Gaetano Donizetti (1797-1848):

Lucrezia Borgia

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1833, rev. 1840
Uraufführung: 26. Dezember 1833 in Mailand (Teatro alla Scala) - 1. Fassung
11. Januar 1840 in Mailand (Teatro alla Scala) - 2. Fassung
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 135 Minuten
Erstdruck: Mailand: Ricordi, 183x
Verlag: London: Egret House, 1974
Mailand: Ricordi, 2000
Bemerkung: Zeitlich zwischen „L'elisir d'amore (Der Liebestrank)“ und „Lucia di Lammermoor“ angesiedelt, war „Lucrezia Borgia“ von etwa 70 Opern seine vierzigste. Überregionalen Erfolg erzielte zuvor schon „Anna Bolena“, doch die Begeisterungsstürme, welche „Lucrezia Borgia“ auslöste, stellte alles bisher Komponierte in den Schatten und aufgrund ihrer zahlreichen Bravourarien löste die Oper wahre Begeisterungsstürme aus. Das war nicht nur in Mailand der Fall, sondern am Théâtre Italiennne in Paris nicht anders.

Für die Erstellung des Librettos konnte Felice Romani, der auch für Vincenzo Bellini arbeitete, gewonnen werden - und die Titelpartie sang die Primadonna Henriette Méric-Lalande auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Dabei war der Start an der Mailänder Scala nicht einfach. Victor Hugo, dessen Drama „Lucrèce Borgia“ als Vorlage diente, legte Einspruch ein und gewann den Prozess. Titel, Darsteller und Kostüme mussten verändert werden, bis man sich schließlich gütlich einigte. Die Sängerin der Lucrezia bekam ein effektvolleres Finale, welches aber in späteren Zeiten aus dramaturgischen Erwägungen wieder gestrichen wurde.

Eine in Mailand mit den Borgias verwandte Familie fühlte sich verunglimpft; auch ihre Bedenken wurden von der Zensur berücksichtigt. Es wurden Titel wie „Giovanna di Napoli“, „Eustorgia di Romano“ und „Elisa da Fosca“ erwogen und ausgewählt. Irgendwann beruhigten sich die Gemüter und „Lucrezia Borgia“ konnte so gespielt werden, wie sie ursprünglich konzipiert wurde.

Zu Gunsten anderer Donizetti-Opern sind die Aufführungsziffern in heutiger Zeit ein bisschen zurückgegangen. Joan Sutherland und Montserrat Caballé brillierten in dieser Partie und nach der Jahrtausendwende hat Dimitra Theodossiu sich der unseligen Papsttochter angenommen.

Zur Oper

Art: Melodramma in un prologo e due atti
Libretto: Felice Romani nach dem Drama „Lucrèce Borgia“ von Victor Hugo
Sprache: italienisch
Ort: Venedig und Ferrara
Zeit: zu Beginn des 16. Jahrhunderts

Personen der Handlung

Don Alfonso: Herzog von Ferrara
Donna Lucrezia Borgia: seine Gattin
Gennaro: ein junger Söldner unbekannter Herkunft
Maffio Orsini: ein römischer Edler
Jeppo Liverotto: ein junger Edelmann
Apostolo Gazella: ein Edelmann aus Neapel
Asciano Petrucci: ein Edler aus Sienna
Oloferno Vitellozzo: ein weiterer Edler
Gubetta: ein Spanier, Lucrezias Spitzel
Rustighello: ein Spitzel des Herzog Alfonso
Weitere: ein Diener, ein Mundschenk sowie Freunde Gennaros

Handlung

Prolog:

