Azio Corghi (geb. 1937):

Divara - Wasser und Blut

englisch Divara - Water and Blood

Allgemeine Angaben zur Oper

Anlass: Auftragserteilung zur 1200-Jahrfeier der Stadtgründung von Münster
Entstehungszeit: 1993
Uraufführung: 31. Oktober 1993 in Münster
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 111 Minuten
Erstdruck: Mailand: Ricordi, 1993
Bemerkung: Anlässlich einer Zusammenkunft in Lissabon im Jahre 1990 zwischen dem Komponisten, dem Direktor des Ricordi-Verlages, dem Dichter José Samarago und dem Dirigenten Will Humburg - Generalmusikdirektor in Münster - kam es zu der Übereinkunft, über den geschichtlichen Abriss der Besetzung Münsters im 16. Jahrhundert durch die Wiedertäufer ein Bühnenwerk zu schreiben. Die Feierlichkeiten zur 1200-Jahrfeier von Münster standen bevor, und Corghi hatte bereits Studien zur Stadtgeschichte betrieben.

Saramago war begeistert! Er ging an die Arbeit und schuf ein poetisches Drama „Em nome de Deus“(Im Namen Gottes), welches als Vorwurf für die Oper genommen wurde. Stilistisch ist das Stück eher dem gesprochenen Theater zugewandt, was die Wucht seiner Wirkung unterstreicht. Inhaltlich und stilistisch kristallisierte sich später ein völlig anderes Ergebnis heraus, als ursprünglich geplant war. Die Seherin Divara, zur „Königin von Münster“ gekürt, hatte ursprünglich nur zu vokalisieren. Im Nachhinein trat die Titelgestalt in den Hintergrund und Nebenfiguren gewannen an Bedeutung, um den religions-philosophischen Hintergrund intensiver auszuleuchten. Dem feierlichen Anlass zum Vorteil, entstand ein vorzügliches Libretto mit dem der Komponist spielend umzugehen wusste. Mit allen Möglichkeiten modernster Klangimprovisationen und einer angemessener Orchestersprache wurde das literarische Kunstwerk effektvoll ausstaffiert.

Das Finale der Oper konnte der Historie nicht wahrheitsgemäß angepasst werden, weil der reale Handlungsablauf des historischen Geschehens sich bildhaft nicht umsetzen lässt. Tatsächlich hat Jan van Leiden seine Zweitfrau Else, die sich von ihm trennen wollte, eigenhändig auf dem Marktplatz von Münster im Beisein der Bevölkerung enthauptet. Bernt Knipperdollinck hatte nicht nur die Funktion des Statthalters, sondern auch die des Scharfrichters inne. „Der Lahme“ nennt sich in der Historie Johann Dusentschuer und verfügte über mephistofelische Charakterzüge. Hille Feiken wurde verraten und enthauptet. Bischof Waldeck hatte von seiner Mätresse Anna Pohlmann acht Kinder.

Entgegen der Auslegung Saramagos hatte Jan von Leiden durchaus die Möglichkeit, durch Abschwören seiner bisherigen Haltung sein furchtbares Los, das auf ihn zukam, zu beeinflussen. Stolz hat er davon keinen Gebrauch gemacht. Aus Überzeugung ist er sich seiner Sendung bewusst gewesen und seiner Haltung über den Foltertod hinaus treu geblieben.

Die Eisenkäfige hängen noch heute an der Turmspitze der Lamberti-Kirche zu Münster. Die Knochenreste hat man schon zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts entfernt. Die Touristen, welche Münster besuchen, erschauern noch heute, wenn sie nach oben blicken.

Zur Oper

Art: Dramma musicale in drei Akten
Libretto: José Saramago und Azio Corghi
Sprache: deutsch
Ort: in und um Münster
Zeit: 1534/35

Personen der Handlung

Jan van Leyden: Reformator, Anführer der Wiedertäufer (Tenor)
Divara: Ranghöchste Frau van Leidens (Sopran)
Jan Matthys: Holländischer Reformator (Tenor)
Bernhard Rothmann: Prediger zu Münster (Sprechrolle)
Bernt Knipperdollinck: Statthalter Jan van Leidens (Sprechrolle)
Waldeck: Bischof von Münster (Bass)
Else Wandscherer: Rangzweite Frau Jan van Leidens (Sopran)
Hille Felken: Anhängerin der Wiedertäufer (Sopran)
Der Lahme: Ranghoher Anhänger der Wiedertäufer (Tenor)
Daniel: biblische Stimme (Tenor)
Weitere: Katholischer Theologe, Bürgermeister von Münster, Mutter mit Säugling, Offiziere, Soldaten, Mönche, Geistliche, Katholiken, Protestanten, Wiedertäufer, Bevölkerung von Münster

