Niccolò Jommelli (1714-1774):

Vologeso

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1766, rev. 1769
Uraufführung: 11. Februar 1766 in Ludwigsburg
1769 in Salvaterra
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 175 Minuten
Manuskript: Paris: Bibliothèque nationale de France

Zur Oper

Art: Oper in drei Akten
Libretto: Mattia Varazi nach einer Vorlage von Apostolo Zeno
Sprache: italienisch
Ort: Ephesus
Zeit: zu historischer Zeit

Personen der Handlung

Vologeso: Herrscher der Parther (Sopranist)
Lucio Vero: Römischer Feldherr (Tenor)
Berenice: Gemahlin Vologesos (Sopran)
Lucilla: Braut des Lucio Vero (Mezzosopran)
Aniceto: Vertrauter des Lucio Vero (Countertenor)
Flavio: Abgesandter des römischen Senats und Lucillas Begleiter (Sopran)

Handlung

1. Akt:

Der römische Feldherr Lucio Vero hat die Parther im Kampf besiegt, aber die Leiche des gegnerischen Königs ist auf dem Schlachtfeld nicht zu finden. Wohin hat Vologeso sich verdrückt? Seine Gemahlin Berenice befindet sich unter den Gefangenen und wird nach Ephesus gebracht, wo der Sieger Hof hält. Da sie außerordentlich schön ist, fällt sie sofort auf. Lucio pickt sie aus der Vielzahl edler Gefangener heraus, um sie zu erobern. Er ist kein Barbar und bemüht sich bei seinen Annäherungsversuchen kultiviert vorzugehen. Er sagt: „Königin, genug an Treue und Klage hat Dein keuschen Wesen dem Schatten Deines toten Gemahls gewidmet. Erheitere Dich, sonst lässt der Schmerz Dein liebliches Gesicht zu stolz erscheinen. Berenice, komm zu uns, setze Dich zu mir an diese üppige königliche Tafel!“ Diesmal hat Lucio Vero allerdings Pech mit seiner Werbung, denn Berenice beabsichtigt, dem geliebten Gemahl über den Tod hinaus die Treue halten.

Vologeso hat sich gekleidet wie ein parthischer Mundschenk und will einen Giftanschlag auf Lucio Vero verüben. Berenice erkennt ihn und traut ihren Augen nicht. Ahnungslos will sie auch aus dem Becher des Siegers trinken, da enthüllt der verkleidete Kellner, dass das Getränk vergiftet ist. „Berenice, lass das lieber bleiben“ warnt er und verrät damit die tödliche Absicht. Vologeso wird nun erkannt und wandert schnurstracks in den Kerker. Wie schlampig sind denn hier die Sicherheitsvorkehrungen? Lucio Vero will es wissen!

Lucio Vero bekommt Besuch aus Rom. Es ist Lucilla, die Tochter des Kaisers und zudem seine Braut. Flavio, ein Abgesandter des Senats, begleitet die vortreffliche Jungfrau, vor der sich Roms Cäsaren verneigen. „Lucilla wird ungeduldig sein, Dich zu sehen“, spottet Berenice spitz. Lucio Vero meint, dass der Zeremonienmeister Vorführungen und Spiele anordnen solle, um der lästigen Person für den Augenblick zu entgehen. Offenbar geht ihm seine Braut auf die Nerven. Aniceto, sein Freund, denkt anders. Er sehnt sich nach ihr, denn sein Herz schmachtet voller Ungeduld. Hat man Lucio nicht von ihrer Ankunft in Kenntnis gesetzt? Sie hat sich das Wiedersehen anders vorgestellt. Lucilla sieht ihn nicht, endlich kommt er ihr entgegen und fragt sie, welches Schicksal sie nach Ephesus führt. Warum setzt ihr Vater sie den Gefahren einer so weiten Reise aus?