1
Die schöne Halle des Grimani-Palastes - direkt am Wasser gelegen - scheint zur Karnevalszeit für jedermann zugänglich zu sein. Eine Clique junger Burschen aus Ferrara hat sich dort eingefunden, um die Schönheit der Adria-Metropole ausgiebig zu besingen. „Schönes Venedig, geliebte Stadt“ tönt der Einleitungschor, als ob die Stadt am Po, die von der Festung der Familie d'Este architektonisch überschattet wird, keine touristischen Reize zu bieten hätte! Doch in Venedig seien die Nächte viel heller und scheine die Sonne am Tage noch schöner als anderswo, schwärmt der junge Maffio Orsini, das Küken unter den Freunden. Überall herrscht Wonne, man hört es an der festlichen Musik, die aus einem erleuchteten Ballsaal im Hintergrund ertönt. Doch auch am Hofe Alfonsos und seiner Gemahlin Lucrezia Borgia herrsche hoher Geist und Prachtentfaltung, lenkt Gubetta ein. Der Spitzel Lucrezia Borgias befindet plötzlich mitten unter ihnen. Der Name der Borgia-Fürstin wirkt elektrisierend auf die jungen Leute: Sie haben keine gute Meinung von ihr, denn es gibt keinen unter ihnen, der durch den Familien-Clan nicht schon zu Schaden gekommen wäre. Fluch und Schande über sie!

2
Gennaro will die Geschichte, die Orsini erzählen möchte, nicht schon wieder hören. Er soll die Borgias in Frieden lassen! Gelangweilt streckt er sich in einem dunklen Winkel auf einer Bank aus, klappt die Lider herunter und versucht zu schlafen. Orsini lässt sich nicht beirren und legt los: „Nella fatal di Rimini e memorabil guerra... – Nach jener Schlacht bei Rimini, nach jenem Kampf voll Härte, verwundet und schon dem Tode nahe, lag ich auf blutiger Erde...“ Nun, Gennaro hat ihn gefunden, seine Wunden versorgt und ihm das Leben gerettet. Alle kennen seine Kühnheit und sein mitleidvolles Herz, artikuliert die Gruppe. Die beiden jungen Männer haben sich ewige Freundschaft geschworen, hängen wie Kletten aneinander und beschließen, zur gleichen Zeit gemeinsam zu sterben. Entsprechend der Wichtigkeit dieser Entscheidung wurde das Gelöbnis lautstark in die Nacht trompetet und von einem alten Hellseher aufgefangen. Aus dem Nichts kommt er plötzlich hervor und mit schauriger Stimme verkündet er, dass die Schicksalsmächte dem Gesuch stattgeben werden. Vor den Borgias sollen sie sich in Acht nehmen und ihnen an allen Orten aus dem Weg gehen. Hassen sollen sie Lucrezia, denn sie wird beide ermorden! Natürlich gibt Orsini vor, an diesen Unfug nicht zu glauben, doch die schrecklichen Worte gehen ihm nicht aus dem Sinn - stets hört er in seinem Innern diese furchtbare Drohung. Doch der Opernchor beschwichtigt ihn: Hilfe schenke ihm Venedig, der Löwe wird seine Zuflucht sein. In seinem Schatten können die Wut und die Ränke der Borgias ihm nicht gefährlich werden. Ein vager Trost! Orsini mit sich ziehend, will nun die Gruppe neue Gefilde aufsuchen, um einer anderen Maskenversammlung Platz zu machen, die es aber auch nicht lange im Grimani-Palast hält. Glücklich ist Gennaro! Wie kann er bei dem Lärm überhaupt schlafen? Der Schnarchende wird von den Freunden zurückgelassen und soll später nachkommen.

3
Eine Gondel hat angelegt und eine maskierte Dame steigt aus. Zielsicher nähert sie sich dem Mann auf der Bank und wundert sich ebenfalls, dass dieser bei dem allgemeinen Lärm so ruhig schlafen kann. Sie scheint ihn zu kennen, denn sie wünscht ihm, dass er nie solche Qualen leiden muss, wie sie selbst. Wohlmeinend klingt die Romanze: „Tranquillo ei posa. Oh! Sian così tranquille sue notti sempre!” Seine Nächte mögen immer so ruhig bleiben, wünscht die Verzückte dem Schlafenden. Meint die Frau das jetzt zynisch oder ehrlich? Ihr Begleiter macht sich Sorgen um ihre Sicherheit. Sie stehe zwar unter dem Schutz des Dogen, das verhindere aber nicht, dass man sie beschimpfen werde, sobald sie die Maske abnimmt. Sie sei es gewohnt, dass man sie verachte, obwohl ihr an der Wiege dieses Lied nicht gesungen wurde, reagierte die Gewarnte.