Handlung

1. Akt:

Vorspiel:

Das Theater liegt im Halbdunkel. Bevor der Vorhang sich öffnet, zerlegt eine biblische Stimme das Wort „Halleluja“. Der Chor antwortet, dass Christus in Todesbanden liegt und für die Sünden der Welt gestorben ist. Nun ist er aber auferstanden und hat das Leben gebracht. Die Stimme schwört, dass es eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit geben wird, bis es endgültig soweit ist. Zuerst muss die Zerstreuung des Heiligen Volkes ein Ende gefunden haben. Daniel hat den Mann schwören gehört, der in Leinen gekleidet über den Wassern des Stromes stand, als er die rechte und die linke Hand gen Himmel reckte.

Szene 1:

Eine Gruppe von Katholiken, Protestanten und Täufern liefern sich einen Disput über religiöse Vorstellungen. Der Bürgermeister - ein Lutheraner - ist der Ansicht, dass es besser sei, Irrtümer zu vermeiden, als sie zu korrigieren. Er setzt sich damit in Opposition zu Bernhard Rothmann, der meint, dass es an der Zeit sei, die Reformation zu reformieren. Der Genannte sagt, man müsse den Mut haben, Irrtümer zu begehen, weil häufig auf diesem Wege nur die Wahrheit gefunden werden kann. Alles Ketzerei, schimpft der katholische Theologe.

Wer hat Brot und Wein hergebracht, will der Bürgermeister wissen. Das sei das Abendmahl, erklärt Rothmann. Der sich als Prediger in Münster einen Namen gemacht hat. Der Katholik weiß es besser. Das Abendmahl befindet sich ausschließlich in der Hostie. Der Bürgermeister wiederholt seine Frage, weshalb Lebensmittel auf dem Tisch stehen. Rothmann beabsichtigt, es mit den Brüdern zu verzehren. Der Pfarrer versucht, seine persönliche Vorstellung der religiösen Zeremonie durchzusetzen und will den Gläubigen eine Hostie auf die Zunge legen. Der Täufer möchte die Protestanten auf seine Seite ziehen und mit ihnen das Abendmahl in Anlehnung an die Heilige Schrift so feiern, wie er es für richtig hält und beruft sich auf die Worte: Tut dies zu meinem Gedächtnis.

Die Gruppe gerät in Streit und es droht eine tätliche Auseinandersetzung, als eine Mutter sich mit einem Neugeborenen auf dem Arm durch die Menge drängt. Die Mutter will das Kind taufen lassen, aber Rothmann weigert sich, weil es noch keinen Verstand für den Glauben hat. Die Mutter möchte jedoch der Tradition ihrer Familie folgen und dem Kind sofort Weihwasser geben, bevor es sterben könnte. Vom Täufer bekommt sie folgendermaßen Aufklärung: Die Taufe ist ein Bad im Wasser, welches der Täufling begehrt. Er erhält damit ein Zeichen, dass der Mann aus Nazareth für die Sünden der Welt gestorben ist. Ob die Mutter etwa glaubt, dass das Kind, so wie es jetzt an ihrem Halse hängt, eine solche Bereitschaft äußern kann? - Gewiss nicht, aber der Säugling soll auch nicht ungetauft sterben. - Jetzt mischt der Theologe sich ein. Die Mutter soll auf seine Seite kommen. Der Glaube allein genügt, das Verständnis ist überflüssig. Der Bürgermeister, welcher die protestantische Seite vertrifft, hat gegen eine sofortige Taufe auch nichts einzuwenden, aber die Mutter hat sich in den Kopf gesetzt, ihr Kind von einem Täufer taufen zu lassen. Dieser hält sich jedoch arrogant zurück und lehnt es ab, über Konditionen zu verhandeln. Der Bürgermeister rät der Mutter, sich mit der Taufe zu beeilen, denn ungetauft würde der kleine Schreihals Gott niemals sehen. Die Mutter opponiert, ob er glauben würde, dass Gott existiere, wenn auch nur ein einziges Geschöpf ihn nicht sehen könnte.

