Étienne-Nicolas Méhul (1763-1817):
Stratonike
Entstehungszeit: | 1790-92 |
Uraufführung: | 3. Mai 1792 in Paris (Comédie Italienne) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 60 Minuten |
Erstdruck: | Paris: Chez les C. Cousineau, pere et fils, 1792 ? |
Verlag: | Stuyvesant, N.Y.: Pendragon Press, 1997 |
Art: | Comédie héroique in einem Akt |
Libretto: | Frannçois Benoit Hoffmann nach dem Drama von Pierre Corneille |
Sprache: | französisch |
Ort: | 358-281 v. Chr. |
Zeit: | zur Zeit des Diadochen-Herrschers Seleukos I. Nikator |
Séleucus / Seleukos: | König von Syrien (Tenor) |
Antiochus: | sein Sohn, der Prinz von Syrien (Tenor) |
Stratonice / Stratonike: | Prinzessin und Braut des Séleucus (Sopran) |
Erasistrate / Erasistrates: | ein Arzt (Bariton) |
Weitere: | Priester, Höflinge, Wachen, Dienerschaft, Sklaven |
1. Szene:
Am Hof des Seleukidenherrschers herrscht große Bekümmernis. Der Kronprinz liegt krank zu Bett und keiner weiß, was ihm fehlt. Die beiden Chorführerinnen bitten die Götter, sich wohlgesonnen zu zeigen, nur von ihnen erhoffen sie sich Trost. Der Chor appelliert ebenfalls, dem Prinzen Schutz zukommen zu lassen, ein gütiges Geschick soll sein edles Wesen belohnen. Sein Glück sei ihr oberstes Gebot.
Antiochus ist es unangenehm, dass wegen seiner Person soviel Aufhebens gemacht wird. Mürrisch fordert er die Freunde auf, ihre Klagen zu mäßigen, denn ihre Tränen vermehren nur seinen Schmerz. Es tut ihm in der Seele weh, soviel Kummer zu erzeugen und zu sehen, wie die Freunde gramgebeugt vor seinem Bett stehen. Sie sollen sich bitte entfernen und ihn mit der süßen Qual allein lassen. Nur im Verborgenen will er weinen! Im Moment sind ihm Einsamkeit und traute Stille der liebste Trost. Er geht ein paar Schritte und sinkt erschöpft von der Anstrengung in einen Armsessel zurück. Der Chor nimmt zur Kenntnis, dass Stütze und Hilfe nur stören sind und zieht sich teilnahmsvoll zurück.
2. Szene:
Endlich konnte Antiochus der Menge entkommen, ist allein und kann seinen Tränen freien Lauf lassen, denn Freundschaft und vergebliches Bemühen vermögen kaum den Schmerz zu lindern. Er will allein im tiefsten Waldesdickicht sein, sich selbst vor der Natur verbergen. Kein Tageslicht soll zu ihm dringen.
Im Wahn umgaukeln ihn seine Wünsche. Der Tod soll ihm die Lider schließen. Er brennt und verzehrt sich vor Sehnsucht, doch ihren Namen wagt der nicht zu nennen. Es ist um ihn geschehen! Er ergibt sich und ohne Schrecken und Bedauern muss er sterben. Sein Geheimnis nimmt er mit ins Grab. Sein Herz will nicht länger leiden. Er ruft den Tod, dass er kommen soll, um ihn für immer zu verschlingen. Die Person, für sie er bald in die Gruft steigt, wird von seinem bitteren Schicksal nie etwas erfahren.
„O mort! C'est toi, c'est toi que j'appelle! Viens dans la nuit éternelle!“
3. Szene:
Der königliche Vater macht eine Visite bei seinem wehleidigen Sohn und kündet ihm von einem schwachen Hoffnungsschimmer, der am Horizont für ihn aufglimmt. Ein tüchtiger Sterblicher, den die Götter senden, wird seinem Leiden ein Ende machen! Welche Hilfe kann er von den Göttern schon erwarten? Lange schon hat er vergeblich gefleht. Zurzeit zieht ein gelehrter Mann von Stadt zu Stadt. „Seine Heilkunst wird Dir Gesundheit bringen, schon bald ist er hier. In seine kundigen Hände nimmt er Dein Geschick und lässt seine ärztliche Kunst walten.“ Es wird vergeblich sein, denn sie Götter wollen seines Sohnes Tod.