Unbegründete Vorwürfe mache sie sich auch selbst, dass man sie mit Schandtaten ihrer Familie in Verbindung bringt, an denen sie – wie sie glaubt - persönlich keinen Schuldanteil trägt. Sie sehne sich nach Liebe und Mitleid, hat diese Eigenschaften bei Menschen, die sie kennen, aber bisher vergeblich gesucht. Ihr Begleiter reklamiert, dass sie seit Tagen diesem Jüngling auf den Fersen ist, ohne dass es ihm möglich sei, die Ursachen zu ergründen. Das sei auch gut so, denn er muss schließlich nicht alles wissen!

Das Publikum ist etwas klüger und hat längst kombiniert, dass die Dame aus der Gondel niemand anders sein kann als die in Verruf stehende Lucrezia Borgia. Zwar ist sie die Tochter eines Papstes - so hat man im Lexikon nachgeschlagen - aber zum Zeitpunkt der Krönung des Vaters zum Kirchenoberhaupt war das Mädchen bereits elf Jahre alt. Die Schandtaten, unter denen sie auch selbst zu leiden hat, werden von ihrem Bruder Cesare verübt, der sich von ihr weder beeinflussen noch lenken lässt. Sie hat resigniert, sich der Literatur und den schönen Künsten verschrieben und versammelt gern gelehrte Leute um sich. In der Oper wird davon nichts erzählt, doch das Opernpublikum teilt die Voreingenommenheit des Bühnenvolkes nur eingeschränkt und bringt ihr das Bedauern entgegen, welches sie zu Lebzeiten nicht erreichte.

4
Liebevoll versunken betrachtet sie die Gestalt des Ruhenden und lobt den Zauber und den Stolz, der aus dem holden Antlitz strahlt. Niemals hatte sie gewagt, sich solche Anmut auszumalen und Freude zieht in ihr Herz ein, weil sie den Jüngling in Ruhe betrachten kann. Nie könnte sie die Schmerzen ertragen, wenn er sie mit Abscheu ansehe. Deshalb wird sie ihn auch nicht wecken. Nur die Maske muss sie für einen Moment abnehmen, um die Tränen in ihren Augen zu trocknen. Zuvor hat sie ihre Arie: „Com'è bello! Quale incanto in quel volto onesto e alterno!“ beendet, als eine zweite Gondel anlegt und ihr eifersüchtiger Gemahl mit seinem Spitzel auftaucht. Beide rätseln, wer der bunte Vogel, der schlafend auf der Bank liegt, sein könnte. Ist es vielleicht ein Soldat ohne Heimat, der keine Eltern mehr hat? Rustighello soll ihn nicht aus den Augen lassen und dafür sorgen, dass er sich nach Ferrara begibt. Alfonso wird sich dort seiner besonders annehmen.

5
Lucrezia übt sich erneut im Schöngesang: „Mentre geme il cor sommesso, mentre piango a te d'appresso... - Die Seufzer und die Tränen, die so heiß und bitter fließen, sollen seine Träume hold umschweben.“ Gaetano Donizetti überbietet sich selbst, an dem was er alles an Belcanto in den Prolog packt. Jetzt wird es Zeit, dass Gennaro wach wird, damit Maestro Donizetti sich in dem Duett von Mutter und Sohn noch steigern kann. Von der verwandtschaftlichen Beziehung ahnt Gennaro nichts. Wen sieht er? Eine edle Dame, wie anmutsvoll, wie reizend! Wie könnte er so gefühllos sein, derartigen Reizen zu entfliehen? Aber der Begeisterte will von vornherein gleich klarstellen, dass der erste Platz in seinem Herzen schon belegt ist, denn hier herrscht seine Mutter. Es ist sein ganzer Schmerz, dass er diese Frau noch nie zu Gesicht bekommen hat. Er sieht seiner Gesprächspartnerin an, dass sie ein mitfühlendes Herz hat und seinen Ausführungen durchaus folgen kann. Er soll doch bitte erzählen, er kann ihr voll vertrauen!