Szene 2:

Ist Knipperdollinck verrückt geworden? Zwei katholische Domherren hat er an ihre Stühle gefesselt und als Geiseln genommen. Gegen die Diener des Herrn Gewalt anzuwenden, ist eine schreckliche Sünde. - Es gibt viel zu viele Domherren und zu wenig Menschen. Der Bürgermeister soll den Bischof Waldeck verständigen, dass die gefesselten Domherren erst wieder freigelassen werden, bis die Straßensperren aufgehoben und die beschlagnahmten Waren zurückgegeben sind. Der Theologe sieht in der Straftat eine Ketzerei, welche die Exkommunikation zur Folge haben kann. – Aus einer Kirche kann man exkommuniziert werden, aber nicht aus dem Glauben an Christus, widersetzt sich Knolly.

Rothmann zeigt auf Knipperdollinck, dass dieser die neuen Läuterungen durchführen wird. Spricht er etwa von Taufe? Taufe kann man nicht wiederholen. Rothmann macht dem Bürgermeister den Unterschied zwischen weltlicher Gewalt und einem religiösen Streit klar.

Der Bischof wurde alarmiert und kommt nun herbeigeeilt. Wer war so unverschämt, die ihm treu ergebenen Domherren würdelos zu behandeln? Knolly will sie nur freigeben, wenn der Würdenträger die Straßensperren aufheben lässt und die Waren herausgibt. - Daraus wird nichts, solange der Straftäter die Gemeinden nicht freigibt, die er dem Bischof abspenstig gemacht hat. Wenn der Mitra-Träger sich nicht unverzüglich bequemt, seine Wünsche zu erfüllen, wird es tote Domherren hageln. Der Bürgermeister vermittelt und bittet Schwerter und Dolche erst einmal wegzustecken. Man möge sich an den Geist von Habsburg erinnern. So lange soll man sich tolerieren bis der Kaiser neue Entscheidungen trifft. Knolly bleibt unnachgiebig. Rothmann schlägt vor, der Bischof könne sich um Klöster und Kirchen sorgen, während die Bewegung sich um die Gemeinden kümmert.

Der Bischof kann sich nicht länger beherrschen. Mit Rücksicht auf die unbekannten Absichten des Kaisers wird er das anmaßende und teuflische Angebot annehmen. Der Kirche wird die Zeit gehören und auf die Stunde warten, in der für alle Beleidigungen mit drei mal dreißig vergolten wird. Weder als Bischof noch als Fürst verzeiht er die erlittene Ungemach und er verflucht die beiden Rädelsführer. - Ein Teufel kann einen Christen nicht verfluchen. Knolly und Rotti werten den Fluch als Huldigung.

Szene 3:

Plötzlich hämmert ein Hinkefuß gegen die Tür und fordert die Münsteraner auf, einem Herrn den Weg zu bereiten. Dieser kommt aus Holland, einem Land großer Weisheit, und ist der Prophet aller Täufer. Der Chor wird sich bemühen positive Eigenschaften zu präsentieren; dazu gehören Ehrlichkeit, Reinlichkeit, Güte und was der vorzeigbaren positiven Attribute mehr sind. Möglicherweise naht das Jüngste Gericht, fürchtet sich der Lahme.

Wer kommt ist Jan Matthys, ein großer Augenblick für die anwesenden Gläubigen. Im unmittelbaren Gefolge befindet sich sein Apostel Jan van Leiden und dessen Frau Divara. Der hohe Besucher hält eine kleine Ansprache und umreißt sein Gedankenfeld. Münster ist nun für ihn die Stadt der Hoffnung, wie auch die Wohnstatt der Gerechtigkeit Gottes. Von Holland, wo Melchior Hoffmann, ihrer aller Meister, im Gefängnis Schimpf und Schande leidet, sind sie nun nach Münster gekommen. Diese gesegnete Stadt hat der Herr auserkoren, das Neue Jerusalem der Auserwählten Gottes zu sein. Der Chor klatscht Beifall und bekräftigt sein Versprechen, nach Anhänglichkeit und Tugend zu streben.

Der Ruhm von Knipperdollinck und Rothmann sei nach Holland bis zu ihm gedrungen. Säulen des Glaubens sind sie, auf die der neue Altar Christi in Gemeinschaftsarbeit zu gründen ist. Gemäß der Anzahl der Evangelisten werden jedoch insgesamt vier Säulen benötigt, die das Gewicht des Weins und des Brotes stützen werden. Einschließlich seiner Person sieht er drei Stützen und sein Mitstreiter Jan van Leiden, den er selbst getauft hat, wird noch dazu kommen.

