André-Ernest-Modeste Grétry (1741-1813):
Die Karavane von Kairo
Entstehungszeit: | 1783 |
Uraufführung: | 30. Oktober 1783 in Fontainebleau |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Erstdruck: | Paris: Basset, 1784 ? |
Verlag: | Leipzig: Breitkopf & Härtel, 19xx |
Opus: | op. 22 |
CD: | [Details] |
La Caravane du Caire (Ricercar, DDD, 2013) Andre Modeste Gretry (1741-1813) |
Art: | Opéra-Ballet en trois actes |
Libretto: | Etienne Morel de Chédeville |
Sprache: | französisch |
Ort: | Ägypten |
Zeit: | zur Zeit der Türkenherrschaft |
Der Pascha von Kairo | |
Saint-Phar: | ein französischer Edelmann |
Zélime: | seine Gefährtin |
Florestan: | sein Vater |
Husca: | Karawanenführer |
Almaïde: | Gemahlin des Pascha |
Tamorin: | Obereunuch |
Osmin: | Haremssklave |
Weitere: | italienische Sklavin, französische Sklavin, deutsche Sklavin |
Nach langer Reise genießt man die Freude, in einer Karawanenherberge an den Ufern des Nils angekommen zu sein. Nicht alle sind glücklich, weil sich unter den Reisenden auch Gefangene befinden, die auf dem Sklavenmarkt von Kairo verkauft werden sollen. Es sind sogar Europäerinnen unter ihnen, die das harte Los der Sklaverei getroffen hat. Eine Französin gewinnt ihrer Gefangenschaft sogar positive Seiten ab. Wenn man schöne Augen hat, muss man geliebt werden, und sie hat sich vorgenommen, sich den Sultan persönlich vorzunehmen.
Der Franzose Saint-Phar fühlt sich schuldig am Schicksal seiner geliebten Gefährtin und klagt, dass sie nun aufgrund seiner Leidenschaft mit ihm das Los der Gefangenschaft teilen muss. Er hofft jedoch auf eine gemeinsame Flucht und beschäftigt sich mit dem Gedanken, ob sein adelsstolzer Vater einer Verbindung mit Zélime nachträglich zustimmen wird.
Sie verspricht, dass sie trotz des grausamen Schicksals dem Geliebten die Treue halten wird, weil ihre Liebe und ihre Ehre ihr dies gebieten. Der Kavalier will tausend Kämpfe auf sich nehmen, bevor er mit ansehen muss, wie soviel Leibreiz durch einen barbarischen Herrn geschändet wird. Warum haben empörte Winde und tobende Fluten, bevor sie das Ufer erreichten, in ihrer Wut zwei zärtlich Liebende nicht verschlungen?
Husca, hat nur Zahlen im Kopf und macht bereits eine Gewinnermittlung. Den beiden Liebenden erklärt der Sklavenhändler, dass sie sich ihr Geflüster sparen können, denn noch vor Tagesanbruch wird er sie auseinanderbringen. Alle Einwände nutzen nichts. Heimlich verspricht Saint-Phar seiner Angebeteten, dass sie mit seiner Tapferkeit rechnen kann, denn für die Tochter eines Nabobs bedeutet schändliche Sklaverei ein Härtefall, den er auf keinen Fall langfristig hinnehmen wird. Husca findet des Franzosen Zuneigung zu Zélime als Unverschämtheit und wird ernsthaft böse. Seiner Prinzessin soll er entsagen, denn ihre Reize werden ihn, Husca, reich machen. Die beiden Gefangenen bitten den Sklavenhändler, sich großzügig zu zeigen, damit die Hoffnung ihrem unglücklichen Herzen noch lächeln kann.
