Gwendolin
Widmung: | Madame la Comtesse de Narbonne-Lara |
Entstehungszeit: | 1886 |
Uraufführung: | 10. April 1886, Théâtre de la Monnaie, Brüssel |
Art: | Oper in zwei Akten |
Libretto: | Catulle Mendès |
Sprache: | französisch |
Ort: | Küste Englands |
Zeit: | 9. Jahrhundert n. Chr. |
Harald: | König der Dänen |
Armel: | Anführer des Widerstandes |
Gwendolin: | seine Tochter |
Aella: | Erster Diener Armels |
Erik: | Zweiter Diener Armels |
Weitere: | Angelsachsen und Dänen |
Die Landbevölkerung eines kleinen angelsächsischen Küstendorfes begrüßt den anbrechenden Tag. Gwendolin mit ihren langen blonden Zöpfen ist die Dorfschönheit. Sie mahnt die übrigen Mädchen, die Sichel zu nehmen und zur Arbeit aufs Feld zu gehen. Die Männer sollen mit der Harpune und den Netzen zum Fischen auf das Meer hinausfahren und guten Fang machen. Ihr Vater, der alte Armel, hat das Sagen, während die Tochter, noch jung an Jahren, ihm nacheifert und den Mädchen auf dem Kornfeld die Arbeit einteilt. Fischfang und Landbau gewähren dem Fleißigen goldenen Gewinn.
Mit besorgtem Blick sucht der Alte den Horizont ab. Die Überfälle der rauen Dänen häufen sich in letzter Zeit. Mit ihren besseren Schiffen, die oftmals Drachen nachgebaut sind, kommen die Fischer mit ihren leichten Kähnen gegen ihre Raubzüge nicht an. Allzu gern ist man bereit, trübe Gedanken zu verscheuchen. Die Rosen blühen, den Himmel bedeckt ein zartes Blau, und am Strand herrscht angenehme Seeluft.
Gwendolin wird von den übrigen Mädchen ausgelacht. Sie hatte einen bösen Traum. Ein rauer Däne hat sie gegriffen und über das Meer geschleppt. Die Schalkhaften wollen mehr erfahren. War es ein Jüngling? Sah er gut aus? War er zärtlich? Gwendolin ist nicht aufzuheitern, doch die Mädchen trösten, dass Träume nicht Wirklichkeit sind. Bestimmt hatte das Traumgesicht eine tiefe Narbe auf der Stirn und ist mit seiner schweren Rüstung mehrfach hingefallen. Selbst wenn er Blutspuren an den Händen hätte, die Mädchen würden nachsichtig sein, ganz gleich ob Barbar oder Korsar, wenn er nur ewige Liebe bereit hält.
Die Freundinnen sollen nicht spotten, Träume sind oftmals Vorahnung auf kommendes Unheil. Die schwarzen Helden, die sich nächtens bei ihr angemeldet haben, sind grausam und stark. Wie reißende Tiere verwüsten sie das Kornfeld, und wie Wölfe sind sie von Hunger gepeinigt. Verwüstung und Tod haben sie im Sinn und dunkler Rauch steigt zum Himmel auf, wenn sie die Fischerhütten in Brand setzen. „Hey ho, hört den wilden Schrei, die Barbaren ziehen herbei.“
Gwendolin setzt sich ans Spinnrad und bedauert die armen Nordländer, die immer unterwegs sind und Liebe und Familienglück nicht kennen. Ein trauriges Los haben sie, die armen Dänen. Die schönen Täler ihrer Heimat sind ihnen fremd. Durch Liebesworte könnte man die Wilden vielleicht zähmen.
Die Mädchen beschwichtigen. Die Wächter sahen kein einziges Schiff auf den grünen Wogen.
Die Wächter haben keine gute Beobachtungsgabe. Plötzlich sind die Dänen da. Alle flüchten in Armels wehrhaftes Haus. Dieser schreit seinen Diener an, dass er seine Tochter verstecken soll.