6
Also, er verlebte als junger Mann trostlose Jahre bei einem Fischer, den er für seinen Vater hielt. Eines Tages kam ein fremder Ritter, gab ihm ein Pferd, Waffen und einen Brief. Die liebe Mutter hatte ihm eine Botschaft geschickt. Sie bat ihn, niemals nach ihrem Namen zu fragen, weil sie für ihn Unheil befürchte. Den Brief trägt er stets bei sich und Gennaro gesteht, dass er schon viele Tränen auf den Umschlag vergossen habe. Nun muss auch Lucrezia weinen. Unbewusst vernimmt Gennaro die Stimme des Blutes und ist zufrieden, dass sie weint. Sie ist ihm doppelt lieb, weil ihre heißen Tränen für ihn Abkühlung bedeuten. Sie mahnt, dass er seiner unbekannten Mutter immer treu und ergeben sein soll. Von ihrer Feinde Grausamkeit soll Gott ihn bewahren.

„L'amo, si, l'amo e sembrami
vederla in ogni oggetto.
Una soave immagine
Me n'ho formata in petto,
seco dormente o vigile,
seco favello ognor.”

Ja, über alles liebt er sie, oft glaubt er sie zu kennen, oft fühlt er ihr Ebenbild in seinem Herzen brennen. All sein Verlangen gilt ihr allein.

7
Hat der liebe Junge nicht ein zartes Herz? Die Tränen in den Augen der Dame verraten deren edle Gesinnung! Man kann sich nicht länger ergießen, denn Getrappel ist nun zu hören. Kavaliere begleiten ihre Damen, Masken bevölkern bald den Raum und Pagen tragen Fackeln vorbei.

Unverhofft ist Orsini aufgetaucht. Lucrezia will enteilen, doch Gennaro bittet sie zu bleiben. Er beteuert, dass er sie liebe, will aber jetzt endlich wissen, wer sie sei. Orsini wird es ihm sagen, verkündet dieser höhnisch. Lucrezia hält schützend ihre Hand vor das Gesicht. Gennaro soll sich doch mit der Aussage begnügen, dass sie ihn über alles liebe. Der Erwähnte bemerkt die Aggression in Orsinis Mienenspiel und Gennaro warnt die Gruppe, dass keiner es wagen soll, die Dame zu beleidigen, wenn ihnen seine Freundschaft dem Angreifer lieb sei.

Orsini wendet sich nun unmittelbar an Lucrezia und schleudert ihr entgegen, dass der Borgia-Clan seinen Bruder totgeschlagen habe. Dem Vitellozzo hat man den Onkel erwürgt, um ihm sein Schloss wegzunehmen. Der Neffe von Liverotto haben die Borgias beim Nachtmahl vergiftet. Ein Mitglied der Familie Gazellas wurde mitleidlos im Tiber ertränkt. Die Schandtaten türmen sich!

„Ciel! Ove fuggo?“ Lucrezia ist ratlos, wie sie dem anbrandenden Hass begegnen soll. Völlig verängstigt drängt sie sich an Gennaro. Maffio Orsini stellt sich förmlich vor. Gennaro tut zum Schein so, als ob er solche Schmähreden das erste Mal höre. Lucrezia fordert ihn auf, dem Pöbel keinen Glauben zu schenken. „Ja, Sie ist die Borgia!“ rufen die Masken im Chor. Der Tumult droht in eine Massenhysterie auszuarten. Deshalb lassen die Bühnentechniker schnell den Vorhang herunter.

