Anakreon oder Die flüchtige Liebe / Anacréon
Entstehungszeit: | 1803 |
Uraufführung: | 4. Oktober 1803 in Paris (Grand Opéra) |
Besetzung: | Soli, Chor und Orchester |
Erstdruck: | Paris: Au magasin de musique dirigé par MMrs. Chérubini, Méhul, Kreutzer, Rode, N. Isouard et Boildieu, 1803 |
Verlag: | Leipzig: C. F. Peters, 1879 ? |
Bemerkung: | Die Chronik berichtet, dass diese Oper bei der Erstaufführung ein Misserfolg gewesen ist. Um an die Ursachen heranzukommen, sollte man zunächst die Fakten ergründen. War die Grand Opéra für das liebenswürdige kleine Werk überhaupt der richtige Aufführungsort? Ist man mit falschen Vorstellungen an die Inszenierung herangegangen? Eine minimale instrumentale und gesangliche Besetzung erfüllt bereits ihren Zweck. In heutiger Zeit kann man in Kenntnis der Risiken den Rahmen geschickter abstecken, und sollte gemachte Fehler nicht wiederholen. Das Werk kann für jedes Festival oder Sommertheater zum Gewinn werden, wenn man seinem Volumen gerecht wird und ein passendes Ensemble zu Hand hat. |
Art: | Ballett-Oper in zwei Akten |
Libretto: | C. R. Mendouze |
Sprache: | französisch deutsch von M. Stegmayer |
Ort: | Teos in Kleinasien |
Zeit: | 6. Jahrhundert v. Chr. |
Anacréon: | ein Lyriker (Tenor) |
Corine: | die Frau an seiner Seite (Sopran) |
Vénus: | Göttin der Liebe (Sopran) |
Cupid: | ihr Sohn (Sopran) |
Bathille: | Anacréons Freund (Tenor) |
Clycère: | seine Freundin (Sopran) |
Athenaïs: | Corines Freundin (Sopran) |
Weitere: | Tänzer und Tänzerinnen, Sklaven und Sklavinnen |
Anacréon ist nicht mehr der Jüngste und beobachtet mit einem Anflug von Traurigkeit die Vorbereitungen zu seinem fünfzigsten Geburtstag. In seiner Region ist er ein gefeierter Lyriker, der sich Jugend und Schönheit als Quelle der Inspiration gefügig macht, doch mit seinem äußeren Erscheinungsbild ist der Ästhet nicht mehr so ganz zufrieden. Der Bauch ist ein bisschen dicker und die Beine sind ein bisschen dünner geworden. Das schüttere Haupthaar wird durch einen Lorbeerkranz zusammengehalten, den man ihm beim letzten Wettbewerb zugesprochen hat. Doch die strengen Maßstäbe, die er an sich selbst legt, werden von anderen in dieser Form so gar nicht wahrgenommen.
Sein biologisches Lebensalter nimmt das junge Mädchen an seiner Seite ohne Missbilligung zur Kenntnis. Ist es vielleicht seine Muse, die den Fluss seiner vortrefflichen Gedanken lenkt? Corine fühlt sich von seinem Charisma angezogen und macht sich ebenfalls Gedanken, ob der Ältere sie auch wirklich liebt. Sie fleht Amor an dafür zu sorgen, dass der berühmte Dichter den Generationsunterschied nie zum Anlass nimmt, sich von ihr zu trennen. Anacréon kommt in die Jahre der Reife und die Anzahl der abgeleisteten 50 Lebensjahre erschrecken ihn. Doch sobald er Corine sieht, erheitert sich sein Gemüt. Der Poet nimmt seine Leier und singt ein Lied zum Lobe von Amor und Bacchus aus voller Kehle.
Dann bricht ein heftiges Gewitter herein und alle Geburtstagsgäste flüchten ins Haus. Als Schlusslicht taucht noch ein ganz kleiner Gast mit Augenbinde auf. Der plötzliche Schauer hat ihn durchnässt bis auf die Haut. Doch seiner ausgelassenen Fröhlichkeit tut das keinen Abbruch. Er nutzt seine Anwesenheit, um mit seinem Liebreiz alle Gäste für sich einzunehmen.
Den Gesetzen der Gastfreundschaft folgend, gewährt Anacréon dem Knirps freundlich Unterschlupf. Sein psychologischer Instinkt lässt ihn vermuten, dass er einen kleinen Ausreißer vor sich hat. Die turbulente Geschichte einer unglücklichen Kindheit hört er sich geduldig an. Der Hausherr ahnt es - der Kleine flunkert, dass sich die Balken biegen. Doch keiner nimmt es ihm übel, denn man sieht überall nur lachende Gesichter. Fast könnte man denken, der Knirps mit der Augenbinde sei Amor auf der Flucht vor seiner Mutter, der gestrengen Göttin Venus, die ihn verhauen will. Der schwatzhafte Wicht posaunt höchst peinliche Familiengeschichten aus, die nun wirklich niemanden etwas angehen. Wirklich, fast könnte man denken, man habe Besuch vom hohen Olymp erhalten.
Mit Clycère und Bathille erlaubt der Knirps sich einen gut gemeinten Scherz und führt die Zerstrittenen wieder in Liebe zusammen. Es dauert nicht lange und auf geheimnisvolle Weise hat er alle Anwesenden in Liebesglut versetzt. Wie macht der Kleine das? Abrupt bilden sich Partnerschaften unter Menschen, die sich vorher nicht kannten oder nicht ausstehen können.
Die Lösung des Rätsels bringt eine Botschaft von der Insel Kythira, dem Sommersitz der Liebesgöttin Venus. Die Mutter befindet sich in ernster Sorge um den entschwundenen Spross und das befragte Orakel hat sie an das Haus des Anacréon verwiesen. Hohe Belohnung wird jedem Versprochen, der sachdienliche Hinweise geben kann. Die Gunst will man sich nicht entgehen lassen und bindet den Widerspenstigen mit einer Leine an eine korinthische Säule. Doch der unsanft angefasste entfesselt sogleich ein Zetergeschrei, so dass man ihn schnell wieder freigibt. Es ist zu riskant, Amor zu verärgern und die Mutter zu erzürnen. Während man noch darüber streitet, wie man es anstellt, die optimale Belohnung für die Aushändigung des Kleinen herauszuholen, fährt der girlandengeschmückte goldene Wagen von Frau Venus durch die Toreinfahrt. Derjenige, welcher das quirlige Kerlchen eingefangen hat, darf in vollem Umfang mit der Mutter Gunst rechnen. Verdienterweise bleibt die Belohnung schließlich an Anacréon hängen. Mit der Zusage eines langen Lebens, dem Kult der Schönheit gewidmet, wird die Liebe seiner Corine zu ihm Bestand haben.
Letzte Änderung am 28.12.2016
Beitrag von Engelbert Hellen