Johann Sigismund Kusser (1660-1727):
Entstehungszeit: | 1694 |
Uraufführung: | 1694 in Hamburg (Oper am Gänsemarkt) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 90 Minuten |
Bemerkung: | Johann Sigismund Kusser war der Erste eines Dreigestirns, der in Hamburg - dem Venedig des Nordens - die deutschsprachige Barockoper aus der Taufe hob. Von Lully gehätschelt, tätig an diversen deutschen Fürstenhöfen, revolutionierte er das Musikleben am Gänsemarkt, wo das Publikum bisher vorzugsweise mit geistlichen Dramen beglückt wurde, mit der Oper „Erindo“ - nicht in französischer oder italienischer, sondern in deutscher Sprache. Bis heute haben die Deutschen dem Wegbereiter ihrer Musikgeschichte sein Engagement nicht gedankt und gaben dem Nachfolger Reinhard Keiser den Vorrang. |
Art: | Schäferspiel in drei Akten |
Libretto: | Friedrich Christian Bressand |
Sprache: | deutsch |
Ort: | Griechenland |
Zeit: | zu mythischen Zeiten |
Erindo: | Flussgott |
Eurilla: | ein griechisches Mädchen |
Daliso: | ein griechischer Jüngling |
Amarillis: | eine Najade |
Cloris: | eine Waldnymphe |
Tirsis: | ein Satyr |
Weitere: | Wald- und Wassergeister, Nymphen und Satyrn |
Die Inhaltsbeschreibung folgt der in slowakischer Sprache von Jaroslav Meier und Jela Krcméryova neu eingerichteten Fassung von 1978.
AM UFER EINES FLUSSES
1
Der Gott Erindo hat sich zur Aufgabe gestellt, das Wesen der Liebe zu ergründen. Die Menschen sollen mehr Spaß daran haben. Es ist vor allem das Denken, welches er kontrollieren soll. Dann lässt sich auch das Böse aus der Seele vertreiben. Die Leidenschaft betört den Menschen und bringt ihm Lust und Qual. Der Preis ist einfach zu hoch, den die Liebenden oft bezahlen. Erindo wiederholt das Gesagte ein zweites Mal, damit es wenigstens einmal begriffen wird.
Was bedeutet die Liebe dem Sterblichen eigentlich? Ist sie Trug oder Schatten? Der Wind weht sie weg und was bleibt, ist ein letzter Seufzer. Warum ist sie auf der Erde eigentlich nicht unsterblich? Neben Orpheus und Euridice zählt er noch eine Reihe anderer unsterblich Liebender auf. Pyramo und Tisbe gehören ebenso dazu wie Philemon und Baucis. Aber was nützt alle Theorie? Zwei Verliebte kommen gerade vorbei, dazu noch jung und schön. Die beiden sollen ihm als Versuchsmaterial dienen.
2
Eurilla fragt sich, ob es Sorgen am klaren Morgen sind, die sie beunruhigen. Auf den Wogen des Flusses sollte das Schicksal Ruhe finden. Die vielen Sterne in endloser Ferne können den Lauf der Dinge nicht versperren. Eurilla betont ausdrücklich, dass ihr Lebensschifflein auf ruhigen Wogen fährt.
3
Das Mädchen soll nur Acht haben, meint Erindo, denn auf jedes Schiff lauert ein Felsenriff. Er sei der Lotse und er befiehlt, was geschieht. Er will das Schiff erst dann in den sicheren Hafen führen, wenn die Liebe den Sturm besiegt und das Riff meistert. Der Flussgott hat das Ruder in die Hand genommen und will das Schiff vom Kurs abbringen, um festzustellen, wie es um die Macht der Treue bestellt ist.
4
Daliso, der Freund des Mädchens, sieht keine Gefahr im Anzug:
„Komm Eurilla!
Setzen wir uns an das Ufer.
Welch ein ruhiger Abend!
Äste der Weiden
spielen sich in den Wellen
und deine Haare wehen
im Hauch der Erlen,
wie die Strahlen des alten Mondes.
Was hast du für Haare Eurilla?