Er soll den Vater mit seinen finsteren Worten verschonen und ihm nicht die einzige Hoffnung rauben, die ihm bleibt. Er betet, dass das Schicksal sich zum Besten wendet. Die Gunst der Götter wird ihm den Sohn in seine Arme zurückschicken. An diesem Tag wird er doppelt glücklich sein, ein geliebtes Weib wird er zur Gattin nehmen. Mit Erstaunen hört Antiochus, dass der Vater sich mit den Gedanken an eine Vermählung trägt.
Schon zu lange hat er gesäumt, den Ehebund zu schließen, den sein Herz so sehr begehrt. Aus Zärtlichkeit und Sorge um des Sohnes Gesundheit hat er gewartet. Doch nun darf er hoffen, dass er ihm erhalten bleibt, so dass er seine Liebe zwischen Gattin und Sohn teilen kann.
„Ist es etwa Stratonice, Herr?“
Er weiß, wie er sie liebt. Zum segensreichen Bunde will er ihr mit dem königlichen Diadem die Stirn schmücken. Im Tempel wird er heute ihre Hand erbitten. Sein Sprössling wird Zeuge seines Glücks sein. Was hat der liebe Sohn? Weshalb stößt er unvermutet einen Schrei aus?
Ach, Eiseskälte umfängt sein Herz mit jedem Augenblick. Dieses Leid, das ihn jeden Tag heftiger bedrängt, wird ihm noch die Sinne rauben. So lebt glücklich - Euer Bund erfülle Eure Wünsche, erlaubt Antiochus großzügig, denn auch seine Wünsche werden bald erhört, denn wenn der Himmel es erlaubt, so will er sterben.
Séleucus befremdet sein finsteres Begehren. Woher kommt der Überdruss am Leben? Kann er ihm einen Wunsch erfüllen? Der Vater wird es ihm gewähren. Meine Schätze, mein Zepter, meinen Thron - um den geliebten Sohn zu retten, gäbe er alles hin. Doch Antiochus liegt nichts an seinen Schätzen. Auch seine ganze Macht kann er behalten.
4. Szene:
Stratonice betritt den Raum. Séleucus bittet sie, seinem Sohn die Traurigkeit zu nehmen. Sie soll an ihm die Rechte einer Mutter haben. Er nimmt sie an der Hand uns lässt sie neben dem Prinzen Platz nehmen. Sie bestätigt, dass sie die Zärtlichkeit einer Mutter für ihn empfindet.
Antiochus befindet sich nun in arger Verlegenheit. In welchem Licht erscheint er vor ihr? Ach, wer könnte ihm seine Tränen verübeln? Von seiner Tugend und seinem Liebreiz hat der ruhmbekränzte Vater stets mit Wertschätzung gesprochen. Er sei vom Himmel geschaffen, um zu herrschen und zu gefallen.
Doch ihre Sinne sind verwirrt; sie wähnt sich schon als Mutter, weil sie bereits wie zu einem Sohn mit ihm spricht. Séleucus gestattet ihr die Rolle schon jetzt, obwohl der Akt der Vermählung vor dem Altar noch aussteht. Das macht nichts. Seit jeher war sie ihm von den Eltern versprochen und wenn er es beschließt, so wird er ihr Gatte. Doch welchen Zeitpunkt hat er dafür ausersehen. Sie beschwört ihn, noch zu warten, bis der Himmel das Glück gewähren möge. Für den Sohn mag der Bund noch warten. Wenn man seinen Schmerz betrachtet, so soll man den Banden des Blutes den Vortritt lassen.
Antiochus flucht vor sich hin, weil er sieht, wie fatal die Situation sich entwickelt.
Séleucus zweifelt, dass ein Aufschub seines Glücks dem Sohn die Traurigkeit vielleicht doch nicht nehmen kann. Die Götter geben ihnen den Thronfolger wieder, so hat es das Orakel versprochen. Sie wollen beide ihr Herz der Hoffnung öffnen! Von Antiochus hört man ein Stöhnen. „Que je souffre, Grands Dieux! - Wie sehr ich leide, allmächtige Götter!“
Séleucus spricht davon, dass sich an diesem segensreichen Tag die Blutsbande und die Liebe vereinigen. Antiochus wendet sich ab und verhüllt sein Gesicht. Stratonice bemerkt es und bittet um Rücksichtnahme auf die Gefühle des Sohnes. Zu langes Reden könnte ihn ermüden. Sein trauriges Herz benötigt Ruhe. Es sei besser, sich nun zu entfernen.