Plötzlich ertönt Lärm im Lager: „Zu den Waffen, zu den Waffen, die Araber greifen an.“ Saint-Phar erreicht, dass ihm die Ketten abgenommen werden, damit er kämpfen kann. Husca verspricht ihm seine Freiheit, wenn er die Angreifer in die Flucht schlägt. Gesagt, getan. Die schändlichen Räuber waren auf den heftigen Widerstand des Europäers nicht gefasst, haben sich zerstreut und sind in die Berge geflohen. Der Karawanenführer erkennt, dass er durch die Tapferkeit des Beherzten vor Tod und Plünderung bewahrt wurde. Der Sieger möchte tauschen - seine Freiheit gegen die von Zélime. Nun ist die Tochter eines Nabobs aber viel mehr wert als ein tapferer Franzose, und Husca verspürt keine Neigung, die getroffene Abmachung einzuhalten. Die Mitreisenden setzen sich für die Liebenden ein und sind der Ansicht, dass man beide freilassen sollte, aber der Raffgierige lässt sich nicht erweichen. Zweitausend Dukaten bekommt er vom Pascha für Zélime. Der Chor leidet mit den Liebenden. Für seine leidenschaftlichen Gefühle trotzt der edle Sain-Phar dem Tod. Aber der Opernbesucher möge abwarten - Husca will Dukaten, und in Kairo hat Saint-Phar gute Beziehungen.
Husca wird von dem Obereunuchen Tamorin gerügt, weil er ihn im Palast des Paschas lange nicht gesehen hat. Das Herz des Paschas wird von Langeweile gequält. Der Sklavenhändler entschuldigt seine längere Abwesenheit mit den Tücken der Reise. Er lobt seine Ware, die geeignet ist, den Erhabenen aufzumuntern. Pikante und aufreizende Schönheiten hat er mitgebracht, solche mit schmachtendem und andere wieder mit sanftem Blick. Alle strahlen Zärtlichkeit aus und Hoheit wird zufrieden sein. Solche Sprüche kennt der Palastbeamte zur Genüge und reagiert ungnädig.
Der Pascha hat gute Erfahrungen mit einem anderen Franzosen gemacht und will ihm zu Ehren ein Fest geben. Glückliche Bemühungen retteten das Schiff des Paschas, welches mit Schätzen beladen war, vor dem Sturm. Florestan soll überrascht werden von den Talenten und Künsten Kairos, wie man sie sonst nur in Paris wiederfindet. Mit seiner Pracht will der Herrscher den Retter seines Schiffes beeindrucken und seine Tüchtigkeit belohnen.
Der Pascha liebte Frankreich schon immer, weil die Franzosen so fröhlich, sensibel und großzügig sind. Galantes Aussehen und vornehme Ungezwungenheit machen sie überall beliebt. Der Franzose scheint geboren zu sein, um zu gefallen. Unter den Völkern der Erde ist er der Glücklichste. Sobald die Trompeten zum Kampf erschallen, kocht das Blut in seinen Adern und er eilt sofort auf das Schlachtfeld. Amor sucht vergeblich seinem Schritt Einhalt zu gebieten. So ist die Meinung des Paschas über die Franzosen und er verleiht seinen Empfindungen durch eine glanzvolle Arietta Ausdruck.
Obwohl inzwischen ohne Reiz für seine Augen, ist Almaïde darauf bedacht, ihrem Gebieter Zuneigung zu beweisen. Die Schönen des Serails werden ihr helfen, das Fest zu Ehren der Franzosen, die bald an ihren Ufern landen werden, vorzubereiten. Die süßen Mußestunden des hochgeehrten Paschas sollen verzaubert werden mit tausend neuen Vergnügungen.
Die Begierden des Herzens erlöschen, wenn die traurige Monotonie des Alltags einzieht; die Seele wird verwelken, sofern nicht Abhilfe geschaffen wird. Der leichte flatterhafte Schmetterling fliegt gern von Blume zu Blume. Durch seine Spiele und durch seine Scherze erneuert er sein Glück. Vielleicht könnte ein Wechsel den Erhabenen von seiner Langeweile heilen. Neue Bande soll er knüpfen, schlägt Tamorin vor. Husca kommt heute in den Palast und bringt neue Töchter für den Harem mit, deren Anblick schon allein das Auge entzücken kann. Die Schönheit der Odalisken wird allgemein besonders gelobt.