Sind wie die goldenen Ariadnefäden.“
Sind es tatsächlich Ariadnes goldenen Fäden, die Frieden und Krieg weben? Sie sollen ihr Herz mit dem seinen verbinden. Für ewig will er ihr Sklave sei. Ariadnes goldene Fäden sind es, die den Zauber bewirken, dass er von ihr gefesselt ist.
5
Erindo mischt sich ein. Ach, die schönen Haare sollen ausreichen, damit die Liebe ewig hält? Achtung! Die erste Prüfung kommt. Die Stürme sollen sich erheben und die Gewässer aufwallen. Dunkel soll es werden und Erindo wird beobachten, was die beiden machen.
Daliso soll Eurilla zunächst einmal Auskunft geben, weshalb es auf einmal dunkel und kalt wird. Das Wasser rauscht fürchterlich. Ist er noch da? Natürlich, er war immer an ihrer Seite. Sie soll ohne Sorgen sein. Es schimmert bereits der Morgen.
Nun singen beide das Gleiche. Sie wollen den gleichen Weg nehmen, denn die Liebe wird schön und wahr. Blättchen der Olivenbäume fallen nun auf ihre Träume bei Tag und Nacht. Beide wollen Acht haben auf den Neid aller Bösen. Keiner kann sie davon erlösen, was die Geister sich ausgedacht haben. Nur die Sterne sind auf der Wacht.
6
Die Eide, welche die Liebenden sich schwören, kennt Erindo alle. Nun will er Taten sehen und daran misst er die Echtheit der Gefühle. Beteuerungen sind für ihn so gut wie wertlos. Der Flussgott hat sich eine neue Prüfung ausgedacht. Daliso will er in den Waldgrund schicken und Eurilla in die abgekühlten Wellen tauchen. Man wird sehen, ob ihre Sprüche nur Spielzeug im Winde sind.
Eide, Seufzer und Träume sind die Waffen aller Verliebter. Jedes Ächzen ist vergeblich, denn meistens sind sie aus eitlem Hochmut geboren. So urteilt leichtfertig Erindo.
7
Ein Chor von Wald- und Wassergeistern hat sich versammelt und fragt: Kann Liebe das Feuer und das Wasser besiegen? Kann es den Blitzen und Stürmen die Macht nehmen? Ist sie Schutz vor bösem Unwetter und glücklich den Fesseln des Verräters entschlüpft? Es ist schon gut, dass der mächtige Erindo die Bande der Liebenden segnet und bewacht. Die Burg der Liebenden steht hinter den Bergen und vom Meer ist sie umgeben. Hier ist für die Liebenden ein Altar aufgebaut. Die Wald- und Wassergeister müssen es wohl am besten wissen.
EINE VON DICKICHT UMGEBENE WALDLICHTUNG
8
Daliso hat einen Anfall von Depression und wurde von Eurilla getrennt. Ursache und Einzelheiten verrät das Libretto nicht. Dalisos Ausdrucksweise versetzt den Theaterbesucher in Ratlosigkeit, denn er weiß nicht, was den Jüngling in plötzlichen Trübsinn versetzte:
„Wenn mein Los mich belügen soll,
lieber Tod! Lieber Tod!
In meiner Not...
Lieber Tod in meiner Not!
Wenn mein Los mich belügen soll,
möcht' ich gehen, getäuscht,
voll Groll.
Lieber Tod in meiner Not!
Lasset mich für ewig scheiden,
bin am Ziel, will nun gehen!
Wenn mein Los mich belügen soll,
lebet wohl, lebet wohl!
In meiner Not lieber Tod!
Ach, lieber Tod!
Wenn mein Los, an das ich glaubte
meines Glaubens mich beraubte,
bin am Ziel mit meinem Spiel.“
9
Ein Satyr und eine Waldnymphe mischen sich ein. Cloris meint es gut mit dem Betrübten. Aber, aber, wozu diese Zweifel? Ist hier etwa der Himmel trüber als anderswo? Duften hier die Blumen etwa nicht? Sind hier die Nymphen etwa nicht reizend, wenn sie abends in der Quelle baden gehen? Tirsis will wissen, ob die Spiele der Satyrn hier nicht ähnlich ablaufen wie damals in Athen? Daliso soll sich umschauen und Vergleiche anstellen. Ja, lenkt Daliso nun ein, er weiß, dass es auf der Welt herrlich zugeht. Aber ohne Eurilla...