1. Akt:

8
Den Opernbesucher versetzt es in Erstaunen, dass Gennaro ein kleines Häuschen direkt neben dem herzoglichen Palast besitzt und dort mit seinen Freunden ein Fest feiert. Alfonso ist mit seinem Verbündeten Rustighello aufgetaucht und dieser verrät seinem Herrn, dass Gennaro angeblich im Dienste der Republik Venedig stehen soll. Dem Herzog ist es unwichtig, vielmehr geht ihm nicht aus dem Kopf, dass seine Gattin sich mit jenem jungen Mann im Grimani-Palast getroffen hat. Er gibt sich keine Mühe, seine Eifersucht zu verbergen. Wahrscheinlich hat Lucrezia hier das Liebesnest eingerichtet, direkt neben dem herzoglichen Palast – eine Unverfrorenheit, die nicht zu fassen ist. Rustighello meint, dass der festliche Spuk die ganze Nacht andauern könnte. „Hineingehen konnte er, heraus kommt er aus dem Haus nicht lebend“ agiert Alfonso hasserfüllt. Was wird der Botschafter Venedigs zu dem Affront sagen? Alfonso fürchtet weder Venedigs Macht, noch seinen Gesandten. Wenn die Ehre es fordert, wird er die Adria-Republik bekämpfen.

9
Endlich verabschiedet sich Orsini von Gennaro. Die gesamte Gruppe freut sich auf die Einladung zum Nachtmahl bei der Prinzessin Negroni. Dort wird Gennaro seine Bekümmernisse um seine unbekannte Mutter, der er gern nahe sein möchte, vergessen. Gubetta kommt aus dem Dunklen und behauptet, zur Feier ebenfalls eingeladen worden zu sein. „Was, dieser Saufbold kommt auch?“ Man sieht Gennaro an, dass er plötzlich missgestimmt ist. Liverotto foppt ihn, ob er sich über die Borgias ärgere? An der Hauswand des herzoglichen Palastes befindet sich als Blickfang das Familienwappen der gefürchteten Familie. Gennaro klettert hoch und zertrümmert den Fries. Zu lesen ist nun nicht mehr „Borgia“, sondern „Orgia“! Gubetta, der hinzukommt, betrachtet die Sachbeschädigung nicht als Scherz und will den Vorfall melden. Schon morgen wird der Übeltäter die Folgen zu spüren bekommen! Gennaro bekennt leichtfertig, dass es ihm nichts ausmachen würde, sich selbst zu stellen.

10
Astolfo und Rustighello geraten in Wortwechsel, weil jeder seine Aufgabe darin sieht, den Übeltäter zu überführen. Der eine spioniert für den Herzog und der andere steht im Dienste der Madonna. Unter Gewaltanwendung reißt man seine Haustür ein und nimmt Gennaro in Gewahrsam. Der Überraschte wird abgeführt und im Herzogspalast eingesperrt.

11
Rustighello erstattet dem Herzog Bericht und erhält vom diesem Weisung. Es ist eher eine Information, die eigentlich an das Publikum gerichtet ist, damit es den Ablauf der nachfolgenden Vorgänge besser versteht. Alfonso spricht von einem Saal, in dem die Bilder der Ahnen die Wände schmücken. In einem der verborgenen Schränke befände sich ein goldener und ein silberner Becher mit Inhalt. Der Durstige soll sich hüten, aus dem goldenen Becher einen Schluck zu nehmen, denn in diesem befinde sich der Wein der Borgias. Nun soll er sich bereithalten und auf Zuruf entweder mit dem Degen vortreten oder den goldenen Becher abstellen. Ein Diener meldet die Ankunft Lucrezias.

12
Warum ist Lucrezia wütend? Ein frecher Gauner wagte es, ihren Namen zu beleidigen und hat an der Schlossmauer das Familienwappen der Borgias geschändet. Sie soll sich nicht sorgen, Alfonso kennt den Täter, der gefangen worden ist und einer exemplarischen Strafe entgegensieht. Das Opernpublikum ist überrascht, denn nun zeigt die Borgia ihr wahres Gesicht. „Qual el sia, pretendo che morte egl'abbia e al mio cospetto!” Wer es auch sein mag, mit seinem Leben soll er bezahlen und vor ihren Augen soll er es verlieren. Als seine Gattin fordert sie sein Ehrenwort. Alfonso gibt es gern. Den Übeltäter soll man hereinbringen.

