Giacomo Meyerbeer (1791-1864):
Der Kreuzritter in Ägypten / The Crusader in Egypt / Le Croisé en Egypte
Entstehungszeit: | 1823-24, rev. 1825 |
Uraufführung: | 7. März 1824 in Venedig (Teatro la Fenice) - 1. Fassung 25. September 1825 in Paris (Théâtre-Italien) - 2. Fassung |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 280 Minuten |
Erstdruck: | Bonn: N. Simrock, 1824 ? |
Verlag: | New York: Garland, 1979 Cambridge: Scholars Publishing, 2005 |
Bemerkung: | Giacomo Meyerbeer wartet in seiner Kreuzfahrer-Oper als Extravaganz noch einmal mit einem Countertenor auf und respektiert damit die Absicht des Librettisten. Wenn auch das Libretto ein wenig fragwürdig ist, entschädigt doch die überquellende Melodienfülle mit waghalsigen Koloraturketten lyrischer und dramatisch Prägung für diese Einbuße. |
Art: | Melodramma eroico in zwei Akten |
Libretto: | Gaetano Rossi |
Sprache: | italienisch |
Ort: | während des sechsten Kreuzzuges in Damietta am Nil |
Zeit: | um 1250 |
Aladino: | Sultan von Damietta, Ägypten (Bass) |
Palmide: | seine Tochter, heimlich verheiratet mit Armando (Sopran) |
Armando d'Orville: | ein Ritter aus Rhodos (Countertenor) |
Adriano di Monfort: | Großmeister des Ritterordens von Rhodos (Tenor) |
Felicia: | ehemalige Verlobte Armandos, Auftritt in Tracht eines Kreuzritters (Mezzosopran) |
Osmino: | Wesir von Damietta (Tenor) |
Alma: | Palmides Vertraute (Mezzosopran) |
Mirva: | fünfjähriges Kind von Palmide und Armando |
Damietta ist nicht - wie vielfach irrtümlich angenommen wird - der italienische Name für Damaskus, sondern war zu seiner Zeit neben Alexandria eine strategisch wichtige Hafenstadt im Nildelta, über die der wichtigste schiffbare Arm den Nils kontrolliert werden konnte. Dort saß auch der Sultan, der die Herrschaft in dieser Region Ägyptens ausübte. Mühelos wurde die Stadt das zweite Mal während des sechsten Kreuzzuges erobert, jedoch kampflos zurückgegeben, als Lösegeld für den französischen König Ludwig XI. benötigt wurde, der auf dem Weg nach Kairo in Gefangenschaft geraten war.
Zu der Zeit, als die Oper einsetzt, mischte die Karten nicht die Hohe Pforte in Konstantinopel, sondern der Ritterorden der Johanniter auf Rhodos. Das Verhältnis zwischen Sultan und Großmeister war gespannt, aber nicht ganz ohne gegenseitige Faszination.
Die christlichen Gefangenen hatten im Vollzug zu arbeiten, trugen ihre Sklavenketten aber doch recht locker am Handgelenk. Sie durften sogar Geschenkkörbe entgegennehmen, die auf Veranlassung der Sultanstochter durch den Ritter Elmireno verabreicht wurden, denn mit diesem war Palmide heimlich vermählt. Beide hatten einen kleinen Sohn miteinander. Der fünfjährige Mirva war der Liebling des Palastes und das Opernpublikum ist Zeuge, wenn er unter der Anteilnahme aller in sein Bambusbettchen gelegt wird.
„Di baci amorosi,
di doni graziosi,
la tenera madre
merce di tarà.
A lei che t'è cara
tu cambio prepara
di doni, di baci,
che tanto amerà .“
Liebevolle Küsse und hübsche Gaben bekommt deine Mutter von dir. Ihr gibst du derjenigen, die immer gut zu dir ist, im Wechsel Geschenke und Küsse, die sie so sehr mag.
Das eigentliche Problem der Liebenden besteht darin, dass sich hinter dem muselmanischen Namen tatsächlich Armando d'Orville verbirgt, ein Ordensritter aus Rhodos. Der fremde Ritter genießt das Vertrauen des Sultans und darf im Palast Wohnung nehmen, denn zur Beilegung kleinerer Streitigkeiten sollte er schnell zur Hand sein.
Wieso Palmide nicht darauf besteht, dass der Vater ihres Sohnes seine Herkunft offenlegt, ist das Geheimnis des Librettisten. Hat Armando vielleicht etwas zu verbergen? Der Druck von Palmides Informationsbedarf legt an den Tag, dass Armando der Neffe des Großmeisters Adrian von Montfort ist. Unter diesen Umständen liegt eine Vermählung mit einem Ungläubigen nach muselmanischer Glaubensvorstellung außerhalb jeder Möglichkeit und der Großwesir, der auch ein Auge auf Tochter und Thron geworden hat, besitzt gute Karten. Zudem ist Armando schon einer attraktiven christlichen jungen Dame fest versprochen, die sich nach ihm sehnt. Palmide, die sich in äußerster Unruhe befindet, möchte er jedoch keinesfalls enttäuschen, aber die verzwickte Situation bereitet ihm Kopfzerbrechen.
SZENENWECHSEL
Trompetenschall kündet im Hafen von Damietta die Ankunft eines Seglers an. Als Kundschafterin des Großmeisters verlässt Felicia als erste den stattlichen Segler und begrüßt die Wartenden mit einer freudigen Nachricht.