Nun hat Divara als Eheweib der vierten Stütze ihren großen Auftritt: Die Frauen von Münster sollen alle zu ihr herschauen, ruft sie in die Menge. Sie ist es, die sich ins Bett des Mannes legt, den alle hemmungslos begehren. Würden alle Personen weiblichen Geschlechts, die mannbar sind, nun so freundlich sein, eine nach der anderen, sich dem Auserkorenen anzubieten? Oh Anmut ohnegleichen! Wie vorteilhaft der Meister aussieht. Der Chor lobt ausgiebig die Potenz des Täufers aus Holland.

Rothmann erzählt von seiner Vision, wie sich Prophezeiungen erfüllen. Das Donnern der riesigen Eisentür hat er gehört, die gleichsam auch als Weltenbuch funktioniert, auf der die Namen aller Tugendhaften geschrieben stehen. Die rechte Hand Gottes hat die Namen ausgewählt und selbst eingraviert. Alle Feinde des neuen Glaubens wird die linke Hand in den Abgrund stürzen.

Den Brüdern im Herrn öffnen sich die Tore zu einer neuen Welt; die Spitzen ihrer Füße nähern sich der Schwelle und das große Licht blendet sie, aber eintreten dürfen sie noch nicht, denn es fehlt etwas. Der Hinkefuß hat es erraten: Eine anständige Taufe! Alle wollen plötzlich von Mattys getauft werden, damit sie zu neuem Leben auferstehen und die Türschwelle passieren können. Der Glaube bittet um die Taufe, nicht die Zunge. Auch der Chor will nicht länger dem Gesetz der Sünde dienen und lässt sich taufen.

In großen Kübeln wird Wasser herantransportiert. Knolly und Rotti kommen zuerst an die Reihe. Nach dem Schneeballsystem sind die Getauften dann bei der Wasserkur den anderen behilflich. Der Taufvorgang wird nun unablässig bis zur Erschöpfung wiederholt. Die Gnade und der Friede Gottes ist mit allen, die guten Willens sind.

Der Wille des Herrn sieht vor, dass das auserwählte Volk von Münster so lebt, wie die ersten Christen in Jerusalem. Die Türen der Häuser stehen Tag und Nacht weit offen. Jetzt wird das Eigentum neu verteilt. Der Besitz eines jeden sei der Besitz aller. Keiner solle es wagen, zu sagen: Das gehört aber mir. Finanzielle Schulden seien vergeben und vergessen. Das Geld wird abgeschafft und die Münzen eingeschmolzen. Vor den Augen des Herrn gibt es weder krumm noch gerade, weder hoch noch niedrig, weder nah noch fern. Der Reichste unter den Menschen ist ein Bettler vor dem Herrn und ein bittender Armer sein Schatzmeister. Das Geld ist eine leibliche Hinterlassenschaft des Teufels. Alle sollen sich unverzüglich vom Gestank des Geldes reinigen. Jan van Leiden breitet seinen Mantel aus, damit die Menschen ihre Barschaft von sich werfen. Endlich sind die Hände so weiß und rein wie das Manna in der Wüste.

Die vergiftete Spur, die Bücher, Gemälde und Standbilder hinter sich gelassen haben, muss auch noch ausgetilgt werden. Der Herr hat nämlich zu Matthys gesagt, dass aller Tand verbrannt werden soll, damit im Hirn Platz geschaffen wird für die wahre Botschaft. Die Gläubigen sollen zu Feuer, zur Axt und zum Hammer greifen, damit kein einziges lügenhaftes Wort, kein gefärbter Stein und kein einziges Gaukelbild übrig bleibt. Alles gehört auf den Scheiterhaufen. Im Hause des Herrn gibt es nur Platz für Gott.

Unvermutet bekommt der Überhebliche Konkurrenz. Der Hinkefuß bildet sich ein, auch ein Prophet sein. Er verkündet nicht, was kommen wird, sondern schaut sich an, was los ist, sagt er. Matthys ist schnell mit ihm fertig. Ein Disput über die Differenz zwischen Tod und Teufel bestärkt den Holländer in der Annahme, dass man das Taufgesuch akzeptieren kann, aber von einem Propheten hat der Bittsteller nichts, er ist lahm und verrückt obendrein.