5. und 6. Szene:
Es wird Zeit, dass der Doktor eintrifft, und schon kündigt die Leibwache ihn an.
Zuvor knöpft sich Stratonice den wehleidigen Knaben nochmals vor. Der Herr solle erlauben, dass die Familie um sein Wohlergehen bange und Hilfe nicht zurückweisen. Sein Schmerz wird bis zu seinem Tode währen. Nichts kann ihn hindern, ihn herbeizusehnen, ereifert sich der Knabe.
Woran leidet er eigentlich, will Stratonice wissen. An einem Schmerz, der ihn zerreißt. Dann soll er sich trösten lassen! Nichts kann ihn dazu bewegen, zu sprechen. Die Götter schlugen ihn mit einem harten Los. Soll sie etwa zu seinen Füßen sinken, bevor er den Mund aufmacht? Der Doktor wird die Ursache seines Leidens schon herauskitzeln!
7. Szene:
Antiochus ist erfreut, dass das Herz der heimlich Geliebten sich zumindest gerührt zeigt.
Der Doktor bittet die Anwesenden, ihn mit dem Patienten allein zu lassen. Dem Antiochus erklärt er, dass er in der Hoffnung komme, sein Leid lindern zu können. Sein Los lasse ihn nicht ungerührt und er verspricht, sich alle Mühe zu geben. Antiochus befürchtet jedoch, dass die Kunst des Arztes in seinem Fall versagt. Nun, er soll guten Mutes sein. In einem wichtigen Punkt muss er ihn allerdings um Auskunft bitten. Er weiß um seinen Schmerz, doch seine Gründe sind ihm unbekannt. Heilen kann er nur die Wurzeln seines Leids. Er soll frei sprechen und ihm sagen, was ihn bedrängt. Keine Lüge ist je aus seinem Mund gekommen. Nun gut, so könnt ihr Euch umso besser erklären. Reicht mir die Hand und blickt mich an. Seine Augen sind voller Trauer und seine Hände glühen. Er soll sagen, was er empfindet. Brennenden Durst verspürt er. Wie und wann stellte sich dieses Leiden bei ihm ein? Antiochus seufzt, dass es schon lange her ist. Und wie? Der Doktor bohrt weiter. Er erinnere sich nicht, antwortet Antiochus verwirrt. Und wie verbringt er seine Nächte? „Ohne Schlaf.“ Antiochus gesteht, dass er des Lebens überdrüssig ist. Am liebsten wäre er tot.
Sein Leiden ist dem Arzt bekannt. Antiochus erschrickt: „Was?“ „D'une passion vous ressentez la flamme! - Ihr spürt die Flamme einer Leidenschaft.“ Antiochus ist befangen und fühlt sich ertappt. „Vous croyez? - Glaubt ihr?“ Erasistrate ist sich sicher, dass nicht ein körperliches Leiden, sondern die Seele bewirkt, dass er den Tod ersehnt!
Er soll sprechen und ihm die Gründe für seinen übergroßen Kummer mitteilen. Die Fäden seines Schicksals liegen allein in seiner Hand. Antiochus sperrt sich weiterhin. Ach, was kann er ihm berichten. Kein Kummer trübt seinen Seelenfrieden. Er sehnt ich hinab ins Grab. Doch die Quelle seines Leidens sei ihm unbekannt. Hat er nicht gesagt, er wolle ehrlich sein? Sein Leiden sei kein Geheimnis. Mehr gibt es da nicht zu deuten. „Enthüllt das fatale Geheimnis! Ist es Bedauern?“ Der Doktor lässt nicht locker! Kein Bedauern, auch kein Gelübde! Der Thron lockt ihn nicht und den Ehrgeiz verachtet er. Ist es etwas anderes? Um Himmels willen, er soll sich erklären! Und was soll er ihm sagen? „Serait-ce un sentiment plus doux? Sollen es zarte Gefühle sein?“ Es liege nun am Doktor, sich näher zu erklären. Denkt er etwa an die Liebe? Langes Schweigen folgt. Erasistrate ist einen Schritt weitergekommen.