Der Pascha raucht seine Wasserpfeife und der Obereunuch gibt Husca einen Wink, näher zu kommen. Holländerinnen hat der beflissene Händler im Angebot und Perserinnen und Engländerinnen in reicher Auswahl. Der Pascha zieht Geist und Grazie der Französinnen vor. Man sagt, sie seien zwar ein wenig unbeständig, aber ein Pascha hat kraft seiner Überlegenheit Untreue kaum zu befürchten. Im Basar wird er sich die Auswahl anschauen.
Szenenwechsel. Eine Französin, eine Italienerin und eine Deutsche singen nacheinander einen völlig ungeeigneten Text, um im Pascha Emotionen zu wecken. Die Deutsche beklagt ihr Schicksal besonders heftig und ihre Koloraturen sind herzzerreißend. Wer ist die Person, die Husca ungeschickt verborgen hält, um sie den gaffenden Blicken Neugieriger zu entziehen? Der Schleier soll augenblicklich gelüftet werden! Der Pascha will es so. Himmel, welcher Reiz. Die Tränen, welche die Begehrenswerte vergießt, machen sie noch schöner. Man kommt nicht umhin, sie hübsch zu finden, taktiert der Eunuch. Ist Husca mit zehntausend Dukaten zufrieden? Saint-Phar hält das ganze für eine Versteigerung und will mithalten. Zwecklos, den Zuschlag bekommt der Pascha. Zélime weint, weil sie vom Geliebten nicht lassen will. Die Rache des Betrogenen soll er fürchten, der Barbar! Seinen Händen wird der Hintergangene sie entreißen und nachts in den Palast eindringen. Die geliebte Zélime! Welch grausames Schicksal harret ihrer.
Aus Gründen der Schicklichkeit erachtet Florestan es als notwendig, dem Pascha einen Abschiedsbesuch abzustatten und schickt seinen Diener, damit er um eine Audienz ersucht. Der Greis ist bedrückt, weil er seinen Sohn in die Heimat nicht mitnehmen kann. Hat vielleicht ein verhängnisvoller Schiffbruch seinem blühenden Leben ein Ende gesetzt? Hätte er für das Vaterland in der Mitte von Kämpfen sein Leben verloren, würde alles halb so schlimm sein. So bleibt ihm nur die Traurigkeit und ein bisschen Hoffnung, dass das Schicksal Mitleid mit ihm haben wird.
Almaïde kann es nicht ertragen, dass der Pascha eine Rivalin ins Haus geholt hat. Osmin hat in Erfahrung gebracht, dass ein verliebter Franzose in der Nacht die neue Favoritin rauben will. Beide schmieden einen Plan. Osmin soll dem Eindringling die Türen öffnen und den Weg weisen, und Almaïde wird sich dankbar zeigen. Abreisen soll die Fremde, damit sie selbst wieder als treue Gattin akzeptiert und geliebt wird. Sie beklagt sich bei ihrem Gemahl, weil sie nicht verstehen kann, dass eine andere ihr sein Herz raubt, obwohl sie ihn abgöttisch liebt. Der Pascha beruhigt sie; die Verängstigte soll ihren abscheulichen Verdacht zurückdrängen. Wie kann Zerline ihr Herz erschrecken, sie ist doch völlig unbedeutend. Amaïde soll sich bitte um das Fest kümmern.
Der Pascha lässt seinen Gefühlen freien Lauf. Zerline ist es, die er wahnsinnig liebt und sein Herz wird ihr immer gehören. Wenn erst einmal seine Aufmerksamkeiten auf sie niederprasseln, wird sie sich seinen Wünschen nicht mehr widersetzen. Die Reize Almaïdes gehören der Vergangenheit an und können ihn nicht mehr entflammen.