2. Akt:

Szene 4:

Waldeck denkt an Rache und will die Wiedertäufer dem Gehorsam seiner Kirche beugen. Wie ein wütender Wolf umschleicht er die Mauern und hat bereits Truppen zusammengezogen, um den Widerstand der Besatzer zu brechen. Die Katholiken beten, dass der Bischof sie von den Wiedertäufern, von denen sie bedrängt werden, befreien soll. Die Lutheraner beten ebenfalls, dass Waldeck kommen und heiteren Regen über das Land ausgießen möge. Nein, Matthys hat keine Albträume, was der Mensch gemeinhin als Traum deutet, sind für ihn göttliche Eingebungen. Der Herr sagt zu ihm, er solle das Fenster öffnen und sich die Lagerfeuer der Katholiken betrachten, sodann aufstehen und wandeln. Es geht darum, in den alten Worten des Herrn den neuen Sinn seines Willens zu erkunden. - Welchen Willen hat der Herr? - Aufstehen und kämpfen! Die Soldaten sollen sich versammeln, einen Ausfall machen und auf offenem Felde die Entscheidung suchen. Jan zweifelt: Wenn der Herr sagt, dass man wandeln soll, heißt das noch längst nicht, dass gekämpft werden muss. - In jedem Fall muss Waldecks Macht zu Staub und Asche zerfallen. – Das Volk wird Zeuge seiner Herrlichkeit sein. – Matthys setzt behutsam und vorbeugend auf Bescheidenheit: Alle Herrlichkeit kommt von Gott. Sie kann eine flüchtige Wolke sein und wie Rauch verfliegen.

Szene 5:

Der Lahme sucht den Dialog mit Jan van Leiden und erkundigt sich nach den militärischen Absichten von Jan Matthys. Er bezweifelt, dass man mit minimaler Streitmacht gegen ein Heer von zehntausend Mann gewinnen wird. Matthys wird den Weg in den Tod gehen. Van Leiden weicht aus und fühlt sich nicht befugt zu seinem Führer zu sagen: „Setz dich hin“, wenn der Herr befohlen hat, dass er aufstehen soll und wandeln. Er soll doch bitte an Lazarus denken, der auch gewandelt ist, nachdem es ihm befohlen wurde. Der Opernchor hat böse Vorahnungen und wiederholt ständig, dass Waffen schrecklichen Tod bedeuten. Will van Leiden dem Unvorsichtigen, der keine Ahnung von Strategie hat, etwa dabei helfen, sich aus den Banden des Lebens zu lösen? - Es wird nicht viel Zeit vergehen bis wir wissen, ob alles nicht letzthin Gottes Wille war. War es tatsächlich Gottes Wille oder war es der seines Dieners, forscht der Lahme hartnäckig weiter und begibt sich aufs Glatteis. - Damit er, Jan van Leiden, der Vollstrecker seines Willens sei, hat er ihn nach Münster berufen, es täte dem Vorlauten gut, das nicht zu vergessen und als angeblicher Prophet sein Mundwerk dazu zu gebrauchen, seine Favorisierung unaufhaltsam zu verkünden.

Divara hat draußen die beginnenden Ausschreitungen beobachtet und erhebt heftige Vorwürfe. Sie seien nicht aus Holland hergekommen, damit der Gemahl sich zum Boten des Todes wandele. Er soll etwas unternehmen, damit die Alten und Kinder nicht vor Entbehrung elend sterben. – Sie soll sich nicht in Dinge einmischen, deren Beurteilung nur den Engeln der Gerechtigkeit Gottes anstehen. - Sie kennt ihn nicht als Engel, sondern nur als Mensch. - Eines Tages wird sie ihn kennen lernen, als das, was er wirklich ist. – Er soll sich nicht bemühen, sie sieht ihn als Geschöpf Gottes, so wie sie selbst es auch ist. Engel haben Fittiche und sind unsterblich, der Tod wird seiner Einbildung Grenzen setzen.

Es waren nicht immer die großen Feldherren, welche Sieger blieben in der Schlacht. Rothmann kennt den Bibeltext von Judith und Holofernes ganz genau. Er hat Hilde Feiken mitgebracht, welche der Tat der biblischen Judith nicht nachstehen möchte. Dem Bischof Waldeck wird sie gegenübertreten und im Moment der Verführung töten.

Ein übel zugerichteter Kämpfer der Wiedertäufer torkelt herein. Eine Stange trägt er senkrecht vor sich her. Auf der Spitze befindet sich der abgehackte Kopf von Jan Matthys.