Antiochus hat herausgefunden, dass der Arzt seinem Geheimnis auf der Spur ist und bekommt es mit der Angst zu tun. Was wird aus ihm, wenn der Vater dahinter kommt? Das dunkle Geheimnis muss verborgen bleiben und er darf sich auf keinen Fall verplappern.
8. Szene:
Der Arzt nähert sich dem Prinzen, nimmt seine Hand und betrachtet ihn. Séleucus quält die Ungeduld. Unversehens tritt er herein, denn sein väterliches Herz schwankt zwischen Ungewissheit, Furcht und Hoffnung. Erasistrate soll seinem Geheiß folgen, dem Vater den Kummer nehmen und ihm seinen Sohn zurückgeben. Antiochus fürchtet, dass der Vater sein Geheimnis erraten könnte und bittet den Himmel, ihn vor des Vaters Blick zu schützen. Welch ein Schweigen? Wie leidet der unglückliche Vater, bald wird der Arzt seine Diagnose verkünden. Erasistrate hat keinen Zweifel mehr, das Geheimnis ist gelüftet. Das Söhnchen liebt und daran gibt es nichts zu deuten.
9. Szene
Stratonice möchte über den Stand der Dinge auch unterrichtet werden und tritt unvermutet ein. Ihr Herz schlägt wild in Hoffnung und Furcht. Sie bebt bei jedem Schritt und hofft, dass die Götter den Prinzen nicht preisgeben werden. Hat Erasistrate wirklich keine Hoffnung mehr? Antiochus ersucht, dass man ihn in Frieden lassen soll. Alles ist vergeblich und die Bemühungen des Doktors vermehrten nur sein Leid. Oh, hoffnungslose Qual, jammern Séleucus und Stratonice im Duett.
„Lieber Prinz!“ Stratonice will dem Prinzen ihr Bedauern ausdrücken und nähert sich seinem Lager. Erasistrate sieht es, ergreift seine Hand und fühlt den rasenden Pulsschlag. Zunächst erkennt er die Ursache nicht, wendet den Kopf ein wenig und sieht Stratonice, die sehr gerührt zu sein scheint. Antiochus verdeckt sein Gesicht. Nach einem Augenblick des Schweigens erhebt sich der Arzt, verrät seine Entdeckung und seine Schlussfolgerung aber nicht. Antiochus bebt: Wird der gerechte Himmel sein Geheimnis hüten? Nein, Séleucus ist mit seinem Seelenschmerz beschäftigt und hat nichts bemerkt. Erasistrate ist sich sicher. Die Liebe ist sein Geheimnis und das Ziel seiner Sehnsucht befindet sich im Raum. Er verkündet, grausames Los, schwache Hoffnung! Das Leben des Prinzen retten können nur die Götter. Stratonice und Séleucus finden sich im Gebet:
„Du, der Du unsere Tränen siehst,
Apollo erhöre unser Flehen
und lindere des Prinzen Leid,
dass er lebe, dass wir glücklich seien.“
Antiochus betet ebenfalls, dass der Himmel die schuldige Flamme mittels seiner Tränen zum Erlöschen bringen möge. Séleucus möge zum Tempel gehen und ein Opfer darbringen, rät Erasistrate, damit seiner ärztlichen Kunst Gnade zuteil wird. Er selbst will noch ein bisschen in seinen gelehrten Schriften blättern und nach Rettung für seinen Sohn zu suchen. Der Sohn soll sein Leben schonen und dabei an seinen schmerzerfüllten Vater denken. Dann verlässt er den Raum. Erasistrate bittet die edle Dame noch zu bleiben. Mit Nachdruck verkündet er ihr, dass ihre sanfte Art das Leid des Prinzen lindern kann. In seinem Schmerz soll sie ihn nicht verlassen. Jeder, der Stratonice erblickt, kann sich der Freude nicht erwehren. Wenn sie bleibt, kann ihr zartes Mitgefühl wie Balsam auf den Hoffnungslosen wirken. Gewiss wird es ihr gelingen, die Gründe seines Leidens zu verstehen.