Lucilla ist empört, denn ein Jahr ist verstrichen, seitdem er die stolze Front an Euphrat und Orontes geschwächt hat. Warum sendet Rom seinen stolzen Helden an ein so fernes Gestade? Jetzt wird er wieder in Rom erwartet, vom Vater und vom Senat, von ihrem Herzen ganz zu schweigen! Er siegte, das ist wahr, aber der Besiegte bleibt zu fürchten! Gewiss sind seine edlen Beweggründe für sein langes Verweilen positiv zu bewerten. Aurelius schickte Flavio als Boten zu ihm. Die Zeit sei reif für die Hochzeit und er solle nicht länger zögern. Er kann wählen, ob er Untertan oder Herrscher sein will. Entweder er solle seinen Vertrag einhalten und regieren oder den Lorbeerkranz zurückgeben. Lucio Vero reklamiert, dass der Eifer eines Untertans oft zur Kühnheit wird. Trotzdem erweist er dem, der ihn schickt, und denen, die ihn begleiten, seine Ehrerbietung. Man möge respektieren, dass er seiner Augusta sein Herz mit jedem Tag mehr öffnet. In seinem Wunsch liegt es, seine Braut dorthin zu begleiten, wo mit festlichem Prunk die Triumphe seiner Siege gefeiert werden.

Lucilla stellt mit Genugtuung fest, dass Lucio Vero sie seine Braut nennt und ihrer Liebe Huldigungen darbringt. Soll sie einem falschen Gerücht folgen, dass er sie schändlich betrügt und treulos verrät? Flavio weiß es nicht. Aniceto macht den Herrscher darauf aufmerksam, dass die Trompeten zu den Spielen rufen. Lucio Vero hat einen Spruch zur Hand: „Gehen wir. Es öffne sich in der schicksalhaften Arena das freie Feld der Pein anderer.“

Was sieht Vologeso? Wird er etwa öffentlich zur Schau gestellt? Soll er Gespött und Spiel des versammelten Pöbels sein? Er allein und unbewaffnet? Libysche Ungeheuer und grausame Raubtiere warten auf ihn! „Cäsar, ehrt man so einen König?“ Was sieht er? Sein treuloses und meineidiges Weib mit der unberührten Seele, als Zuschauerin und als Schuldige seines Todes? Berenice erhebt sich und stürzt sich verängstigt ins Amphitheater. Lucio Vero ist erschrocken. Berenice protestiert dagegen, dass sie eidbrüchig sein soll. „Hier, Vologeso, ist die Gefährtin Deiner Qual! Nicht Schuldige, noch Zuschauerin Deines Todes wirst Du Berenice länger nennen.“

Lucio Vero ruft nach den Wachen, dass sie die Tore schließen sollen. Ein Löwe kommt bereits heraus, Trompeten erklingen. Ach, der Befehl kam zu spät! „So flieh doch, Gemahlin!“ Vologeso mahnt zweimal! Nein, sie verlässt ihn nicht. Hier ist unser beider Tod. Lucio Vero ringt die Hände und gibt sich dann einen Ruck. Was kann er tun? „Nimm mein Eisen Vologeso und verteidige Dich. Er wirft ihm sein Schwert zu. Die Wachen ruft er herbei. Die schuldige Bestie sollen sie ermorden, damit Berenice gerettet ist.

„Flavio, ich bin betrogen!“ Dann können sie also wieder abreisen. Nein, zuerst will Lucilla noch sehen, ob Lucio sich erdreistet, sich sogar vor ihren Augen treulos zu erweisen. Die schreckliche Bestie fällt, aber Berenice bleibt unversehrt. Lucio Vero nimmt dem König der Parther das Schwert wieder ab. Zu seinen Füßen legt er das Eisen nieder, mit dem er zuerst besiegt und dann verteidigt wurde. Er soll aber nicht denken, dass er aus seinem Verrat unbestraft hervorgeht. Berenice freut sich, dass sie den Gemahl erst einmal zurückerhält.

Lucilla will beobachten, ob es sich auch tatsächlich so verhält wie Berenice erwartet. Jetzt da er festgestellt hat, dass sein geliebtes Weib treu ist, wiegen für ihn die Ketten um so leichter. Berenice bittet den „Augustus“ das Werk eines großen Herzens zu vollenden. Lucio Vero wagt es nicht, hier zum jetzigen Zeitpunkt seine große Leidenschaft zu offenbaren. Lucilla liest den Ausdruck seiner erregten Gedanken in seinen Augen. Berenice ergreift mit flehender Gebärde Lucios Rechte. Er solle doch nachgeben und einer unglücklichen Gattin den Gemahl zurückgeben.