Cloris spottet: Ja, Eurilla! Cha, cha, cha, cha, der Name seiner Nymphe klingt so rein, als wenn ein Silberglöckchen läutet. Aber so etwas findet er hier, so viel wie er will, um glücklich zu sein! Tirsis fordert den Jüngling auf, des Todes Schwert wegzuwerfen und sein Glück einzulösen. Der Nymphenchor sowie Cloris und Tirsis singen, dass Leid und Wehmut vorübergehen. Daliso soll seine Glieder sich freuen lassen bei den Tänzen der Nymphen und Satyrn. Die Aufforderung wird mehrfach wiederholt.
10
Eine Gigue à l’Anglaise und ein Rondeau bestimmen den Tanz der Nymphen und leiten zu den Bacchanalen über.
SZENENWECHSEL
11
Der Theaterbesucher wird in den Unterseebereich des Flussgottes entführt. Wer hätte das gedacht! Gewöhnliche Sterbliche sind treuer als Zeus. Sein Versuchsobjekt ist nicht geeignet, sich einreden zu lassen, dass er mit seinem Pessimismus recht hat. In der Tat, Männer sind zuverlässig in der Liebe.
Und wie sieht es bei den Frauen aus? Können sie der Versuchung widerstehen oder lassen sie sich leichter zur Liebe verlocken? Daliso hat die Probe bestanden, er konnte widerstehen. Aber Hallo! Er bestand die Prüfung und widerstand der Versuchung!
12
Nun kommt Eurilla an die Reihe und Amarillis zum Zuge. Als Najade ist sie Erindos Dienerin.
„Amarillis!
Du meine Dienerin!
Begrüße dort unten
Herrin Eurilla mit Ehren.
Pflücke ihr Korallen,
sie sind die Rosen der Atolle.“
Aus blassen Muscheln soll sie ein Gewebe fertigen und es Eurilla um die weißen Schultern legen. Anschließend möchte der Flussgott von ihr würdig begrüßt werden.
Um das Mädchen anziehend zu machen, plant Amarillis Folgendes: Mit Rosenkorallen will sie Eurilla den Nacken schmücken und ihr aus Perlen ein Leibchen flechten. Die Haare sollen Algen schmücken. Danach wird sie die Schönste aller Frauen sein.
13
Eurilla will zunächst erst einmal wissen, wo sie sich überhaupt befindet. Sie hört Wellen rauschen - es sind nicht die Blätter des Olivenhains. Warum gibt die Najade sich mit ihr ab? Hört Daliso überhaupt, wie sie klagt?
Amarillis hält schlechten Trost bereit. Von den Schicksalen der Menschen trennen die Gefangene Welten. Jetzt lernt sie das Schicksal der Götter kennen. Nicht jeder Erdenmensch erlebt diese Ehrung. Ihre Tränen soll sie verschleiern, damit der Flussgott sie nicht beim Weinen sieht. Auf das Haupt soll sie das Wort Hoffnung und nicht Verzweiflung schreiben. Das sei unmöglich gesteht die Verlassene. Sie singt nun ihre schönste Arie:
„Ich ahne Leid und Weh'
dass meines Leidens Meer
mir keine Ruhe schenkt
und mein Boot weit entfernt
ans andre Ufer lenkt, dem Ende zu.
Ich ahne Leid und Weh',
ob ich mein schönes Land
noch einmal wiederseh',
weit entfernt
geht mein Boot dem Ende zu.
Die letzten Grüße
leg' ich zu Füßen
dir, meine Heimat,
mein schönes Land.
Mit letzten Blicken
möchte ich dir winken,
mich hält gefangen
die fremde Hand.
Ich ahne Leid und Weh'.“
14
Erindo fordert Eurilla auf, den Reifen, der sie an das Leben bindet, zu zerschmettern. Seine Macht hält sie umschattet. Sie soll nur ihm gehören und seinen Wunsch sogleich erfüllen. Weder im Wasser noch auf der Erde will Eurilla dem Flussgott gehören. Sie gehöre zu den Menschen. Erindo ist erstaunt, dass seine Bemühungen ins Wasser fallen.