10. Szene:
Von den letzten Worten sind Antiochus wie auch Stratonice sehr befangen und wagen kaum sich anzusehen. Stratonice ergreift zuerst die Initiative und stellt fest, dass man glaubt, ihre Gegenwart schaffe dem Prinzen Wohlbehagen. Wenn es stimmt, was der Doktor sagt, wäre sie sehr glücklich und stünde ihm gern bei. Antiochus taut auf und gesteht, dass in seinem Weh ihr Mitleid ein wirklicher Trost sei. Er solle doch von zarter Freundschaft sprechen oder sind seinem Herzen ihre Worte nicht angenehm? Ganz ohne Zweifeln, doch wie soll er sich äußern? Sie wird seines Vaters Gattin sein. Er soll in diesen leiderfüllten Tagen nicht von Ehe sprechen. Der Prinz muss in ihr nun seine Mutter sehen. Es ist eine zarte Rolle, doch auch sehr streng. Sie empfindet eher wie eine Schwester; er möge ihr vertrauen wie ein Bruder es tut und ihr ohne Furcht sein Herz öffnen. Ach, wie beklagenswert ist doch sein Los. Sie fordert ihn auf, sich deutlicher auszudrücken. Antiochus will nicht und schüttelt den Kopf. Was hat er zu befürchten? Sie soll ihn nicht bedrängen, sein Schicksal wäre allzu schrecklich. Der Opernbesucher kann es nicht leugnen, dass der Prinz seine Situation korrekt einschätzt. Sein Weg ist gefährlich, er bringt den Thron ins Gespräch. Doch Stratonice tut so, als ob einer Krone Glanz ihr nichts bedeute. Sie sei schon glücklich, wenn sie anstatt zu befehlen gehorchen kann. Beide reden weiter um den heißen Brei herum, weil sie nicht wagen können, einander zu offenbaren.
Nun denn, ihre Wünsche werden sich erfüllen! Doch oft gesellt sich zur Freude auch das Leid. Nun fordert er sie auf mit offenen Karten zu spielen und nicht länger zu schweigen. Verdient er ihr Vertrauen denn überhaupt, wenn er sich selbst verschließt? Endlich ist Antiochus so weit, dass er aus sich herausgeht und voller Entschlossenheit und Leidenschaft bekennt, dass er nicht länger widerstehen kann, da sie ihn praktisch dazu zwingt. Selbst, wenn alles Unglück auf sein Haupt hernieder prasselt, muss er ihr sein Geheimnis enthüllen. Doch was wird sie von ihm denken, wenn sie weiß, wie es um ihn bestellt ist? Er solle leiser sprechen, man könne ihn hören. Ein wichtiges Geheimnis teilt man leise mit!
11. Szene:
Der Doktor ist auf leisen Sohlen hinzu getreten und fixiert Antiochus: Darf er nun hoffen, dass er das Geheimnis auch mitgeteilt bekommt? Sodann wendet er sich an Stratonice: Konnte sie dem Prinzen sein Geheimnis schon entlocken? Wie soll er ihr Schweigen deuten? Das Mädchen befindet sich in Verlegenheit und lügt, sie bat und drängte ihn, konnte aber bisher nichts erfahren. Der Doktor lässt sich jedoch nicht verschaukeln und sagt ihnen auf den Kopf zu, dass sie beide sich lieben, aber nicht wagen, darüber zu sprechen. Vergebens hüten sie ihr Geheimnis, die Wahrheit kann er in ihren Augen lesen! Stratonice versucht vergeblich zu protestieren und zweifelt, dass der König ihm seine Unterstellung durchgehen lassen wird. Doch Erasistrate schöpft aus dem Born seiner Erkenntnis und behauptet, dass Séleucus das Mädchen genau so liebt wie seinen Sohn. Um ihn zu schonen wird er heute vielleicht die Vaterliebe über den Gatten stellen. Der Prinz soll sprechen und sagen, ob er sich täuscht. Es ist durchaus denkbar, dass der Doktor auf dem falschen Weg ist, aber Antiochus spürt, wie sein Herz erleichtert ist. Er glaubt, dass es sein Werk ist. Und weiß die holde Dame nun, woran der Prinz litt, fragt er mit einem zuckersüßen Lächeln Stratonice. Ach, wie könnte einem selbstempfundenes Leid verborgen sein? O Himmel! Was hört Antiochus?