In welcher Bedrängnis befindet er sich jetzt? Lucilla stellt fest, dass der Treulose sie anschaut und verlegen ist. Was verwirrt ihn? Vologeso weiß, dass er die Macht hat, über sein Schicksal zu entscheiden. Aber Lucio Vero antwortet nicht. Berenice bittet Prinzessin „Augusta“ - wie sie die Römerin nennt, dass sie Fürsprache einlegen soll. Die beiden Frauen bombardieren den Zögernden wechselweise. Lucilla wird ungeduldig und meint, dass Lucio Veros Seufzen viel ausdrückt. Vologeso genügt es zunächst, dass sie gerettet wurde und, dass sie treu ist. Mehr darf er vom Himmel nicht erhoffen.

Im Quartett sind sie sich darüber einig, dass eine neue Art der Folter auf sie wartet. Unbarmherzigkeit und Grausamkeit nehmen kein Ende. Berenice und Vologeso hoffen auf die Gnade des römischen Feldherrn. Sie will den Gemahl umarmen, denn sie kann es nicht ertragen, dass das Übermaß der grausamen Aufregung und der Schmerz ihr den Busen zerreißen.

2. Akt:

Lucio Vero fragt seinen Vertrauten Aniceto, wie er nach seiner seine Ansicht Berenice zügig erringen könne und was Rom sagen werde. Wenn der König der Parther ihm Berenice überlässt, wird man sagen, dass demjenigen alles erlaubt ist, der frech genug ist. Was Lucilla angeht, so übernimmt er es, sie zu zügeln, wenn eifersüchtige Wut an ihrem Herzen nagt. Und Aurelius selbst? Auch hierauf hat der selbstgefällige Aniceto eine Antwort. Denn in Lucio Veros Hand befinden sich des Kaisers beste Streitkräfte, mit denen er gefürchtete Völker besiegte. Er habe triumphiert und man werde ihn fürchten. Aurelius hat sich schon daran gewöhnt, die Heldentaten seines Feldherrn kundzutun. Sein Ruhm erlaubt ihm, zu tun, was er will, er solle ihm die Ehre überlassen, es auszuführen. Lucio Vero gefällt der Rat seines Vertrauten. Der Getreue solle zu Lucilla eilen und ihr sagen, dass eine andere ihr den Geliebten raubte und dass das Schicksal seinem Herzen Gesetz sei. Er kann sich auf ihn verlassen, dass er die passenden Worte finden wird.

Lucio Vero befiehlt den Wachen, vom königlichen Fuße des Parthers die unwürdigen Ketten zu lösen. Die erste Aufwallung seines Zorns soll er ihm vergeben, aber er soll genau zuhören, was er von ihm verlangt. Lange genug wütet der Groll zwischen ihnen. Nachdem er ihn besiegt habe, möge der Hass erlöschen. Die Schande seines Schicksals wird er beheben und ihn von seinen Ketten befreien. Er gibt ihm seine Freiheit und auch sein Königreich zurück.

An seinem Staunen erkennt er die Gewalt seiner großzügigen Gunst. So kann er darauf hoffen, dass sein Herz ihm gewogen ist. Nun ist Vologeso am Zuge und fragt, was er für den Cäsar tun kann. Nach einigem Zögern kommt die Antwort: „Berenice“. Vologeso hatte sich den Frieden seines Herzens von ihm gewünscht. Weiß er überhaupt, wer Berenice ist? Nun, er weiß es! Und er verlangt von ihm das Liebste, das er besitzt? Er bietet dafür, dass er ihm die Fesseln löst, schenkt ihm das Leben und gibt ihm sein Reich zurück. Vologeso hält es für unwürdig, zu diesen Konditionen auf das Angebot einzugehen. Hartnäckig lehnt er ab. Selbst das ganze Universum würde er zurückweisen, wenn er Berenice auf diese Weise verlieren sollte.

Bis jetzt hat ihn der Freund gefragt. Nun fragt ihn der Cäsar, der Sieger, der Richter über seine Tage! Und nach den Gefühlen anderer fragt er nicht? Der Verwegene reizt ihn. Töricht wie er ist, wird er bald als Opfer seiner gerechten Wut am Boden liegen. Aber Berenices Herz wird er nicht erhalten! Nun beleidigt er ihn auch noch. Holla! Die Last seiner Ketten soll er zurückerhalten. Und in einem Kerker, so schwarz wie sein Verbrechen, mag er die grausamste und schrecklichste Strafe erwarten. Sein Tod lässt ihn schon jetzt erschaudern.