Tatsächlich hat er eine Frau gefunden, die noch treuer ist als ein Mann. Sie widersteht sogar den Göttern! Der Chor bedeutet Eurilla, dass sie frei sei. Doch vergeblich suchen ihre Augen nach dem Boot, dass sie ans andere Ufer lenkt. Sie hat das Gefühl, dass das Schicksal noch mehr Strapazen mit ihr im Sinn hat.
Erindo will sie nicht entkommen lassen. Aus dem Perlenhalsband will er ihr Fesseln schmieden und aus Krabbenscheren eine Kette umlegen. Durch seine Macht will er ihr kleines Herz besiegen.
Wer ist er und was will er von ihr?
Der Flussgott versucht, sein Talent ins rechte Licht zu rücken. Seine Liebkosungen seien wie die Umarmung des Meeres. Die Wellen sind erschüttert, während er liebt, und Stürme erheben sich. Sein Streicheln wird auf sie wirken wir Schlangenschmeichelei. Das waren jetzt die falschen Worte. Oh, nein, der Schlange Nähe sei schlüpfrig und auch kalt!
Eurilla entweicht. Liebe brach die Zauberei!
EINE LIEBLICHE LANDSCHAFT
15
Für die beiden Liebenden scheint die Sonne wieder. Der goldene Strahl hat die Nacht besiegt und soll nun wieder leuchten. Er soll sie auf den rechten Weg führen und Glück und Frieden schenken. Er soll alle Sorgen zerstreuen und den neuen Tag mit Freude auffüllen. Sonnenstrahl, o Hoffnungsstrahl, leuchte dem Paar und zeige ihm den Weg zur wahren Liebe.
16
Eurilla und Daliso sind sich einig. Ein Lichtstahl bedeutet Freude. Was ist Freude ohne Liebe? Daliso ist durch Frost und Dunkel geirrt, bis ihm die reine Liebe seiner Angebeteten geleuchtet hat. Erindo behauptete, dass die Liebe der Sterblichen nicht ewig sei. Stimmt das überhaupt? Eurilla soll dem Geliebten glauben. Alle Prüfungen haben sie bestanden, um die Liebe für immer zu behalten. Liebe lebt im Herzen ewig, denn sein Herz gehört ihr und liebt so wahr, so wahr. Unzerreißbar ist der Faden, Blitz und Sturm kann ihnen nicht schaden. Dem Bösen wurde widerstanden!
Wo die Morgenröte leuchtet, dort bist du, mein Glück, meine Freude, so soll es sein. So soll es, soll es sein.
17
Ganz ohne Vorwürfe kommt Daliso nicht davon. Musste er so irre gehen? Warum konnte er sie nicht aus den Fesseln des Flusses befreien? Nein, es ging tatsächlich nicht. Im dunklen Dickicht war er gefangen und nur des Todes Nähe habe ihm den Weg frei gemacht.
Nun kann sie nichts mehr voneinander trennen. Über ihnen strahlt die Sonne und um sie herum stehen Zypressen. Ein Glöckchen baumelt am Hals der kraushaarigen Lämmer.
18
Das Geturtel ist vorbei und jetzt wird die Heimat besungen.
„Mein Heimatland am Meer,
wie lieben wir dich sehr,
wir hören dein Rufen
von anderen Ufer,
von Felsenhängen her.
Mein Heimatland am Meer,
es klingen die Lieder
der Jugendzeit wieder
von Sternen und von Flieder.
Die Heimat ruft uns,
die zwei Wanderer nach Haus!
Du siehst schon von weither
am Bergeshang leuchten
den Hafen mit den kleinen Gassen,
dort steht unser Haus,
du herrlichste Heimat!
Dort sind wir zu Hause
und singen Lieder der Freude.
19
Die Götter leben ewig und wissen deshalb nicht, was Jugend ist. Erindo sieht, dass es besser ist, ein Mensch zu sein.
Letzte Änderung am 2.12.2010
Beitrag von Engelbert Hellen