Erschrocken muss Lucrezia feststellen, dass es ihr Schützling ist, dem es nun ans Leben geht. Dieser erkennt die Dame aus Venedig nicht, weil sie dort eine Maske trug. Einer Borgia weist er den Liebesdienst zurück, will kein erdichtetes Alibi, welches einen seiner Freunde belasten würde, und bekennt sich schuldig, das Wappen verschandelt zu haben. Ergänzend reklamiert er das rüde Vorgehen seiner Verhaftung. Alfonso sieht keine Notwendigkeit für einen Dialog und lässt ihn wieder abführen.

13
Nun kommt es zum Eklat zwischen den Eheleuten. Lucrezia bereut ihre Impulsivität, möchte ihren Fehler rückgängig machen und startet einen Umstimmungsversuch. Das Vorhaben misslingt und provoziert eine Eifersuchtsszene des Gemahls. Schmach und Schande habe sie ihm angetan, und an dem Übeltäter werde er sich rächen. Die Geschmähte droht, dass die Wut der Borgias ihn treffe, wenn er sich nicht nachgiebig zeige. Alfonso missachtet die Warnung, denn in Ferrara sei er der Herrscher und sie seiner Macht preisgegeben. Er lässt ihr die Möglichkeit zwischen Schwert und Gift zu wählen, um den Verurteilten zu liquidieren. Bedenkzeit gibt es keine, denn das Todesurteil soll sogleich vollzogen werden.

14
Am Einfachsten wäre es nun, mit der Wahrheit herauszurücken und zu erklären, dass Gennaro ihr Sohn und nicht ihr Liebhaber sei. Doch Lucrezia weiß auch, dass sie sich mit dieser Information erpressbar machen würde und appelliert an Alfonsos Rücksichtnahme. Perfide erklärt dieser, dass er ihrem Flehen nicht widerstehen kann und Gennaro möge der Herzogin für ihre Fürsprache danken. Auf die Versöhnung möge er Schlückchen Wein trinken, doch Lucrezia weiß, welche Substanz der goldene Becher noch enthält. Sie hat die Information über die Analyse und hält ein schnell wirkendes Gegengift immer bereit. Der Herzog will nicht zugegen sein, wenn der Nebenbuhler schreiend und zuckend am Boden liegt und verlässt die beiden zurücklassend mit Rustighello den Raum. Im Eiltempo klärt Lucrezia das Söhnchen auf, dass man bösen Schabernack mit ihm getrieben habe und reicht ihm die Ampulle mit dem Gegengift. Schnell, schnell soll er es schlürfen, bevor es zu spät ist! Während Gennaro sich nicht schlüssig ist, was er von den widersprüchlichen Gepflogenheiten halten soll, bemängelt das kritische Publikum, weshalb dem Librettisten kein besserer Aktschluss eingefallen ist.

2. Akt:

15-16
Gennaro scheint die Gefahr, in der er schwebt, zu begreifen und plant, unverzüglich nach Venedig abzureisen. Sein Herz ist erfüllt von Liebe zur Dame, die ihm das Leben gerettet hat „T'amo qual dama un angelo che ogni mio senso adora...“ Rustighello wartet mit seinen Schergen bereits auf einen günstigen Augenblick, um ihn zu überfallen, als Orsini kommt, um den Freund zum Gastmahl bei der Prinzessin Negroni abzuholen. Unternehmungen machen ihm nur Spaß, wenn Gennaro mit von der Partie ist. Seine Einwände hält er für eine Finte und meint, dass weibliche Ränke es nicht wert seien, einen Freund zu verprellen, der geschworen hat, nur mit ihm gemeinsam zu sterben. Weshalb solle man ihm nach dem Leben trachten? Der Herzog sei ein ehrenwerter Mann! Gennaro lässt sich überreden und man verschiebt die gemeinsame Abreise auf den folgenden Tag.

17-18
Rustighello sieht keinen Handlungsbedarf mehr, denn er ahnt, dass bei der Fürstin Negroni beide in die gestellte Falle gehen werden. Man diskutiert, welcher Rebensaft der bessere sei: Ist es der Rheinwein, der belebt, oder gehört dem Zypernwein der erste Platz? Alle Weine sind gleich. Die Liebe und die Reben erfreuen das Leben. Es lebe die schöne Fürstin Negroni. Vivat!