Lucio Vero entschwindet und Berenice kommt. Noch immer ist er gefesselt und Berenice hatte schon gehofft, ihn von seinen Ketten befreit zu sehen. Er sprach mit ihm: Der unmenschliche Barbar hat seinen Untergang beschlossen. Der Schuldspruch lautet: Entweder ohne Berenice oder ohne Leben. Sollten Blut oder Tränen ihn retten können, will Berenice sich dem Augustus zu Füßen werfen, ihn bitten und umschmeicheln, damit das grausame Urteil aufgehoben wird. So viel Feigheit wäre Dir möglich, Dich vor dem Tyrannen zu erniedrigen. Ach, das darf nicht sein. Sie möge ihren Sinn ändern und er werde seine schändliche Bitte zurückziehen. Wenn ihr ein solcher Treuebruch möglich wäre, dann hat sie ihn schon verraten. Das geliebte Weib soll ihm ein treues Herz bewahren und den Zorn wie auch seine Liebe hassen und verachten, denn damit würde sie den Seelenfrieden in seinem Herzen bewahren. Auch unter vielen Qualen wird er sich nicht beklagen, wenn seine Liebste treu ist. Jede Menge Edelmut in Tüten wird ausgetauscht, aber damit ist der Knoten nicht gelöst.

Berenice wird zu Lucio Vero befohlen und will zuvor von Aniceto wissen, was er will. Entweder er reicht ihr seine Rechte oder den Kopf des toten Vologeso. Triff Deine Wahl, noch ist es Zeit. Ihre Seele erträgt den Todesstoß nicht und schimpft. Der schändliche Diener eines noch schlimmeren Herrn soll diesem erklären, dass nur eine hassenswerte Liebe sie zu schrecken vermag. Sie fühlt sich so angewidert, dass es eine Ehre für sie sein würde, an der Seite Vologesos durchbohrt zu werden; dem Grauen seiner Herrschaft zieht sie dies vor.

Lucio Vero ist hinzugekommen, hat mitgehört und befiehlt Aniceto, dass der abgeschnittene Kopf des Vologeso vorgezeigt werden soll. Ach, nein! Der Grausame solle bleiben und sie anhören. Sie glaubt, dass der Schlag noch nicht so nahe ist. Welche Raserei! Sie soll sich erklären! Berenice ist todunglücklich, dass sie am Tode ihres Gemahls schuldig werden soll. Lucio Vero kommt ihr zur Hilfe. Die Königin soll sich doch endlich von denn düsteren Bildern ihrer trüben Gedanken befreien. Vologeso muss nicht sterben. Leben und Thron gibt er ihm noch heute wieder, wenn sie ihm ihr Herz nicht verweigert. Berenice bleibt hochnäsig! Der Tyrann wird ihr Herz erst erhalten, wenn … - sie weiß nicht, wie sie den Satz zu Ende bringen soll. Lucio Vero ist es Leid, immerzu umsonst zu bitten und bringt Aniceto und die Wachen auf Trab.

Endlich lenkt Berenice ein. Diese ungewöhnliche Textstelle sei aus dem Libretto wörtlich zitiert:

„Ferma inumano.
Tu chiedi il mio core,
il cor ti darò
ma infida!“

„Halt ein Unmensch! Du verlangst mein Herz, das Herz werde ich Dir geben, aber ohne Treue! Was sagte ich? Grausamer. Hoffe nicht darauf, nein, nein. Doch halt ein. So höre und besänftige Deinen Zorn. Ja, mein Herz werde ich Dir geben. Welch ein Abgrund des Jammers! In der ganzen Gefahr weiß ich keinen Rat mehr und habe keinen Verstand.“

Lucio Vero sieht sich am Ziel seiner Wünsche angekommen, hat aber noch keine Ahnung, dass Berenice zwar Wort halten will, ihre Sprüche aber nicht emotional, sondern pathologisch meint. Er schickt Aniceto zu Lucilla, dass sie sich bereit halten und noch heute mit Flavio die Segel hissen soll, um die Gestade von Ephesus zu verlassen. Der Beauftragte verspricht, die Botschaft getreulich weiterzuleiten.