Die Dänen sind gut drauf. Sie singen, dass niemand ihnen widersteht, wenn sie im Sturme nahen. Des Meeres grimmige Löwen sind sie, die niemand zähmen kann. Harald steht breitschultrig und grimmig im Hintergrund auf dem Rasen und dirigiert die Aktionen. Erschrocken und neugierig beobachten die Frauen das zu erwartende Gemetzel. Anschließend gibt es bestimmt Liebe. Doch die Dänen möchten vorerst singen.
Das gute Schwert trifft wie der Blitzstrahl. Früher oder später wird jedes Land mit dem sicheren Tod bedroht. Mit dem Blut der erschlagenen Feinde wird das Feld dunkelrot gefärbt. Falls trotzdem hin und wieder aus ihren Reihen einer fällt, wird er von Wotan in den Göttersaal zu einem Schlückchen Met eingeladen.
Die Besiegten müssen sich vor Harald verbeugen, der erklärt, dass nun das Recht des Stärkeren herrscht. Zu Armel gewandt, will er von diesem wissen, ob es im Dorf auch Schätze wie Gold und Silber gibt. Seine patzige Antwort wird mit der Ermahnung quittiert, dass Haus und Gehöft in Flammen aufgehen werden, falls keine Beute ausfindig zu machen ist. Ohne Zögern soll er gehorchen und das weiße Haupt in Demut beugen. Nein, ihm zum Trotze wird er den Kopf hoch tragen. Dann wird das Haupt eben fallen. Mit Schrecken hört Gwendolin diese Worte und eilt mit flatternden Zöpfen herbeigeeilt, um dem Vater zur Seite zu stehen.
Der arme Harald wird beim Anblick des Mädchens unverzüglich von einem seltsamen Zauber erfasst. Ein nie gekanntes Gefühl macht sich breit. Ganz neu für ihn, vorher kannte er so etwas nicht. Dieses Wunder verdankt er der Göttin Freya. Die Umstehenden schickt Harald weg, greift Gwendolin beim Handgelenk und will wissen, wie der goldene Schatz heißt. Sein Benehmen ist ein bisschen rau, aber sie soll nicht zittern.
So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Seine Wildheit wird schwinden wie bei einem Bären, wenn der Wärter ihn mit viel Geduld erst gezähmt hat. Gwendolin heißt sie. Harald reagiert poetisch. Der Name klingt süß wie das nächtliche Rauschen des Uferschaums. Sein Name ist Harald, er dröhnt wie die Woge, die sich am Felsen bricht. Seine Mutter ist das Meer, und der Vater nennt sich Sturmgebraus. Viel Zeit verbringt er im Kriegsgetümmel und zwischendurch wird eine Kirche oder ein Kloster ausgeraubt und angezündet. So etwas bringt Spaß! Das Wetter ist nicht immer angenehm, viel Saus und hoher Wogengang.
Einmal wurde er im Kampf besonders hart bedrängt. Er sah bereits Walhalls hehre Götterburg. Schon nahte auf leuchtendem Ross in der Wolke die goldbehelmte Walküre. Er hat ihr offen ins hehre Antlitz geschaut und war ganz verwirrt. Jetzt geht es ihm genauso.
Die Geschichte gefällt Gwendolin und sie möchte mehr von der fremden Götterwelt erfahren. So wild wie eine Walküre ist sie nicht, und Kampfspielen hält sie sich fern. Ihr Schwert ist die Spindel und im Hain pflückt sie gern Blumen. Es gibt dort Maiglöckchen und Immergrün, aber die Heckenrosen stechen, wenn man nicht aufpasst.
Gwendolin windet einen Kranz aus weißen Wildrosen und Immergrün. Sie will ihn Harald auf den Kopf setzen. Jetzt wird es ihm zu dumm; er zerreißt das Gebinde und will sich verabschieden. Gwendolin schmollt, und unter dem Einsatz weiblicher Waffen versucht sie, seine Unerfahrenheit in der Liebeswerbung zu nutzen, um ihn an sich zu fesseln. Sie probiert, über ihn zu herrschen und nach der Idee des Librettisten soll er Sachen vom Boden aufheben und wie ein Hündchen ihren Kommandos folgen. Die Gefährten warnen jedoch Harald, dass er sich nicht lächerlich machen soll.