Szene 6:

Dem Herrn hat es gefallen, den Bruder Matthys zu sich zu rufen, darum sei er gelobt. Jetzt muss der Geist gestärkt werden, um das Beispiel des Glaubens nachzuahmen, welches Bruder Matthys gegeben hat. Gott wird nur dann den Sieg verleihen, wenn er in seinem Rechnungsbuch über Münster genau so viele Gläubige verzeichnen kann, wie die Stadt Einwohner hat. Münster ist die Stadt Gottes und der Herr hat soeben den Geist von Jan van Leiden erleuchtet und ihm kundgetan, dass er der Nachfolger des Dahingeschiedenen werden soll. Der Geforderte wird von den Umstehenden einstimmig gewählt und Organisatorisches kommt als nächstes an die Reihe. Der gottlose Stadtrat wird entthront, stattdessen wird die Stadt von zwölf Männern regiert. Jan selbst ist Vater Jakob und zwölf ausgewählte Männer übernehmen die Namen der Stämme Israels. Warum ist Knipperdollinck mit keinem biblischen Namen bedacht worden? Er wird der Statthalter sein, der gleich nach dem Erwählten kommt. Rothmann hat auch keinen symbolischen Namen erhalten. Er ist ganz einfach Rothmann und braucht keine andere Bezeichnung. Der Chor bestätigt: Jan van Leiden ist Mund und Zunge des Herrn. Was er bestimmt und sagt, soll Gesetz in Münster sein.

Es folgt die Regierungserklärung: Nur die Gerechten finden einen Platz in der erneuerten Kirche. Wehe, ein Getaufter fällt in die Sünde zurück. Tod den Aufsässigen und vor allem den Ehebrechern. Der Apostel Johannes hat in der Offenbarung festgelegt, dass 12 mal 12000 erwählt sein werden, aus denen sich Gottes Hofstaat zusammensetzt. Münster ist zwar das neue Jerusalem, aber mengenmäßig unzureichend präsent, um diese Quote zu erfüllen. Deshalb ist es vonnöten die Vielehe einzuführen. Alle Heiratsfähigen werden verpflichtet, die Ehe zu schließen. Die ledigen Ehefrauen haben als Gatten den ersten Mann anzunehmen, der um sie anhält, egal ob dieser ihr nun gefällt oder nicht. Das eheliche Beisammensein kann sich durchaus völlig lustlos gestalten, was der Vermehrung keinen Abbruch tut. Auf diese Weise wird das Reich Gottes wiederbegründet. Die Männer sind es zufrieden, die Frauen dagegen nicht. Sollen sie sein wie das Vieh im Stalle, das niemals gefragt wird, mit wem es sich paaren will?

Der Meister hat unter den Frauen die erste Wahl, dann kommt in der Reihenfolge Knipperdollinck und dann Rothmann und dann alle anderen. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass keiner der Männer mehr Frauen haben darf, als der Meister. Knipperdollinck fühlt sich in seiner Haut nicht wohl und würde es besser finden, gewählt zu werden, als selbst Ansprüche zu stellen. Dem Lahmen dagegen soll keine Frau wagen, zu sagen, dass sie ihn nicht will. Zwar ist er lahm, aber immerhin kann er in die Wagschale werfen, dass er Prophet sei. Divara wird in des Meisters Frauenhaus die Erste unter gleichen sein. Alle Bewohnerinnen sind Sandkörner, die das Meer umwälzt und mit sich führt, wohin es will. Divara hat Trost: alle Frauen befinden sich in den Händen des Herrn, und sie hofft, dass die Flut sich nicht zurückziehen wird und die vielen Sandkörnchen ständiger Trockenheit ausgesetzt sein werden. Nun darf ausgesucht werden. Else Wandscherer fährt entsetzt hoch, als sie vom Meister an die Hand genommen wird. Die Verbindung sollte nicht glücklich werden. Zur Beruhigung erhält sie von Divara den Willkommenskuss.

Plötzlich eine Unterbrechung der Zeremonie. Vier Soldaten stürmen mit einer Bahre herein und unterbrechen mit ihrem Tumult die Brautwerbung. Über die Tote ist ein weißes Laken gebreitet. Hilfe, unter dem Tuch liegt Hille, schreit Divara auf. Ihrer Rolle als Judith war die Opferbereite offenbar nicht gewachsen. Äußere Anzeichen deuten darauf hin, dass sie gewaltsam liquidiert wurde.