Lucio Veros Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Eine unangenehme Furcht beschleicht ihn, ob Berenice ihn glücklich machen wird. Zunächst wird sie ihn erst einmal hassen, weil sie zu ihrem Schicksal gezwungen wurde. Muss er sich von seinem Glück schon bald wieder trennen? Er zweifelt am Ruhm und seiner Liebe. Schon fängt er an zu phantasieren.

Lucilla wird von Flavio informiert, dass sie mit ihm noch heute Abend an den Tiber zurückkehren möge. Der Tochter eines Cäsaren wurde noch nie eine so beleidigende Ablehnung zuteil! Der Treulose soll nicht ungestraft bleiben. Zusammen mit ihrer Hand muss er auch den kaiserlichen Thron verlieren. Er wird ihn verschmerzen, denn er wird Berenice heiraten! Er hofft vergebens. Rom duldet es nicht, fremdes Blut mit dem eigenen zu mischen. Kriegerische Stimmen im römischen Heer werden zu den Waffen rufen. Flavio hat die Glut entfacht und wird sie zu nähren wissen. Es gilt die Gesetze und sie selbst zu schützen.

Ehe sie nicht mit ihm gesprochen hat, soll nichts unternommen werden. Sie kam absichtlich hierher, um auf ihn zu warten. Flavio sieht in bereits kommen. An der üblichen Schar seines Gefolges hat er ihn erkannt. Sie wird jetzt Gelegenheit haben, ihn zu sprechen, denn Flavio wird sie jetzt allein lassen. Sie soll ihn daran erinnern, wer sie ist und dass er ihr Treue geschworen hat. Die Ehre Roms habe Lucilla zu bewachen. Sage ihm, dass ein einziger anmaßender Fehler genügen kann, um den Verdienst tausend hervorragender Taten zu überschatten.

Berenice tritt mit Lucio Vero auf. Ihr ist daran gelegen, dass sie mit Vologeso sprechen kann. Er wird ihr den Gefallen tun, aber nur ein einziges Mal. Lucilla ist auch herangekommen. Welche ein überraschendes Zusammentreffen. Barsch fährt er sie an, weshalb sie hierher gekommen sei. Lucilla erwidert, um aus seinem eigenen Munde ihr Schicksal zu vernehmen. Prinzessin, es ist wahr, er wagt nicht mehr, es zu verbergen. Berenice raubte ihr seine Gefühle. Vergebens habe die Cäsaren-Tochter ihn mit dem Glanz ihrer schönen Augen versucht zu gewinnen. Die Strahlenden Lichter Berenices haben den Sieg davon getragen. Nun hast Du meine Schuld vernommen und kannst Deinem Hass freien Lauf lassen. Sie soll ihn treulos nennen, undankbar und wortbrüchig. Dem Übermaß seiner Schuld wird sie gerecht - er gesteht es sich selber ein. Nein, sie spricht ihn nicht frei, denn ihre Gefühle für ihn waren immer unerschütterlich, und seinen Lippen verbietet sie die unnütze Klage. Berenice schaltet sich ein und fleht in Wahrung eigener Interessen Lucio Vero an, sich einer so großen Liebe treu zu zeigen. Dieser setzt dagegen, dass sie ihn vielleicht gar nicht liebt und Lucilla möglicherweise längst einer anderen Leidenschaft erlegen ist. Lucilla setzt sich zur Wehr: Der Schändliche solle schweigen; er wagt, seiner Kränkung noch eine Beleidigung hinzuzufügen. Woher nimmt er die Frechheit zu sagen, dass sie ihn nicht liebe. Eigentlich sollte sie ihn verabscheuen. Aber der Treulose soll wissen, dass sie fürchtet, ihn immer noch zu lieben. Hasse mich, wenn Du willst, aber geh! Lucilla jammert noch ein wenig, aber Lucio Vero macht der Sache ein Ende.

Lucio Vero zeigt sich entgegenkommend und befiehlt seinen Wachen, den Gefangenen Vologeso herzubringen. Wenn Berenice frei mit ihm reden möchte, so hat er keine Einwände. Im Gegenteil, sie legt Wert darauf, dass er Zeuge Ihrer Unterhaltung wird. Sie will keine Geheimnisse zwischen ihnen.

