird der erfolgreiche Abenteuer nicht befördert und entlohnt, sondern gefangen genommen und geschunden. Erneut auf Reisen geschickt, um Gold und Kunstschätze heranzuschaffen, wird er sicherheitshalber im Laderaum mit einem Fuß an den Großmasten gekettet. Der Sturm tobt und der Kapitän bittet um Hilfe. Nun wird es spannend, aber Columbus bekommt die Elemente durch freundliches Zureden in den Griff. Obwohl umgestimmt, sind die Götter beleidigt, weil ein Außenseiter sich in ihren Zuständigkeitsbereich gedrängt hat und sie versuchen, ihn durch verwirrende Visionen konfus zu machen.
Um fortzufahren, benötigt der Narretator Projektor und Leinwand, weil er sich anders nicht mehr verständlich machen kann. Das Gewissen des Eroberers gleicht einer trostlosen und bizarren Landschaft, in der jene schrecklichen Dinge passieren, die sich tatsächlich zugetragen haben. Scharen hingemordeter Indios, aneinander geketteter schwarze Sklaven, gestrandete Matrosen und Seeleute fordern Rechenschaft und verlangen Entschädigung für an ihnen begangenes Unrecht. Es kommt noch schlimmer: Seine Frau und seine Mutter fühlen sich vernachlässigt und unbeachtet, weil er die Familie im Stich gelassen und nur sein Ego gepflegt habe. Die Vision verschwindet, der der Spuk hat sich gelegt und das Gemüt sich ein wenig beruhigt. Königin Isabella hat vom Missgeschick ihres Günstlings, insbesondere seiner Kerkerhaft erfahren. Sofort wird seine Freilassung angeordnet, denn es liegt eine Missachtung der Menschenrechte vor. Er soll wieder gesund werden, herkommen und seinen Lohn empfangen.
Doch die Wege des Schicksals sind oft merkwürdig, Unerwartet stirbt Isabella und kann die Wiedergutmachung nicht mehr ausführen und Versäumtes nicht mehr nachholen. Das entdeckte Neuland sollte eigentlich seinen Namen bekommen, doch nun ist der erste Preis nach Florenz gegangen und Amerigo Vespucci hat sich die Lorbeeren geholt
Die Nachwelt hat registriert, dass Isabellas letzte Worte ihrem Liebling Christoph galten, behauptet der Narretator. Der Letztgenannte weiß auch, wovon Christoph vor seinem Verscheiden in der verwahrlosten Herberge in Valladolid noch träumte: Auf seinem prächtig mit einem Gobelin behangenem Maultier ritt Königin Isabella über eine Landkarte von Amerika und hatte anschließend - gefolgt von einer Taube - ihre individuelle Himmelfahrt. Wenn Paul Claudel das sagt, liegt die Verantwortung für den Wahrheitsgehalt bei ihm.
Letzte Änderung am 6.6.2015
Beitrag von Engelbert Hellen