Erasistrate rät, mit den Gefühlen noch zurückhaltend zu sein. Zuerst muss er den Vater über die neue Situation unterrichten. Sie sollen ihm vertrauen, sich aus dem Schutz des Palastes entfernen und in den Wald flüchten, um sich im dichten Laub auszuruhen. Die Frische der Natur wird heilsam für sie sein. Die Wachen sollen den beiden folgen und sie nicht verlassen.
12. Szene:
Erasistrate stellt Überlegungen an, wie die Situation sich weiter entwickeln soll und breitet vor seinem Geist die Fakten aus. Die beiden lieben sich, doch für ihr Glück ist das nicht genug, dass sie ihre Schwäche eingestanden haben. Nun ist es an der Zeit, des Vaters Herz zu rühren. Taktisch wird er so vorgehen, dass er auf die Situation des Sohnes sein ganzes Mitgefühl lenken lenken wird, damit er um seines Glückes willen alles gibt. So soll der einstige Verehrer Stratonices, wenn möglich durch geschickte List, zum edelmütigen Rivalen umgebogen werden.
„O Schutzgöttin der Liebenden, o schöne Venus, höre meine Bitte und hilf für einen unglücklichen Sohn das Herz des Vaters zu erweichen. Mit Deinem Segen kröne dieses edle Paar. Vor drohendem Unheil kannst Du allein es bewahren! Er begann ihr Glück zu schmieden, doch Liebe muss das Werk vollenden. Wie könnte Dich die Lage dieses jungen Paares nicht rühren?
13. Szene:
Erasistrate erklärt dem König, dass er das Geheimnis lüften konnte, doch den Schmerz zu lindern sei ihm nicht gegeben. Ein Hindernis stünde seinem Glück im Wege. Und was ist sein Leid? Eine hoffnungslose Liebe. Séleucus ist maßlos erstaunt. Die Liebe! O Himmel ist es möglich? Wer kann den Wünschen des Antiochus widerstehen? Ach, hätte er ihn doch in seinen Kummer eingeweiht. Er hätte schon bald für sein Glück gesorgt, denn welche stolze Schönheit wollte nicht von ihm begehrt und seine Gattin werden? Verliebt, ein junger Königssohn und liebenswert! Wer könnte sich ihm entziehen?
Nun tischt Erasistrate eine Überraschung auf. Er sei es selbst, denn es ist seine Gattin, die der Prinz liebt. Der König wird ihn sicher verstehen. Die Pflicht, die Liebe und die Ehre zwingen ihn, seinen Sohn ins Unglück zu stürzen. Séleucus kann es nicht glauben, dass Antiochus in die Gattin seines Arztes verliebt ist. Doch, er hat es ihm gestanden, dass nichts dieses Feuer der Leidenschaft zu löschen vermag. Wo hat er die Gattin denn kennengelernt? Séleucus reagiert misstrauisch.
Das kann er erklären: Zwei Jahre ist es her, dass er auf seinen Wunsch an jenen Hof reiste, an dem er eine Zeitlang verweilte. In seiner Begleitung befand sich seine Gattin - jung und schön. Antiochus sah sie und entflammte. Sich sehen, in Liebesglut entbrennen und leiden, das geschah an einem einzigen Tage! Unselige Folge einer zu zärtlichen Natur! Schicksalhafte Liebe! Kann Séleucus sich sein Erstaunen denken?
Nach einer Weile des Schweigens fragt Séleucus unvermutet, ob Erasistrate seinen König liebe. Der König kennt doch seine Ergebenheit und er möge ihn auf die Probe stellen. Ah, das wird aber eine schwere Probe sein. „Ich will, dass ihr durch eine Scheidung meinen Sohn erlöst, damit er sich mit der Liebsten vereinen kann.“
Mit seiner Lügengeschichte hat Erasistrate sich ein schönes Dilemma eingebrockt. Was, die Trennung von der Gattin, die er liebt? Wie kann der Herr ein solches Opfer verlangen? Das Heil, welches ihm daraus erwächst, wird nur von meinem Glück noch übertroffen! Nein, Herr, Ihr braucht Euch nicht länger bemühen. Séleucus lässt nicht locker und fleht, dass der Arzt ihm seinen Sohn zurückgeben und vor dem Tod bewahren soll. Locken ihn seine Schätze nicht? Er solle frei sprechen. Der König erfülle ihm jeden Wunsch.