Zunächst soll der König der Parther sich angewöhnen, weniger düster dreinzublicken, wenn er ihm schon seine Fesseln löst und ihn wieder auf seinen Thron setzt. Wenn das Geschenk von ihm kommt, so ist es verdächtig, kommt die patzige Antwort. Er wird es aus der Hand Berenices empfangen können, wenn ihm das besser gefällt. In ihrer Hand liegen sein Leben und seine Freiheit und des Römers Frieden, den er bisher vergeblich suchte. „Ach!“ Berenice ersucht ihren Gatten, seinen Zorn vorerst zurückzuhalten. Die Geliebte soll sich deutlicher erklären. Das Attribut „Geliebte“ stünde ihr nicht mehr zu, reklamiert der Römer. Er solle in ihr die Braut dessen achten, der ihn besiegte. Berenice fordert Lucio Vero auf, mit solcher Ehre für sie noch zu warten, „Warum? Hat sie ihm nicht ihre Hand versprochen?“ „Nein!“ Sie versprach ihm ein Herz als Preis für Vologesos Leben! Nun, ihr Herz nimmt er an.
Dann soll er kommen und es aus ihrem Busen reißen, aber nicht vergessen, sein Versprechen zu halten und ihrem Gatten Thron und Freiheit zurückzugeben. Benutzt sie ihn etwa nur zu ihrem Spott und Spiel? Er wird die Törin für ihre unbesonnene Kühnheit zu bestrafen wissen. Vologeso soll doch bitte in ihr die Gefährtin eines unglückseligen Königs achten, bittet dieser. „Aber Hallo! Diese grausame Bestie soll in ihre königlichen Gemächer gesperrt werden. Und jener soll mit engsten Fesseln in das vorige Gefängnis zurückgebracht werden.“

„Wenn ich nun für Dich leide, ist das der Lauf der Dinge, mein Geliebter“ - „Wenn du mir treu bist, sind meine Ketten mir liebenswert, meine süße Geliebte“, kommt sofort das Echo. Der Römer betrügt sich selbst wenn er hofft, inmitten von Angst und Leiden sie wehklagen und jammern zu hören. „Ha, welche Raserei!“ „Du bebst?“ „Du zitterst?“ „Du erglühst?“ „Du erregst Dich?“ So geht es in der Barockoper zu! Die Liebenden wollen lieber sterben als Vernunft annehmen. Und das Herz des Tyrannen liegt Tag und Nacht wach. Die Liebe verwirrt ihn!

3. Akt:

Flavio gibt Lucilla einen Lagebericht. Alle Kommandanten des Heeres folgen seinem Willen. Das Volk grollt und duldet nicht, dass man ihr Unrecht tut. Es wird Zeit, dass man Berenice aus dem Umfeld Lucios entfernt und ihm damit jegliche Hoffnung nimmt, sie jemals zu besitzen. Mit Hilfe seiner Soldaten wird er es ermöglichen, dass Vologeso mit seiner Gattin in sein Reich zurückkehrt. Lucilla muss seinen Plänen nur noch zustimmen. Ihr ist es recht und er soll sich beeilen. Sie befürchtet nur, wenn die Waffen wüten, könnte auch Lucio Schaden nehmen, und das will sie nicht. Ihre Furcht ist überflüssig, er wird nur das tun, was eines römischen Herzens würdig ist. Der Undankbare soll sie noch einmal anhören. Vielleicht zeigt er Reue, deshalb will sie nicht, dass er bestraft wird.

Unversehens kommt Lucio Vero hinzu. Es stimmt also, dass sie ihm die bittere Last ihrer Vorwürfe noch einmal vortragen will. Nein, er soll diese unnützen Gedanken aus seiner Brust verbannen. Sie hat kein anderes Verlangen als ihn noch einmal wiederzusehen und dann kann er abreisen. Er wird den Himmel bitten, dass ein günstiger Wind sein Schiff begleitet.

Sie versucht nicht, sein Herz zu ergründen. Aber ihre freundlichen Wünsche zu seiner neuen Hochzeit mögen ihn begleiten. Möge der Himmel ihn zu einem zufriedenen Gatten und zu einem glücklichen Vater machen. Lucio Vero hat keine Illusionen. Er sieht die Zukunft nicht in rosigen Farben. Entrinnen möchte er der Qual, der Aufruhr in seinem Herzen wird immer größer. Wenn ein schlimmes Schicksal auch seine Fesseln löst, raubt ihm doch eine erbarmungslose Liebe den Frieden.