Große Mengen Madeira kann Maffio Orsini nicht vertragen, tanzt auf den Tischen und fängt mit Gubetta, der ihn auslacht, Streit an. Der Kleine beschimpft seinen Kontrahenten als spanische Missgeburt und greift zum Messer, so dass Gennaro schlichten muss. Er verweist auf das Gastrecht, doch die anwesenden Damen haben Angst bekommen und ergreifen die Flucht. Gubetta meint, dass man sie um Verzeihung bitten müsse.

Die Negroni hat Stil! Weshalb ist sie nicht anwesend? Ein schwarz gekleideter Diener bringt eine Flasche Syrakuswein und schenkt allen ein. Den Anwesenden fällt nicht auf, dass Gubetta nicht mittrinkt, sondern den Inhalt des Bechers hinter sich kippt. Man ist abgelenkt, denn Orsini trägt ein Trinklied vor, welches er selbst gedichtet hat. Das Geheimnis des Glücks muss man erjagen, es sei falsch, an die Zukunft zu denken.

Aus dem Hintergrund tönt der Opernchor, dass der Mensch nichts weiß, denn alle Freuden dieser Welt seien vergänglich. Orsini meint, man wolle sich über sie lustig machen. Die Freunde sollen aufmerken und die Jugend heiter verleben, denn nur sie kann Vergnügen geben. Sind die Jahre erst entflohen, wird Alter und Krankheit sie bedrohen. Was die Zukunft verbirgt sei gleich, keiner denke an das Morgen, denn der Augenblick biete Freuden, so reich. Doch der Chor lässt sich nicht beirren und wiederholt das Verkündete. Plötzlich gehen alle Lichter aus. Man will sich verabschieden, doch die Türen sind verschlossen. Ihre Waffen hatten die Freunde an der Garderobe abgegeben.

19
Im Hintergrund öffnet sich eine Tür. Ganz in Schwarz gekleidet erscheint Lucrezia mit bewaffneten Dienern. Ein böses Fest hatte die Gesellschaft ihr einst in Venedig bereitet, nun revanchiert sie sich mit einem Nachtmahl in Ferrara. Die Freunde geben sich verloren. Umsonst hatten sie gehofft, unbestraft zu bleiben, heute übt Lucrezia Vergeltung für böse Tat. Fünf frische Gräber seien geschaufelt, denn der Wein, den sie tranken, sei zuvor vergiftet worden.

„Fünf Gräber reichen nicht. Die Borgia soll noch ein sechstes schaufeln!“ Gennaro will mit den Freunden sterben. Mit Entsetzen erkennt Lucrezia, dass auch der liebe Sohn, den sie abgereist wähnte, sich unter den Anwesenden befindet.

20
Lucrezia kramt erneut das Fläschchen mit dem Gegengift hervor. Reicht es für alle? Leider nicht. Gennaro soll sich retten und schnell trinken. Vielen Dank, aber er stirbt mit den Freunden! Vorher wird er sie töten. Er soll sich das Verbrechen sparen, denn er sei von ihrem Blute, verteidigt sich Lucrezia.

„Sono un Borgia? O ciel!”

Sie sei seine Mutter. Sie spreche jetzt zu ihm durch ihre Qual. Man verabschiedet sich und hofft auf ein Wiedersehen im Jenseits. Er war ihr letzter Trost. Umgekehrt sieht Gennaro das genau so.

Lucrezia hämmert in Verzweiflung gegen die verschlossenen Türen. Eine öffnet sich, im Gegenlicht sieht sie den Gemahl. Lucrezia zeigt auf ihren toten Sohn: Er war ihr Leben, ihre Hoffnung und ihre Freude. Nur er konnte ihr Ruhe geben und Frieden verleihen. Nun ist alles Hoffen in ihr erloschen, denn ihre Seele starb auch. Die Rache des Himmels hat sie getroffen und an ein Verzeihen sei nicht zu denken. Bevor Alfonso sich äußern und seine Unschuld beteuern kann kann, gibt Lucrezia den Geist auf und sinkt leblos ihrer Dienerschaft in die Arme.


Letzte Änderung am 2.8.2015
Beitrag von Engelbert Hellen