Zu spät - der Krieger bittet den alten Armel, ihm die Tochter zu überantworten. Als Gegenleistung wird er nicht länger Gegner, sondern Bundesgenosse sein. Die Dorfbewohner protestieren, aber der Alte gibt dem wilden Dänen die Tochter zur Frau. Hinter seinem Rücken setzt er ein listiges Gesicht auf und erklärt, dass die eifrigen Dörfler doch bis zum Abend abwarten sollen. Die wilden Dänen werden betrunken sein und dann wird man mit deren Waffen leichtes Spiel haben.
Harald fragt das Mädchen direkt, ob es ihm folgen will. Gwendolin mit ihrem kindlichen Verstand macht den Erfolg seiner Werbung davon abhängig, ob er zu gehorchen versteht. Unterwürfigkeit als Bedingung für den ehelichen Bund!
„Spinne, spinne, blondes Mädchen...“ Beide singen jetzt das Liebesduett, um Gemeinsamkeit zu signalisieren und nicht zuletzt um den Opernbesuchern eine Freude zu machen. Es ist ein bisschen kurz geworden, weil Harald von Natur aus ziemlich schweigsam und mehr auf Kampfgeschrei aus ist.
“Harald, Harald, lass dich warnen! Von einem Weibe lässt du dich umgarnen!“
Das Brautgemach enthält eine geräumige Liegewiese aus Lammfell. Ringsumher ist schönes Kupfergerät aufgebaut. Die Braut erstrahlt im Hochzeitskleid und blickt verschämt aus den weißen Spitzen, während er, den Wotan sich zum Liebling erkoren hat, gedankenverloren sich sein Glück vorstellt.
Armel bekommt Kunde von Aella, dass die Freunde bereits im Hinterhalt lauern. Hat er das Öl und die Fackeln in der Nähe der feindlichen Schiffe auch gut verborgen? Erik hat Bedenken: Als Freunde reichten sie die Hand und jetzt sollen sie heimtückisch niedergemetzelt werden. Die Tat ist zwar schrecklich, meint Armel, aber verglichen mit dem, was die Dänen in der Vergangenheit den Angelsachsen schon alles angetan haben, durchaus angemessen.
Die Braut tritt aus dem Schleier, und die Brautjungfern raten ihr, an die Turteltauben zu denken, weil sie bald auch so beglückt werden wird wie diese. Die Piraten bringen nun schöne Gaben für Gwendolin herbei. Herrliche Gegenstände, die vorher geraubt wurden. Harald bekommt als Geschenk von den Dorfmädchen ein Obstkörbchen, sorgfältig dekoriert mit Symbolen bäuerlichen Wohlstandes.
Da der Dorfpfarrer sich offenbar geweigert hat, leitet Armel die Zeremonie selbst und segnet das Paar, welches sich ewige Liebe schwört bis zum dunklen Grabe. Der Brautvater schenkt Harald ein Trinkhorn, und während dieser gerade trinkt und wegschaut, überreicht er seiner Tochter einen Dolch. Die Ahnungslose erschrickt und weiß mit der Stichwaffe nichts anzufangen. Wenn ihr Mann schläft, soll sie ihn niederstechen, erfolgt die Aufklärung durch den lieben Vater ohne zuvor ihre Bereitschaft zu erkunden.
Nicht mit Gwendolin! Sie lässt Harald eine Warnung zukommen und fleht, er möge zu seinen Schiffen flüchten und nie wieder zurückkommen. Er soll nicht fragen, sondern fliehen, doch er nimmt ihre Worte nicht ernst und denkt, dass es nur der Vorwand einer ängstlichen Mädchenseele sei, um sich der Brautnacht zu entziehen.