„Popolo dell'Egitto,
Valorosi guerrieri,
Sul Nilo ecco di Rodi i Cavalieri
Non più vostri nemici.
Pace a offrir vengono - eccone il pegno.
Pace io reco, a nosi più grata
delle palme di vittoria:
e la patria consolata
lieta omai respirerà.
Ben più cara d'ogni gloria
E la sua felicità.”
„Volk von Ägypten, tapfere Krieger!
Erblickt die Ritter von Rhodos am Nil -
Wir sind nicht länger eure Feinde.
Frieden anzubieten, ist unser Anliegen!
Frieden bringe ich - uns allen am meisten willkommen.
Die Palme des Sieges lässt das behütete Vaterland
beglückt aufatmen.
Gepflegte Individualität und Herrlichkeit begründen eurer Glück!“
Die Ritter möchten am Heiligen Grab in Jerusalem beten und haben diesmal die Anreise von Süden gewählt, weil ihnen die Seldschuken den Weg durch Kleinasien versperren. Um die Passage über den Sinai bewilligt zu bekommen, muss verhandelt werden, denn den Hoheitsanspruch auf Jerusalem stellte derzeit der Sultan von Damietta.
Felicia erinnert sich, dass ihr geliebter Armando ihr an diesem Ort einst abhanden gekommen gekommen war. Der Großmeister trifft in den Hafenanlagen, in denen der Neffe herumspukt, auf seinen Verwandten und macht ihm heftige Vorwürfe, dass er sich in den Dienst seiner Feinde gestellt habe. Zudem informiert der Ordensritter seinen Vorgesetzten, dass er Felicia, mit der er verlobt war, nicht mehr liebt. Demutsbezeugungen sollen den Onkel beschwichtigen. Seine kleine Familie wird Armando nicht verlassen, obwohl es ihm schwer fällt, die eigene Mutter in Rhodos nicht mehr wiedersehen zu können. Die beiden rivalisierenden Frauen um den gleichen Mann begegnen sich und verzichten auf eine eifersüchtige Gebärdensprache. Felicia und die Sultanstochter werden Freundinnen.
Die Christin erfährt, dass ihr Verflossener einen kleinen Sohn hat und ist venünftigerweise bereit, ihre chancenlose Beziehung zum Vater des Kindes aufzugeben. Trotzdem wirft sie sich dem Messerangriff Aladinos entgegen, um den Treulosen zu schützen. Ersatzweise für das misslungene Attentat wird er gefangengenommen und eingekerkert. Kämpferische Turbulenzen beschließen unter viel Getöse den ersten Akt.
Ohnehin kann Osmino es nicht begreifen, dass Palmide einen christlichen Ritter als Ehegemahl seiner Person vorzieht und sein Hass gegen den Nebenbuhler erklimmt den Höhepunkt. Er stürmt das Kinderzimmer, um der Sultanstochter Vorhaltungen zu machen. Palmide bringt ihren hochdramatischen Koloratursopran zum Einsatz und schlägt ihn in die Flucht. Um seine Chancen nicht völlig einzuebnen, bleibt dem Großwesir nichts anderes übrig, als mit der Kleinen ein wenig herumzutollen. Da er befürchtet, dass Armando ihm auch politisch den Rang ablaufen könnte, mobilisiert er seine Anhänger, um gegen Aladino einen Aufstand anzuzetteln.
Felicia hat ihre große Liebe noch nicht endgültig beerdigt. Mit ihrem rasanten Kopfputz, in dem sie selbst aussieht wie ein Ordensritter, und ihrer ethischen Haltung hat sie die Opernbesucher auf ihre Seite gezogen. Sie vermittelt auch beim Großvater, dass dieser seinen Enkel akzeptiert und von dem Plan ablässt, das Kind zu beseitigen.
Armando hat es beim Großmeister etwas schwerer, für sich um Verständnis zu werben. Dieser findet es nicht hinnehmbar, dass ein christlicher Ordensritter mit einer Muslimin eine Familie gründet. Der Neffe wird kurzerhand verstoßen. Der Abgelehnte zieht die Konsequenz und versucht Palmide mit ihrem Söhnchen zur Flucht zu überreden. Die Verunsicherte ist zusätzlich bereit, sich öffentlich zum Christentum zu bekennen, damit sie dem Liebsten folgen kann. Der Großmeister sieht es gern, doch der Sultan untersagt es. Zornig befiehlt er, alle Ungläubigen zu töten. Osmino handelt inkonsequent, indem er den christlichen Rittern die Waffen zurückgibt, damit sie seinen Vorteil wahrnehmen und ihm beim Umsturz behilflich sein können. Doch der Großmeister sieht keinen Vorteil darin, den Sultan zu hintergehen und befiehlt seinen Leuten, den Gefährdeten gegen seine Angreifer zu schützen.
Aladino ist mächtig beeindruckt und will seinen Feinden an Großmut nicht nachstehen. Er zieht die Tochter nebst Schwiegersohn und Enkel aus der Schusslinie seiner Glaubensbrüder und erlaubt der Familie mit den Rittern aus Rhodos, eine Mittelmeerkreuzfahrt in christliche Lande zu machen.
Letzte Änderung am 7.8.2012
Beitrag von Engelbert Hellen