Szenenwechsel. Florestan ist im Audienzsaal eingetroffen und bedankt sich nochmals ausgiebig beim Pascha, dass er veranlasste, sein schadhaftes Schiff zu reparieren und er nun abreisen kann. Der Pascha lädt ihn zum Fest ein, als plötzlich Lärm im Haus erschallt: Zélime sollte entführt werden. Welcher verwegene Sterbliche wagt es, dem Pascha die Geliebte wegzunehmen. Nichts kann den Übeltäter seinem gerechten Zorn entziehen. Ein Franzose soll es gewesen sein? Um so schlimmer, bestätigt Florestan. Mitleid und Gnade sind fehl am Platze. Er verdient auch seinen Zorn. Die Stummen führen Zélime in Ketten herein. Sie fleht um das Leben ihres Mannes, der schweren Hausfriedensbruch begangen hat, um sich frech fremdes Eigentum anzueignen. Es fällt der Name Saint-Phar und der Alte wird aufmerksam. Der tapfere Florestan hat dem Unglücklichen das Leben gegeben, behauptet die Gefesselte. Oh Himmel, der Schuldige ist sein Sohn. Gab es je einen unglücklicheren Vater?
Ach, wie beklagenswert ist sein Schicksal, stellt der Chor fest. Es wird der Schuldige gefesselt hereingeführt. Der Sohn hat den Tod verdient. Die Tränen eines Vaters fließen in Strömen und der Pascha kann soviel Herzeleid nicht ertragen. Er befiehlt, den Gefangenen von den abscheulichen Ketten zu befreien und geleitet ihn in die Arme des gequälten Vaters. Oh Götter, welch wunderbarer Augenblick. Der Pascha macht noch eine Zugabe und gibt Zerline an ihren geliebten Mann zurück. So wie sich das gehört, wird der Pascha seiner Almaide in Zukunft ein treuer Gemahl sein. Als Belohnung für den freiwilligen Verzicht darf er nun acht Minuten Ballett schauen, welches die Oper beendet.
Die „Karawane“, eine Oper tragik-komischen Charakters, hatte bei ihrer Erstaufführung in Fontainebleau und Paris einen überwältigenden Erfolg. Grétry hatte in Frankreich etwas völlig Neuartiges geschaffen und sein Publikum quittierte es positiv. Die bunte Szenerie, zu der Gretry nach italienischem Vorbild die passende Musik geschrieben hatte, gefiel, wenn auch orientalisches Kolorit so gut wie gar nicht in Erscheinung tritt. Die Partitur zählt man zum besten, was der Komponist aus Lüttich geschaffen hat. Ariettas, Rezitative und Ballette erfolgen harmonisch aufeinander. Er vereint alle Kompositionsweisen, die in der komischen Gattung wie auch in der ernsten Verwendung finden und passt sich dem Handlungsablauf des Librettos stimmungsmäßig exakt an.
Man kann die Oper als eine französische Variante zu „Die Entführung aus dem Serail“ ansehen, die 1782 ihre Uraufführung erlebte. Auch Gluck und Haydn haben „Türkenopern“ komponiert. Der Harem hatte eine magische Anziehungskraft auf den verliebten europäischen Eindringling. Das gefährliche Abenteuer, dem Sultan die Favoritin wegzunehmen, ging für den edlen Beschützer in der Regel gut aus.
Man zweifelte daran, dass Morel der Verfasser des Librettos gewesen sein soll. Er war der Sekretär des Grafen der Provence und man vermutet, dass dieser – es ist der spätere König Ludwig XVIII. - als Autor nicht genannt sein wollte. Die Bezeichnung Ballett-Oper folgt einer Gepflogenheit und trifft den Sachverhalt nur am Rande.
Letzte Änderung am 29.9.2007
Beitrag von Engelbert Hellen