Die Gefährten sind nahe, und die Kraft ihrer Arme wird ihn schützen! Was kann schon passieren? Gwendolin glaubt nun selbst, dass sie einem Wahn gefolgt sei. Die beiden Liebenden umarmen sich. Von zärtlichem Gefühl durchdrungen, leistet sie keinen Wiederstand. Haralds Augen selbst sind der Sonnenstrahl, und Gwendolin will den süßen Duft seiner langen Haarsträhnen atmen. Wie ein Gletscher, den die Sonne geküsst hat, zerfließt die Wonne in ihrer Seele.
Verrat! Verrat! Wehgeschrei und das Umstürzen von Gegenständen dringt bis ins Brautgemach. Die Dörfler haben die betrunkenen Dänen überfallen und sind dabei, sie niederzumetzeln. Harald will zur Hilfe eilen und sieht, dass er keine Waffen mehr hat. Gwendolin gibt ihm zur Selbstverteidigung den Dolch, den der Vater ihr zu unpassender Benutzung gegeben hatte. Vielen Dank, schnell noch einen Kuss und dann stürzt Harald los. Gwendolins Vorahnung hat sich erfüllt. Mit ihm zusammen möchte sie sterben. Wie Tristan und Isolde möchte sie im Tode mit dem Geliebten vereint sein.
Der Vorhang fällt, damit die Zuschauer das Gemetzel nicht in vollem Umfang mitbekommen. Der Opernchor singt Schlachtgesänge, während der Dekorateur die Prospekte wechselt.
Die Sachsen tragen Fackeln, und die betrunkenen Dänen stolpern und fallen während wilder Flucht ständig zu Boden. Jetzt werden die bunt bemalten Schiffe in Brand gesteckt und der Kapitän totgeschlagen. Harald soll zur Hilfe kommen. Dieser ist schwer verletzt und lehnt sich rücklings gegen einen Baumstamm. Das Blut entströmt, aber er lächelt, um zu beweisen, dass er den Tod verachtet. Armel will ihn mit seinem eigenen Schwert niedermachen. Gwendolin ist flinker. Sie stürzt sich auf den tödlich getroffenen Harald, reißt ihm den Dolch aus der Hand und ersticht sich selbst.
Armel ist bestürzt und fragt den Himmel, ob das die Strafe für den Verrat sei. Vom Mond beschienen und von den brennenden Schiffen beleuchtet, halten die beiden Liebenden sich umschlungen. Die Kraft reicht gerade noch, zum herzergreifenden Schlussduett, bis der Tod eintritt.
Wotan soll jetzt ein Flügelross schicken und eine goldbehelmte Walküre sie durch die Lüfte entführen. Die Götter sind bereits beim Mahle. Obwohl nur für im Kampf gefallene Helden gedacht, darf Gwendolin ausnahmsweise mitessen.
Der Traum eines französischen Opernkomponisten ist es, dass die Premiere seines Musikdramas an der „Pariser Oper“ in Szene geht. Nicht immer geht dieser Wunsch in Erfüllung. Es bietet sich dann das Théâtre de la Monnaie in Brüssel an, den Parisern Trotz zu bieten. Bei „Gwendoline“ hat es eine Weile gedauert, bis die Seine-Metropole sich bequemte. Chabriers Gesundheitszustand war bereits kritisch, bevor er im Rahmen seiner Familie dort einer Aufführung seines Hauptwerkes beiwohnen konnte. Vorher ging das Werk über den Rhein und hatte an wohlbekannten deutschen Bühnen beachtlichen Erfolg.
Trotz einer gewissen Naivität ist das Libretto reizvoll, und Chabrier wusste erstaunlich viel damit anzufangen. Besonders den Chören schenkt er große Beachtung. Den Vorwurf der Wagner-Nähe – soweit er überhaupt stichhaltig ist - muss man heute nicht mehr allzu ernst nehmen. Viele andere Komponisten haben unter diesem Vorwurf zu leiden; er verhindert bis heute eine Wiederaufnahme vorzüglicher Werke in den Spielplan der großen Häuser.
Letzte Änderung am 22.5.2006
Beitrag von Engelbert Hellen