3. Akt:

Szene 7:

Was soll der Chor essen, was soll er trinken, was soll er anziehen. Die Not in der Stadt ist groß. Lasst uns preisen den Herrn, der bei dem Lamme sitzt und seine Gerechtigkeit rühmen! Irgendwann wird der Beweihräucherte wieder im Übermaß geben. Divara tröstet, man solle sich nicht schon jetzt unnötig ängstigen. Jeder Tag wird seine eigenen Kümmernisse bringen, und jedem Tag genügt seine Mühe und Plage.

Der Männerchor jubelt. Die Wiedertäufer haben den Angriff des Bischofs zurückgeschlagen. Viktoria! Es wurde gestritten, verbrannt, aufgehängt und erdrosselt. Als Sieger jeder Schlacht sei der Herr gepriesen!

Die Offenbarung des Herrn sieht vor, dass Münster, dem irdischen Abbild des Himmels, einen König braucht. Würdig befunden wurde Jan van Leiden. Der Lahme, prächtig gekleidet, der sich in der Gesellschaft zum Schmalspurpropheten prächtig mausern konnte, soll die Krönung vornehmen. Gern ist er das Werkzeug einer solchen Ehre. Man hatte ihm vorausgesagt, dass er eigens zu diesem Zweck in Münster auf die Welt gekommen sei. Die Richter der Stämme Israels sollen ihre Schwerter abliefern, weil das Gewaltmonopol allein in den Händen des Königs liegt. Zu beiden Seiten des Thrones sollen sie sich aufstellen und ihm untertan sein, so wie die Engels des Himmels sich ebenfalls rechts und links des göttlichen Thrones in Bereitschaft halten. Eine prächtige Hofhaltung ist vorgesehen – an Aufwand soll es nicht fehlen! Der Chor jubelt – das ist die Hauptaufgabe von Chören im allgemeinen: Es lebe Jan van Leiden, Münsters König, aber schon regt sich Opposition. Wenn Münster das neue Zion sein soll, weshalb ist der König kein Mann, der aus Münster kommt? - Der Aufrührer soll sich nur nicht auf eine Offenbarung berufen, die er angeblich gehabt haben will. In Münster, dem irdischen Abbild des Himmels, darf es nur einen König geben. Jan van Leiden wurde auserwählt, des Herrn Arm und Stimme zu sein und niemand anders.

Knolly gibt zu bedenken, dass alle gemeinsam zum auserwählten Volk gehören und vor dem Herrn alle gleich seinen. – Der Mensch hört auf, gleich zu sein, wenn man ihm den Kopf vom Rumpf trennt. – Jan soll sich nicht täuschen, Gott ist durchaus in der Lage, abgeschnittene Köpfe wieder aufzusetzen. – Er wird belehrt, dass zukünftig die Etikette zu beachten ist. Die Anrede ist nicht mehr „Jan“, sondern „König“. Im Moment will der König Gott die Mühe nicht machen, Köpfe wieder aufzusetzen. - Der König habe dem Statthalter zwar verboten, von Offenbarungen zu sprechen, aber das ändere nichts daran, Offenbarungen zu haben. Jan van Leiden soll wissen, dass beide zum gleichen Zeitpunkt sterben werden.

Der Lahme schlägt vor, dass der König dem Schwätzer sogleich das Haupt abhacken soll, wenn er ihm seine Rede nicht glaubt. Verhält es sich jedoch gegenteilig, wird er befürchten müssen, sein Leben in dem Moment zu verlieren, wenn dem anderen der Garaus gemacht wird. Rotti meint, dass der König jede Stunde seines Lebens vor Gottes Thron zu verantworten habe und deshalb bedachtsam handeln und die Gleichheit aller respektieren muss.

Szene 8:

Die Menschen leiden Hunger, denn Bischof Waldeck kämpft nicht mit Waffengewalt, sondern hungert die Bevölkerung aus. Der Herr wird die Menschen nicht im Stich lassen. Und die Speisen tausendfach vermehren, so wie er das in der Bibel auch getan hat. In Kürze werden die Esswaren auf die Tische gelegt, man soll bereits mit den Vorbereitungen beginnen und die Tafel für den Schmaus herrichten. – Im Prinzip ist jede Geschäftigkeit überflüssig, denn gedacht ist an eine Seelenspeise, die auf dem Berg Zion serviert wird. Die törichte Bevölkerung hat einmal mehr alles missverstanden. Zur Zeit zeigt sich im Trinkbecher nur dann ein wenig Flüssigkeit, wenn mit Tränen gemischt wird. Der Madrigalchor klagt, dass er anstatt Brot nur Asche vor sich liegen sieht. Halleluja, das kann alles noch ganz schön heiter werden.