Lucilla ahnt, dass es ihr nichts nutzt, wenn die Gewalt der Waffen eingesetzt wird. Ihre Gefühle sträuben sich, den Undankbaren aufzugeben, aber sie weiß auch, dass sie stark sein muss, denn sie hat keine andere Wahl.

Vologeso denkt ebenfalls daran, sich einem schändlichen Schicksal zu ergeben. Nun denn, so soll gestorben sein. Ihm ist, als höre er das Ächzen von Türen. Vielleicht nähern die Vollstrecker seines Todes. Flavio kommt und erklärt, dass er den König sucht. Er steht vor ihm und versteckt sich nicht im Angesicht des Todes. Man nimmt ihm die Fesseln ab und überreicht ihm ein Schwert. Vologeso fragt ihn, was die Ursache seiner Großzügigkeit sei? Die Erklärung lautet: er sei jemand, der die Ungerechtigkeit eines Herrschers verabscheut und zudem Römer. Er fordert Vologeso auf, mit ihm zum Königspalast zu kommen. Binnen kurzem wird er sein Reich und Berenice zurückbekommen. „Berenice? Che ascolto! E a me rende la tua man generosa? Oh amico! Oh sorte! O Berenice! Oh sposa! Das Schicksal hat sich zu meinen Gunsten gewendet.“

Lucio Vero und Aniceto planen eine Teufelei. Hat Aniceto alles vorbereitet, was er ihm befahl? Ein letzter kunstfertiger Angriff sei gewagt. Da kommt Berenice. O, wie ihm die Liebe den Hals zuschnürt. Er versteckt sich. Berenice hat dunkle Vorahnungen. Wurde der geliebte Gemahl geschlachtet? Aniceto kommt mit einem Pagen, der eine mit einem schwarzen Tuch bedeckte Schale trägt. „O Berenice, der Cäsar sendet Dir dieses Geschenk, welches ich Dir überreiche. Wenn Du Deinen Gatten suchst, er ist schon bei Dir!“ Ein Geschenk vom Tyrannen? Wenn sie den Schleier wegnimmt? Was kann das sein? Etwa der abgetrennte Kopf ihres geliebten Gemahls? Wie makaber! Bei dem Gedanken taumelt sie und gerät ins Schwitzen. Warum zittert ihre feige Hand? Ist es das letzte Geschenk, was das grausame Schicksal ihr macht? Wenn sie das Tuch wegzieht, wird sie auf das Angesicht ihres toten Gemahls starren. Auf dem leblosen Antlitz wird der angstvoller Atem versiegen und der Geist entweichen. Himmel, was bekommt sie zu sehen?

Betrachte die Geschenke, die ein Tyrann Dir sendet. Aber Berenice grübelt und schweigt zunächst. Dann sagt sie: Wenn er glaubt, dass vergangener Schrecken und eintretendes Glück sie besiegt hätten, dann täuscht er sich! Zepter und Thron sind für sie nichts anderes als Qual und Pein. In Vologeso liegt ihr ganzes Glück.Gibt sie noch immer nicht nach? Für ihre kühne Beleidigung wird sie büßen. Vologeso soll sterben - jetzt aber endgültig. Welcher Aufruhr kommt aus dem Hintergrund? Welche Krieger und welche Waffen sind das? Aniceto soll schnell herbeikommen und alles in Augenschein nehmen. Flavio rückt mit Vologeso näher. Welcher Verrat! Vologeso klärt ihn auf. Die Lage hat sich verändert. Er soll den kaiserlichen Lorbeer vom Haupt nehmen, der Kranz sei verrutscht.

Flavio befiehlt, dass das Lucio Vero das Kommando niederlegen soll oder er wird sterben. Vologeso zieht sein Schwert und steht ihm zur Seite. Lucilla taucht auf: die Freunde sollen Frieden halten. Flavio ergreift das Wort. Entweder er heiratet - wie versprochen - Lucilla oder er hat sein Leben verspielt. Lucio Vero wählt das Leben. Berenice wendet sich Vologeso zu.

Schicksalhafte Gestade, düstere Strände - freundliches Schicksal, barmherzige Liebe!


Letzte Änderung am 3.10.2015
Beitrag von Engelbert Hellen