Er solle sein Gold behalten, er nimmt es nicht. Séleucus wird ungeduldig. Will er den Jungen also sterben lassen? Nun! Wer kann des Gatten Zärtlichkeit ersetzten? Und was kommt seiner Trauer gleich, wenn er das Teuerste verliert? Auf einen solchen Handel gehe er nicht ein. Despotisch fordert Séleucus den Arzt auf, seine Frau abzugeben. Will er sie mit Gewalt aus seinen Armen reißen?
So grausam ist Séleucus nicht! Doch er solle hier am Hof eine junge Schöne wählen und dann kann er in seine Scheidung einwilligen, damit des Königs Glück gesichert sei. Erasistrate fragt zurück, ob er selbst ein solches Opfer auch bringen würde. Wie soll Séleucus die Bemerkung verstehen? Jetzt wird der Gesprächspartner deutlich. Theoretisch gesehen „Wenn Antiochus es wäre, der Eure schöne Stratonice liebt, so sagt, mein Herr, was tätet ihr?“
Erasistrate setzt eine forschende Miene auf, bis es bei Séleucus gezündet hat. Nun begreift er die angewandte List. „Stratonice gilt die schicksalhafte Leidenschaft. Ja, sein Sohn begehrt sie. - Stratonice est l'objet de ce fatal amour, qui c'est elle que mon fils aime!“
Er sagt es und soll über ihr Geschick entscheiden! Er hat die Wahl, diese kann über ihr Glück oder ihren Tod befinden. Vielleicht hätte er über diesen Umstand besser geschwiegen, doch sein Entschluss schien ihm vernünftig und von edlem Sinn. Nun ist es am König, für sie das Opfer darzubringen, welches er von ihm verlangte!
Könnt ihr ihm die heimlichen Gefühle übel nehmen? Den Schmerz den er als bedauernswertes Opfer aus Achtung vor dem Vater stets verbarg, drohte ihn fast zu töten. Séleucus setzt eine finstere Miene auf und befiehlt den Wachen, dass man seinen Sohn und die Prinzessin herkommen lassen soll. Erasistrate sieht die finstere Trauer im Mienenspiel des Herrschers. Ist der Monarch verärgert und sinnt auf Strafe? Verlor er den Sohn, den er retten wollte?
14. Szene:
Stratonice und Antiochus treten näher, doch angesichts der finsteren Miene des Vaters bleiben sie ängstlich stehen. „Tretet näher, kommt, mein Sohn, und Ihr, edle Dame, präpariert Euch für den Bund. Schon ist der Altar geschmückt; doch dem Gatten treu ergeben, sollt ihr schwören, dass keine Schwäche, kein geheimer Wunsch je Euer Herz getrübt hat.“
Stratonice ist sichtlich aus der Fassung gebracht, schwört Gehorsam und Dankbarkeit für entgegengebrachte Güte. Seinen Wünschen wird sie Folge leisten und, wenn der Ehebund erst geschlossen ist, wird niemals eine schuldige Leidenschaft von ihrem Herzen Besitz ergreifen. Lieber wird sie sterben! Nun will sie ihm zum Altar folgen.
Nun wendet sich Séleucus an seinen Sohn und fragt gerührt, ob er ihn nicht zum heiligen Altar begleiten wolle. Durch sein Erscheinen erhalte das Fest seinen besonderen Glanz. Antiochus nähert sich langsam dem Vater, setzt ein Knie auf den Boden, küsst unter Tränen die Hand des Séleucus und spricht: „Ich will Euch folgen, mein Vater.“
Séleucus hat sich zum Verzicht auf Stratonice durchgerungen und befiehlt: „Ihr folgt mir? Zu lange währte Euer Leid. Erhebt Euch Sohn, und trocknet Eure Tränen. Ein solch großes Opfer kann ich nicht verlangen. Und Euer Unglück wäre meine Strafe.“
„Mein lieber Antiochus, holde Stratonice, ich führe Euch vor den Altar, doch es ist, um Euren Bund zu feiern.“ Séleucus nimmt ihre Hände und legt sie ineinander.
Alle sind sprachlos.
Er wollte Gatte sein, doch nun ist er Vater zweier Kinder. Der Sohn soll aus seinen Händen Stratonice entgegennehmen und seines Vaters Liebe ermessen. „Euer Glück allein ist mein Lohn.“
Letzte Änderung am 18.10.2015
Beitrag von Engelbert Hellen