Der König möchte die niedergedrückte Stimmung durch Tanzen anheben. Knolly soll ein Beispiel geben und vortanzen. Diesem ist nicht nach Tanzen zumute und bringt den Einwand, dass es nicht zusammen passe, draußen der Krieg und Feststimmung hier im Raum. - Muss der König alles zweimal sagen? Ein paar alte Frauen und Kinder machen zaghaft ein paar Tanzschritte.

Der Herr kann soviel Gewalt nicht wollen. Er gestattet die gerechte Züchtigung, aber nicht die grundlose Strafe, wehklagt Divara. Hier entscheidet Jan van Leiden im Namen des Herrn und damit basta. Elende Gestalten sind bei der Verteidigung der Stadt ohne Nutzen. Sie sollen sich aufraffen und die Stadt verlassen. Der Herr wird unterwegs für ihr Wohlbefinden sorgen. Sollte Gott anders entscheiden, werden sie sterben, damit Münster durch ihr Blutopfer erlöst werde. Else, die aufmüpfige Zweitfrau, hat eine eigene Meinung. So viel Grausamkeit ist doch nicht möglich. Es war nicht Gottes Wille, sondern sein eigener, hier König zu werden. Der Teufel hat ihn hergeführt. Else hat einen Temperamentsausbruch. - Jan wird Else nicht hinausschicken aus der Stadt, weil er sie mit eigenen Händen töten will. Divara, die erste Gattin stellt sich schützend vor Else und will nicht zulassen, dass seine Hände ihren Hals umklammern. Beide Frauen fühlen wie Schwestern, selbst wenn er die Vorstellung hat, Rivalinnen vor sich zu haben. Vor Gott sind alle Menschen gleich.

Szene 9:

Zum Auftakt der letzten Szene wird erst einmal Else von Jan umgebracht. Divara konnte es nicht verhindern und möchte von Gott eine Antwort, wie lange der ganze Spuk noch dauern wird und ihr Herz füllt sich mit Sorge. - Dem Lahmen kommen Zweifel an der gesamten Täuferbewegung. Er gerät ins Philosophieren und mutmaßt – was keiner bisher wusste – dass Gott am Ende doch katholisch ist. Vielleicht ist er auch nur ein Wort! Was fängt man mit einem Wort an. Das Nichts ist aus allem gemacht, aber alles ist gleich dem Nichts. Dann sind alle Taten nichts wert. Wenn Gott lediglich ein Name ist, dann zählt auch der Verrat nicht vor seinen Augen. - Ein religiöser Disput zwischen dem Lahmen und dem Katholiken bringt als Resultat, dass Gottes Licht für das menschliche Auge viel zu schwach ist, und dass es keinen anderen Teufel als den Menschen gibt. Jede Tat von Menschenhand geschieht in der Dunkelheit, deshalb kann man Münster auch ohne weiteres verraten, damit Gott nicht verraten wird. Die Erde ist der Sitz der Hölle. Der Madrigalchor, völlig ratlos, kann dieser Logik nicht mehr folgen und flüchtet sich in Liebe zum Herrn, egal was er zumutet.

Die Soldaten des Bischofs stürmen den Versammlungsort. Es gibt ein Gemetzel, bei dem Rothmann tödlich verwundet wird. Der Bischof und der Bürgermeister treten auf. Jan van Leiden, Knipperdollinck und Divara werden gefangengenommen. - Nun ist es an der Zeit, die Hydra der Ketzerei zu zertreten. Die Verdammten dürfen nicht auf Barmherzigkeit hoffen. Keine einzige Träne wird ihnen das Messer vom Hals nehmen. Bevor die Sense in Schwung gesetzt wird, um abzumähen, haben die Sünder der Ketzerei anzuschwören. Knipperdollinck ist nicht zu belehren. Auf der Stelle lässt er das Leben unter dem Stahl des Henkers. Jan van Leiden schwört seinen Irrtümern ab und will dem Kaiser wieder treu sein. Nutzen bringt es ihm im Moment wenig. Das feige Schwein sei noch weniger wert, als sein Stadthalter und soll in einen Käfig gesteckt werden. Nun wird die Divara vor den Bischof geschleppt. Sie will der Intoleranz, den Irrtümern und dem Bösen abschwören, aber bei ihrem Glauben bleiben, denn ohne Glauben ist der Mensch in dieser Welt nichts.


Letzte Änderung am 1.2.2013
Beitrag von Engelbert Hellen